22.12.2024 - Friedenskundgebung in Güls
Zwei Tage vor dem Heiligen Abend treffen sich Gülser Bürger auf dem Plan. Sie hören die Reden von Josef Oster (MdB-CDU), Detlev Pilger (ehem. MdB-SPD) und Christopher Bündgen (Vorsitzender Grüne Koblenz)
Am 22. Dezember 1944 – vor 80 Jahren – verloren über 90 Gülser Bürger infolge eines britischen Bombardements ihr Leben. Der Angriff galt dem Lützeler Bahnhof. Die heutige Gedenkveranstaltung verdankt sich der Initiative des Ortsrings, dem Dachverband aller Gülser Vereine. Die Schirmherrschaft oblag dem Koblenzer OB, David Langner und dem Gülser Ortsvorsteher Hans-Peter Ackermann. Beide stellten in ihren kurzen einführenden Redebeiträgen die Ereignisse vom Dezember 1944 in einen historischen Kontext, der uns allen noch einmal eindringlich ins Bewusstsein rief, dass der von den Nazis verantwortete Angriffskrieg nur durch die Anstrengungen der Alliierten beendet werden konnte. Die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren und auch die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 verdanken sich einer Friedenspolitik, die in ihrer Vertragsorientierung – vor allem mit der Aussöhnung Frankreichs und Deutschlands - zu einer europäischen Friedensordnung geführt hat, die uns Nachkriegskindern seit nahezu 80 Jahren Frieden in Kerneuropa beschert hat.
Die Hauptredner sahen genau in dieser Entwicklung ein verbindendes Motiv über alle parteipolitischen Differenzen hinaus. In allgemeiner Hinsicht begründete dies Josef Oster als aktueller Wahlkreisvertreter für Koblenz im Deutschen Bundestag (und natürlich als Gülser Bürger) auf überzeugende Weise.
Auf eine sehr viel persönlichere Weise knüpften Christopher Bündgen und Detlev Pilger an die Ereignisse vom 22. Dezember 1944 an: Auf eindrückliche Weise schilderte Christopher Bündgen diese Ereignisse aus der Sicht seines Großvaters. Die Zuhörer fanden sich auf so unmittelbare Weise den Geschehnissen von vor 80 Jahren ausgesetzt, da Christopher schilderte, dass sein Opa – bevor die Bomben auf Güls niedergingen – mit seinen Freunden auf dem Plan noch gespielt hatte; genau dort, wo wir uns heute versammelt hatten! Als die Sirenen aufheulten und die Jungs ihr Heil jeweils zu Hause suchten, entschied der Zufall darüber, wer von ihnen überlebte. Christopher Bündgens Opa gehörte zu den Überlebenden. Und sein Enkel knüpfte in seiner Rede an ein starkes, bewegendes und vorwärtsweisendes Leitmotiv seines Großvaters an: Es war der Gruß der Pfadfinder, der in stilisierter Form im Wohnzimmer hing:
Die drei aufrechten Finger stehen für die drei Punkte des Pfadfinderversprechens (Verpflichtung gegenüber Gott, Verpflichtung gegenüber Anderen und Verpflichtung gegenüber sich selbst/dem Pfadfindergesetz). Der Daumen (der Starke) schützt den kleinen Finger (der Schwache).
Christopher Bündgen (Jg. 1994) stellte seine Rede dementsprechend unter das Leitmotiv: Demokratie lebt vom Mitmachen – vom Mitmachen in einer offenen und inklusiven Gesellschaft, in der jede Stimme zählt und jeder die Chance hat, sich einzubringen und für eine lebenswerte Zukunft einzutreten. Es hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck, wie die Jungen den ganz Jungen zur Seite stehen, ihnen Mut zusprechen und das Heft des Handelns in die Hand nehmen.
Detlev Pilger (Jg. 1955) gehört meiner Generation an. In seiner Rede gewann man den Eindruck, dass jemand zu sich selbst gefunden hat. Auch er knüpfte unmittelbar an seine Familiengeschichte an – die Geschichte seiner Mutter, die den Bombenangriffen auf Koblenz ausgesetzt war und sie überlebt hat; die Geschichte seines Vaters, der als Wehrmachtssoldat an der Ostfront eingesetzt war. Ausgehend von schwierigen sozialen Startbedingungen schilderte Detlev in bewegenden und eindrücklichen Worten, wie er lernte seine Ellenbogen zu gebrauchen, sich zu behaupten und gleichwohl andere Werte - als das Recht des Stärkeren – zunehmend seiner (politische) Entwicklung eine andere Richtung gaben. Sein Beitritt zu den Pfadfindern, eine christliche Grundorientierung und vor allem Willy Brandt prägten seine politische Identität. Detlev Pilger schilderte markante Stationen, so das Bekenntnis zu einem konsequenten Pazifismus - beispielsweise 1982, bei der größten Friedensdemo, die Deutschland jemals gesehen hat (im Bonner Hofgarten) mit mehr als einer halben Million Teilnehmer:innen. Überzeugend für mich dann der behutsame Wandel zu jemandem, der einsehen muss, dass Friede nur im Einvernehmen aller Völker, aller Menschen eine reale Perspektive hat.
Es waren überzeugende, beeindruckende Statements, die letztlich alle von der Überzeugung getragen waren, dass selbst der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem (bösen) Nachbarn nicht gefällt.
Auch im Wissen, dass es zu kurz greift, die Welt in Gut und Böse zu scheiden, bleibt angesichts der russischen Aggression der Ukraine gegenüber, vor allem die Einsicht, dass es für diese Einteilung eine Blaupause gibt, die sehr viel nüchterner zwischen Freund und Feind unterschieden hat. Wer das Handeln der Nationalsozialisten verstehen will, und wer heute die russische Aggression gegenüber der Ukraine angemessen deuten will, der kommt nicht umhin, begreifen zu müssen, dass im deutschen Kulturkreis 1933 Carl Schmitt gegen Immanuel Kant obsiegt hat.