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DER SPIEGEL 52/24 - Oma ist die Beste

Vorbemerkung: Es lohnt sich durchaus, sich mit dem gegenwärtigen Diskussionsstand zu grundlegenden familiensoziologischen bzw. -philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, so beispielsweise mit dem Beitrag von Betzler/Löschke: Was ist eine Familie (bibliogr. Angaben im verlinkten Beitrag)

DER SPIEGEL (52/24) präsentiert sich mit der Headline: Oma ist die Beste – Neue Forschung: Wie Großeltern und Enkel einander stärken

„Was bleibt, wenn ein Mensch sich verändert, wenn die Persönlichkeit erlischt, wenn Großeltern sterben? Welche Oma-und-Opa-Geschichten behalten die Enkel zurück? Die tröstlichen oder eher die komischen, anstrengenden? Und verblassen sie nicht ohnehin irgendwann? Peter Hüll, der sportliche Großvater aus Pinneberg, will etwas erschaffen, das die Erinnerungen seiner Enkel an die Zeit mit ihm und seiner Frau lebendig hält. Jedes Jahr schenkt er jedem Enkelkind ein Fotobuch, >Beas erstes Jahr< steht auf dem einen, >Ennos viertes Jahr< auf einem anderen. Hüll nimmt die Bilder mit seiner Kamera auf. Er sammelt, sortiert, sucht die besten aus, lässt die Bücher drucken. Er selbst habe fast gar keine Bilder von sich und seinen Großeltern, sagt Hüll. Und das sei doch schade.“

Peter Sloterdijk: Zur Welt kommen - Zur Sprache kommen (siehe auch: Benedict Wells)

Für meine Patenkinder

Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen. Peter Sloterdijk öffnet Wege und Dimensionen der (Selbst-)Reflexion, indem er weit über die schlichte Registratur einer (nur) uns Menschen zukommenden Gabe der (Selbst-)Reflexion hinaus deren medialen Resonanzraum gleichermaßen in seiner - teils schmerzhaften - Bedingtheit wie als Möglichkeitsraum betrachtet und auslotet. Er deutet damit auch an, wie sehr sich Begabungen verschenken, verschleudern ans Hadern, ans selbstgerechte Sich-Grämen, statt vorzudringen zu dem was einem jeden von uns geschenkt ist – gleich aus welchen reinen oder verseuchten Wassern wir auch schöpfen mögen. Was damit gemeint sein könnte, hat Gottfried Benn en passent formuliert. Er behauptet Lyrik beispielsweise müsse exorbitant sein oder gar nicht. Das gehöre zu ihrem Wesen:

„Und zu ihrem Wesen gehört auch noch etwas anderes, eine tragische Erfahrung der Dichter an sich selbst: keiner auch der großen Lyriker unserer Zeit hat mehr als sechs bis acht vollendete Gedichte hinterlassen, die übrigen mögen interessant sein unter dem Gesichtspunkt des Biographischen oder Entwicklungsmäßigen des Autors, aber in sich ruhend, aus sich leuchtend, voll langer Faszination sind nur wenige – also  um diese sechs Gedichte die dreißig bis fünfzig Jahre Askese, Leiden und Kampf.“ (Probleme der Lyrik, Wiesbaden 1951, Seite 18)

A c h - Erich Kästner

Bei der Entstehung und Konzeption meines Lyrischen Klärwerks habe ich Dich als Paten auserkoren - mit Deiner Lyrischen Hausapotheke. Die hab ich soeben dankbar rückgeführt, mir zugeführt 1999 als Geschenk, als ich meinen düstersten Jahren soeben erst entronnen. Winfried Rösler verdanke ich Erich Kästners Werke, darin ein opulenter Band von mehr als 500 Seiten: Erich Kästner - Zeitgenossen, haufenweise -Gedichte, erschienen im Carl Hanser Verlag, München und Wien 1998 als Band I. darin finden sich haufenweise Epigramme, aufgehoben in: KURZ UND BÜNDIG: Im Vorwort dieser Sammlung, deren geplante Veröffentlichung 1943 zunächst scheiterte, heißt es:

"Im Schatzhaus unserer Literatur birgt das Gewölbe mit den Epigrammen, diesen kunstvoll geschnittenen Gemmen und vollendet geschliffenen Edelsteinen der Dichtung, unschätzbare Werte. Man darf sie besichtigen und besichtigt sie nicht. Sie sind wundervoll wie Miniaturen und werden nicht bewundert. Ist die Neigung, sich an diesen >sinnreichen Kleinigkeiten<, wie Lessing sie genannt hat, an diesen >witzigsten Spielwerken< zu freuen, tatsächlich dahin? Ist die künstlerische Lust, sich in äußerster Zucht, Prägnanz und Kürze auszudrücken, wirklich erloschen? Und das zu einer Zeit, da denen, die lesen, und denen, die schreiben, Zucht und Prägnanz nötiger wären denn je?"

So schreibet Erich Kästner 1943, in jener Zeit, da die Barbarei der Deutschen in Europa und in der Welt ihren Höhepunkten entgegenbrauste. Und weiter - auch uns heute zur Mahnung:

22.12.2024 - Friedenskundgebung in Güls

Zwei Tage vor dem Heiligen Abend treffen sich Gülser Bürger auf dem Plan. Sie hören die Reden von Josef Oster (MdB-CDU), Detlev Pilger (ehem. MdB-SPD) und Christopher Bündgen (Vorsitzender Grüne Koblenz)

Sie halten das Fähnlein der sieben Aufrechten hoch - für einen Ort mit einer Einwohnerzahl von fast 6 1/2 Tausend ist die Resonanz mehr als bescheiden!

Am 22. Dezember 1944 vor 80 Jahren – verloren über 90 Gülser Bürger infolge eines britischen Bombardements ihr Leben. Der Angriff galt dem Lützeler Bahnhof. Die heutige Gedenkveranstaltung verdankt sich der Initiative des Ortsrings, dem Dachverband aller Gülser Vereine. Die Schirmherrschaft oblag dem Koblenzer OB, David Langner und dem Gülser Ortsvorsteher Hans-Peter Ackermann. Beide stellten in ihren kurzen einführenden Redebeiträgen die Ereignisse vom Dezember 1944 in einen historischen Kontext, der uns allen noch einmal eindringlich ins Bewusstsein rief, dass der von den Nazis verantwortete Angriffskrieg nur durch die Anstrengungen der Alliierten beendet werden konnte. Die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren und auch die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 verdanken sich einer Friedenspolitik, die in ihrer Vertragsorientierung – vor allem mit der Aussöhnung Frankreichs und Deutschlands - zu einer europäischen Friedensordnung geführt hat, die uns Nachkriegskindern seit nahezu 80 Jahren Frieden in Kerneuropa beschert hat.

Versöhnt euch!? - Von der Freiheit eines emanzipierten Menschen

Ich habe mein diesjähriges weihnachtliches Seelenfutter gefunden. Ich habe es mir schenken lassen. Und ich habe es mir zusammengebastelt. Was ich hier aufschreibe, ist gedeckt von einem satten Scheck realitätsverbürgender Priviliegien, deren Status als Privilegien - wie immer - aus dem Vergleich mit den durchschnittlichen gesellschaftlichen Realitätsbrüchen resultiert. Mit vielen weiß ich mich einig; und wenn ich sozusagen exemplarische Quellen benennen soll, die mir auf einer nackerten Kugel gleichwohl Heimat und Geborgenheit bescheren, bleibt mir neben dem Blick in meine Kindheit vor allem eine erlebensdichte Gegenwart, die in die Zukunft strahlt:

Carla Baum hat mir mit dem Segen der Großeltern gestern ein Geschenk gemacht, das meine eigenen Erfahrungen in einem breiten, satten Erlebenspendant spiegelt. Auf der Titellseite derselben ZEIT-Ausgabe findet sich ein Imperativ, den Evelyn Finger zu vertreten hat: Versöhnt euch! Nach ehrenrettenden und warmherzigen Bekundungen, die Josef Maria gegenüber endlich in eine Position auf Augenhöhe befördern, stellt sie die Kardinalfrage, wie das mit der Versöhnung nun gehen soll - in einer Welt, deren Bewohner sich aller Orten so unversöhnlich zeigen. Und so fügt sich auch Evelyn Finger in eine realitätsbewusste Sichtweise von Versöhnungsprozessen ein:

"Wenn der Westen, wenn insbesondere die Christen helfen wollen, müssen sie sich von der Illusion verabschieden, dass es schon reicht, selbst die Hand zum Frieden auszustrecken, um einen Krieg zu beenden und sich den Gegner zum Freund zu machen. Manche Gegner muss man zuerst stoppen. Versöhnung aber verlangt, wie das Beispiel des Josef zeigt, Mut und Großherzigkeit."

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund