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Erinnerungskultur?

Es gab da heute eine kleine Lücke in meinem Tagesplan. Da stand in erster Linie die Erprobung eines Hörgerätes. Seit Jahren lässt mein Hörvermögen nach. Warum ist eigentlich das Hören von großer Bedeutung? In den Praxisräumen meines kürzlich verstorbenen HNO-Artzes hing ein Spruch, den ich vor Jahren ins Langzeitgedächtnis übernommen habe: Das Nicht-Sehen-Können trennt von den Dingen - das Nicht-Hören-Können trennt von den Menschen.

Kleine Randbemerkung: Mit meinem langjährigen Institutsleiter an der Uni verband mich früh die Erfahrung, dass wir im großen Hörsaal, indem immerhin 600 Plätze vorgehalten werden, zunehmend Mühe hatten, eine Kommunikation auf Augen-, pardon, auf Ohrenhöhe zu führen. Wir waren schlicht zu befangen, zu dumm, zu stolz(?) und einzugestehen, dass wir dringend auf eine Hörhilfe angwiesen waren.

Elke Heidenreich rufe ich zu: Danke - Mein Papa hatte auch einen Onkel Hans

Elke Heidenreich widmet eine ihrer Geschichten ihrem Onkel Hans, dem Bruder ihrer Mutter. Er steht im Mittelpunkt ihrer Geschichte "Sonst noch was" (in: Ich möchte einfach alles sein - Geschichten, Gedichte und Bilder aus der Kindheit, Reihe Hanser im Deutschen Taschenbuchverlag, München 1999, Seite 20-33). Dem Herausgeber Uwe-Michael Gutzschhahn bedeutet Elke Heidenreichs Geschichte den eye-catcher, mit dem er die 300 Seiten uns Lesern schmackhaft machen will:

"Katharina hat Sommerferien. Auf der Fahrt zum Bauernhof ihres Onkels lernt sie im Zug Roswitha Gansauge kennen, die sich mit ihrem Hund Gustavo unterhält. Plötzlich spricht Gustavo zu Katharina! Und tatsächlich: auch sie versteht ihn. Kaum auf dem Bauernhof angekommen, probiert Katharina ihre neue Sprache mit den Tieren aus. Werden der Hund, der Esel, die Ziegen und die Katzen sie verstehen?"

Ja um Himmels Willen, wer möchte denn daran zweifeln? Ich nicht - ich bewundere Elke Heidenreich, werde aber nicht wirklich warm mit ihr; ein bisschen so, wie Elke Heidenreich durchblicken lässt, dass sie nie wirklich warm geworden ist mit ihrer Mutter. Die ist spröde und fordernd - eben so, wie Elke Heidenreich mir auch vorkommt: "Sonst noch was?" ist das geflügelte Wort ihrer Mutter, die natürlich auch ihren Bruder Hans äußerst kritisch beobachtet, wohnt er doch lange mit ihr und Katharina unter einem Dach, bevor ihm ein Lottogewinn den Erwerb eines kleinen Bauernhof im Westerwald ermöglicht. Und als Katharina - unsere Elke Heidenreich, die schon als Kind unter Bronchitis oder (im Pott) wohl eher unter Krupp-Husten litt, ihn besuchen will - als Elfjährige - ist die Mutter alles andere als einverstanden. Kurzum:

Das unverhoffte, unfassbare Glück eines alten weißen Mannes

Nova Meierhenrich - kenn ich nicht, kannte ich nicht. Ich blättere im SPIEGEL (11/25, Seite 108-110). Carola Padtberg und Tobias Becker führen das Interview. Es geht um den unerfüllten Kinderwunsch Nova Meierhenrichs. Da ist die Frage zwangsläufig, was sie denn an der Vorstellung mochte, "allein ein Kind zu haben"? Nova Meierhenrich antwortet, sie habe ihren Lebenstraum, Mutter zu werden, nicht davon abhängig machen wollen, dass sie ihr "perfect match" zum perfekten Zeitpunkt treffe: "Ich wollte mich in diesem Punkt nicht von einem Mann abhängig machen, wollte selbstbestimmt sein." Carola Padtberg merkt an, dass Frauen in diesem Punkt privilgegiert seien. "Der Weg zu einem leiblichen Kind ganz allein ist Männern versperrt." Auch die Antwort Nova Meierhenrichs ist mir vertraut. In meinen Bekannten- und Freundeskreis gibt es Frauen, die sich Nova Meierhenrichs Hinweis zu eigen gemacht haben. Sie meint: "Wenn wir es drauf anlegen, können wir uns auch von einem One-Night-Stand schwängern lassen. Das war nie mein Weg."

In: Die schönsten deutschen Kindergedichte, gesammelt von Herbert Heckmann und Michael Krüger (Carl Hanser Verlag, Müchen 1974) habe ich Bertolt Brechts Wiegenlied entdeckt. Ein schönes Wiegenlied - oder soll man Herbert Heckmann und Michael Krüger Zynismus unterstellen. Ich habe es aktualisiert und eine Frage gestellt - die entsprechenden Strophen sind hier grün unterlegt.

Bertolt Brecht - Wiegenlied - versehen mit Fragen

Mein Sohn, was immer auch aus dir werde:
sie steh'n mit Knüppeln bereit schon jetzt.
Denn für dich, mein Sohn, ist auf dieser Erde
nur der Schuttablagerungsplatz da, und der ist besetzt.

Mein Sohn laß es dir von deiner Mutter sagen:
Auf dich wartet ein Leben schlimmer als die Pest,
aber ich hab dich nicht dazu ausgetragen,
daß du dir das einmal ruhig gefallen läßt.

Was du nicht hast, das gib nicht verloren,
was sie dir nicht geben, sieh' zu, daß du's kriegst.
Ich, deine Mutter, hab dich nicht geboren,
daß du einst des Nachts unter Brückenbögen liegst.

Vielleicht bist du nicht aus besonderem Stoffe,
ich habe nicht Geld für dich noch Gebet
und ich baue auf dich allein, wenn ich hoffe,
daß du nicht am Stempelstellen lungerst und deine Zeit vergeht.

"Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe"

Am 18.1.1933 erschien von Erich Kästner in der Neuen Leipziger Zeitung Alter Herr (Erich Kästner war selbst noch keine 33 Jahre alt). In Erich Kästner - Werke (Herausgegeben von Franz Josef Görtz im Carl Hanser Verlag, München 1998) wird die zweite Strophe folgendermaßen wiedergegeben (Seite 352 im Band Gedichte):

Ich war ein Kind wie ihr. Nun bin ich mürbe.
Wer lange lebt, hat eines Tags genug.
Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe.
So müde bin ich! Andre nennen's klug.                         Die letzte Strophe lautet:

Und nun kommt ihr. Ich kann euch nicht vererben.
Ich kann nicht helfen, und ich möchte sterben.
Macht, was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
Vernunft muß ein jeder selbst erwerben,
und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort!

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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