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Du hast noch dein ganzes Leben Zeit das herauszufinden
Dieser Beitrag ist ein besonderer - er ist meinen beiden Nichten gewidmet. Mehr noch: verdankt sich die folgende gleichermaßen wundervolle wie wundersam-berührende Geschichte der jüngeren meiner Nichten - Kathrin Witsch -, so klingen in ihr Botschaften an, die uns Alte - gewiss aber auch die Jüngeren - gleichermaßen verzaubern wie zur Besinnung ermuntern. Selbst wenn man sich eingestehen mag, dass einige Formulierungen und szenische Rahmungen sanft an Hedwig Courths-Mahler erinnern, entwirft die siebzehnjährige Autorin ein philosophisches Hintergrundrauschen, das so überaus realitätsnah eine existentielle Ausgangslage an uns heranträgt. Die damit ausgelösten Lernchancen sind beachtlich, nehmen sie doch das existentiell Wesentliche auf literarische Weise in den Blick.
In diesem Blog ist in den letzten Beiträgen viel die Rede von der Kantschen Lektion: Mir selbst kommt es so vor, dass ich 72 Jahre alt werden musste, um die Idee endlich fassen zu können, dass mein Antrieb zur verdichteten, prägnanten lyrischen Form sich dem Bedürfnis verdankt, einen Angelpunkt für die eigene Position zu finden. Unser aller Bemühungen geschahen und geschehen in einem (historischen) Kontext, der uns (auch uns Nachgeborenen) auferlegt(e) im Sinne der umstrittenen kantischen Lehre vom radikal Bösen zu unterscheiden, ob jemand sich für das Böse entscheidet, weil es böse ist, und eben nicht nur, weil man es fälschlicherweise für gut hält (siehe Boehm/Kehlmann, der bestirnte Himmel über mir – Ein Gespräch über Kant, 2. Auflage, Berlin 2024, Seite 75).
Die siebzehnjährige Autorin der folgenden Geschichte stellt diese Frage so deutlich und unumwunden, dass es mich beim Wiederlesen nach 18 Jahren gleichermaßen beeindruckt und verblüfft.
In meinen Papierhalden stoße ich heute Morgen auf einen Literarischen Kochkurs aus dem Jahr 2006. Im Kompendium des Kurses, der wohl am Are-Gymnsium abgehalten wurde, fällt mir ein Beitrag auf – die Autorin ist eben erst 17 Jahre alt. Es ist meine Nichte, Kathrin, die mir zeigt, wie sehr eine fundierte Bildung bereits den Kompass generiert, der uns ein Navigieren durch ein immer verrückter, schneller, chaotischer, brutaler prozessierendes Weltgeschehen erlaubt. Wenn sie demnächst eine Zeit lang ihre beruflichen und auch lebensbestimmenden Erfahrungen an der Wiege der Menschheit suchen und machen wird, kann ihr der im folgenden Text markant in Erscheinung tretende Kompass gewiss weiterhin ein zuträgliches, gewiss zuweilen auch hartes Navigieren am Wind (an den Stürmen) des Weltgeschehens erlauben.
Im folgenden der Originaltext - nur die Dialoge habe ich farblich abgesetzt, um den Dialogen leichter folgen zu können.
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Elisabeth Kolbert: Das sechste Sterben
Jetzt mal was ganz, ganz anderes!
Menschen, die herkunftsmäßig unter bibliophiler Knappheit gelitten haben, bilden in extremen Fällen – wenn die Zugänge und Mittel es erlauben – eine Sammelwut aus; man bezeichnet sie auch als Hamsterei. Um zu verhindern, dass ihnen jemals der Lesestoff ausgeht, sammeln sie Druckabsonderungen an, sofern sie in irgendeiner Hinsicht ihre Interessen berühren. Auf diese Weise füllen sich Regale, bilden sich Zeitschriftenstapel; kurzum: alles, was in einer digitalen Welt schlichtweg einen Anachronismus darstellt.
Aus einem dieser Stapel zog ich heute eine Ausgabe des Sterns – die Nr. 29 vom 9.7.2015. Irgendein Beitrag aus dieser Nr. 29, die auf dem Cover Helene Fischer zeigt, muss mich dazu veranlasst haben, das Lesezirkelexemplar - vermutlich aus der Wartezone einer Arztpraxis - mitgehen zu lassen. Ich blätterte das Heft durch, und die Doppelseite 66/67 zeigt das Porträt einer Frau, halbsitzend/halbstehend vor einer Bücherwand. Der Beitrag kündigt sich mit dem Titel an: Wir sind ein verrückter Unfall der Evolution – Der Mensch zerstört in irrwitzigem Tempo den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Sagt die Wissenschaftsjournalistin Elizabeth Kolbert, die für ich Buch >Das sechste Sterben< gerade den Pulitzer-Preis erhielt
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Das lyrische Klärwerk (in progress)
In progress bedeutet, dass hier etwas entsteht, das der weiteren Strukturierung harrt. Es bedarf einer solchen weiteren Strukturierung, weil die Fülle an lyrischen Absonderungen ganz unterschiedlichen Motiven folgt. In einem ersten Block bieten politische Kontroversen und Geschehnisse Anlässe. Daneben habe ich neben Naturlyrik und Liebeslyrik der Gelegenheitslyrik ein eigenes Feld eingeräumt. Dies weist darauf hin, dass die lyrische Verdichtung bzw. die Kurzform sich immer wieder anbieten, um die eigene Befindlichkeit auf den Punkt zu bringen. Auch dies greift in gewissern Weise zu kurz, denn über Befindlichkeitsmomente hinaus geraten meine Gedichte häufig zu existentiell geerdeten Blitzlichtern, die über den Moment hinausweisen.
Die Projekte, die ich gegenwärtig verfolge, häufen sich - sie sollten alsbald auch eine lesbare Gestalt annehmen. Der größere Zusammenhang, nimmt bereits Konturen an.
Es hat 72 Jahre gedauert, bis zu der Idee vorzudringen, dass mein Antrieb zur verdichteten, prägnanten lyrischen Form sich dem Bedürfnis verdankt, einen Angelpunkt für die eigene Position zu finden. Meine Bemühungen geschahen und geschehen in einem (historischen) Kontext, der uns (auch uns Nachgeborenen) auferlegt(e) im Sinne der umstrittenen kantischen Lehre vom radikal Bösen zu unterscheiden, ob jemand sich für das Böse entscheidet, weil es böse ist, und eben nicht nur, weil man es fälschlicherweise für gut hält (siehe Boehm/Kehlmann, der bestirnte Himmel über mir – Ein Gespräch über Kant, 2. Auflage, Berlin 2024, Seite 75).
Der Angelpunkt war früh gesetzt mit der Idee, man müsse den Menschen als Zweck statt als Mittel betrachten. Der Kantsche Universalismus – trotz aller menschlichen Verfehlungen des Herrn Kant – wirkt heute, verbunden mit seinem dreihundertsten Geburtstag angesichts des rasanten Wiederauflebens von Gewalt als Mittel der Politik entschieden nach, weil die kategorische Falschheit von Handlungsoptionen dann greifbar wird, wenn man dieser Idee folgt, die Menschen nicht als Mittel, sondern als Zwecke zu betrachten (was im Übringen nicht bedeutet, dass man selber dieser Idee in seinen alltäglichen Handlungen auch nur nahekommt):
„Man muss über die eigenen und ihre Interessen hinausblicken und sein Verhältnis in einer Gesellschaft freier und deshalb gleicher Wesen begreifen.“ (siehe a.a.O., S. 73f.). So schreibt Kant:
„Die Klasse der Weißen ist nicht als besondere Art in der Menschengattung von der der Schwarzen zu unterschieden; und es gibt gar keine verschiedene Arten von Menschen.“ (Immanuel Kant, >Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse<, Akademie-Ausgabe der Schriften Kants, Band 8, S. 99f. zitiert nach Boehm/Kehlmann, a.a.O., S. 69)
Und Boehm/Kehlmann fragen an gleicher Stelle, wie jemand, der diesen eben zitierten Satz geschrieben hat, immer noch rassistische Anschauungen haben konnte.
Vermutlich ist dies auch einer der Begründungen für die Zitation Jura Soyfers auf der Vorsatzseite des von Boehm und Kehlmann veröffentlichten Buches, wo es heißt:
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Hier kräht der Krah -krah, krah, krah, krah
Hier kräht der Krah - auch für ihn: Das Marschliedchen 2022
Krah, krah, krah
kräht unverdrossen die Krähe;
ich bin frech und schwarz.
ich ernte, ohne dass ich säe.
Krah, Krah, Krah
hier kräht der Krah,
bin mehr braun als schwarz
und ernte, was ich säe.
Der Krah sieht sich als Schmittchen
und faselt schon vom Großraum -
vom Freund zum Feind ist’s nur ein Schrittchen
der wahren Souveränität gilt Maxens Traum.
Umvolkung kräht der Krah!
Ich war mal schwarz und bin jetzt braun
hier kräht der Krah
und das klingt hart? Zieht höher den Zaun!
Du willst ernten, was du säst?
Im D…, im D… im Dummenland?
Selbst da wohl kaum, wenn sie doch sähen, was du säst.
Träum weiter nur von Lummerland!
Und doch: die Dummen feiern den Krah
sie zündeln und säen den Hass und das Gift,
während der Zorro verjiss, woröm er e Z in der Schnie eren schifft.
Un die, die alles, wat anders ess, stührt, die krähen krah krah, krah krah –
Und über die lacht und amüsiert sich der Kra, Krah, Krah
Er lacht sich nen Ast, liest Jan Philipp Reemtsmas Verdikt
vom unaufhebbaren Nichtbescheidwissen der Mehrheit – und denkt: geschickt!
Die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber – krah, krah, krah, krah
Jawohl, so kräht der Krah
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Theodor W. Adorno: Minima Moralia.
Reflexionen aus dem beschädigten Leben (1951), eine aphoristische „Diagnose einer global organisierten Unmündigkeit“ (so im Wikipedia-Beitrag zu lesen).
Was Theodor W. Adorno teils in den Minima Moralia zusammenträgt, ist mit obigem Verdikt einer grundlegenden global organisierten Unmündigkeit nur unzureichend beschrieben. Organisierte Unmündigkeit vermittelt den Anschein, Unmündigkeit sei zuvorderst das Ergebnis von außen auf uns zukommender Entmündigungsstrategien, und man könne sie – nur willensstark genug – zurückweisen. Nehmen wir einmal die Nummer 105 seiner Aphorismen-Sammlung – Nur ein Viertelstündchen (Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Frankfurt 1969, S. 217f.). Das ganze geballte Elend unserer Existenz, das Adorno unter das Generalverdikt setzt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen (Conclusio aus Nummer 18: Asyl für Obdachlose) tritt uns entgegen im Kontext einer Allerweltserfahrung: Ausgangspunkt ist eine schlaflose Nacht. Adorno war bei Abfassung des dritten Teils seiner Aphorismen eben erst 43 Jahre alt, stand allerdings – wenn auch aus sicherer Distanz – unter dem Eindruck des faschistischen Terrors in Europa, dem er sich widerwillig durch Flucht entzogen hatte. Für die Schlaflose Nacht sieht er ein formelhaftes Äquivalent: