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Tapferkeit setzt Verwundbarkeit voraus - Wer wir sind?
"Tapferkeit setzt Verwundbarkeit voraus; ohne Verwundbarkeit gibt es nicht einmal die Möglichkeit der Tapferkeit. [...] Verwundung: darunter ist hier jeder willenswidrige Eingriff in die natürliche Unversehrtheit verstanden, jede Versehrung des in sich selbst ruhenden Seins, alles was gegen unsren Willen an uns und mit uns geschieht, also alles irgendwie Negative, alle Schmerzliche und Schädigende, alles Beängstigende und Bedrückende." (Josef Piper: Über die Tugenden, München 2004, S. 147)
Selbst 2025 im Oktober (SPIEGEL 43/25, S. 90-93) kann es noch vorkommen, dass jemand offenbart, nicht derjenige zu sein, für den er sich bis dahin gehalten hatte, dass er erkennen muss, dass willenswidrige Eingriffe in seine natürliche Unversehrtheit, dass eine Versehrung seines in sich selbst ruhenden Seins statthaben, dass gegen seinen Willen etwas an ihm und mit ihm geschieht, dass alles irgendwie Negative, alle Schmerzliche und Schädigende, alles Beängstigende und Bedrückende ihn auf unverhoffte Weise für sich einvernehmen. Und dies ist nun nicht gemeint als larmoyantes Eingständnis im Sinne Richard David Prechts, der gleichermaßen die Möglichkeitsräume wie die maßlosen Überforderungen einer den Individualismus überhöhenden wie einfordernden Moderne mit der Frage karikiert: Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Henrik Lenkheits Metamorphose ereignet sich "an einem glühend heißen Dienstag im August":
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Andrzej Szczypiorski - Die schöne Frau Seidenman
Wo soll man da beginnen? Bei der schönen Frau Seidenman! Und da am Ende! Wir werden konfrontiert mit den Bildern aus dem Gaza-Streifen. Wir blicken auf abermillionen Tonnen Schutt - unter ihnen begraben: Tote! Wir sehen zur Exekution hinkniende Verräter vor den Gewehrläufen der Hamas, die in der Interpunktion der Gewaltexzesse am 7. Oktober 2023 eine weitere Zäsur setzte in einer seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden nicht enden wollenden Gewaltspirale. Wir sind am Ende - am Ende des Romans von Andrzeij Szczypiorski. Auch Marcel Reich-Ranicki, der 1988 - nach dem Erscheinen der Erstausgabe - seine Besprechung in der FAZ enden lässt mit der resignierenden, erbarmungswürdigen Verzweiflungsgeste jenes jüdischen Mädchens Joasia - Joasia, die in einem Kloster überlebt. Dort war aus Joasia das katholische Waisenkind Marysia Wiewióra geworden, das fleißig lernte und daran dachte Zahnärztin zu werden:
"Doch als sie zwanzig Jahre alt geworden war, vernahm sie eine Stimme, die sie rief. Und folgte ihr in Demut und Gehorsam. Sie wanderte nach Israel aus, wo sie nicht mehr Mayisia Wiwióra hieß, sondern Miriam Wewer." (S. 275)
Marcel Reich-Ranicki setzt mit der Metamorphose JosiasMarysiasMiriams in seiner Rezension einen dramatischen Schlusspunkt und wird wohl so Andrzeij Szczypiorskis fatalistischem Geschichtsbild am ehesten gerecht (ich ergänze die von Marcel Reich-Ranicki mit ... vorgenommenen Auslassungen durch die Passagen im Originaltext - aber Reich-Ranicki hat ja Recht: die eine Geste und die eine Tat stehen für alle Gewaltexzesse: gestern - heute - morgen!):
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Antonia Baum: Achte Woche
(erschienen bei Claassen, Berlin 2025)
Ich schätze Antonia Baum spätestens seit ihrem ZEIT-Beitrag: Zu wenig Körperkontakt (ZEIT, 10/20, S. 51). Im Literaturteil der ZEIT (43/2025) räumt man ihrem 2025 publizierten Roman Achte Woche den Raum für einen Auszug ein. Antonia Baum schaffe es, das zutiefst politische, gesellschaftlich heftig diskutierte Thema Schwangerschaftsabbruch ohne Kitsch und Pathos zu reflektieren - so in der Ankündigung des Verlags.
Inhaltsangabe des Verlags:
"Eine Frau sieht sich einer der schwierigsten Fragen gegenüber: die Entscheidung für oder gegen ein Kind
Eine junge Frau – eine Abtreibung, ein Kind, kein Partner – ist schwanger. Das ist ein Fakt, er ist greifbar und scheint ganz klar, obwohl ansonsten gar nichts klar ist. Die Frau, Laura, ist an der Uni, sie schreibt an ihrer Dissertation, jobbt in einer gynäkologischen Praxis. Tag für Tag versorgt sie dort schwangere Frauen, sieht ihre Scham, ihre Geduld, ihre Freude, ihre Angst. Für manche ist es das größte Glück, für andere eine Katastrophe. Für Laura ist es beides. Sie liebt ihr Kind, doch sie hat Panik beim Gedanken an ein weiteres. Und wie könnte es anders sein? Ist nicht eigentlich jede Frau darauf eingestellt, dass sie ihr Kind allein großziehen wird? Der neue Roman von Antonia Baum ist in einer einzigen gedanklichen Bewegung erzählt, einem langen Atemzug, bevor etwas beginnt oder endet."
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ZEIT 43/25., Seite 78 Volker Weidermann zu Mascha Kaléko
mit großem Dank an Volker Weidermann für: Wenn ich eine Wolke wäre. Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025 – und mit Bedauern, das die Hommage an Mascha Kaleko sie hienieden nicht mehr erreicht.
Sonett in Moll*
Denk ich der Tage, die vergangen sind,
Und all des Lichtes, das tief in uns strahlte,
Da junge Liebe Wolken rosig malte
Und goldne Krone lieh dem Bettlerskind.
Denk ich der Städte, denk ich all der Straßen,
Die wir im Rausch durchflogen, Hand in Hand ...
Sie führten alle in das gleiche Land,
Das Land, zu dem wir längst den Weg vergaßen.
Nun stehn die Wächter wehrend vor den Toren
Und reißen uns die Krone aus dem Haar.
Grau ist die Wolke, die so rosig war.
Und all das Licht, das Licht in uns - verloren.
Im Traume nur siehst du es glühn und funkeln.
- Ich spür es wohl, wie unsre Tage dunkeln.
*wiedergegeben aus: Mascha Kaléko, Liebesgedichte - Ausgewählt von Elke Heidenreich - insel taschenbuch, Franfurt/Leipzig 2007, S. 80
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Andreas Kirchner: Das Ende als Anfang? (II) - hier geht es zu: Andreas Kirchner I
Von den ergänzenden Perspektiven, die Andreas Kirchner aufzeigt, hin zu der Frage: Was hat die Wissenschaft uns anzubieten? Andreas Kirchner weist einleitend darauf hin, dass auf das Thema Trennungen auch heute noch zumeist defizitorientiert, das bedeute, aus einer wertenden Perspektive geblickt werde, die das Scheitern von Beziehungen in der Vordergrund rücke: Oft gehe es um Scheidung und die damit verbundenen ökonomischen, finanziellen, rechtlichen, gesundheitlichen und psychischen Folgern, vor allem für Kinder und Frauen, um Leiden und Zerbrechen. Kirchner nimmt sich vor eine differenziertere Perspektive auf Trennungen anzubieten:
