DER SPIEGEL 52/24 - Oma ist die Beste
Vorbemerkung: Es lohnt sich durchaus, sich mit dem gegenwärtigen Diskussionsstand zu grundlegenden familiensoziologischen bzw. -philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, so beispielsweise mit dem Beitrag von Betzler/Löschke: Was ist eine Familie (bibliogr. Angaben im verlinkten Beitrag)
DER SPIEGEL (52/24) präsentiert sich mit der Headline: Oma ist die Beste – Neue Forschung: Wie Großeltern und Enkel einander stärken
„Was bleibt, wenn ein Mensch sich verändert, wenn die Persönlichkeit erlischt, wenn Großeltern sterben? Welche Oma-und-Opa-Geschichten behalten die Enkel zurück? Die tröstlichen oder eher die komischen, anstrengenden? Und verblassen sie nicht ohnehin irgendwann? Peter Hüll, der sportliche Großvater aus Pinneberg, will etwas erschaffen, das die Erinnerungen seiner Enkel an die Zeit mit ihm und seiner Frau lebendig hält. Jedes Jahr schenkt er jedem Enkelkind ein Fotobuch, >Beas erstes Jahr< steht auf dem einen, >Ennos viertes Jahr< auf einem anderen. Hüll nimmt die Bilder mit seiner Kamera auf. Er sammelt, sortiert, sucht die besten aus, lässt die Bücher drucken. Er selbst habe fast gar keine Bilder von sich und seinen Großeltern, sagt Hüll. Und das sei doch schade.“
Damit endet ein längerer Beitrag, in dem von der „Superkraft der Großeltern“ die Rede ist: „Familien Sie gehen partnerschaftlich mit ihren Enkeln um, erleichtern Familien den Alltag und profitieren von ihrer Rolle als Großeltern: warum Oma und Opa so wichtig sind!“
Ist das nun pure Ideologie, mit der Sichtweisen unterlaufen und konterkariert werden, wie sie beispielsweise von Esther Konieczny und Lena Stoßberger vertreten werden? Die von den Mittelschichten rezipierten Printmedien Stern, ZEIT und SPIEGEL haben der Großelternthema zum Ende des Jahres parallel gepuscht und keiner dieser meinungsbildenden, einflussreichen „Massenmedien“ verzichtet auf folgenden Hinweis:
„Der Einsatz ist auch wirtschaftlich gewaltig: Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Altersfragen kümmern sich Großeltern im Schnitt 456 Stunden im Jahr um ihre Enkel, zusammengerechnet sind das 2,7 Milliarden Stunden. Würde ihre Mühe mit dem aktuellen Mindestlohn vergütet, ergäben sich Lohnkosten von knapp 34 Milliarden Euro. Stattdessen helfen Großeltern oft auch noch finanziell mit, bezahlen den Sportverein der Enkel oder spendieren die neue Winterjacke. Viele können es sich leisten.“ (SPIEGEL, a.a.O., Seite 9)
Jenseits der Frage, wie sehr die Superkraft der Großeltern eine Betrachtungsweise und Würdigung aus eigenem Recht nach sich zieht, stellt sich in kapitalistischen Gesellschaften grundsätzlich und immer wieder neu die Frage, wie gesellschaftliche Belastungen und gesellschaftlicher Reichtum in ein faires und gerechtes Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Aus Eigennutz ganz eigener Art konzentriere ich mich selbst allerdings auch in der Aufarbeitung des SPIEGEL-Beitrags auf die Frage, warum Opa und Oma so wichtig sind, und warum die Enkel für Oma und Opa so bereichernd sind.
Vorweg: Ich mache es ein wenig anders als Peter Hüll. Dies hängt einerseits mit der unfassbar privilegierten Ausgangslage zusammen, dass unsere drei Enkelkinder mit ihren Eltern (als vollständige Familien) in einem Umkreis von 500 Metern wohnen. Wir sind Großeltern aus Leidenschaft, die sich andererseits durchaus der Tatsache bewusst sind, dass wir die „letzte unangefochtene Familienrolle“ wahrnehmen und ausfüllen. So entsteht eine köstliche und kostbare Melange, von der alle drei Generationen profitieren. Daneben habe ich von Beginn meiner Großelternschaft meine Leidenschaft fürs Schreiben dazu genutzt für alle Enkelkinder Kladden anzulegen, die sowohl ihre Entwicklung dokumentieren als auch die Entwicklung unserer Beziehung – auch innerhalb der Großfamilie. Ein nahezu unschätzbares Privileg resultiert aus der Tatsache, dass im Falle meiner beiden älteren Enkelkinder (vier und fünf Jahre alt) vier Großeltern dazu beitragen ein intensives und immer auch spontanes Netzwerk zu entfalten (Familie, Familiengeschichte, Familientherapie und –soziologie spielen in meinem Blog daneben eine zentrale Rolle).
Der SPIEGEL unterstellt, dass viele Großeltern ein ohnehin erfülltes Leben führten. Gleichwohl spielten darin Enkelkinder oft eine große Rolle. Und – als hätte es eine Absprache, einen intensiven Austausch zwischen den besagten Printmedien gegeben – fehlt auch im SPIEGEL nicht der Hinweis, dass vom engen Kontakt zwischen den Generationen alle Beteiligten profitieren:
„Die Eltern werden entlastet, und Kinder mit enger Bindung an Oma und Opa haben im Schnitt weniger psychische und schulische Probleme als Gleichaltrige ohne diese Unterstützung …] Gleichzeitig fördern Enkel das seelische Wohl von Oma und Opa, die Fürsorge für die Kinder steigert die psychische Gesundheit, das haben Studien ergeben. Wahrscheinlich schützt es sogar vor geistigem Verfall, wenn man sich um den Nachwuchs kümmert, zumindest in Bezug auf Großmütter legen Untersuchungen dies nahe.“
Die Redundanz in den wesentlichen Aussagen besagter Printmedien ist unübersehbar; so beispielweise der Hinweis, dass Mütter und Väter das entscheidende Bindeglied zwischen Alt und Jung sei: „Ist ihr Umgang mit den eigenen Eltern oder Schwiegereltern belastet, leidet darunter auch die nächste Generation.“
Tiefgreifend ist der Wandel wohl hinsichtlich der Interpretation der Oma-Opa-Rolle durch einen deutlichen Zuwachs großväterlichen Engagements. Dies stellt historisch in der Tat einen Paradigmenwechsel dar. Dies spiegelt sich auch in seriösen Forschungsbemühungen. Der SPIEGEL zitiert die Soziologin Mirkka Danielsbacka. Sie meint, das Thema der Rolle von Großeltern sei weltweit in der Evolutionsbiologie, der Psychologie und den Sozialwissenschaften ein boomendea Sujet. Und einer der – möglicherweise trivialen – Befunde stelle heraus, die Tatsache, dass >Großväter, die für ihre Enkel sorgen< lasse sich nur beim Menschen beobachten. Eine stimmige generationenübergreifende Kooperation sei nach wie vor eine erfolgreiche evolutionäre Strategie:
„Die Bedeutung von Großeltern für das Wohl ihrer Enkel ist kein Relikt aus der Vergangenheit.“ Besonders Großmütter der mütterlichen Linie pufferten sehr viele Widrigkeiten ab. Das sei die robusteste Erkenntnis aus allen Daten, die ausgewertet worden seien, betont Mirkka Danielsbacka.
Randbemerkung: „Die Dominanz der Großmütter hat noch einen anderen evolutionsbiologischen Grund: Nur die mütterliche Seite kann sicher sein, dass es wirklich die eigenen Kinder sind, in die sie ihre Mühen investiert. Der Vater könnte theoretisch auch ein anderer sein als der, dessen Name in der Geburtsurkunde steht.“
Und wen mag es da noch verwundern, wenn es heißt, dass schlimme Ereignisse im Leben der Mädchen und Jungen wie eine Trennung der Eltern, Krankheiten oder Todesfälle dann seltener zu emotionalen Schwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten führen, wenn den Kindern die Oma mütterlicherseits zur Seite stand. Was Schutzeffekte angeht, machen Omas auch vor Extremsituationen nicht halt:
„Die Omas der mütterlichen Linie seien auch meist diejenigen gewesen, die sich selbst unter widrigsten Bedingungen noch um die Enkelkinder gekümmert hätten“, bemerkt Mirkka Danielsbacka.
Es wäre natürlich vollkommen verfehlt, zu leugnen, dass es in der Moderne mit dislozierten, flexibilitätserzwingenden Anforderungen und darüber hinaus konträren Auffassungen zwischen Eltern und Großeltern nicht zu erheblichen Kontroversen und Reibungsverlusten kommt:
„Es kommt auch vor, dass sich kein sehr inniges Verhältnis zwischen Großeltern und ihren Enkeln ergibt. Mache Ältere fühlen sich der Belastung nicht gewachsen. Weil die Menschen heute meist später im Leben Kinder bekommen, sind auch viele Großeltern bei der Geburt der Enkel älter als in früheren Zeiten. Andere Großeltern sind mit ihren Kindern so zerstritten, dass darüber der Kontakt zu den Enkeln verloren geht.“
Betrachtet man Einzelfälle – wie hier im SPIEGEL – wird deutlich, wie schwierig es ist zwischen Schicksalszufälligem und Beliebigkeitszufälligem zu unterscheiden – sich immer die Frage zu stellen, was – in der gegebenen Situation – obliegt meiner Entscheidungshoheit, und was muss ich weitgehend hinnehmen, weil es nicht in meinem Handlungs- und Verantwortungsbereich liegt:
„Als die Beziehung meiner Tochter zerbrach, habe ich das nur mit großer Hilflosigkeit beobachten können. Meine Enkel waren mir nicht vertraut genug, um mit ihrem Kummer zu mir zu kommen.“
Diese Aussage kommt von Elke Schilling (80), die für sich eine „typische DDR-Geschichte“ reklamiert: „Bereits ihre Mutter habe Vollzeit gearbeitet und sie später ebenfalls, als Mathematikerin, als Programmiererin, später war Schilling bei den Grünen und Staatssekretärin für Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt. >So sind meine Kinder aufgewachsen: mit einer Mutter, die immer ein schlechtes Gewissen hatte.< Schilling sorgte sich oft, weder dem Job richtig gerecht werden zu können noch den Kindern
Hinzu kommt ein Lebens- und Schuldgefühl, dass viele Großeltern (nach-)empfinden und das Elke Schilling heute so formuliert:
>„Ich glaube wir leben zum allerersten Mal in einer Zeit, in der die Elterngeneration nicht genug daran interessiert ist, alles zu tun, damit es ihren Kindern besser geht als ihnen selbst früher.“ Auch deshalb seien die Großeltern gefordert, sich etwa für mehr Klimaschutz und gegen den Rechtsruck einzusetzen. „Wir haben über unsere Eltern und Großeltern noch erlebt, was Flucht, Vertreibung und Krieg bedeuten. Ich wünsche mir, dass meine Enkel das nicht wieder durchleben müssen.“<
Und nun zuletzt ein unfassbar kostbares Gut und Privileg, das sich nur über die Großeltern weitergeben lässt:
„Was aber nur dem Menschen gegeben ist: Geschichten zu erzählen. Großmütter und Großväter können ihre Enkel mitnehmen in eine Zeit weit vor deren Geburt, im besten Fall finden diese dadurch Antworten auf die großen Fragen: Woher komme ich? Was macht meine Familie aus? Was hat mich geprägt? Gespräche über das, was war, können Heranwachsenden helfen, ihren Platz im Wirrwarr der Welt zu finden. Und eine Haltung, Werte.“
Was ich auch von meinem Ahnen genommen habe -
Hommage an meinen Großvater
Aus dem Ofen in den Laden,
und von dort auf unsern Tisch
große, kleine Fladen,
neben Wurst ein wenig Fisch.
Mit der Hand in meinen Mund,
eingeschleimt, zerkaut dann in den Schlund,
hinein in jenen Magen,
der nunmehr hat das Sagen:
Durchsäftet, angedaut
wandert dann der Brei
durch Dick und Dünn
- nein eher umgekehrt -
bevor er wurstet sich von dort
hinein in jenen Ort,
der heute
- komfortabel -
mittels Wasserspülung
alle Reste von dem Feste
schwemmt durch dunkelste Kanäle
fort!
Fort
in jene düstren Hallen,
wo einst mein Ahn
die Last von allen saubren Leuten nahm.
Klärwerk heißt der Ort,
an dem ich kam
vom Ahnen hin zum Wort,
dem ich fortan huldigte.
So dank ich ihm,
dem Ahn,
der mich beseelte,
in mir als Kind das Licht erweckte,
mit dessen Kraft
ich fortan Wort für Wort
und auch die Welt entdeckte.
Der Nußknacker und mein Büblein, das heißt Leo
(und mit uns geht inzwischen Jule) - Hommage an meine Enkel
Du Büblein mir zur Seite,
Machst Freude mir und lässt mich strahlen.
Ich wanderte mit dir
Durch Feld und Flur
Zu sammeln Nuss um Nuss!
Die trugen wir nach Hause voller Freude und Vergnügen.
Dort steht der Kerl, den unser Dichter meint, und wartet schon -
Stets hilfsbereit und uns zu Diensten.
Er hilft die Nüsse uns zu knacken
Mit seinen festen, dicken Backen.
Bei jedem knack, knack, knack
Seh ich dich nun vergnügt und ganz erwartungsfroh.
Denn auch wir beide wollen nun die Kerne gern verzehren,
Dem wackren Kerl, dem Nussknacker zu Ehren!
Der Nüsse sammelte ich schon viele und viele Jahre zieh ich durch die Flur.
Doch seit du da bist, strahlen alle Nüsse rein wie Edelsteine.
Mit dir zu sammeln, macht die Freude doppelt groß,
Weil deine Augen strahlen hell bei jedem
knack,
knack,
knack!