<<Zurück

 
 
 
 

Nur wer vergessen wird, ist tot - für Rudi Krawitz (11.12.1943 - 01.09.2025)

Der Beitrag vom 1.10.25 wird in aktualisierter Form noch einmal online gestellt, da Rudi Krawitz mit Selbstbestimmt Sterben - meine Geschichte auch Öffentlichkeit herstellen wollte.

„Spricht die Seele? Spricht die Welt? Spricht Gott? Alles spricht den Verzicht in das Selbe. Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen. Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft.“
Martin Heidegger

Gestern - am letzten Septembertag - bekam ich eine Whattsapp von Rose Merfels: "Rudi hatte letztes Jahr noch eine 'Kerze entzündet' für Mario! Es ist dort zu lesen: >Gedenkkerze Rudi Krawitz - entzündet am 11.05.2024 um 9.30 Uhr. Nur wer vergessen wird, ist tot.<"

So wirst Du, lieber Rudi weiterleben - wie Mario - zumindest solange Rose, Claudia und ich - und so viele, viele andere leben, weiterleben ohne Dich, nachdem Du Deinen Weg zu Ende gegangen bist. Du weißt, dass ich einen besonderen Weg Dir verdanke. Wir sind ihn oft gegangen - gemeinsam und jeder für sich. So schreibe ich ihn hier noch einmal auf. Er ist ja schon seit vielen Jahren - in der Mohnfrau (Seite 91-94) - nachzulesen. Nachlese! Dir verdanke ich auch Peter Härtlings Nachgetragene Liebe. Wie oft hast Du Peter Härtling zitiert und Dich mit ihm verbunden gefühlt - bis zuletzt mit dem Blick auf die bittere Sehnsucht nach einem zu Hause, die weglos geworden war; Peter Härtling (auch dieser Beitrag, vom 13. Januar 2023, war Dir, lieber Rudi, zugedacht), ja, Peter Härtling, der mir über Dich so nahe gekommen ist.

Rudi hat seinen Fall (Teil I) im Publikationsorgan der Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. veröffentlicht: Selbstbestimmt Sterben - Meine Geschichte. Ein Akademiker aus dem Rheinland über seinen Beweggrund Lebenssattheit, in: humanes leben - humanes sterben 2025-4, Seite 10-11, Jahrgang 45 - Die Zeitschrift Der Gesellschaft Für Humanes Sterben E.V. (Teil II erscheint in der Ausgabe 1/26 unter dem Titel: Zum selbstbestimmten Sterben).

Der Diskurs um eine juristisch vertretbare und human verantwortbare Regelung der Sterbehilfe begleitete Rudi und mich schon seit vielen Jahren. Im Zusammenhang mit der Debatte im Deutschen Bundestag 2014 und die im Nachgang ausgelösten Kontroversen ist mir einer meiner Beiträge in Erinnerung gekommen. Rudi leistet (posthum) durch den jetzt online verfügbaren Beitrag zu seiner Geschichte und vor allem durch den in Aussicht stehenden Beitrag (der mir bereits vorliegt) einen sehr persönlichen und doch gleichermaßen richtungsweisenden Beitrag zu diesem Diskurs.

Arno Frank und Erich Kästner: Wie kann das sein?

Sehr geehrte Leserbrief-Redaktion,

nachstehend mein Leserbrief zu Arno Frank: Wenn der Faschismus plötzlich an meine Tür klopft (SPIEGEL 40/25, S.100-102):

Ich habe nur eine zustimmende Randbemerkung (und ein Gedicht): Arno Frank, Du irrst Dich, wenn Du meinst, "Ginsterburg" und dieser grandiose Essay, der uns allen noch einmal die Leviten liest, würde nichts ändern. Wir brauchen Kerle wie Dich, die ihr Wissen und ihre Bildung mit dem Vermögen verbinden zu einer knallharten Ansprache, um einer kollektiven Intelligenzhemmung vorzubeugen, solange es noch nicht zu spät ist!

Erich Kästner: Wie kann das sein?

Wie kann das sein?
Mein Kopf sagt nein!
Mein Herz will schrein!
Wir sind die Enkel jener Schinder,
deren widerlichster sprach: zuerst die Kinder!

In Posen nahm er* sie beim Wort        *Heinrich Himmler
und sprach von Anstand vor den Schloten;
sie schufen jenen Ort,
belebt von Henkern und von Toten.
Sie hielten sich daran und töteten (zuerst) die Kinder!

Das Ende: In die Hand nehmen - oder sich aus der Hand geben?

Mein Erwachsenenleben lang - und diesen Status gestehe ich mir erst seit gut 25 Jahren zu - setzte ich mich mit der Frage auseinander, wie wir mit der Tatsache unserer Endlichkeit umgehen, und ob wir diese Tatsache als gegeben hinnehmen und geschehen lassen. Oder ob wir auf die Umstände unseres unausweichlichen Endes Einfluss nehmen - es möglicherweise sogar selbst bestimmen wollen? Vor mir liegen drei gewichtige Leitz-Ordner mit Briefen und Aufsätzen. Beim Durchblättern dieser Ordner fällt mir auf, wie häufig doch im Austausch mit Weggefährten die angesprochenen Fragen in den Vordergrund rücken - und dies auf unterschiedlichste und gegensätzlichste Weise. Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im örtlichen Seniorenwohnheim Laubenhof hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, diese Fragen auch im öffentlichen Raum zur Diskussion zu stellen - Rund um den Laubenhof war für drei Jahre ein Forum, das dies auf Ortsebene ermöglichen sollte:

Die Verwüstung der dem Terrain des Todes abgerungenen Gebiete steht mir eindrücklich vor Augen. Es ist so offenkundig, dass wir – um Verwüstung zu vermeiden – etwas benötigen, was Klaus Dörner mit den vier Sozialräumen meint, die nur im Verein miteinander den gesellschaftlichen Reichtum bewahren bzw. pflegen könnten, der sich in unseren Alten manifestiert. Mit ausreichender Pflege und Versorgung die Wartezonen zum Tod zu flankieren reicht eben nicht aus. Fulbert Steffensky mahnt  uns zwar zu der Einsicht, dass wir alle sind, weil wir uns verdanken. Er will die Schranken für etwas Selbstverständliches absenken bzw. einreißen, nämlich dass Fürsorge und Versorgung nur in einer gepflegten Umgebung, in der die liebevolle Zuwendung zu spüren und zu greifen ist, unseren Alten gerecht werden kann. Man kann dies im Sinne unser aller Würde erwarten bzw. fordern. Man muss aber gleichzeitig sehen, dass die moderne Gesellschaft mit ihrem grenzenlosen Hang zur Kommerzialisierung und zur Individualisierung die Grundlagen für eine vorbehaltlose wechselseitige Berücksichtigung unserer (Ur-)Bedürfnisse zunehmend schädigt bzw. zerstört. Sind es zum einen schlicht gesellschaftliche Rahmenbedingungen bzw. Erwartungen (Mobilität, Flexibilität), die uns allein schon räumlich trennen von den uns nahen Menschen, so ist es auf der anderen Seite ein häufig damit verbundener Wertewandel, den es zum Beispiel mit Barbara Bleisch genauer zu betrachten und einzuordnen gilt. Es lohnt durchaus die These, warum Kinder ihren Eltern nichts schulden differenziert und aufmerksam zu betrachten.

Uwe Timm und Shila Behjat

haben nichts miteinander zu tun. Shila Behjat fragt im aktuellen SPIEGEL (38/25): "Wo habe ich versagt? Die Welt wird härter, autoritärer - und das sickert auch in die Familien ein. Warum es so schwer ist, Söhne zu Solidarität und Gerechtigkeit zu erziehen.

Wir alle haben versagt - wir alle versagen, sofern es uns nicht gelingt, die in Dirk Baeckers Gewalttraktat formulierten Trivialitäten zum allgemeinsten aller Allgemeinplätze zu machen. Niemand - auch der letzte Hartzer bzw. Bürgergeldempfänger bzw. Grundsicherungsbegünstigte und erst recht nicht gut situierte Hasardeure und geschichtsvergessene Flachpfeifen - darf in Frage stellen, was in jeder Autokratie, die nach innen und nach außen das Recht des Stärkeren praktiziert, immer schon zur Disposition steht bzw. stand: Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit! Uwe Timm lässt an diesem zivilisatorischen Minimum nicht den geringsten Zweifel gelten. Auch Shila Behjat lässt keinen Zweifel zu an ihrer grundlegenden Position:

"Wladimir Putin führt Krieg in Europa. Donald Trump destabilisiert die Weltpolitik. Beide sind nicht die Ursache, sondern Symptome des Backlash. Die Historikerin Anne Applebaum nennt diese Phase eine neue Ära ohne klare Ordnung, in der die >Pax Americna< Geschichte ist. Der Journalist Gideon Rachman beschreibt in >Welt der Autokraten<, wie autoritäre Führer weltweit im Aufstieg begriffen sind - nicht trotz, sondern wegen der großen Verunsicherung. Klimaschutz wird zurückgefahren, Frauenrechte stehen wieder zur Disposition. Begriffe wie >Meinungsfreiheit< werden instrumentalisiert, um Hass und Ausgrenzung zu legitimieren. Moral ist nicht mehr Kompass - sie ist Schlachtfeld."

Gewalt

Dirk Baecker hat am 18. Januar 2005 in die tageszeitung einen Beitrag veröffentlicht - überschrieben schlicht mit dem Begriff Gewalt. In vielen Beiträgen habe ich mich mit Carl Schmitt und seiner epochmachenden Schrift: Der Begriff des Politischen (Berlin 1932) auseinandergesetzt. Schmitt, auf den die programmatisch richtungsweisende Definition von Souveränität zurückgeht in dem Sinne, dass souverän derjenige sei, der über den Ausnahmezustand verfüge, reduziert Politik auf die binäre Konfiguration von Freund-Feind-Konstellationen, in deren praktischer Konsequenz sich jegliche legitimationsrelevanten Aspekte von Gewaltanwendung relativieren bzw. auflösen. Vor allem relativiert sich ein staatliches Gewaltmonopol in dem Sinne, dass es sich erst konsekutiv ergibt aus der Gewalt des Stärkeren. Bei Carl Schmitt wird ein durch Rechststaatlichkeit und Gewaltenteilung eingehegtes Gewaltmonopol obsolet. Genau hier setzt Dir Baecker an. Bei ihm ist zu lesen:

"Gewalt ist unverzichtbar, weil über die Androhung von Gewalt, nicht über ihre Ausübung, soziale Ordnung hergestellt wird. Die Ausübung ist nur nötig, damit anschließend glaubwürdig angedroht werden kann. Das ist der Kern jeder Politik, die Verhandlung darüber, wer wem welche Art vn Gewalt zur Aufrechterhaltung welcher Art von sozialer Ordnung glaubwürdig androhen kann. Und dies ist nicht etwa deswegen der Kern der Politik, weil sich jeder von überlegt, welchem Stärkeren er sich tunlichst unterwirft, bevor dieser zu unangenehmen Maßnahmen greift. Obwohl auch das richtig ist, sonst wäre wohl kaum jemand bereit, Steuern zu zahlen, seine Kinder einzuschulen und die Gesetze zu wahren. Sondern dies ist deswegen der Kern der Politik, weil die Androhung von Gewalt die Voraussetzung dafür ist, dass die soziale Ordnung für jeden von uns berechenbar wird. Politik ist die Kontrolle meiner nahen und fernen Nachbarn. Ich kalkuliere die Glaubwürdigkeit der Androhung von Gewalt, um abschätzen zu können, wie sehr ich mich darauf verlassen kann, dass ich mich einigermaßen sicher in öffentlichen Räumen bewegen und einigermaßen verlässlich meine privaten Räume vor Eindringlingen und Zugriffen schützen kann. Wir brauchen die Androhung von Gewalt durch die Politik, um uns gegenseitig an der Ausübung von Gewalt hindern zu können. Politik löst das Problem des unberechenbaren Dritten."

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.