Startseite
- Details
-
Danke für Hildes Geschichte (25) - immer mit dem Verweis auf J. Lear - Dankbar? Wofür?
-
Henning Sußebach hat mich auf die Idee gebracht, meinen Blog zu nutzen und Hildes Geschichte noch einmal Kapitel für Kapitel zu erzählen - ganz im Sinne seiner Überzeugungen, die er mit dem Aufschreiben der Geschichte seiner Urgroßmutter verbindet. Hilde, meine Mutter ist inzwischen auch Urgroßmutter, und ich stelle mir vor, dass sie ihre Hand nicht nur über mich hält, sondern über alle, die aus ihr hervorgegangen sind. Bert Hellinger macht uns noch einmal darauf aufmerksam, dass zu diesem Hervorbringen unter Umständen - und Hilde hat solche Umstände erlebt - auch die schlimmen Gesellen gehören. Aber werden wir beispielsweise dem Vater meiner Schwester tatsächlich gerecht, wenn wir ihn als schlimmen Gesellen sehen. Der Ausschluss, das beharrliche Weigern auch jenen Ahnen zu sehen und anzunehmen, dem meine Mutter, die Mutter meiner Schwester, die Großmutter meines Neffen, meiner Kinder und meiner Nichten und die Urgroßmutter aller Enkel:innen in Hingebung und Liebe begegnete, verhindert dort anzukommen, wo ich mich wähne - als jemand der irgendwann die Augen öffnet, sich noch einmal umblickt, aufsteht und geht - im Einklang mit sich selbst und seiner Geschichte.
Es ist mir schwer gefallen, und es übersteigt meine Vorstellungskraft, wie miteinander vollkommen inkompatible Menschen ein gemeinsames Vorhaben planten und in die Tat umsetzten. Dass die weltgewandte Änne den Franz Streit und Hildes Mutter irgendwie zusammenbrachte, dass die beiden schließlich eine gemeinsame Fahrt nach Flammersfeld ins Werk setzten - das alles ist schwer vorstellbar, muss sich aber wohl in etwa so zugetragen haben. Wenn meine Großmutter auch eine eher zurückhaltende, reservierte Frau war, so kann man sich nahezu sicher sein, dass sie den Herrn Streit zur Rede gestellt hat. Dass der sich wiederum einen gordischen Knoten um den Hals legte, mag angesichts der gegebenen Situation auch irgendwie vorstellbar sein.
- Details
Danke für Hildes Geschichte (24) - immer mit dem Verweis auf J. Lear - Dankbar? Wofür?
-
Henning Sußebach hat mich auf die Idee gebracht, meinen Blog zu nutzen und Hildes Geschichte noch einmal Kapitel für Kapitel zu erzählen - ganz im Sinne seiner Überzeugungen, die er mit dem Aufschreiben der Geschichte seiner Urgroßmutter verbindet. Hilde, meine Mutter ist inzwischen auch Urgroßmutter, und ich stelle mir vor, dass sie ihre Hand nicht nur über mich hält, sondern über alle, die aus ihr hervorgegangen sind. Bert Hellinger macht uns noch einmal darauf aufmerksam, dass zu diesem Hervorbringen unter Umständen - und Hilde hat solche Umstände erlebt - auch die schlimmen Gesellen gehören. Aber werden wir beispielsweise dem Vater meiner Schwester tatsächlich gerecht, wenn wir ihn als schlimmen Gesellen sehen. Der Ausschluss, das beharrliche Weigern auch jenen Ahnen zu sehen und anzunehmen, dem meine Mutter, die Mutter meiner Schwester, die Großmutter meines Neffen, meiner Kinder und meiner Nichten und die Urgroßmutter aller Enkel:innen in Hingebung und Liebe begegnete, verhindert dort anzukommen, wo ich mich wähne - als jemand der irgendwann die Augen öffnet, sich noch einmal umblickt, aufsteht und geht - im Einklang mit sich selbst und seiner Geschichte.
Es wird Franz Streits Geheimnis bleiben, wie er im Frühjahr 1942 nach Bad Neuenahr bzw. nach Flammersfeld gelangt ist. Mir bleibt nur der Versuch, dieses Faktum rein spekulativ in einem operativen Sinn zu gestalten. Wir bewegen uns ja hier noch an einem Punkt, an dem für Hilde der ernüchternde und dramatische Ausgang ihrer Liaison noch völlig im Dunkeln lag. Hingegen spitzte sich für Franz die Situation zu. Da mag es eher verwundern, dass er, der seine Familie in Mistelbach hatte, tatsächlich diesen Kraftakt auf sich nahm und erneut nach Bad Neuenahr fuhr - diesmal allerdings unter denkbar belastenderen Vorzeichen. Sollte er sich Hilde erklären? Und - wenn ja - mit welcher Zielsetzung? Was waren seine Absichten? Rein interessengeleitet hätte man eher vermuten müssen, dass er sich sang- und klanglos aus diesem Dreieck - einer Art ausweglosen Dilemma - verabschiedet hätte. Er wäre gewiss nicht der Erste gewesen, der sich in Kriegszeiten jeglicher Verantwortung für eine Stunde der Seligkeit, die sich auch noch als Moment der gesegneten Erfüllung herausstellen sollte, konsequent entzogen hätte. Auf diese Weise sind tausende und abertausende Kinder gezeugt und in eine vaterlose Welt gesetzt worden.
Gewiss muss man Franz Streit zugestehen, dass er von sich aus diesen radikalen Schnitt nicht vollzogen hat. Es war letztendlich die eben erst 18jährige Hilde, die im Scheitern jeglicher ihrer Hoffnungen diese Zäsur herbeiführte. Die spärlichen Schilderungen Hildes liefen auch 60 Jahre nach dem Tod Franz Streits immer noch auf die Kernbotschaft hinaus, Ihre Tochter Ursula hätte ihre Mutter schon verstehen können, wenn sie ihren Vater kennengelernt hätte. Sie hat in keiner Weise - auch den Söhnen Franz Streits gegenüber - in Frage gestellt, dass sie dem Charme und der Überzeugungskraft Franz Streits erlegen sei.
Es ist an dieser Stelle noch einmal zu erklären, dass wohl Änne als Vermittlerin eine zentrale Rolle zukam. Sie hat die Kontakte zur Familie hergestellt, genauso wie sie dafür gesorgt hat, dass Hilde Aufnahme fand im Entbindungsheim der NSV in Flammersfeld. Aus den Schilderungen Hildes wissen bzw. vermuten wir, dass Änne Hilde eben nicht nur gewogen war, sondern dass hier auch ein rein persönlich, wie auch immer geartetes Interesse, eine Rolle spielte. So wird sie Franz Streit eben auch als Konkurrenten gesehen haben und sehr schnell realisiert haben, dass sie in diesem Kräftespiel die Unterlegene war. Es ehrt sie um so mehr, dass sie Hilde auch über die Geburt Ursulas begleitet hat und schließlich ihre Patentante wurde.
- Details
-
Danke für Hildes Geschichte (23) - immer mit dem Verweis auf J. Lear - Dankbar? Wofür?
-
Henning Sußebach hat mich auf die Idee gebracht, meinen Blog zu nutzen und Hildes Geschichte noch einmal Kapitel für Kapitel zu erzählen - ganz im Sinne seiner Überzeugungen, die er mit dem Aufschreiben der Geschichte seiner Urgroßmutter verbindet. Hilde, meine Mutter ist inzwischen auch Urgroßmutter, und ich stelle mir vor, dass sie ihre Hand nicht nur über mich hält, sondern über alle, die aus ihr hervorgegangen sind. Bert Hellinger macht uns noch einmal darauf aufmerksam, dass zu diesem Hervorbringen unter Umständen - und Hilde hat solche Umstände erlebt - auch die schlimmen Gesellen gehören. Aber werden wir beispielsweise dem Vater meiner Schwester tatsächlich gerecht, wenn wir ihn als schlimmen Gesellen sehen. Der Ausschluss, das beharrliche Weigern auch jenen Ahnen zu sehen und anzunehmen, dem meine Mutter, die Mutter meiner Schwester, die Großmutter meines Neffen, meiner Kinder und meiner Nichten und die Urgroßmutter aller Enkel:innen in Hingebung und Liebe begegnete, verhindert dort anzukommen, wo ich mich wähne - als jemand der irgendwann die Augen öffnet, sich noch einmal umblickt, aufsteht und geht - im Einklang mit sich selbst und seiner Geschichte.
Hilde hat Franz vermutlich viele Briefe geschrieben. Der für ihn bedeutsamste enthielt die Offenbarung, dass Hilde schwanger war. Wir können nur - gewissermaßen ex post factum - erahnen, dass Franz diese Offenbarung angenommen hat, sie in gewisser Weise dazu geführt hat, dass Franz Hilde in Flammersfeld noch einmal besucht hat. Da hatte das Wüten der Welt allerdings bereits jenes Ausmaß angenommen, das den Niedergang Nazi-Deutschlands - jenseits seiner Blitz-Krieg-Erfolge - für aufmerksame Beobachter erahnen ließ; jedoch nicht für eine gleichgeschaltete und manipulierte Öffentlichkeit, für die der Endsieg unmittelbar bevorstand: „Die große Stunde hat geschlagen: Der Feldzug im Osten entschieden! Das militärische Ende des Bolschewismus!“ So war es Anfang Oktober im Völkischen Beobachter zu lesen. Dementsprechend mag es ein gewisses Zeitfenster gegeben haben, in dem die Hoffnungen Hildes überwogen; Hoffnung auf ein Ende des Krieges, Hoffnung auf eine Heimkehr von Franz, Hoffnung auf eine Heirat, Hoffnung auf die Gründung einer Familie.
- Details
Danke für Hildes Geschichte (22) - immer mit dem Verweis auf J. Lear - Dankbar? Wofür?
-
Henning Sußebach hat mich auf die Idee gebracht, meinen Blog zu nutzen und Hildes Geschichte noch einmal Kapitel für Kapitel zu erzählen - ganz im Sinne seiner Überzeugungen, die er mit dem Aufschreiben der Geschichte seiner Urgroßmutter verbindet. Hilde, meine Mutter ist inzwischen auch Urgroßmutter, und ich stelle mir vor, dass sie ihre Hand nicht nur über mich hält, sondern über alle, die aus ihr hervorgegangen sind. Bert Hellinger macht uns noch einmal darauf aufmerksam, dass zu diesem Hervorbringen unter Umständen - und Hilde hat solche Umstände erlebt - auch die schlimmen Gesellen gehören. Aber werden wir beispielsweise dem Vater meiner Schwester tatsächlich gerecht, wenn wir ihn als schlimmen Gesellen sehen. Der Ausschluss, das beharrliche Weigern auch jenen Ahnen zu sehen und anzunehmen, dem meine Mutter, die Mutter meiner Schwester, die Großmutter meines Neffen, meiner Kinder und meiner Nichten und die Urgroßmutter aller Enkel:innen in Hingebung und Liebe begegnete, verhindert dort anzukommen, wo ich mich wähne - als jemand der irgendwann die Augen öffnet, sich noch einmal umblickt, aufsteht und geht - im Einklang mit sich selbst und seiner Geschichte.
Es gibt - mit Blick auf den Kommentar zu Kapitel 21 - wenig zu ergänzen. Hier soll lediglich deutlich werden, dass - so hat es unsere Mutter verbürgt - einen Briefwechsel gab. Viele der von mir unterstellten Details sind korrekturbedürftig. Ich habe ja - aufgrund der Dokumente, die die WASt für uns ausgewertet und zusammengestellt hat - bereits eingeräumt, dass der Einsatzweg Franz Streits abweicht von dem, den ich angenommen habe. Aber für die in Kapitel 21 aufgezeigten Spannungsmomente ist es unerheblich, ob die Briefe ihren Weg von Kreta aus oder von der Ukraine aus nach Bad Neuenahr (und umgekehrt) genommen haben. Vielleicht hat es Franz jenen einen Besuch in Flammersfeld noch ermöglicht, der ihm von Rußland aus möglicherweise versagt geblieben wäre. Kontingenz in jeder Lebenslage, sind wir doch bei alledem weit mehr unsere Zufälle als unsere Wahl.
Der Besuch Franz Streits in Flammersfeld im März 1942 aber ist wohl entscheidend dafür, dass sich Franz seiner Mutter noch anvertrauen konnte, die sich ihrerseits ihrer Tochter Juli, Franzens Lieblingsschwester, anvertraute. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dieses Wissen in den frühen 60er Jahren zum Eklat zwischen Gerda Streit, der Mutter Gerts und Werners, und ihrer Schwägerin führte. Von da an tickte jene Zeitbombe, für die am 9. September 1941 die Lunte gelegt worden war. Die Zerstörung aller Hoffnungen Hildes vollzog sich mit der Offenbarung Franzens. Der im Anschluss daran vollzogene Bruch, die Einäscherung aller Erinnerung und die Konsequenz eines jahrzehntelangen don't ask - don't tell sollte erst 60 Jahre später geheilt werden.
- Details
-
Danke für Hildes Geschichte (21) - immer mit dem Verweis auf J. Lear - Dankbar? Wofür?
-
Henning Sußebach hat mich auf die Idee gebracht, meinen Blog zu nutzen und Hildes Geschichte noch einmal Kapitel für Kapitel zu erzählen - ganz im Sinne seiner Überzeugungen, die er mit dem Aufschreiben der Geschichte seiner Urgroßmutter verbindet. Hilde, meine Mutter ist inzwischen auch Urgroßmutter, und ich stelle mir vor, dass sie ihre Hand nicht nur über mich hält, sondern über alle, die aus ihr hervorgegangen sind. Bert Hellinger macht uns noch einmal darauf aufmerksam, dass zu diesem Hervorbringen unter Umständen - und Hilde hat solche Umstände erlebt - auch die schlimmen Gesellen gehören. Aber werden wir beispielsweise dem Vater meiner Schwester tatsächlich gerecht, wenn wir ihn als schlimmen Gesellen sehen. Der Ausschluss, das beharrliche Weigern auch jenen Ahnen zu sehen und anzunehmen, dem meine Mutter, die Mutter meiner Schwester, die Großmutter meines Neffen, meiner Kinder und meiner Nichten und die Urgroßmutter aller Enkel:innen in Hingebung und Liebe begegnete, verhindert dort anzukommen, wo ich mich wähne - als jemand der irgendwann die Augen öffnet, sich noch einmal umblickt, aufsteht und geht - im Einklang mit sich selbst und seiner Geschichte.
Dieses 21. Kapitel sollte wohl eines sein, das für sich und aus sich selbst spricht. Ich habe es aufgespannt zwischen den beiden Polen Hoffnung und Verzweiflung. Beginnen wir bei letzterem: Von dem Zeitpunkt an, wo Hildes Schwangerschaft - auch für sie selbst - als unabweisbar im Raum stand, müssen die Selbstzweifel und die damit ausgelöste sittlich-moralische Klemme wie ein Tsunami über Hilde hereingebrochen sein. Änne hatte ihr wohl in aller Behutsamkeit vor Augen geführt, dass sie in der Tat ein Kind in sich austrug, dass sie in weniger als neun Monaten niederkommen würde, dass sie in wenigen Monaten ihre Schwangerschaft nicht mehr werde verheimlichen können, und dass Vorsorge zu treffen sei für ihre Niederkunft.