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Carl Friedrich von Weizsäcker 20. Juli 1944

Siehe dazu auch: Eugen Kogon und Carl Schmitt sowie die weiteren am Ende des Beitrags verlinkten Texte - besonders am Herzen liegt mir: Hadde och Bärchje? (Habt ihr auch Bärchen?)

Ich war ein später Abiturient und habe 1974 die Allgemeine Hochschulreife erworben – vor wenigen Wochen haben sich einige unseres Jahrgangs zum 50sten Jahrestag getroffen. Wir haben über Gott und die Welt geredet – natürlich auch darüber, in welcher Weise sich das Motto unserer Schule (Are-Gymnasium Bad Neuenahr) – sum ut fiam – mit Blick auf unsere jeweiligen Lebensläufe ausgeprägt hat. Für meinen Teil wird mir manchmal überdeutlich, in welch problematischer Weise sich im Rückblick auch für Abiturienten Defizite hinsichtlich ihrer politischen Grundbildung offenbaren. Ich habe als Sozialkunde- und Geschichtslehrer gearbeitet und über fast 25 Jahre in der Lehrerausbildung großen Wert auf eine solide politische Grundbildung gelegt. Seit meiner Versetzung in den Ruhestand habe ich natürlich schlicht mehr Zeit für Lektüren jeglicher Art. Sieht man einmal ab von den – ich nenne sie nicht alleine so – Luhmann-Lektüren (Luhmann-Lektüren, Kadmos-Verlag, Berlin 2010), die gleichermaßen weltbildkonstituierend wie –verändernd wirken, fallen einem zuweilen Beiträge zu, die - gewissermaßen – einer nachgetragenen Horizonterweiterung gleichkommen.

Wenn ich nun zunächst an dieser Stelle Sabine Friedrichs 2000 Seiten umfassenden Roman zum Deutschen Widerstand erwähne – Wer wir waren (DTV-Verlag, München 2012)-, dann in erster Linie deshalb, weil mir dieser gigantische Versuch, einen Zugang zu eröffnen zu der Vielgestaltigkeit des Deutschen Widerstands im Dritten Reich, schon längere Zeit nachgeht. Heute stelle ich ihn in einen Zusammenhang, der sich aus einem Zufallsfund ergibt. In: Carl Friedrich von Weizsäcker (CFvW), Der bedrohte Friede (Carl Hanser Verlag, München 1981, S. 439-448) stoße ich auf von Weizsäckers Rede am 20. Juli 1974, gehalten im Hof des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht in Berlin (Meinen Besuch in Plötzensee - Hadde och Bärchje? - 1970 als Betreuer einer Jugendgruppe hatte ich wohl noch irgendwie in den Knochen, aber nicht wirklich verarbeitet. Dies habe ich erst 54 Jahre später nachgeholt.) Wie oben bemerkt, ich hatte eben erst das Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife erhalten. Dass CFvW 1974 - just in diesem Jahr - die Rede zum 20. Juli 1944 gehalten hat, war mir nicht bekannt. Umso aufschlussreicher meine aktuelle Lektüre. Äußert er doch zu Beginn die Vermutung, dass „die Gedanken der Verschwörer die deutsche Nachkriegspolitik wenig beeinflußt haben“. Die Nötigung, sie öffentlich zu ehren, sei manchmal als peinlich empfunden worden. Und vor allem vertrat er damals die Auffassung: „Für die heutige Jugend sind sie in der Geschichte versunken.“

Eugen Kogon und Carl Schmitt

Bereits 1945/46 hat Eugen Kogon die ideelle Grundlage des Terrors begriffen. Sie beruht auf der von Carl Schmitt 1932 vorgelegten Schrift: Der Begriff des Politischen, mir vorliegend in der 7. Auflage als 5. Nachdruck der Ausgabe von 1963

Auf den Seiten 26/27 der Taschenbuchausgabe zu Eugen Kogons: Der SS-Staat - Das System der deutschen Konzentrationslager", 42. Aufl., München 1974 findet sich folgende Passage (ausführlicher hier):

"Die ideelle Grundlage, von der der Terror seinen Ausgang nimmt, ist die Leugnung oder die Relativierung jener Rechte, die wir aus dem Wesen und den Aufgaben des Menschen selbst herleiten. Sie kann, wie bereits angedeutet, prinzipiell sein. Wer eine monarchische oder cäsarische Despotie anstrebt, würde in der Anwendung terroristischer Mittel behindert, wenn er Autorität und Freiheit, die beiden Seiten eines und desselben Grundrechtes, auch nur irgendeines anderen Menschen anerkennen wollte. Außer dem Despoten und all jenen, auf die er als seine Werkzeuge die vermeintlich absolute Verfügungsgewalt überträgt, besitzt niemand Rechte aus sich oder aus dem ihm zustehenden Sachbereich. Wer aber das Gesetz der niederen Natur vom >Kampf ums Dasein< auch in der menschlichen Gesellschaft und ihren Ordnungen für gültig hält, muss jede Art von Recht zu einer Ausdrucksform der Freund-Feind-Theorie relativieren, die es ihm erlaubt, selbst die gemeinsten Mittel der Gewalt für gerechtfertigt anzusehen, sofern sie ihm in einem gegebenen Fall besser angebracht erscheinen als List, Überredung und jeder andere Versuch, Oberhand zu gewinnen. Denn die Meinung, es sei ein 'Naturgesetz' auch der menschlichen Gemeinschaft, dass der Tüchtigste, der Stärkste schließlich sogar der Gewalttätigste überlebe und überleben solle, da er allein zur Herrschaft berufen sei, heiligt von solchem Zweck her selbstverständlich den Rechtsbruch."

Was nicht jeder weiß, aber jeder wissen kann!

Miriam Lau hat bereits 2020 in einem kurzen Artikel ("Als hätten sie schon die Macht") in der ZEIT (2/2020, S. 3) die Veränderungen der politischen Kultur innerhalb des Parlaments thematisiert. Und plötzlich macht ein Goebbels-Zitat aus dem Jahre 1928 die Runde, als der NSDAP-Politiker folgendes vernehmen ließen (siehe auch hier):

"Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen (...) Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrtkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir."

Ich war seinerzeit der Auffassung: Miriam Laus Artikel kommt leider daher wie sehr dünnes Bier. Gleichwohl bestätigt er, dass es einfach zu billig ist, Gauland und Konsorten als Drecksäue zu bezeichnen. Sehr viel wesentlicher wird es sein, wie mehr oder weniger belämmert wir - die Schafherde - sich in den nächsten Wahlrunden verhalten wird. Dazu benötigen wir eine gute Portion Starkbier.

"Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde!
Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir."

Schön, dich kennenzulernen –

Axel Hacke nähert sich einem Fremden, mit dem er schon ein Leben lang zusammenlebt: seinem Körper (ZEIT 39/24, S. 46/47)

Axel Hacke hat es schon wieder getan – er weckt Aufmerksamkeit, wo sie Not tut!

Not – ein lästig Gebot; davon zeugt Axel Hackes neue Visitenkarte:

„Axel Hacke, Schriftsteller und Kolumnist, Inhaber von Morbus Meulengracht und Morbus Ledderhose. Normale Flussprofile im Carotisstromgebiet. Absolvent von Thereoiditis de Quervain. Bruxist.“ Ja: „Wer braucht Professorentitel, wenn er einen Körper hat.“

Axel Hacke – 56er Jahrgang – sucht eine Sprache, beschreitet einen skurrilen Findeweg für etwas Alltägliches, für etwas Selbstverständliches, das alles andere als selbstverständlich ist.

„Ich habe mein ganzes Leben mit der Schilddrüse und dem Körper drumherum verbracht. Ohne ihn ginge es ja nicht.“

Die Schilddrüse ist es schließlich, die ihn zu seinem neuen Buch „Aua! Die Geschichte meines Körpers“ (bei DuMont, Köln 2024) treibt. Anhaltendes Unbehagen – ein Gefühl eingeschränkter Leistungsfähigkeit, genug zum Leben, zu wenig für Sport, stellt er fest:

„An der rechten Seite des Halses hatte ich Schmerzen bis zum Ohr, eine kleine Erhebung dort tat weh. Ich war heiser. Nachts wechselte ich den Pyjama, weil ich schwitzte wie ein Sumoringer nach einer Bergwanderung.“

Francis Ford Coppola - Warum nicht von ihm lernen?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, hier einem Sprachwunder zu huldigen - mach ich im nächsten Beitrag. Zu dem sich dann wundersam Enthüllenden eröffnet sich ein Zugang aus Gründen, die Francis Ford Coppola in einem Interview darlegt (ZEIT-MAGAZIN 39/24 von Johannes Dudziak). Der inzwischen 85jährige Francis Ford Coppola vermittelt uns eine Einsicht, deren empirische Validität zumindest durch sein Alter gedeckt zu sein scheint. Er meint:

"Denn wer weiß schon, was das Leben ist. Doch wenn man es rückblickend betrachtet, sieht man, dass wir dazu verdammt sind, das Leben von jung nach alt zu leben, aber es nur von alt nach jung verstehen."

Er lässt erkennen, dass sein Verstehenshorizont sich weitet und schärft - geweitet und geschärft hat - durch etwas, was ich immer schon als eine der Mega-Differenzen betrachtet habe - durch das Schisma, dem zufolge sich die Menschheit aufteilen lässt in diejenigen, die Kinder haben und die, die keine Kinder haben. Um es vorab zu sagen. Diese Differenz reicht leider nicht dazu aus, auch die Guten von den Schlechten/Bösen zu scheiden. Denn Francis Ford Coppola wird offenkundig nicht müde zu betonen, dass wir alle - sozusagen als Repräsentaten des Anthropozän - weder verhindern noch erklären können, 

"warum die Menschen, die so genial sind, nie in der Lage zu sein scheinen, eine Gesellschaft zu schaffen, die die Probleme der Menschen löst. Es ist eine Sache zu sagen, das Kinder niemals getötet werden sollten, aber wir töten weiterhin Kinder. Wir haben eine Menge wundervoller Ideale, aber wir werden ihnen nicht gerecht."

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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