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Robert Sapolsky: Was lehren uns Paviane über Politik

Primaten als fantastische Modelle für den modernen westlichen Menschen - Robert Sapolsky im Interview mit Xifan Yang (ZEIT 46/24, Seite 9)

"Paviane sind fantastische Modelle für den modernen Menschen. Sie leben in relativ sicheren Umgebungen ohne Hungersnöte, dadurch haben sie viel Zeit für psychosozialen Stress und sinnlosen Wettbewerb. Anfangs dachte ich, dass Alphapaviane am gesündesten seien, weil sie mehr Kontrolle über ihr Leben haben. Nach Jahren der Forschung wurde mir jedoch klar, dass soziale Bindungen wichtiger sind als der Rang. Ein Pavian, der gut sozial integriert ist, ist gesünder, selbst wenn er weiter unten auf der Leiter steht." Xifan Yang fragt: "Warum sucht ein Pavian nicht ein Bündnis mit anderen niedrigeren Ranges, um den Alphapavian zu stürzen?" Die Antwort: "Das habe ich in meinen 25 Jahren Forschung einmal erlebt. Aber nach sechs Monaten fielen die Paviane, die gemeinsam auf die Barrikaden gegangen waren, sich gegenseitig in den Rücken. Bei Menschen ist das nicht anders. Warum rebellieren sie nicht öfters gegen Diktatoren, warum bleiben Leute wie Putin an der Macht? Indem sie Menschen dazu bringen, sich gegenseitig zu misstrauen."

Und:

„Die Aufklärung hat die Rationalität zumindest stark überbewertet. Menschen handeln oft auf der Basis von Gefühlen und rationalisieren ihre Handlungen im Nachhinein. Unsere limbischen Gehirnareale, für Emotionen zuständig, treffen Entscheidungen in Millisekunden, bevor die für Rationalität zuständigen Hirnregionen überhaupt aktiv werden können. Die Aufklärung erfasste die angesagten intellektuellen Salons in Europa. Den durchschnittlichen Europäer in der Provinz ließ sie unberührt. Auch heute ist der Firnis der Rationalität, der unsere Gesellschaft umhüllt, hauchdünn.“

Bevor es zu spät ist – welche schwierigen, aber wirklich wichtigen Fragen wir unseren Eltern stellen sollten.

Das ZEIT-Magazin lockt mit diesem Aufmacher auf der Titelseite der ZEIT-Ausgabe vom 24. Oktober 2024 (45/24). Immerhin helfen dabei fünf renommierte Zeit-Redakteur:innen: Andreas Öhler, Johannes Dudziak, Iris Radisch, Malin Schulz und Raoul Löbbert. Sie nähern sich dem heiklen Themenkomplex, indem sie – sozusagen vorgeschaltet – fragen:

„Kennen wir unsere Eltern eigentlich wirklich? Wieso fällt es uns schwer, ihnen die Fragen zu stellen, die wir an sie haben?“ Sie verweisen auf ein neues Buch von Stephan Schäfer – eigentlich zwei Bücher. 100 Fragen hat er in einem Buch versammelt, das in der Tat in zwei Versionen erscheint – eins richtet sich an Mütter, das andere an Väter; es heißt: Das Buch, das bleibt (bei Ullstein).

Die Geschichten, die den genannten ZEIT-Redakteur:innen dazu einfallen sind gewiss mehr oder weniger lesenswert. Wie schon in meinen vorangegangenen Blog-Beiträgen wird hier eine Tür geöffnet, durch die gewiss nicht jeder gehen mag. Natürlich kennen wir unsere Eltern:

„Sie waren da in unserem ersten Moment, und wir sind es vielleicht in ihrem letzten. Aber kennen wir auch den Menschen, der unsere Mutter, unser Vater ist? Wissen wir, wer sie waren, bevor wir sie für immer zu unseren Eltern machten? Und was passiert, wenn wir uns diese Frage – und dieser Frage – wirklich einmal stellen?“

Wolfgang Schmidbauer: Dämonisierung von Eltern

mit einem Hinweis auf: Hannes Ringlstetter - Mein Abschied vom Vater

Wolfgang Schmidbauer hat mir bereits 2006 als Interviewpartner zur Verfügung gestanden - siehe hier: Die heimliche Liebe - das war zu Zeiten von Kopfschmerzen und Herzflimmern - kurz nach dem Tod der geliebten Mutter, deren Frühgeschichte - incl. der Geburt meiner Schwester 1942 - in der Auseinandersetzung durchaus Fragen aufgeworfen hat (siehe: Hildes Geschichte). Aber es war keine nachgetragene Liebe, sondern schlicht der Versuch ein wenig Licht in die abgeschatteten Dunkelzonen unserer Familiengeschichte hineinzutragen.

Heute fiel mir ein Interview in die Hände, das Wolfgang Schidbauer im aktuellen SPIEGEL (43/4, Seite 108-111) Tobias Becker gegeben hat. Ich gebe in der Folge einmal ein paar Passagen wieder, die bedenkenswert erscheinen:

Schmidbauer: Die Vorstellung, missratene Eltern gehabt zu haben, befreit von dem depressiven Konzept, selbst an allem schuld zu sein. Aber auf Dauer ist es schlecht fürs Selbstbewusstsein, diejenigen schlechtzumachen, die einem nahestehen. Ich nenne das den kannibalischen Narzissmus. Wenn ich sage, dass meine Frau ganz grässlich ist, muss ich mich auch als jemand sehen, der keine bessere Frau gefunden hat. So ähnlich ist es zwischen Kindern und Eltern. Wer seine Eltern entwertet, entwertet auch sich selbst. Dazu kommt ein weiteres Problem, das größere vielleicht.

SPIEGEL: Welches?

Schmidbauer: Wer sich als Kind inszeniert, erlebt sich als solches und verliert den Kontakt zu seinen Stärken, zu seiner Autonomie.

SPIEGEL: Der Psychoanalytiker kritisiert die Geister, der er gerufen hat?

Kann man sich auf Verlusterfahrungen vorbereiten? Die RZ als Ratgeber

„Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde. So Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024). Reckwitz versucht zu beschreiben, wie – und mit welchen Mitteln – die Moderne Verluste unsichtbar macht. Der Buchdeckel gibt in einer knappen Zusammenfassung Einblick in die zugrundeliegenden Annahmen und die Absicht, die Reckwitz hegt:

„Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen. Verluste bedrängen die westlichen Gegenwartsgesellschaften in großer Zahl und Vielfalt. Sie treiben die Menschen auf die Straße, in die Praxen der Therapeuten und in die Arme von Populisten. Sie setzen den Ton unserer Zeit. Während sich die Formen ihrer Verarbeitung tiefgreifend verändern, scheinen Verlusterfahrungen und Verlustängste immer weiter zu eskalieren. Wie ist das zu erklären? Und was bedeutet es für die Zukunft?

Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024) und Zygmunt Bauman: Fragmente meines Lebens (Suhrkamp Verlag Jüdischer Verlag, Berlin 2024) - in progress

Teil I: Andreas Reckwitz: Verlust - Ein Grundproblem der Moderne:

„Der Mensch leidet, weil er Dinge zu besitzen und zu behalten begehrt, die ihrer Natur nach vergänglich sind.“ (Siddhartha Gautama)

In seiner Einleitung beginnt Andreas Reckwitz mit Tuvalu: Tuvalu versinkt im Meer – ein besonders plastisches Beispiel  für die Schädigungen, die der Klimawandel global bewirke. Er versteht sein Buch als einen Beitrag zur Theorie der Moderne. Reckwitz stellt seinem Buch acht Episoden voran – er spricht von Befunden aus der Gegenwartsgesellschaft. Sie alle drehten sich um Verluste. So zum Beispiel um Folgen des Klimawandels, die Verfestigung negativer Zukunftserwartungen, um postindustrielle Modernisierungsverlierer, um den Umgang mit historischen Wunden, den Umgang mit individueller Verletzlichkeit, Populismus, rückwärtsgewandte Nostalgievorstellungen oder Resilienz. Verluste seien im Zentrum der Moderne angekommen.

Gesellschaft muss darauf reagieren: „Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde:

„In Sachen Erkenntnis ebenso hinderlich wie ein Negativismus ist die Einstellung der Abwehr, wenn man also von Verlusten nichts (mehr) hören will, sie aktiv ausblendet. Verluste sind ein unangenehmes Thema, nicht selten – insbesondere, wenn sie das Scheitern im persönlichen Leben betreffen – mit Scham verbunden oder mit einem Tabu belegt, über das man lieber den Mantel des Schweigens breitet.“ (Seite 15)

   
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