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- Danke für Hildes Geschichte (1)
- Jemand wandert durch die Straßen seiner Stadt, alles scheint ihm hier vertraut, un ein Gefühl von Sicherheit begleitet ihn und auch von leichter Trauer. Denn vieles blieb ihm auch verborgen, und immer wieder stieß er auch an verschlossene Türen. Manchmal hätte er am liebsten alles hinter sich gelassen und wäre fortgegangen, weit weg von hier. Doch irgendetwas hielt ihn fest, als ringe er mit einem Unbekannten und könne sich von ihm nicht trennen, bevor er nicht von ihm gesegnet war. Und so fühlt er sich gefangen zwischen vorwärts und rückwärts und zwischen Gehen und Bleiben:
Er kommt in einen Park, setzt sich auf eine Bank, lehnt sich zurück, atmet tief und schließt die Augen. Er lässt es sein, das lange Kämpfen, verlässt sich auf die innere Kraft, spürt, wie ruhig er wird und nachgibt, wie ein Schiff im Wind, im Einklang mit der Vielfalt, dem weiten Raum, der langen Zeit.
Er sieht sich wie ein offenes Haus. Wer hinein will, darf auch kommen, und wer kokmmt, der bringt auch etwas, bleibt ein wenig und geht. So ist dieses Haus ein ständiges Kommen, Bringen, Bleiben und Gehen. Wer als Neuer kommt und Neues bringt, wird alt, indem er bleibt, und es kommt die Zeit da wird er gehen. Es kommen in sein offenes Haus auch viele Unbekannte, die lange vergessen oder ausgeschlossen waren, und auch sie bringen etwas, bleiben ein wenig und gehen. Und auch die schlimmen Gesellen, denen er am liebsten die Türe weisen würde, kommen, und auch sie bringen etwas, fügen sich ein, bleiben ein wenig und gehen. Wer es auch sei, der kommt, er trifft auf andere, die vor ihm kamen und die nach ihm kommen. Und da es viele sind, muss jeder teilen. Wer seinen Platz hat, hat auch seine Grenze, Wer etwas will, muss sich auch fügen. Wer gekommen ist, der darf sich auch entfalten, solange er noch bleibt. Er kam, weil andere gingen, und er wird gehen, wenn andere kommen. So bleibt in diesem Haus genügend Zeit und Platz für alle.
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Henning Sussebach - Danke für: Danke, Anna! - gewidmet Michael, Ann-Christin, Laura, Kathrin, Anne (und ihren Kindern) und: Danke für Hildes Geschichte
Henning Sussebach gehört dem Jahrgang 1972 an. Er ist damit 20 Jahre jünger als ich - und 10 Jahre jünger als mein Neffe. Denselben erwähne ich an dieser Stelle, weil wir in langer, langer Verbundenheit die Neigung teilen, Geschichte auch als Sozialgeschichte zu begreifen. Er verfügte bis zur Ahrflut 2021 über eine erlesene Bibliothek und erweist sich - in manchen historischen Spezialgebieten (z.B. mit Blick auf die Weimarer Republik) weitaus belesener als ich. Unter anderen ihm widme ich diesen Beitrag, in dem mich Henning Sussebach zutiefst bestätigt in meinem ganz persönlichen Bemühen, die Geschichten von Menschen zu bewahren, die für uns in Vorleistung gingen.
Es geht bei Henning Sussebach um: Anna oder: Was von einem Leben bleibt. erschienen im Verlag C.H. Beck - es geht in diesem Buch um Henning Sussebachs Urgroßmutter Anna Raesfeld. Wenn Henning Sussebach in seiner Rückschau dem überaus bemerkenswerten Leben seiner Urgroßmutter ein ganzes Buch widmet, dann erlaubt er uns damit einen Blick in die Geschichte - in Sonderheit in die Sozialgeschichte, in die Emanzipationsregungen im ausgehenden 19. hinein ins beginnende 20. Jahrhundert. Und darüber hinaus setzt er aus den von ihm geborgenen Mosaiksteinen die ganz persönliche Lebensgeschichte, die Lebensumstände, Lebensentscheidungen und Schicksalsschläge seiner Urgroßmutter zusammen. Bemerkenswert erscheint mir sein Resümee:
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Kurzweil mit: KI - KI - KI - KI - KI - KI - KI - KI - KI
Ich habe keine Ahnung von KI. Die ZEIT 32/25 hilft dabei, mein rudimentäres Nichtwissen zu einem defizitären Halbwissen zu entwickeln. An dem langen, langen Interview Kerstin Kohlenbergs (der vorstehende Link zu Kerstin Kohlenberg stammt aus dem Jahr 2016 und war schon seinerzeit der Briefempfängerin zugedacht, die weiter unten in Erscheinung tritt) und Stephan Leberts mit Ray Kurzweil (77), interessiert mich alles und nichts - vor allem aber die Passage, an der Ray Kurzweil uns prophezeit, dass wir auf eine neue Schnittstelle von KI und unseren Gehirnen zusteuern.
Dazu eine kleine Impression: Vorgestern sind wir morgens früh mit der Fähre von Juist nach Norddeich-Mole gefahren - gemeinsam mit Laura, Thomas und Anouk, unserer jüngsten Enkelin - (die/der) allerjüngste wird uns im September beglücken. Diese beiläufig erscheinende Info ist allein deshalb schon wichtig, weil (alle) unsere Enkelkinder in jene Welt hineinwachsen, die Ray Kurzweil in besagtem Interview skizziert. Jedenfalls drängte sich von meinem Platz auf der Fähre immer wieder eine großer, ovaler Tisch in mein Blickfeld. An diesem Tisch saß eine Reisegruppe - bestehen aus einem knappen Dutzend Frauen mittleren Alters. Früher hätten mich vielleicht die Frauen selbst interessiert - an diesem Morgen war es ihr auffällig-unauffälliges Verhalten. Alle - ohne Ausnahme - saßen phasenweise still auf ihrem Platz, den Blick gesenkt. Sie schauten auf ihre Handys, daddelten wo auch immer herum und vermittelten den Eindruck mit sich und der Welt im Einklang zu sein; ja mit sich und der Welt (da draußen im www). Es wurde auch gelacht, zwischendurch geredet. Immer wieder aber senkte sich Schweigen über die Gruppe, begleitet von Kaubewegungen und fingerschnellen Tastvorgängen.
Nun zu der Schlüsselstelle in besagtem Interview und der Verlagerung von Schnittstellen. Kerstin Kohlenberg und Stephan Lebert fragen bzw. bemerken:
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Jussi Adler-Olsen - Reden wir über den Tod
In wenigen Tagen - am 2. August - wird Jussi Adler-Olsen fünfundsiebzig Jahre alt. Reden wir über den Tod - Wie macht man weiter, wenn man unheilbar krank ist? Der Bestsellerautor über seinen Kampf gegen den Knochenmarkkrebs. Man kann das in der akteullen ZEIT-Ausgabe (31/25) nachlesen. Jussi Adler-Olsen ist fast 1 1/2 Jahre älter als ich. Ich habe ältere Freunde, einer der engsten hat mir eröffnet, dass er seit geraumer Zeit Mitglied der Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) ist. Wir reden viel über den Tod - eigentlich vergeht kein Tag, ohne dass er gemeinsam mit uns am Tisch sitzt (siehe: Leben und Sterben, wo ich hingehöre). Natürlich sterben signifikant mehr Menschen im Umfeld, in den Alterskohortem der jungen Alten und der alten Alten. Für die meisten von uns markiert der Tod der eigenen Großeltern und Eltern und naher Verwandter jene Wegmarken, die manchmal den Charakter und die Bedeutung von Wendepunkten annehmen. Im Kontext so gravierender gesellschaftlicher Veränderungen wie sie Andreas Reckwitz mit: Verlust - Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp-Verlag, Berlin 2024) aufgreift, mag mich das nicht verwundern. Die Verwunderung hält sich deshalb in Grenzen, weil ich von jenem Wendepunkt an, der mit dem Tod meines Bruders im Jahre 1994 verbunden ist, mein eigenes Leben nicht nur der Achterbahn ausgesetzt habe, sondern es einer radikalen Neuorientierung unterzogen habe.
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Was machen Soziologinnen heute? Eva Illouz: Die negative Wahl - heute mal nur Originaltext
Die negative Wahl (in Eva Illouz: Warum Liebe endet, erste Auflage, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2020, Seite 43ff.)
"Traditionell hat die Soziologie - und hier insbesondere der symbolische Interaktionismus - fast schon axiomatisch die Herausbildung sozialer Bindungen auf der Mikroebene in den Blick gerückt. So war sie zwangsläufig blind für den schwerer fassbaren Mechanismus, durch den Beziehungen enden, in die Brüche gehen, sich in Luft auflösen oder einschlafen. In der vernetzten Moderne wird die Frage, wie sich Bindungen auflösen, zum geeigneten Untersuchungsgegenstand, sofern wir diese Auflösung als soziale Form verstehen. Diese Art des Endes von Beziehungen erfolgt nicht durch ihre unmittelbaren Zusammenbruch - durch Entfremdung, Verdinglichung, Instrumentalisierung, Ausbeutung -, sondern durch die moralischen Gebote, die den imaginären Kern der kapitalistischen Subjektivität ausmachen, wie die Gebote, autonom und frei zu sein, seine verborgenen Potentiale auszuschöpfen, die eigene Lust, Gesundheit und Produktivität zu optimieren.