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Das lyrische Klärwerk (in progress) – Teil I

In progress bedeutet, dass hier etwas entsteht, das der weiteren Strukturierung harrt. Mein lyrisches Klärwerk geht gleichwohl zeitnah in Druck; eine Zäsur, die willkürlich erscheint. Sie hat in ihrer Willkürlichkeit etwas für sich, weil wir uns mitten im Advent 2024 immerhin am Sturz des Despoten Baschar al-Assad erfreuen können - und dies zunächst einmal in Absehung der Folgen, die mit diesem Sturz verbunden sind. Immer wenn ein Staatsterrorist, ein Menschenschlächter die Flucht ergreift, ist dies ein Anlass zur Freude - und Wladimir Putin möge mit seinem Mörder Assad im Rücken (noch) unruhigere Nächte haben. Hinsichtlich meines Klärwerks bedarf es weiterer Strukturierung, weil die Fülle an lyrischen Absonderungen ganz unterschiedlichen Motiven folgt. In einem ersten Block bieten politische Kontroversen und Geschehnisse Anlässe. Daneben habe ich neben Naturlyrik und Liebeslyrik der Gelegenheitslyrik ein eigenes Feld eingeräumt. Dies weist darauf hin, dass die lyrische Verdichtung bzw. die Kurzform sich (mir) immer wieder anbieten, um die eigene Befindlichkeit auf den Punkt zu bringen. Auch dies greift in gewisser Weise zu kurz, denn über Befindlichkeitsmomente hinaus geraten meine Gedichte häufig zu existentiell geerdeten Blitzlichtern, die über den Moment hinausweisen.

Die Projekte, die ich gegenwärtig verfolge, häufen sich - sie sollten alsbald auch eine lesbare Gestalt annehmen. Der größere Zusammenhang, nimmt bereits Konturen an. 

Es hat immerhin 72 Jahre gedauert, um bis zu der Idee vorzudringen, dass mein Antrieb zur verdichteten, prägnanten lyrischen Form sich dem Bedürfnis verdankt, einen Angelpunkt für die eigene Position zu finden. Meine Bemühungen geschahen und geschehen in einem (historischen) Kontext, der uns (auch uns Nachgeborenen) auferlegt(e) im Sinne der umstrittenen kantischen Lehre vom radikal Bösen zu unterscheiden, ob jemand sich für das Böse entscheidet, weil es böse ist, und eben nicht nur, weil man es fälschlicherweise für gut hält (siehe Boehm/Kehlmann, der bestirnte Himmel über mir – Ein Gespräch über Kant, 2. Auflage, Berlin 2024, Seite 75).

Der Angelpunkt war früh gesetzt mit der Idee, man müsse den Menschen als Zweck statt als Mittel  betrachten. Der Kantsche Universalismus – trotz aller menschlichen Verfehlungen des Herrn Kant – wirkt heute, verbunden mit seinem dreihundertsten Geburtstag, angesichts des rasanten Wiederauflebens von Gewalt als Mittel der Politik entschieden nach, weil die kategorische Falschheit von Handlungsoptionen dann greifbar wird, wenn man dieser Idee folgt, die Menschen nicht als Mittel, sondern als Zwecke zu betrachten (was im Übrigen nicht bedeutet, dass man selber dieser Idee in seinen alltäglichen Handlungen auch nur nahekommt):

„Man muss über die eigenen und ihre Interessen hinausblicken und sein Verhältnis in einer Gesellschaft freier und deshalb gleicher Wesen begreifen.“ (siehe a.a.O., S. 73f.). So schreibt Kant:

„Die Klasse der Weißen ist nicht als besondere Art in der Menschengattung von der der Schwarzen zu unterschieden; und es gibt gar keine verschiedene Arten von Menschen.“ (Immanuel Kant, >Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse<, Akademie-Ausgabe der Schriften Kants, Band 8, S. 99f. zitiert nach Boehm/Kehlmann, a.a.O., S. 69)

Und Boehm/Kehlmann fragen an gleicher Stelle, wie jemand, der diesen eben zitierten Satz geschrieben hat, immer noch rassistische Anschauungen haben konnte.

Vermutlich ist dies auch einer der Begründungen für die Zitation Jura Soyfers auf der Vorsatzseite des von Boehm und Kehlmann veröffentlichten Buches, wo es heißt:

„Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!“

Aus den Sprüchen der Väter (Pirkei Avot) innerhalb der Mischna zitieren Boehm/Kehlmann dann die paradoxe Empfehlung:

„Wo es keine Menschen gibt, versuche, ein Mensch zu sein.“

siehe auch: Marcel Reif


Zur Idee des Klärwerks:

Fern jeder Hybris sammeln sich auf den Rosten meines lyrischen Klärwerks jene verdichteten Eindrücke und Hilflosigkeiten, mit denen ein ethischer Kompass sich je neu einzunorden versucht(e); immer unter dem Eindruck des Kantschen Universalismus (Kant: 1724-1804). Dieser Universalismus wird und wurde umso bedeutsamer, als mit Carl Schmitt (1888-1985) - einer der Kronjuristen des nationalsozialistischen Terrorregimes - mit seinem Begriff des Politischen (Berlin 1932) eine justiziable Negierung und Ausmerzung jeglicher universalistischer, an einer Idee von Menschenrechten orientierter Politik propagierte. Und die rechtsextremen Akteure in Gegenwartsdeutschland knüpfen daran an.

Zur Bedeutung des Klärwerks: Mein eigenes lyrisches opus magnum Orte (unter diesem Link - mit notwendigen Verstehenshilfen) ist meinem Großvater mütterlicherseits zugedacht. Er war Klärwärter in einem der ersten mechanischen Klärwerke am Unterlauf der Ahr (unterhalb von Bad Neuenahr in Heppingen/Heimersheim). Eine genaue Beschreibung der Funktionsweise ergibt sich aus meiner Lyrographie zu dem Gedicht Orte (siehe obigen Link). Nur so viel: Die Abwässer wurden im Klärwerk über verschieden breit gestaffelte Stahlroste geführt, so dass auf den ersten, breit gefächerten Rosten, die einen Abstand der Stahlgitter von etwa 10cm aufwiesen, der grobe Unrat erfasst wurde. In mehreren Stufen wurden die Abstände der Stahlprofile enger bis hin zu ein bis zwei Zentimeter breiten Profilen, die feinstofflicheren Unrat absonderten, der sich zu Schlemmen verdichtete. Unrat bleibt dabei Unrat und lässt sich auch nicht umwidmen - man kann ihn allenfalls verbrennen. Die Schlemmen hingegen mögen taugen als Dünger und Katalysatoren für neu entstehendes Leben (alles Weitere lässt sich in Orte und den Kommentaren nachvollziehen).

Wenn ich nun im folgenden nicht – wie weiland Erich Kästner – eine lyrische Hausapotheke anbiete, sondern vielmehr ein lyrisches Klärwerk, dann fühle ich mich dem von mir hochverehrten Herrn Kästner durchaus verbunden (siehe nachstehend Nr. 3: meine Adaption des Marschliedchens: Ihr seid dumm!)

Ich beginne allerdings mit einer Hommage an meinen Großvater, ohne dessen liebevolle Aufmerksamkeit und die immer mögliche Teilhabe (auch an seinen beruflichen) Aktivitäten ich nicht der wäre, der ich heute bin und der ich gestern war.

(1)

Was ich auch von meinem Ahnen genommen habe -
Hommage an meinen Großvater

Aus dem Ofen in den Laden,
und von dort auf unsern Tisch
große, kleine Fladen,
neben Wurst ein wenig Fisch.
Mit der Hand in meinen Mund,
eingeschleimt, zerkaut dann in den Schlund,
hinein in jenen Magen,
der nunmehr hat das Sagen:
Durchsäftet, angedaut
wandert dann der Brei
durch Dick und Dünn
- nein eher umgekehrt -
bevor er wurstet sich von dort
hinein in jenen Ort,
der heute
- komfortabel -
mittels Wasserspülung
alle Reste von dem Feste
schwemmt durch dunkelste Kanäle
fort!

Fort
in jene düstren Hallen,
wo einst mein Ahn
die Last von allen saubren Leuten nahm.
Klärwerk heißt der Ort,
an dem ich kam
vom Ahnen hin zum Wort,
dem ich fortan huldigte.

So dank ich ihm,
dem Ahn,
der mich beseelte,
in mir als Kind das Licht erweckte,
mit dessen Kraft
ich fortan Wort für Wort
und auch die Welt entdeckte.

Diese Entdeckungsfahrt nimmt so richtig Fahrt aber erst in Orte auf. Dieses ein wenig apokryph, dunkel und undurchsichtig daherkommende Epos offenbart einen merkwürdigen Widerspruch zwischen der schlichten und denkbar einfachen Herkunftsgeschichte meiner beiden Herkunftsfamilien und einer damit deutlich in Kontrast geratenden Sprach- und Wortgebung. Vor fünfundzwanzig Jahren entstanden, verführt es heute dazu, die schlichten, gleichwohl geheimnisvollen Welten hinter dieser Sprachwelt hervorzuholen. Der Reiz seinerzeit und bis heute liegt für mich vor allem darin, zu zeigen, wie sehr Herkunft und Ankunft und die Reise dazwischen Spannungen offenbaren, die in einer schlichten, realistischen Beschreibung von objektiven Gegebenheiten weder Leuchtkraft noch sprachliche Originalität beanspruchen könnten. Denn die Form erzeugt eben auch den ganz besonderen Zugang zu jenem Mythos und jener Aura, den ich meiner eigenen Kindheit und Jugend zuschreibe:

(2)

Orte – meinem Großvater mütterlicherseits

 

Ich heiße Josef (neben Franz),
und ich bin der Enkel
einer deutschen Eiche:
Josef -
stark und breit,
sanft und gewogen,
leicht gebeugt - ein Kraftwerk.

In Deinem Haus -
keine Bilder, keine Bücher,
„da hingen keine Gainsbouroughs“;
der „Volksempfänger“ bis zuletzt!
Und doch:
Jede Sekunde gelebten Lebens
respektvoll:
Du trugst uns (Enkel)Kinder auf Händen
- alle!

Und herausgeschnitzt
(auch diese) Linie(n)
- erzählten Lebens:
Der Eigensinn, die Unvernunft
- da spürte schon mal ein brauner Uniformträger,
wie rotes Blut und brauner Boden schmeckt!

Nein!
Über Politik und Geschichte wurde wenig gesprochen.
Masuren 1914 -
steckte in Deiner Seele,
und
- Eisen - als lebenslange Depotgabe
in Deinem Körper.

Warst kein Schweijk,
und kein Jünger der Stahlgewitter.

Merkwürdig konstruierte Intuition,
assimilierte Facetten jiddischer „Kultur“

- Ja, ja!

Gelernt hast Du das Schächten
(dein Werkzeug liegt jetzt in meinen Händen).
Metzger wolltest du werden -
und warst früh schon geschätzter Experte,
wenn es die Gottschalks,
die Oppenheimers,
die Wolffs
und Lichtendorffs
koscher haben wollten.

Merkwürdige Synchronizität:
Die Mischpoke ist Dir abhanden gekommen
– wusstest Du jemals wie?

Alles Millionäre in Amerika!?
Und Du?
Ohne Profession!
Verlust bei Verlust.
Stiller Gewinner die Stadt:
Zumal die untersten Chargen
- die städtischen Arbeitskolonnen -
besetzt mit Spitzenkräften.

Für mich warst du
der immer schon alte, starke Mann:
Im Schiefer der Weinberge;
als Führer zu den mythischen Orten der Kindheit,
wo die Maiglöckchen (noch heute) blühen.
In den lehmigen Gruben,
stiller Bereiter der letzten Wege,
(wo selbst Du deine Grenzen erfuhrst,
wenn jemand im Tod noch auf Wanderschaft musste).

Dann wieder ein Ort,
wo die Fontänen des Lebens sprühn!
Lebendige Kindheit -
Salz und Sonne auf unserer Haut!

Geheimnisvoll aber,
mythisch,
dionysisch
und gewaltig jener Ort.
Die Hallen,
in denen
Anfang und Ende zusammenfließen:

Wir lebten am Rande,
der letzten Bastion zivilisierten Lebens.
Von dort 3000 Meter
wildes Land:
Zuerst die Abraumhalden der Stadt
- Schutt.

In der anderen Welt,
jenseits der Ahr,
gesäumt von Alleen immer blühender Kastanien
die in den Hades übergehenden Prozessionen,
wo Staub kommt zu Staub.

Auf unserer Seite die Niederungen,
Sumpf- und Schwemmgebiet,
worin sich alle Urgewalt verläuft:

Hier duckt sich der Ort,
hinter Haselnüssen und Hainbuchen,
ein Bunker,
flach
und bestimmt von Diagonalen
- sanft ansteigende Schrägen.

Zuerst lockt eine Stube,
verwinkelter, tetraedischer Kubus,
kristalliner Raum einer ganzen Welt:
Der Körper spürt wohlige Ewigkeitswärme
- fossiles Urfeuer im Kanonenrohr;
die Augen gehen über.

Im Restlicht erscheint das Panoptikum (D)einer Zeit:
An den Wänden das illustrierte Feuerwerk
der formierten Gesellschaft:
Beauties und Katastrophen,
Abziehbilder medial markierten Raums.

Ein fernes, geheimnisvolles Rauschen liegt über Allem.
Dünn und vernehmlich,
bedrohlich,
aber (noch) gebannt
im Kreis der alten Männer:

Schwerer Moschus aus Tabak,
Manschester -
sinfonische Höhepunkte,
wenn Bohnen und Speck,
Schweinebraten und Kohl,
Wirsing und Gulasch Geruchsnischen besetzen,
wie Flaschengeister jenem Kessel entsteigen,
der die Kleinode unserer Küche bewahrt;
und doch nichts als Irrlichter im olfaktorischen Inferno.

Von Zeit zu Zeit
- in der rush hour kollektiver Biorhythmen alle Stunde -
verläßt Du die Stube.
Dann ergreife ich Deine Hand
selig geborgen,
gerade genug,
um standzuhalten,
denn wir treten ein in den Bannkreis der düsteren Hallen,
anschwellendes Rauschen,
noch wie fernes Trommelfeuer vor dem Sturm.
Welche Schätze lagern hinter metallenen Toren
an des Wächters Hand -
vor dem Allerheiligsten?

 

Hier sollte nun Teil zwei der Orte folgen. Angesiedelt in einer Kindheit in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat man den Eindruck, all dies entzieht sich vollständig dem Zugang der Nachgeborenen. Am ehesten ließe sich der Faden weiterspinnen mit den Spiel- und Jugendgefährten seinerzeit - gewissenmaßen auf Augen- bzw. in diesem Fall auch auf Riechhöhe. Mein Bruder ist vor 26 Jahren tödlich verunglückt, Bernd - unser verrückter Jopa - ist 1995 an der Nadel geblieben, Peter-Georg - mein alter ego in Kindheit und bis zum Ende der Volksschule - ist 2010 einer Krebserkrankung erlegen, sein Bruder, Karl-Heinz, der Jüngste von uns Fünfen, ist 2018 verstorben. Ganz sicher war es 2002 bereits angemessen meinen ersten biografischen Selbstversuch mit dem Titel zu versehen: "Ich sehe was, was Du nicht siehst - Komm in den totgesagten Park und schau". Willi, mein Bruder und Bernd/Jopa waren schon nicht mehr unter uns. Peter-Georg und Karl-Heinz haben meinen 50sten Geburtstag noch mitgefeiert - im Café Hahn.

So bleiben mir - jenseits der 70 - die durch Orte auslös- und erinnerbaren Phanatasien; als solche werden sie in der Regel bei dem Versuch, ihnen Gegenwartsrelevanz zuzubilligen, begrenzt bzw. zurückgewiesen. Je älter ich selbst werde, um so deutlicher steht mir allerdings vor Augen, wie prägend und persönlichkeitsfärbend die Einflüsse dieser Kindeheit und Jugend wohl waren:

Du lebst am Ende der Stadt, an ihrem östlichen Rand, deutlich separiert von ordentlichen, städtischen Straßenzügen, drei Häuser - wie ausgesiedelt, überhaupt nicht zueinander passend, vor allem Disharmonie und das Ende der Kreustraße signalisierend - der Asphalt ist glatt wie ein Spiegel, ideal für Hockeyschlachten auf Rollschuhen. Dort, wo die Menschen sich noch in Gruben entleeren, wächst Du auf - gemeinsam mit einer 10 Jahre älteren Schwester, Deinem 3 1/2 Jahre jüngeren Bruder, Deiner Cousine und Deinen Spielgefährten. Die Kreuzstraße führt ins Nichts. Das Nichts ist angefüllt mit Schutt - 200 Meter östlich, jenseits besiedelten Gebietes erstreckt sich der städtische Schuttabladeplatz, in Zeiten vor aller Mülltrennung, Metzgereiabfälle verrotten neben Hausmüll und Sondermüll nahezu jeder Kategorie. Die Müllhalden werden abgefackelt, kein Tag ohne Rauch, Knacken und Knistern, wehe der Wind weht aus östlicher Richtung. Dies ist das Paradies, nicht nur für uns, sondern für Myriaden von Ratten. Aber zwischen Schutt und dem Fußballplatz - auf der anderen Straßenseite, exakt auf der Höhe der Kreuzstr. 111 bzw. 113 - da ist nicht nur das Paradies, dort ist der Himmel, die Zirkuswiese, auf der Zirkus Krone und Zirkus Sarrasani gastieren und ansonsten das fahrende Volk. Heute würde man Sinti un Roma sagen, die mit ihren Karrossen und Wohnwagen ihr Lager dort aufschlagen, bei uns zu Hause um Wasser anfragen, bis das der städtische Wasserversorger dort endlich einen Hydranten installiert und so jederzeit einen Zugang zu fließendem, sauberem Wasser garantiert.

Es mag die Zeit zwischen meinem elften/zwölften bis hin zu meinem vierzehnten oder fünfzehnte Lebensjahre umfassen. Auf einem Damenfahrrad mit tiefem Einstieg - am Lenker eine Einkaufstasche fixiert - verlasse ich die befestigte Kreuzstraße und gelange über einen Feldweg zwischen die Felder und Wiesen. Hier bewegt man sich nach und nach in die Uferzone der Ahr. Trauerweiden, Hainbuchen und im Herbst der gelbe Heinrich sorgen für eine üppige Vegetation. Es ist die Passage zwischen der Kurstadt Bad Neuenahr und den ahrabwärts folgenden Dörfern, Heppingen und Heimersheim. An der Brückenquerung, die Heppingen und Heimersheim verbindet, befindet sich unterhalb der Brücke mit einer rampenförmigen Zufahrt die städtische, mechanische Kläranlage.

Ich habe mich damals wie ein Prinzenkind gefühlt, das einem außerordentlichen Privileg huldigen durfte. Nicht im Entferntesten wäre ich auf die umgekehrte Idee gekommen und hätte eine Bewusstsein dafür ausbilden können, dass sich der Sachverhalt eher umgekehrt darstellte: Mein hochverehrter Großvater gehörte zu einem im Schichtbetrieb arbeitenden Trupp von Klärwärtern, die die anfallenden Fäkalien abräumten, zu Abraumhalden auftürmten, die regelmäßig von Pferdefuhrwerken und Lastkraftwagen abtransportiert wurden. Und jedem, der auserkoren war, mich zuweilen dorthin zu begleiten, widerfuhr eine außerorderntliche Ehre.

Vielleicht kann ich an dieser Stelle verdeutlichen, warum ich wohl mit einem Abstand von mehr als 35 Jahren einen Wortzauber entworfen habe, den ich syntaktisch nur rudimentär in feste Strukturen gießen wollte/konnte. So galaktisch meine subjektive, kindliche Wahrnehmung von der öffentlichen, sozialen Wahrnehmung geschieden war, so sehr wollte ich dem kindlichen Mysterium sprachmächtig zu einer singulären Repräsentanz in der Welt der Kunst - der Sprachkunst verhelfen. Die Melange zwischen der gewaltigen Statur und Präsenz meines Großvaters und den Orten, die ich aufnehme und aufleben lasse, dient der liebevollen Würdigung großväterlicher Fürsorge und Liebe. Was ich auch von meinem Ahnen genommen habe (siehe oben), ist der Versuch, die Unmittelbarkeit einer allumfassenden Wertschätzung, einer besonderen Wahrnehmung durch den Großvater, die zwischen liebevoller Zuwendung und Zutrauen alle Facetten großväterlicher Aufmerksamkeit einschloss, in die Mittelbarkeit zu übersetzen, die sich in meinem Versuch manifestiert, die familiären Ermöglichungen in einem langen Bildungsweg für mich zu nutzen. Auf diese Weise gerät dann der Großvater auch noch einmal unmittelbar in den Blick des Enkels:

  • Es beginnt bereits mit der Namenspatronage, wobei mir die Tatsache, dass ich meinem Vatersvater - er starb, wie meine Großmutter väterlicherseits - vor meiner Geburt - nicht begegnen durfte, wie ein beharrlicher Stachel gegenwärtig bleibt. Und die deutsche Eiche schien mir ein angemessenes Bild, knorrig, schief, gebeugt - aber bei alledem kraftvoll und Schutz gewährend für den einen Großvater - den Großvater aller Großväter.
  • Die Bildungsferne ist Signum familiärer Ausgangslage nach beiden Seiten. Dass sich Bildungsferne nach Erwin K. Scheuch in den Attributen weiblich, ländlich und katholisch offenbare, war für uns, zu Beginn der 50er Jahre geborenen Jungs hinsichtlich des Geschlechts noch nicht trennscharf genug - es umschloss uns nahzu ausnahmslos (fernab der ca. 15%, denen der Übergang aufs Gymnasium ins Stammbuch geschrieben war). Hier aber bereits mit Bildungsdünkel aufwarten zu dürfen und anzuschließen an Gottfried Benn (immerhin aus Pastorenhaus) ist ein unübersehbares Zeichen für sozialen - bildungsfundierten - Aufstieg. Der Kontrapunkt dazu ist Herzenbildung. Nicht von ungefähr sage ich in Rezos Messlatte, dass ich Herzenswärme und Urvertrauen aus meiner Herkunftsfamilie mit in die Welt genommen habe.
  • Lebensläufe - Biografien, erst recht in lyrische Formen gegossen, sind hochanspruchsvolle und ambitionierte Inkonsistenzbereinigungsprogramme!(Passwort: wiro2015) Diese Niklas Luhmann geschuldete Erkenntnis fordert bereits im dritten Abschnitt von Orte ihren Tribut. Mein Großvater - so gehen die Erzählungen - war ein Hitzkopf und vor allem nicht frei von Jähzorn; dazu passt Unvernunft - hier vielleicht die Kehrseite einer lebensgefährlichen Authentizität. In Bad Neuenahr kannte man sich, mein Großvater gehörte zur kaiserlichen Garde, ist möglicherweise in seinem Habitus ein Monarchist geblieben. Da kam ein Etappenhengst brauner Provinienz gerade recht, um sich Luft zu verschaffen gegenüber einer unerträglichen Arroganz der braunen Emporkömmlinge. So geht halt die Geschichte, dass man handgreiflich aneinandergeriet. Und da war in der Tat mit Lahnsteins Jupp nicht gut Kirschen essen. Beide haben überlebt - über das Ende des tausendjährigen Reiches hinaus.
  • Ja Habitus - vorbewusste, reflexionsfreie Zone. Eigene Überzeugungen mussten weder diskutiert noch legitimiert werden. An der Ostfront in Ostpreußen/Masuren - mein Großvater war Soldat im Ersten Weltkrieg - fand die Zu- und Ausrichtung statt, inclusive der eigenen Versehrtheit. Kurz vor seinem Tod bei einer Fußwaschung - nicht ganz, aber doch ein bisschen auch rituell, mehr aber der Hygiene geschuldet - habe ich noch einmal gehört, dass, wie im Übrigen bei meinem Vater, Splitter in seinem Körper unterwegs waren, sozusagen als lebenslange Depotgabe. Da er im Habitus gradlinig, eher stur war, waren Ideologien im fern. Er taugte weder zum Schweijk noch zu einem Arschloch wie Ernst Jünger (hier sollte man noch einmal Klaus Theweleit zu Rate ziehen).
  • Die heißeste Stelle beginnt mit den "assimilierten Facetten jiddischer Kultur". Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, wurde meinem Großvater der Berufswunsch Metzger versagt. Die Erzählungen, die ihn ausweisen als versierten Schächter - das schartenfreie Messer ist heute in meinem Besitz - verweisen darauf, dass er im "Judenbad" Bad Neuenahr wohl viele Jahre die rituellen Schlachtungen für jüdische Familien durchgeführt hat. Ich erinnere, dass er mir und meinem Freund Peter-Georg zu Zeiten der Räude unter den Kaninchenpopulationen auf der Bengener Heide in einem Schnellkurs beigebracht hat, wie man in Netzen eingefangene Kaninchen per Nackenschlag mit einem geeigneten Knüppel vom Leben zum Tod befördert. Bei uns wurden selbstverständlich auch Stallhasen und Hühner für den eigenen Verzehr auf angemessene Weise getötet und für den Kochtopf vorbereitet. Ich gehörte wohl zu den relativen Weicheiern, die dann aber nicht in der Lage waren Hühner oder Hasen auch zu essen. Er hat es mir verziehen, mehr als mein eigener Vater.
  • Zur Mischpoke muss besonders angesetzt werden: Irgendwann - ich vermute spätestens 1942 - war Bad Neuenahr "judenfrei". Das Geschäftsmodell meines Großvaters war da wohl schon länger obsolet. Verstrickungen lassen sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Ich weiß nicht, ob sich mein Großvater, der 1934 mit dem Rumpfbau des mütterlichen Elternhauses begann, Geld bei jüdischen Geldverleihern besorgt hat. Die Notarakten zur Kreuzstr. 111 sind weitgehend vernichtet und nicht mehr zugänglich. Vorwürfe und Schulzuweisungen, die für unsere Generation unseren Eltern gegenüber typisch waren, sind im eigenen Familienkontext nie scharf gestellt worden. Die militärischen Zugehörigkeiten und Bewegungen im europäischen Raum habe ich über Recherchen bei der WASt minutiös vorgenommen - für alle, die eine Rolle im familiären Kontext spielen - am eindringlichsten für Franz Streit, den Vater meiner Schwester.
  • Mein Großvater hat nach dem Zweiten Weltkrieg als städtischer Arbeiter seinen Lebensunterhalt verdient, immer verbunden mit Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung. Er tritt dann in mein Leben nicht nur als fürsorglicher Großvater, sondern als jemand, der alles konnte und alles wusste, um irgendwie durchs Leben zu kommen: als Friedhofsgärtner und Helfer bei Bestattungen und Umbettungen, als Hilfskraft im städtischen Schwimmbad, als Klärwärter, als Kassierer bei den Deutschen Meisterschaften der Tennissenioren.
  • Einzigartig und ohne Beispiel wirken die Zeiten und Umstände seiner Tätigkeit als Klärwärter in mir nach: Geheimnisvoll, mythisch, dionysisch und gewaltig wirkt in der Tat jener Ort, der so trivial, so schmutzig und gewöhnlich jenseits seiner Verklärung erscheint. Es sind die Schwefelwasserstoffverbindungen oder die durch Fäulnis freigesetzte Buttersäure, die eine Kläranlage zu einem der Unorte unter der Sonne machen. Woher also meine uneingeschränkte Faszination - die möglicherweise zu einer Desensibilisierung, manche behaupten zu einer Schädigung meines olfaktorischen Unterscheidungsvermögens geführt hat???
  • Zunächst einmal gilt es einzustimmen, den Schritt von den "zivilisierten Randzonen" hin zu dem Ort anzubahnen, an dem "Anfang und Ende zusammenfließen". Der Weg durch "wildes Land, durch Abraumhalden" - kontrastiert durch das pralle, gleichwohl morbide Leben auf der anderen Seite der Ahr; dort wo die Kurbetriebe, das städtische Schwimmbad, Lenné- und Kaiser-Wilhelm-Park die gediegene Seite der Kurstadt offenbaren. Das fruchtbare Schwemmgebiet, der Übergang zur "Goldenen Meile" enden für mich in einem bunkerartigen Gebäudekomplex, der die städtische Kläranlage beherbergt. Vor dem "Allerheiligsten" residieren die Klärwärter in ihrer Stube, jenem "tetraedischen Kubus", der von einem Kanonenofen dominiert wird und dessen Wände für Heranwachsende gleichermaßen die Welt einer formierten Gesellschaft mit ihren beginnenden Reizen und Schwellenwerten offenbaren: Statt gekälkter Wände überwältigte einen hier - zumal als Heranwachsender - die Patina eines Panoptikums, das Titelseite um Titelseite der seinerzeit gängigen Illustrierten mittels Kleister an den Wänden fixierte. So entstand ein illustriertes Feuerwerk zeit- und kulturgeschichtlicher Mächtigkeit aus der schlichten Perspektive der Unterschicht, in der die Schmuddelkinder spielen.
  • Zu Winterszeiten wärmte das "fossile Urfeuer im Kanonenrohr" und ließ die Augen übergehen - mit Blick auf die angesagten Beautis und Berichtenswertes in der formierten Gesellschaft der 50 und 60er Jahre; die "Abziehbilder eines medial markierten Raums". Dazu  gehörten Konrad Adenauer, John F. Kennedy, aber eben auch Marylin Monroe, Freddy Quinn, Hans Albers, Curd Jürgens, Hildegard Knef, Marlene Dietrich, Heinz Rühmann und und und.
  • Spannung entsteht über den Kontrast heimeliger Atmosphäre, eine eigentümliche Geborgenheit im Schutz der "alten Männer", wobei mein Großvater seinen Dienst in der Regel alleine versah. Der Zweck meines eigenen Da-Seins an diesem Ort lag ja in der Versorgung, im Verbringen des Esskesselchens. Der Esskessel war ein profanes Wunderwerk, dass die gustatorischen und olfaktorischen Essenzen zu einer solitären Melange entfaltete. Zehn bis fünfzehn Minuten benötige ich von der Kreuzstraße bis zur Kläranlage, eine Zeitspanne während derer die frisch zubereiteten Speisen ummantelt von einem mit heißem Wasser gefüllten Zwei- oder Dreikammersystem - fest mit einem geklammerten Deckel verschlossen - ein wahres Geruchsfeuerwerk entfalteten, das sich nach Öffnen des Kessels im überschaubaren Raum verströmte. Eine abstrus-verrückte, bis heute nachwirkende Folge dieses Arrangements offenbart sich in meiner Vorliebe für das, was aus frischem Blattsalat in einem gewissermaßen nahezu vakuumierten Raum entsteht, befand sich der Salat doch schon in seiner Marinade. Ich habe diese Vorliebe von meinem Großvater übernommen, der auch abends noch Reste vom mittäglichen Salat - dann bereits verfallen und schlaff - mit Genuss verkostete; ganz zu schweigen von den geruchsmäßigen und geschmacklichen Besonderheiten, die die eingekesselten Speisengewissermaßen im Nachgaren hervorbrachten. Sie kreierten Geruchsnischen, die Flaschengeistern gleich in der Tat die Kleinode, die Besonderheiten der großmütterlichen Küche offenbarten. Die Großmutter hatte in ihrer Jugend den Haushalt in einem großbürgerlichen Haus in Düsseldorf erlernt und versehen.
  • Und doch gerieten diese sinnlichen Geschmacks- und Geruchs-Feuerwerke nur noch zu Irrlichtern in einem Fluidum, das ich als olfaktorisches Inferno erinnere - ganz besonders im Sommer, wenn die Türe zur Stube weit offenstand und der spezifische Odem der Klärschlämmen alles andere dominierte. Was in bestimmten zeitlichen Abständen - in der rush hour kollektiver Biorhythmen stündlich - zu vollbringen war, lässt sich sprachlich nur sehr rudimentär und grenzwertig vermitteln. Es entzieht sich gänzlich der Vorstellungskraft von Menschen, die einen solchen Ort nie mit eigenen Augen, nie mit eigenen Ohren und Nasen buchstäblich in sich aufgenommen haben.
  • Es ist vollkommen angemessen an dieser Stelle das Mysterium auf die Spitze zu treiben, sich auch nach 60 Jahren noch selig geborgen vorzukommen, wenn dann das Unfassbare geschah. Zuweilen - und mit zunehmendem Alter - um so häufiger durfte ich an der Hand meines Großvaters die Schwelle zu den düsteren Hallen überschreiten. Näherte man sich dieser Halle, schwoll das Rauschen vernehmlich an - im Rückblick sicher nicht zum angedeuteten Trommelfeuer, aber eben zu einem Rauschen, verursacht von den verunreinigten Wassermassen, die Zug um Zug zuerst über grobe, dann immer feiner geschmiedete Eisenroste geführt wurden. Von grob bis fein lagerte sich auf diesen Rosten aller erdenkliche, kanalisierte Unrat ab - einschließlich der über Toilettenspülungen entsorgten Fäkalien. Die Aufgabe der Klärwärter bestand in der Entfernung dieses Unrats. Mit großen Schiebern wurde zuerst der grobe - in zweiten und dritten Arbeitsgängen - die feineren, verdichteten, schlammigen Rückstände zusammengerafft, zusammengeschoben, um dann mittels Schaufelarbeit in die zum Abtransport bereitstehenden Schubkarren verbracht zu werden. Die Schubkarren selbst wurden unterhalb des Bunkers entleert, dort wo sich der Unrat zu Haufen türmte, die dann in bestimmten Zeitabständen von Pferdefuhrwerken oder Lastkraftwagen zu ihrer weiteren Verwertung abtransportiert wurden.

Die städtische Kläranlage Bad Neuenahr war ein zentraler, tiefenwirksamer Ort meiner Kindheit. Das also sind Monumente akribischer Erinnerungsarbeit, die familiär selbstverständlich keines Wortes und keines Kommentars für würdig befunden wurden. Und was hätte man denn sonst mit ihnen tun sollen, als sie nachhaltig und konsequent zu verdrängen: Mein Vater/mein Großvater ist Klärwärter in der städtischen Kläranlage - das erwies sich doch als klamm-heimliches kommunikatives No-Go. Bei nicht vorbelasteten, durchaus an komplexen Sozialisationsgeschehnissen interessierten LeserInnen - so könnte ich mir vorstellen - könnten die vorstehenden Impressionen durchaus die Schwelle zu einer möglichen kommunikationsförmigen Reaktion auslösen. Und für mich ist inzwischen recht klar zu trennen, was von den folgenden lyrischen Verdichtungen sich den Absonderungen auf den groben Rosten verdankt (und beispielsweise im Sinne Carl Schmitts das Ergebnis politischen Vernichtungswillens ist) und was sich - im Sinne feinstofflicher fruchtbarer Schlemmen - auf den feinen und feinsten Rosten abgsondert hat.

Die Einschätzung, was sich von den folgenden lyrischen Verdichtungen auf den eher groberen oder den eher feingliedrigeren Rosten im Klärwerk abgsondert hat, überlasse ich den Lesern:


Beginnen wir mit mit dem erbärmlichen Krächzen einer schaurigen Krähe:


(3)

Hier krächzt der Krah -krah, krah, krah, krah

Hier krächzt der Krah - auch für ihn: Das Marschliedchen 2022

Krah, krah, krah
kräht unverdrossen die Krähe;
ich bin frech und schwarz.
ich ernte, ohne dass ich säe.

Krah, Krah, Krah
hier kräht der Krah,
bin mehr braun als schwarz
und ernte, was ich säe.

Der Krah sieht sich als Schmittchen
und faselt schon vom Großraum -
vom Freund zum Feind ist’s nur ein Schrittchen
der wahren Souveränität gilt Maxens Traum.

Umvolkung kräht der Krah!
Ich war mal schwarz und bin jetzt braun
hier kräht der Krah
und das klingt hart? Zieht höher den Zaun!

Du willst ernten, was du säst?
Im D…, im D… im Dummenland?
Selbst da wohl kaum, wenn sie doch sähen, was du säst.
Träum weiter nur von Lummerland!

Und doch: die Dummen feiern den Krah
sie zündeln und säen den Hass und das Gift,
während der Zorro verjiss, woröm er e Z in der Schnie eren schifft.
Un die, die alles, wat anders ess, stührt, die krächzen krah krah, krah krah –

Und über die lacht und amüsiert sich der Kra, Krah, Krah
Er lacht sich nen Ast, liest Jan Philipp Reemtsmas Verdikt
vom unaufhebbaren Nichtbescheidwissen der Mehrheit – und denkt: geschickt!
Die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber – krah, krah, krah, krah

Jawohl, so krächzt der Krah

 

Eine kleine Ergänzung zur Übelkrähe: Der Fuchs und der Rabe

Nacherzählung

Der Fuchs und der Rabe

Ein Fuchs entdeckte auf einem Baum einen Raben, der einen Käse im Schnabel hatte. Dem Fuchs lief das Wasser im Mund zusammen und er überlegte, wie er an den Käse herankommen könne. Er sprach zum Raben: „Oh du schönster aller Vögel! Welch schöne Gestalt du hast! Und welch prächtiges Federkleid! Unglaublich, welch schöne Farbe deine Federn haben! Wenn du auch noch so schön singen kannst, wie du aussiehst, dann musst du der König der Vögel werden!“ Der Rabe war entzückt über diese Schmeicheleien und wollte zeigen, wie schön er singen konnte. Er sperrte den Schnabel auf und begann zu krächzen: krahkrahkrah!!!!! Hier kräht der Krah!!! Da fiel der Käse herunter und der Fuchs, der ihn sofort schnappte, rief: „Oh Rabe, ich habe nur deine Schönheit gelobt, aber nicht deinen Verstand!”

Aufgaben:
1) Lies die Geschichte einige Male sorgfältig durch! Merke dir den Inhalt genau!
2) Leg nun den Text beiseite!
3) Schreib jetzt die Geschichte mit deinen eigenen Worten aus der Erinnerung auf! Beachte dabei folgendes:
· Du darfst nicht von der Vorlage abschreiben.
· Die Sätze müssen vollständig sein. Bloße Stichwörter sind nicht erlaubt.
· Verwende treffende Nomen (Namenwörter), Verben (Tuwörter) und Adjektive (Wiewörter)!
· Deine Geschichte wird schöner, wenn du an wichtigen Stellen wörtlich aufschreibst, was die Hauptpersonen der Geschichte sagen oder denken.

Und ganz zum Schluss: Überlege:

1. Was könnte der Fuchs mit dem Raben sonst noch anstellen?
2. Was würde der schlaue Fuchs wohl über eine Wählerin - einen Wähler denken, der einem so dummen Raben seine Stimme gibt - krah, krah, krah(:-)) - da freut sich der Krah,  da freut sich der Krah,  da freut sich der Krah? Oder?

(4)

Erich Kästner zu Ehren und uns zur Mahnung in Adaption seines Marschliedchens

Erich Kästners Marschliedchen wurde 1932 in der Weltbühne unter dem Titel "Denn ihr seid dumm" veröffentlicht. Ich habe versucht es zu aktualisieren- und war erstaunt, wie sehr Erich Kästner mit seinen Gedichten gegenwärtig ist. 1932 allerdings unterlag er leider - mit Blick, auf das, was da kam - einem fatalen Irrtum - das darf sich nicht wiederholen!

Marschliedchen 2022

Die Dummheit zog in Viererreihen (so zieht sie immer noch),
Heut schämt sich die Dummheit selbst der Dummen.
So dämlich wie ihr seid, mahnt sie euch zu verstummen
Statt Idioten gleich nach deutschem Wesen heut zu schreien.

Ihr kommt daher und wärmt die schalen Suppen,
In euren Schädeln haust ein brauner Geist,
Der euch verwirrt und alles mit sich reißt -
Nur nicht von euren Augen alle Schuppen!

Marschiert ihr nun in Chemnitz und in Halle…,
Ihr findet doch nur als Parade statt,
Denn das, was jeder da von euch im Kopfe hat,
Man nennt es Dum(pf)mheit wohl in jedem Falle!

Weil wieder predigt ihr den Hass
Und wollt die Menschheit spalten -
Statt schlicht an Recht und Ordnung euch zu halten,
Wähnt ihr das Volk zu sein und träumt vom völkisch-deutschen Pass!

Ihr habt die Trümmerwelt im deutschen Wahn vergessen,
Von Schuld und Sühne ist die Rede nie,
Ihr brüllt nach deutscher Größe selbstvergessen;
Ich hoff, ihr schießt euch nur ins eigne Knie!

Ihr wollt die Uhren rückwärts drehen
Und stemmt euch gegen die Vernunft.
Dreht an der Uhr und doch: die Zukunft
wird euch als ewig gestrig sehen!

Wie ihr’s euch träumt, wird Deutschland nicht erwachen,
Denn ihr bleibt dumm, nicht auserwählt!
Die Zeit ist nah, da man erzählt:
Das war’s: ein Staat ist mit Idioten (und auch der AfD) halt nicht zu machen!

 

(5)

Wie kann das sein?
(Erläuterungen unter diesem Link bzw. im Anschluss)

1) Wie kann das sein?
Mein Kopf sagt nein!
Mein Herz will schrein!
Wir sind die Enkel jener Schinder,
deren widerlichster sprach: zuerst die Kinder!

2) In Posen nahm er sie beim Wort
und sprach von Anstand vor den Schloten;
sie schufen jenen Ort,
belebt von Henkern und von Toten.
Sie hielten sich daran und töteten (zuerst) die Kinder!

3) Die Herrenrasse sagt: der Freund! - der Feind!
Und Carl, der Schmitt, ermuntert sie, das Fremde auszumerzen.
Der Herrenmensch marschiert im Wahn vereint
enthemmt, bar jeder Regung noch im Herzen.
Er mordet, was im Wege steht und tötet immer auch die Kinder - (zu allerst) die Kinder!

4) Und Schinder wachsen nach – aus BluBo und aus BrauSi.
Der Abschaum pflanzt sich fort, gebiert den Bastard,
der tackert sich die Ahnentafel auf die Stirn;
hat ne Kloacke dort, wo andre haben Hirn.
Wer glaubt, dass die mal waren Kinder?

5) Nie Wieder! Wer versteht das nicht?
Spricht R v Wdoch von Befreiung!
Und Willy Brandt kniet nieder und bittet um Verzeihung;
bekennt sich zu den Grenzen – zum Gewaltverzicht!
Wie kommen BluBo, BrauSi in das Hirn verführter Kinder?

6) Wenden wir’s mal kämpferisch mit Kästners Erich!
Der dichtete – bevor die Erste Republik zusammenbrach – das Marschliedchen.
Und irrte sich fatal, der Kästner Erich!
Denn die SS marschierte bis nach Stalingrad und Auschwitz hörte ihre Liedchen.

7) Wir machen's besser – ein Ruck geht durch die Republik.
Nie wieder? Ja, das ist wohl heute, wir machen es publik!
Wir hören noch den Kästner rufen – nach über neunzig Jahren
und sind uns sicher, dass wir wachsam und auch klüger waren!

 

Kleine Verstehens- und Erklärungshilfen (alle Hervorhebungen - farblich und fett FJWR):

Erste und zweite Strophe:

Mit dem widerlichsten Schinder ist Heinrich Himmler gemeint, der in Posen 1943 die ungeheuerlichste und zugleich widerwärtigste Rede gehalten hat, in der er die an der industriellen Massenvernichtung aktiv Beteiligten belobigte für die Tatsache selbst im Angesicht dieser Tötungsorgien anständig geblieben zu sein. Zu einem tieferen Verständnis des Holocaust ist es hilfreich Unterscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, die Zygmunt Bauman - ein polnisch-stämmiger Soziologe, der in England lehrte, vorgenommen hat (hier: Leben in der flüchtigen Moderne, Frankfurt 2007):

Die Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten wurden in diesem Sinne kollektiv und pauschal der Kategorie des homo sacer zugerechnet, zu Menschen also, deren Leben - wie Bauman zeigt - keinen Wert besitzen und deren Ermordung als moralisch bedeutungslos betrachtet wurde und daher straffrei blieb. Bauman argumentiert, dass hier der Staat für sich das Recht beanspruche, bestimmen zu können, wer in den Genuss gesetzlich verbriefter Rechte und ethischer Prinzipien gelange und wer davon auszuschließen sei. Im Sinne Carl Schmitts liegt genau darin ein Wesensmerkmal moderner Souveränität - souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt (siehe dazu Thomas Assheuser in der ZEIT 8/20, S. 54). Der Holocaust war nach allgemeiner Auffassung die extremste und radikalste Manifestation dieses Anspruches (vgl. Bauman, S. 76). Zygmut Bauman (S.77) zitiert John P. Sabini und Mary Silver:

"Betrachten wir einmal die Zahlen. Der deutsche Staat ermordete ungefähr sechs Millionen Juden. Bei einer Größenordnung von 100 Toten am Tag [also der Zahl der Opfer der berüchtigten 'Kristallnacht', dem von der nationasozialistischen Regierung organisierten Progrom gegen die deutschen Juden -Z.B.] hätte man dafür beinahe 200 Jahre gebraucht. Die vom Mob ausgeübte Gewalt beruht auf einer untauglichen psychologischen Grundlage, nämlich auf Emotionen. Man kann Menschen so manipulieren, dass ihr Zorn entfacht wird, aber man kann diesen nicht über 200 Jahre aufrechterhalten. Emotionen und ihre biologische Basis haben ein natürliches Verfallsdatum; jede Lust, selbst die Mordlust, ist irgendwann gestillt. Darüber hinaus sind Emotionen notorisch unbeständig und ändern sich rasch. Ein lynchender Mob ist unzuverlässig, er kann von Mitleid übermannt werden - etwa durch das Leiden eines Kindes. Um eine 'Rasse' auszurotten, ist es aber wesentlich, die Kinder zu töten."

Dritte Strophe:

Für die Ideologie der Nazis - und im Übrigen aller Despoten, insbesondere vom Zuschnitt Putins - ist eine Schrift von zentraler Bedeutung, die Carl Schmitt 1932 unter dem Titel Der Begriff des Politischen veröffentlicht hat (hier in der 7. Auflage bei Duncker&Humblot, Beron 2002). Dort ist unter anderem zu lesen:
"... so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen [...] Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können." (S. 27)

Hier haben wir die Blaupause für den Hitler-Stalin-Pakt vor Augen. Wir können aber auch sehen, dass man sich im Denken Schmitts und seiner Epigonen - heißen sie nun Hitler, Stalin oder Putin - letztlich auch nicht an geschlossene Verträge halten muss, denn "im extremen Fall sind Konflikte mit ihm möglich, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung (adé UN-Menschenrechts-Charta, FJWR), noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können". Wer kann also mit Putin verhandeln? Mit wem verhandelt Putin?

Gehen wir zu einer Passage über, die essentiell der Begriffsbestimmung des Politischen gewidmet ist. Wir können angesichts der obigen Unterscheidungen nicht nur erkennen, wie die schlichten Unterscheidungen Carl Schmitts zu brutalsten politischen Praktiken der Nazis geführt haben, sondern wir erkennen zugleich, wie sehr Putin und andere Despoten in die Schule Carl Schmitts gegangen sind:

"Das Politische muß deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an, daß auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder beispielsweise Rentabel und Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht. Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind." (S. 26)

Wem dies noch nicht deutlich genug ist, kann den damit definierten Begriff des Politischen mit Carl Schmitt durchaus noch schärfer fassen:

"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen." (S.28)

Und hört doch einmal den AfD-Rednern in den Parlamenten - gar nicht auf der Straße - zu, wie sehr sie gelehrige SchülerInnen Carl Schmitts sind:

"Die Begriffe Freund und Feind sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geisseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner." (S.28)

Wir können doch nun ein wenig deutlicher sehen, wieso Putin die verweichlichten westlichen Demokratien mit Häme überschüttet. In seinem System gibt es keine Konkurrenten und erst recht keine Diskussionsgegner mehr!

Vierte Strophe:

BluBo und BrauSi = Blut, Boden, Brauchtum, Sippe (die Wortschöpfung stammt von Niklas Luhmann: Nachruf auf die Bundesrepublik)

Fünfte Strophe:

RvW: Richard von Weizsäcker

 

(6)

Was errlauben Putin?
Putin ist ein Mörder* und bricht das Völkerrecht

Schon lange wütet er in meinen Träumen,
ich kann mich kaum erwehren,
er marodiert in fremden Räumen,
und niemand zwingt ihn umzukehren.

In meinen Träumen kehrt sich alles um:
Da steht der Mörder fest am Pranger
Sein Volk erhebt sich – fragt warum?
Und geht mit Umsturz schwanger!

Die Polonaise kommt endlich aus dem Tritt -
mit blutgetränktem Mörderschritt
greift er Nawalnja an die Schulter
und wird zu ihrem größten Schuldner.

Nawalny selbst nimmt Putin seine Kleider,
seht ihn euch an ganz nackt und fast mit Glatze.
Er bleibt Nawalnys größter Neider -
mit seiner hassverzerrten Mörderfratze.

Er nennt’s nicht Krieg
und tötet wahllos Frauen und auch Kinder;
träumt wohl vom (End-)Sieg,
wie einst die Menschenschinder. 

*Mord ist in Deutschland die vorsätzliche Tötung eines Menschen mit mindestens einem Mordmerkmal.
Zu den Mordmerkmalen zählen Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige 
Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit, gemeingefährliche Mittel und das Motiv eine andere Straftat zu
ermöglichen oder zu verdecken. 

(7)

H I S T A L I T L E R N - ein Anagramm

Ich hatte einen Freund –
früh in der Schule bis in die Achtziger;
Irgendwann war der erwachsen.
Wir hingegen traten an in Bonn -
im Hofgarten -
gegen das Gleichgewicht des Schreckens.

Dem misstraute auch er und setzte auf Stahlbeton!
In den Fördernischen des Bundes
und unter entstehenden Neubauten verschwanden Millionen.
Wir lachten uns einen Ast,
an dem wir gleichzeitig sägten.

In den Bunkern tauschte und erneuerte man Notrationen -
Doch irgendwann gab auch der Freund auf
und verfrühstückte mit uns die Friedensrendite.
Die Kriegseltern selbst
– vor hundert Jahren in das Minenfeld eines verfeindeten Europa hineingeboren –
mussten nicht einsitzen!
Die Bunker verfielen
und W e h r h a f t i g k e i tzog ein
in das Wörterbuch des Unmenschen.

Der Unmensch hingegen
marschiert ein in den Vorhof des Westens.
Dem Vorhof maßloser russischer Großmannssucht
haucht er nun sowjetvergifteten Odem ein -
mit seiner hochgerüsteten Kriegsmaschine.

Eine von Hybris geschlagene Regionalmacht
mit militärischem Krebsgeschwulst
– karzinös bis in die die letzten Hirnareale –
verbrennt Russlands Schätze und seine Seele.

H I T L I T L ER N

nennt man jene Doktrin:
Polizeistaat und Friedhofsruhe nach innen –
Kriegsterror und Ausdehnung der Friedhöfe nach außen!

Wer vermag denn hier noch mit Herz und Verstand
Gut undBöse
zu leugnen?
Wie gewissenlos und machtversessen –
Raketen und Panzer gegen wehrlose Bürger eines freien Landes zu senden?
Und dann noch bass erstaunt sein,
dass die ukrainische Post Leichensäcke Richtung Moskau verschickt!?

Steht auf, Ihr russischen Mütter und zündet die Bomben in Euch!
An Eurem Gift und Eurer Galle mögen Putin und seine Generäle verrecken.
Steh auf, russisches Volk und jagt sie zur Hölle –
die Oligarchen,die Euch betrügen
um Euren Reichtum und Eure Ehre.

Ach was –
wir senden Flugblätter über Russland,
wie einst die Weiße Rose über Deutschland!
Und fragen:
Seid ihr noch jenes Kulturvolk,
dessen ihr werdet gerühmt?
Oder ergebt ihr euch wehrlos jener verantwortungslosen,
von dunklen Trieben geleiteten Herrscherclique?

Schämt ihr euch nicht eurer Regierung?
Ahnt ihr denn nicht das Ausmaß der Schmach,
Das über euch und eure Kinder wird kommen,
Wenn einst der Schleier von euren Augen fällt?

Seid ihr denn in eurem tiefsten Wesen schon so korrumpiert und zerfallen,
Dass ihr – auch ohne eine Hand nur zu rühren – euren freien Willen preisgebt?
Die Weiße Rose war gnadenlos mit einer geistlosen und feigen Masse,
Und meinte, sie verdiene den Untergang.

Wenn jeder warte, bis der andere anfange,
Dann rückten die Götter der Rache näher und näher.
Daher müsse jeder einzelne sich wehren – so viel er könne;
Arbeiten wider die Geißel der Menschheit,
Wider den Faschismus
und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates.

Seht das leuchtende Beispiel Marina Owsjannikowas;
Leistet passiven Widerstand,
Widerstand, wo immer Ihr auch seid,
Verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine,
Ehe es zu spät ist!
Ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind,
Und ehe die Jugend des Volkes irgendwo für die Hybris eines Untermenschen verblutet ist.

Vergesst nicht, dass jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt!

Die letzten fünf Absätze in Anlehung an das erste Flugblatt der Weißen Rose!

Vielleicht sehen aber viele RussInnen die gegenwärtige Entwicklung voller Dankbarkeit - ähnlich, wie Natasha from Russia?

 

(8)

Drei Unheilige aus dem Abendland Teil I und Teil II

Teil I

Wladimir, wir kommen – wir kommen aus dem Abendland:
Wir bringen ein Plakat: Frieden schaffen ohne Waffen!
Und wir bringen Dir das verbriefte Recht auf Widerstand
mit der Anleitung zum Tyrannenmord
.

Wir bringen Dir noch mit die unheilige Sahra mit Knecht und Wagen;
auch sie kommt nur noch mit gekreuzten Beinen und sprach von Kriegsverbrechen.
Doch wir sind bereit zum Gang nach Canossa - (nur Sahra bleibt dein Wagen-Knecht).
Auf Knien kriechen die Pazifisten die Stufen zum Kreml hinauf und bitten Dich um Gnade!

Komm zurück an den Verhandlungstisch und erklär uns Dein Begehr!
Aber mach Dich ehrlich – auch vor unser aller Sekretär, dem heiligen Antonio Guterres:
Er fragt Deinen unsäglichen Lügenchef – den Lawrow:
„Sehen Sie einen einzigen ukrainischen Soldaten auf russischem Boden?“

Auf dem Boden des Völkerrechts wollen wir verhandeln:
Wir wollen wissen, wem die „militärische Sonderoperation“ dient? Und:
Wir wollen wissen, wo sie sind – die russischen Fahnen und die Massen
auf ukrainischem Boden, die euch als Befreier empfangen und bejubeln?

Mit wieviel tausend Raketen hast Du die Befreiung vorangetrieben;
die Befreiung von Dächern über dem Kopf und schützenden Wänden?
"Warum lässt Du uns bluten, frieren, hungern und sterben –
Deine Brüder und Schwestern im Westen?"
So fragen die Alten, die Jungen, die Kinder,
selbst die Soldaten im Land – der Ukrainer?

Und als sei es noch nicht genug mit Bomben und Raketen –
lässt Du die Bluthunde von der Leine!
In den Vororten von Kiew und überall,
wo Deine Soldaten verrohen,
zerbrochen im Sinnverlust,
um dann zu morden, zu demütigen, zu plündern, zu vergewaltigen und zu marodieren!
Welche Werte vertrittst Du dort,
wo Deine Soldaten wahllos töten und Gewalt verbreiten?

Nawalny kommt nun in die Kinos,
in unsere Wohnzimmer,
während er in Deinem Straflager darbt.
Aber er kommt nur zu uns!
Dein entmündigtes Volk im Land der gleichgeschalteten Medien übt sich im Ja-Sagen.
Hundertschaften von Sicherheits-Personal halten es unter der Knute,
sperren alles weg und knüppeln alles nieder,
was der Staatsraison in die Quere kommt.

Traust Du Dich – ganz alleine (ohne Deine Schutz-Staffeln) hinzutreten vor die Mütter und die Frauen,
denen Du die Söhne und die Männer nimmst!
Wofür?
Wofür mussten Jurij und Jewgenij sterben?
Wer ist Dein Feind?
Er tobt in Deinem Kopf,
der nun platzt vor lauter Großmannssucht!
Komm doch wieder nach Dresden,
komm wieder zu uns und lerne Dich zu bescheiden!

Du hättest Russland, Dein Russland zu blühenden Landschaften hinregieren können!
Nun platzen die Träume so vieler –
nicht nur in der Ukraine;
alle verlieren, keiner gewinnt!
Mein Freund trägt das Banner:
Frieden schaffen ohne Waffen!
Was magst Du ihm sagen?
Enttäusch ihn nicht!
Ich hoffe, er hat Erfolg,
und ich kann weiter der Weißen Rose die Ehre erweisen,
ohne ihren Aufruf zum Tyrannenmord zu verbreiten!

Aber natürlich weißt Du,
in wie vielen Köpfen die Phantasien blühen,
die Dich gern am Galgen sähen.
Auch ich wüsste Dich dort gern und sicher.
An Deinen Händen klebt das Blut der Deinen und der anderen.
Nach dem Recht der Völker darf das nicht ungesühnt bleiben.
Ja, Du säßest in Nürnberg, dort wo Nazis sich verantworten mussten.
Es ist der blanke Hohn,
wenn gerade Du von Entnazifizierung sprichst!

Selbst in Israel schreit man auf, wenn Lawrow seinen Kopf durch eine Kloake ersetzt
und Selensky als personalisierte Zielscheibe damit verteidigt,
dass auch in Hitler jüdisches Blut geflossen sei.
Ihr Russen zeigt uns heute den erneuten Niedergang der Menschheit und ihrer Werte,
wenn ihr den wahren Nazis folgt:
Gleichschaltung,
Ausschaltung,
Polizeistaat,
Unrechtsstaat,
Führerkult und Demagogie!

Die Scham ist eine anthropologische Konstante,
eine Mitgift aus frühesten Menschheitstagen.
Und ihr glaubt sie mit euren Taten ausmerzen zu können?
Es ist ja nicht nur der Wettbewerb der Ideen und der Respekt vor den Ideen der Besten,
die Euch ein Dorn im Auge sind –
nein, selbst Eure Soldaten,
die für Euch kämpfen sollen,
dürfen nichts sehennichts hörennichts sagen, was der Wahrheit nahe kommt.
Seid ihr das Volk der drei Affen?

Aber die Welt kann es sehen –
rund um den Erdball.
Das haben wir den Nazis von damals voraus:
Ja, es verbietet sich (noch) jede Analogie zu Auschwitz,
zum industriellen Massenmord;
er bleibt singulär (noch).
Hütet Euch vor einem erweiterten Suizid –
er bedeutet das Ende.
Kehrt um und kehrt zurück in den Schoß der Völker –
beendet den Völkermord!

Selbst unser Volk,
das die  ungeheuerlichsten Verbrechen verübt hat
– den kategorialen Mord –
hat die Gemeinschaft der Völker wieder aufgenommen.
Es ist noch nicht zu spät.
Kehre um Wladimir, besinne Dich,
denk an Deine Verkündung vom Ende des Kalten Krieges vor zwanzig Jahren
– noch ist es nicht zu spät!

Ach ja!
Wir haben Dich gesehen mit Osterkerze und Leichenbittermiene
- an der Seite Deines Adlatus Kyrill.
So haben wir das Jesuskind gebeten uns zu begleiten
- und wahrlich ich rate Dir:
Zieh Deinem Kyrill einen Keuchheitsgürtel an,
denn sonst wird ihm das Jesuskind mit seinem zahnlosen Mündchen die Eier abbeißen
- ihn aus dem Tempel jagen wie weiland die Pharisär!

Und was glaubst Du wohl wird er mit Dir machen?
Glaubst Du, er wird Dich in seine Arme schließen,
hoffst Du auf seine Gnade, die bei Gott ist und seinem einzigen Sohn?

So schrieb ich schon am 4. Mai des Jahres 2022 nach Christi!


Teil II -

Nun ist es zu spät!

Ein halbes Jahr später schreien Jurij und Jewgenij immer noch,
dass deine Trommelfelle platzen müssten!
Doch nun holen dich auch die Lebenden ein -
Pawel Filatjew
führt die Garde der Deserteure an und kanzelt dich ab:
"Wir hatten kein moralisches Recht, ein anderes Land anzugreifen,
noch dazu das Volk, das uns am nächsten steht..."
Aber deine Trommelfelle sind ja geplatzt -
und aus deinen Ohren rinnt das letzte bisschen Hirnschmalz,
das dir geblieben ist.

Erbärmlich schrumpft das Häuflein derer, die dir noch die Hand reichen -
verkommene Mullha-Greise an erster Stelle.
Auch sie waschen ihre Hände jeden Tag nicht in Unschuld, sondern in Blut.
Und wenn die Welt sehen will, warum Gewaltherrscher immer im eigenen Blut verenden,
dann schaut sie nach Moskau genauso wie nach Theran.

200.000 zwangsverpflichtete Rekruten werden verbluten -
zittern und frieren nicht nur vor Kälte!
Im Sinnverlust, im Verlust jeglicher Motivation
werden sie ihre Führer eines Besseren belehren und müssen denken:
"Wenn du alles hinwirfst und gehst, wirst du zum Feigling und Verräter.
Wenn du weiter mitmachst, zum Mittäter am Tod und Leid von Menschen." (Pawel Filatjew)

Schwant dir nun endlich der Unterschied zwischen Großmannssucht, Terror und Gewalt
(für die dein Regime steht)
und der ewigen, unstillbaren Sehnsucht nach Freiheit
(auf dem Boden von Rechtsstaat und Gewaltenteilung)?
Frag Deinen braunen Darmparasiten Kyrill,
ob man des Nächsten Hab und Gut begehren darf -
und mehr noch einfach okkupieren, bombardieren, traktieren, massakrieren, annektieren!
Aber die Antwort schert den Antichristen mit der Osterkerze in der Hand selbstverständlich einen Dreck -
so wie der ganze Dekalog!

Dass Putin auch Schmittchen heißt,
und Carl der Große Schmitt sein Patenonkel ist -
den Rechten ist es recht und alle anderen sollten es begreifen.
Richard David (seines Zeichens der Gekränkte) -
und der von mir so verehrte Harald (Selbstnachrufer)
 -
schwafeln von Selbstgleichschaltung!!!
Und meinen beileibe nicht russische Verhältnisse,
sondern Bernd Ulrich, Robin den Alexander und Amanns Melanie
und wie sie alle heißen da drinnen!?

Nun bekenne auch ich,
dass ich dem Geist und dem Ethos der ukrainischen Armee von Beginn an all das gewünscht hätte,
was sie der Armee des Aggressors auf Augenhöhe hätte begegnen lassen.
Beileibe -
kein russischer Soldat stünde heute noch auf auf ukrainischem Boden.
Die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung,
hätte - selbst im Ungleichgewicht der Kräfte - längst obsiegt!

Seht her, ihr Despoten dieser Welt:
Carl Schmittchens Welt,
geteilt in Freund und Feind, wird untergehen -
homo homini lupus braucht eure toxischen Phantasien,
in denen ihr von der Weltherrschaft träumt.
Wir brauchen hingegen die Solidarität der Völker zur Rettung all dessen,
was ihr mit Füßen tretet.
Also hört, ihr russischen Frauen und Männer:
Schickt eure Despoten und Oligarchen in die Wüsten!

Kehrt um in den Schoß der Völkergemeinschaft -
lernt wieder das freie Atmen, so wie das freie Wort,
überlasst der Angst nicht die Regie - schaut in den Iran.
Der Muff der Talare wabert auch in eurem Kreml.

Und hört Pawel Filatjew:
"Ich hatte keine Angst vor dem Krieg in der Ukraine,
aber es tat mir weh, dass  ich nichts ändern konnte.
Aber ich habe Angst diesen Text in meinem Land zu veröffentlichen,
meine Meinung zu äußern, denn man darf in Rußland nicht mehr die Wahrheit sagen...
Die glückliche Zukunft unseres Landes rückt in immer weitere Ferne. NEIN ZUM KRIEG!!!"

 

(9)

Georg Ringsgwandl - Nix mitnehma

Seit Jahrzehnten bin ich ein Verehrer und Anhänger von Georg Ringsgwandl (siehe: Nix mitnehma und die Sterbe-App). Des Bayrischen bin ich nicht mächtig. Und so wird meine Adaption mit Blick auf Wladimir Putin eher holprig daherkommen. Gleichwohl könnte ich mir vorstellen, dass eine entsprechende Korrektur und Erweiterung durch den Meister höchstselbst eine sinnvolle Ergänzung bedeuten könnten. Andererseits kann der Georg Ringsgewandl das so unglaublich viel besser, dass mir in aller Bescheidenheit nur die Feststellung bleibt, dass er den Putins, Assads, Lukaschenkos, Trumps, Bolzenaros und Orbans ja mit Nix mitnehma ohnehin die Leviten liest - dazu bedarf es eigentlich nicht einer einzigen Zeile der Ergänzung! Georg Ringsgwandl in der NDR-Talk-Runde (:-)

Allen Despoten und Gewaltherrschern dieser Welt

Hey, du konnst der Chef sei im Kreml,
der treimt von der Rus,
du konnst den Kilometer im Quadrat
bezohln mit dem Lebn von 1000 Soldat,
des konnst du net mitnehma,
naa, des konnst du net mitnehma
Frog omoi an Deifi, frog an liabn Gott,
und der sogt –net mitnehma!

Hey, du konnst di bejubln lassa von die Dummen,
du konnst horten im Bunker Milliardensummen,
du konnst Präsident sei, mit nem Dutzend
Oligarch im fetten Oarsch!
Die konnst du net mitnehma,
naa, die konnst du net mitnehma.
Frog omoi an Deifi, frog an liabn Gott,
und der sogt –net mitnehma!

Hey, du konnst verzölln vom Feind, dem Faschist,
du mogst lüagn, betrüagn wie an Sophist,
du konnst herrschen mit Luag und mit Truag,
mit Gulag und brutaler Gewalt.
Frog omoi an Deifi, frog an liabn Gott:
Wie vuile seit Louis seize sahn das Schafott?

Schafott reimt sich auf Gott, den liabn, liabn Gott
und nett auf Patriarch - Kyrill den falschen Arsch.
Den konnst du mitnehma - auf's grausliche Schafott
mitnehma - mitnehma - mitnehma - mitnehma
und beten mit ihm oll die Weil zum liabn, liabn Gott.

(10)

Alexej Nawalny ist tot!
Drei Unheilige aus dem Abendland - Teil III

Er hat seinen eigenen Tod billigend in Kauf genommen;
ein Opfer, das gegenwärtig vergebens erscheint.

Auch wenn wir wissen,
dass ein Gemeinwesen ohne Freiheit
den Erstickungstod stirbt,
bleibt uns mit Blick auf Nawalny nur die Trauer.

Michael Thumann spricht von "orchestrierter Aggressivität"
jenes Mannes, der "aus Paranoia und Allmachtswahn
nun Jagd auf Blumen machen lässt".

Und wir lesen vom fortgesetzten Blutbad der Putin-Russen - und fragen:
gibt es denn noch andere (Russen)? Ja: wir lesen von Morden
an Sergej MagnistkiBoris Nemzow und selbst an Jewgeni Prigoschin.
Und wir fragen:
Wie lange lebt wohl Wladimir Kara-Mursa noch?

Ungezählt bleiben die Namenlosen,
die Putin und seinen Speichelleckern die Stirn bieten (und in Gefängnissen und Stalags verschwinden).

Schweigen - schreibt Thumann - ist die erste Untertanenpflicht,
den Autopiloten auf Radikalisierung geschaltet -
folgt härter auf hart, und krasser auf krass!
Putin - umgeben von einem Heer von Speichelleckern.

Thumann spricht von "eiskalter Landnahme" - nach Putin - historisch russischer Gebiete schon 2014.
Vor den Augen aller Welt demütigt Putin im beginnenden Jahr 2022 die Führer der freien Welt,
lässt sie am langen Tisch verhungern, bevor er den großen vaterländischen Krieg beginnt:

  • mit Massakern
  • Massenbombardements
  • der Entvölkerung ganzer Städte
  • der Entführung von Zehntausenden Kindern

Was lässt uns hoffen?

Vielleicht die letzten Zeilen in Michael Thumanns Artikel?

"Putin wusste - 2008 - dass der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili sehr verwundbar war
    und griff an.
Putin wusste 2014, wie schwach die Ukraine dastand
    und annektierte die Krim.
Er wusste 2015, dass sich Barack Obama aus dem nahen Osten zurückziehen wollte,
    und intervenierte in Syrien.
Er wusste 2021, dass Nawalny bei seiner Rückkehr nach Russland wehrlos war,
    und schickte ihn ins Straflager.
Erst beim Überfall auf die Ukraine 2022 verrechnete er sich
    vielleicht nur vorübergehend.

Europa und der ganze Westen müssen also nicht gelähmt auf Putin schauen, bis er zuschlägt.
Sie selbst haben es in der Hand, wie wehrlos oder wie gewappnet sich Russland gegenübertreten.
Daraus wird Putin seine Schlüsse ziehen
."

(11)

Der Friedensmaler von Frederik Vahle (1983)

Der Friedensmaler von Frederik Vahle (1983)

Da war ein kleiner Junge, und der lief hinein ins Haus
und packte in der Küche seine Zeichensachen aus.
Er saß da, wo man immer den Himmel sehen kann,
nahm Pinsel und nahm Farben und fing zu malen an.

Er malte in den Himmel eine große Sonne rein.
Darunter auch zwei Menschen, einen groß …
    und einen klein.
Und neben diesen Menschen fing er zu schreiben an.
Er schrieb mit sehr viel Mühe, dass man’s
gut lesen kann.

Immer soll die Sonne scheinen!
Immer soll der Himmel blau sein!
Immer soll Mutter da sein!
Und immer auch ich!

Aus diesen Kinderworten, da hat zu später Nacht
`ne Frau mit viel Musik im Kopf ein kleines Lied gemacht.
Das Lied kam bis nach Frankreich. Yvonne
    und auch Madeleine,
die sangen es zusammen sehr deutlich und sehr schön.

Gardez-nous le soleil!
Gardez-nous le bleu du ciel!
Gardez-nous ma mère en vie!
Gardez-moi mon avenir!

Das Lied kam nach Amerika und über den Ozean.
Ein Sänger, der Pete Seeger hieß, der fing zu singen an.
Er sang für den Frieden in der Welt,
    für den Frieden in USA.
Und die Kinder sangen es alle mit, weil das
    auch ihr Lied war.

May there always be sunshine!
May there always be blue skies!
May there always be mama!
May there always be me!

Doch einmal fragten die Leute: Wo lebt er,
    in welcher Stadt,
der Junge, der diese Worte zuerst geschrieben hat?
Der Junge lebt in Moskau. Sein Vater fiel im Krieg,
und er hatte in seiner Sprache die Welt
    und den Frieden lieb

Pust fsegda budjet sonze!
Pust fsegda budjet njeba!
Pust fsegda budjet mama!
Pust fsegda budu ja!

Immer soll die Sonne scheinen!
Immer soll der Himmel blau sein!
Immer soll Mutter da sein!
Und immer auch ich!

Eine Ergänzung und Aktualisierung aus gegebenen Zeiten

Doch in Moskau, da herrscht Putin mit Terror und Gewalt.
Er schickt die Söhne Russlands zu morden im Bruderland.
Er tötet auch die Kinder, wie einst die braunen Horden.
Und ehrt die Brust der Schergen mit blutgetränkten Orden.

Er träumt wie einst der Führer und Russland soll erstehn
und wird dabei zum Mörder, wir alle könn‘ es sehn.
Er faselt von Faschisten die Menschheit zu befrein -
ist selbst Faschist und sperrt die Freiheit ein.

Und wieder fragen die Leute: Wo lebt er
in welcher Stadt,
der Junge, der diese Worte wohl heut im Kopfe hat?
Der Junge lebt in Kiew. Sein Vater fiel im Krieg
und er hat in seiner Sprache die Welt
und den russischen Jungen lieb.

So besinnt euch ihr Despoten – ihr Despoten überall:
Welche Ziele sind das Leben von unseren Kindern wert?
Besiegt euch selbst und den Terror auf der weiten Welt
und lasst die Waffen schweigen, damit der Frieden hält.

Endlich soll die Sonne scheinen,
endlich soll’n die Waffen schweigen,
endlich soll’n die Kinder frei sein
von Angst und auch von Not.

Lasst uns aufstehn und uns wehren!
Lasst uns sehen und erklären
wer die Freiheit bedroht
mit Gewalt und mit Tod!!!

(12)

N i m b y - Not in my back-yard oder: Sankt Florian wird uns schon retten
(Der gesamte Kontext und Erklärungen hier)

Wir saßen (bei Herby) im Café
und tranken klares Wasser.
Wir fingen an zu grübeln und hatten nichts im Tee.
Zuletzt entstand der Eindruck, ich sei ein Menschenhasser.

Es waren nur drei schlichte Fragen,
und doch ging es um Kopf und Kragen:
Kommt der Strom nur aus der Dose und das Wasser aus dem Hahn?
Und die Freiheit zu Bleiben und zu Gehn, ist nicht nur leerer Wahn?

Da rief von Malle Pinkwarts Omma* übers warme Meer:  *(im Link Zeitleiste: 35:48 ansteuern)
Freitag, Samstag ist hier alles dicht - kommt doch alle her.
Layla ist schon da und viele ihrer Freier,
hohl im Kopf, doch in der Hose dicke Eier.

Ich kann nicht, ruft Herr Schultz: Hab Land Sickness und fliege nach Korea.
Da ruft die Eva, die von Redecker: Bleibt doch alle hier!
Und du, Herr Schultz, denk an Medea,
bevor die (Groß)Mutter wird zum Tier!

Der Welt, in der, von der wir leben, sind wir egal.
Gleichwohl geraten Fluten, Dürren uns zur Mahnung,
und die Vergnügen werden schal.
Im Ahrtal hat man davon mehr als eine Ahnung.

Und doch gehn uns die Kleber auf den Sack,
bald gibt es Feuer unter Pflegebetten,
N i m b y - not in my back-yard - ruft das Pack,
Sankt Florian wird uns schon retten!


Eigentlich ist dies bereits Kommentar genug. Aber der Reihe nach:

Nimby ist vor etwa drei Wochen entstanden nach einem anregenden Gespräch mit meinem Freund Herbert und nach der Lektüre von Elisabeth von Thaddens Vorstellung Nikolaj Schultzens in der ZEIT (30/23 - Wie geht’s dem Ich?). Vergangene Woche dann die oben genannten Beiträge. Sehr spät – Ijoma Mangold mit seinem Verriss Eva von Redeckers. Es handelt sich um einen Totalverriss, der bereits im Titel Gestalt annimmt, wenn Mangold von totalitärem Bidermeier spricht. Ich habe keine Ahnung, wie der Vermögensstand und der Phantombesitz Ijoma Mangolds sich darstellen – und es interessiert mich im Übrigen auch nicht. Aber wer in der ZEIT an herausragender Stelle schreibt, dem sollte doch zumindest eine Intelligenzverkörperung zu eigen sein, die es erlaubt über den Tellerrand bildungsbürgerlicher Attitüden hinauszuschauen und Kontextbedingungen zu gewärtigen, die immerhin – um es zurückhaltend auszudrücken - Anlass zur Besorgnis geben. Es beeindruckt über alle Maßen, wenn Ijoma Mangold in pseudoliberaler Haltung – gewissermaßen in freiheitskämpferischer Attitüde – feststellt, Kapitalismuskritik habe schon immer einen Hang zur naturromantischen Regression an den Tag gelegt. Ihm ist zu wünschen, dass er auch in zwanzig Jahren noch in der Lage ist – natürlich in vollklimatisierten Redaktionsräumen - darüber nachzudenken, ob über dem Buch von Eva von Redecker tatsächlich ein Hauch von totalitärem Biedermeier lag. Möge ihm dann die frische Nordseebrise weder nasse Füße verursachen noch der fünfundzwanzigste Dürresommer in Folge ihm nostalgische Regressionsphantasien und -sehnsüchte nach einer gemäßigten Klimazone ins Herz hauchen.

Vermutlich ist es nicht üblich, dass auch ein profilierter Literaturredakteur zur Kenntnis nimmt, was ansonsten noch in der von ihm bedienten ZEIT-Ausgabe zu lesen ist. Die letzte Bemerkung Michael Sandels im Gespräch mit Elisabeth von Thadden hätte ihm vielleicht zu denken gegeben:

„Uns fehlt die Tugend der Demut. Sie ist es, die uns zu mehr Offenheit erziehen kann, die uns die Zufälle des Lebens erkennen lässt, die uns hilft, in unserem Gemeinwesen wechselseitige Verpflichtungen wahrzunehmen, die Erfolgsethik der Gewinner zu überwinden und gegenüber anderen großzügig zu sein.“

Zumindest hätte sie Mangold die Gelegenheit eröffnet, darüber nachzudenken, dass – wie Sandel meint – die liberale Idee von Freiheit vielleicht nicht zwangsläufig bedeutet, zu bekommen, was man möchte – und das um jeden Preis. Er hätte den Begriff des Phantombesitzes in diesem Sinne angemessener einordnen können und zumindest Sandels Argument erwägen können, in dieser Gestalt handele sich um eine verarmte Idee, da sie sich auf Konsumbedürfnisse beschränke, „ohne zu ergründen, ob sie geeignet sind, ein gutes Leben und das Gemeinwohl zu stärken“.

Bleibefreiheit in Sinne Eva von Redeckers bedeutet in der Tat einen Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmenwechsel erweist sich möglicherweise nicht nur in ökologischer Hinsicht als überlebensnotwendig. Wenn Mangold - und uns allen - nicht die Grundlagen für ein Leben in Freiheit um die Ohren fliegen sollen, dann gewinnt der Begriff des Phantombesitzes noch eine andere Färbung. Michael Sandel meint, wirtschaftliche Macht werde demokratisch kaum noch zur Rechenschaft gezogen:

„Die Ungleichheiten an Wohlstand, an öffentlicher Macht, aber auch an sozialer Wertschätzung sind so stark ausgeprägt, dass die Menschen sich nicht mehr als Bürger wahrnehmen, die ein gemeinsames Projekt verfolgen, über das sie miteinander öffentlich streiten. Sie nehmen sich nicht mehr als politisch handlungsfähig wahr.“ Und wählen dann AfD!

Ja, dann ist man möglicherweise auch bereit – oder auch dumm genug -, in der AfD tatsächlich einer Alternative für Deutschland zu sehen. All dies wird Robin Leutner wenig scheren. Es sei denn, seine Ballermann-Identität ist nur eine Facette im Spiel des „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“

Randbemerkung: Jemand wie ich – ein 71jähriger junger, alter Mann, der sein Leben gelebt hat – taugt nicht zum Moralapostel; Moral hat er allenfalls in ein Pflichtethos überführt, mit dem sich leben und sterben lässt. Und Jan Philipp Reemtsma mag man, wenn er von der unaufhebbaren Uninformiertheit der Mehrheit spricht, zurufen: Steig ab von deinem hohen Ross! Gleichwohl hat seine Perspektive etwas Bestechendes, liest man Martina Kix‘ Erkenntnisse darüber, "wie aus Layla ein Protestsong wurde“:

  • DJ Robin ist ein self-made-man. Layla hat ihn in die Champions-League der Ballermann-DJs katapultiert mit entsprechender Ausstrahlung auf’s Festland der restlichen 16 Bundesländer. Martina Kix protokolliert: "Robin Leutners Gage pro Auftritt liegt bei 7000 Euro. In einem normalen Monat hat er etwa zehn Auftritte von Brake bis Schüttorf und spielt mindestens einmal pro Woche auf Mallorca und Lloret de Mar, manchmal auch in Kroatien oder auch in der Schweiz. Im vergangenen Jahr sei er zwischen Mai und Dezember 192-mal aufgetreten, sagt er. >Ich bin kein Millionär, aber uns geht’s ganz gut damit.<“ (Ganz nebenbei bemerkt, ergeben 192 x 7000,- Euro immerhin 1.344.000 Euro – vor Steuern versteht sich, FJWR).
  • Robin Leutner - alias DJ Robin - führt uns vor Augen, wie eine von Michael Sandel gemachte Bemerkung ganz konkret zu verstehen ist. Wir sollten – so Sandel – nicht vergessen, „dass es biografische Zufälle und pures Glück gibt, die über Lebensläufe entscheiden“. (Diese Perspektive ist mir äußerst vertraut (:-) - Kurz vor Schluss I). Es gelte wahrzunehmen, „dass wir in Herkünfte, in Familien, in Nationen, in Infrastrukturen eingebettet sind, die unsere individuelle Handlungsfähigkeit erst ermöglichen und prägen. Ohne diese Einbettungen wären wir als Individuen nicht, was wir sind.“ Die Kurzbiografie Robin Leutners liest sich (wiedergegeben von Martina Kix) durchaus wie ein Tellerwäscher-Karriere – Ende offen: „>Ich bin mit Party-Schlagern groß geworden<, sagt er. Mit Songs wie Hey, wir wollen die Eisbären sehen oder dem Pur-Hitmix. Sein Vater Maik, Kanalarbeiter und DJ-Ötzi-Double, und seine Mutter Alexandra, Erzieherin, meldeten ihn gleich nach der Geburt im Faschingsverein an. >Ich war ein Vereinskind: Fußball, Handball, Faschingsprinz<, sagt Leutner in schwäbischem Singsang. Schon als Grundschüler habe er aufgelegt. >Ein Freund meiner Eltern war mein großes Vorbild. DJ Paule legte bei allen Geburtstagen auf<, sagt Leutner. Als der DJ an einem Herzinfarkt starb, wollte Leutner sein Werk fortsetzen. Er trug Zeitungen aus, um DJ Paules Witwe die Anlage abzukaufen. >Ich lieb es, die Leute zum Tanzen zu bringen.< Das glaubt man sofort, wenn man die Handy-Videos seiner alten Auftritte vor dem Layla-Hype auf Facebook anschaut.“ Und dann passiert Layla: „Als er den Song im März 2022 im Bierkönig am Ballermann das erste Mal spielte, passierte erst mal nichts. >Ich dachte, da lag ich wohl daneben. Das war’s dann<, sagt Leutner. Doch als er am nächsten Tag am DJ-Pult stand, skandierten schon Leute: >Wir wollen die Layla hören!< Er spielte den Song mehrmals in einer Stunde. >Alle sangen so laut mit, ich hörte die Musik gar nicht mehr<, sagt Leutner. Hinter der Bühne habe er dann geheult. >Ich wusste: Wir haben einen Hit<, sagt Leutner.“
  • Ein Lehrstück der Agenda-setting-Theorie: Die Währung heißt Aufmerksamkeit – Erst entsprechende Aufmerksamkeit generiert Kohle: „Zur deutschlandweiten Bekanntheit verhalf Layla nicht nur die legendäre Schinkenstraße, die Partymeile am Ballermann, sondern auch das Kiliani-Volksfest in Würzburg. Die Veranstalter verbannten Layla im Juli vergangenen Jahres von ihrer Playlist. Die Argumentation: In dem Lied werde der arabische Vorname Layla als Puffmama besungen. Somit sei der Text eine Diskriminierung, sagte ein Sprecher der Stadt damals. Ein Schützenverein in Düsseldorf schloss sich an. Plötzlich interessierten sich alle für die Moral eines Ballermann-Schlagers.“
  • Niveau lässt sich immer unterbieten: „>Den Text haben wir bei zwanzig Bierchen geschrieben<, sagt Leutner.“ Und im Übrigen ist alles doch ganz einfach und ganz schlicht: „>Layla reimt sich einfach auf ‚geiler‘, deshalb haben wir den Namen ausgewählt<, sagt Leutner. Nie wären sie auf den Gedanken gekommen, der Song könnte als sexistisch oder diskriminierend wahrgenommen werden. Er habe ihn sogar seiner Mutter vorgespielt, sagt Leutner. >Wir können den Vorwurf bis heute nicht nachvollziehen<.“ (sagt Leutner, hättest Du noch ergänzen müssen, Martina Kix).
  • Und dennoch: „Die gute Nachricht: Das ZDF hat ihn eingeladen, beim Mallorca-Fernsehgarten Die schlechte: Bumsbar, seinen neuen Song, darf er dort nicht spielen." Das ZDF zwischen Skylla und Charybdis.

Erklären muss uns jetzt Martina Kix noch, wie aus „Layla“ ein Protestsong wurde!

„Durch den Erfolg von Layla wurde die Schmuddelecke Party-Schlager plötzlich in den Mainstream gedrückt und mit einer neuen Gegenwart konfrontiert, die Cancel-Culture- und MeToo-Debatten führt. Weil sich der Ballermann dazu verhalten musste, wurde aus Layla ein Prostestsong, der Ballermann zu einer Protestbewegung gegen eine allzu textanalytische Wokeness. Layla diente als Freiheits-Chiffre derer, die nicht nur feiern, wie sie wollen, sondern die auch sonst nicht gerne auf etwas verzichten.“

Woke ist ein im afroamerikanischen Englisch in den 1930er Jahren entstandener Ausdruck, der ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus beschreibt (Wikipedia).

Wir lesen bei Martina Kix, dass jedes Jahr 2,4 Millionen Deutsche nach Mallorca fliegen – „viele nehmen die Hits, die dort in Dauerschleife laufen, wie Souvenirs mit nach Hause“. „Viele“, aber sicher lange nicht alle. Und wer sie nicht mit nach Hause nimmt, muss deshalb kein Spießer sein. Wer ist der Spießer? (Die nun folgenden Songzitate - in An- und Abführungszeichen - sind sämtlich dem Beitrag von Martina Kix entnommen; alles andere, jenseits von An- und Abführungszeichen, habe ich hinzugefügt):

„Der Zug, der Zug, der Zug hat keine Bremse
Döpp, döö-döö-döö-dööp
Döö-döö-döö-dööp“
und

„Anna-Lena kommt da, wo’s ihr gefällt“
und

„Lea, Lea, Lea im BH, die mach ich heute klar“

und ich sing:

„olé, olé, olé, dicke Titten“

(dazwischen gibt’s dann fette Fritten, FJWR(:-))

Und ich sing:

„Oral in den Kanal“,
„denn heute sind wir wieder bumsbar,
Geile Mädels, geile Jungs da.
Wir feiern heut‘ die ganze Nacht zusammen,
bis die Sonne wieder lacht und dann“ ?????

Dann gehn wir mit Ijoma auf die Straße
und singen frohen Muts:

„Wir wollen die Eisbären sehen“,
die kommen auch nach Malle -
in Grönland wird’s zu warm!

Und wer im Land bleibt
und sich redlich nährt,
der hat halt keine Eier,
der ist, der ist ein Biedermeier -
<pardon, ein Biedermann, ne Biederfrau>(:-)

Ijoma Mangold bekommt für seinen Versuch ein mangelhaft bis ungenügend. Er hat sich bemüht, aber es reicht nicht aus. Elisabeth von Thadden ist meine Heldin (schon immer). Und Martina Kix bekommt meine Anerkennung für einen Beitrag, den sie recht souverän zwischen Skylla und Charybdis hindurchgesteuert hat.

 

(13)

SolidAHRität –
im Nachgang zur Flutkatastrophe am 14.7.2021

Vier Flaschen – rot und weiß;
verleihen den Gedanken Flügel,
sie zähmen manche Wut,
und nähren wieder Mut.

Die hohen Lieder sind gesungen,
Vom spitzen Kopf fliegt wieder mal ein Hut.
In allen Lüften war Geschrei
und zeugt vom Wechsel der Gezeiten.

Der Sturm ist da,
die wilden Wasser springen,
sie reißen Dämme ein.
Und Menschen sah man weinen
am Abgrund steh‘n
vor eingestürzten Brücken.

Wir sehen der Gezeiten Wechsel:
auf Wut folgt Mut und nochmals Mut
um zu verbinden alle Tapfern
- nicht nur an Erft und Ahr.

Es sind die Taten,
die viele nun ermuntern.
Und (des Dechants) Worte trösten Seelen,
verleihen Menschen wieder Kraft.

Wir schlagen neue Brücken,
verbinden wieder Ufer,
erinnern uns der Worte in der Not:
Wer redet ist nicht tot!
(auch wenn die Flammen züngeln
und die Wasser gurgeln schon sehr um unsere Not).

(14)

Was mögen die Müllmänner denken

(dieses Gedicht findet ihr - neben vielen anderen - in der Mohnfrau Koblenz 2010)

Was mögen die Müllmänner denken,
Wenn die Tonnen vor Windeln bersten?
Um Deutschland scheint es bestens bestellt
Es poppt sich in eine neue Kinderwelt?

Kämen sie auf die Idee, genauer hinzuschauen,
Dann würden sie merken –
Das müssen recht große Kinder sein,
High-Tech-bewindelt
Mit 2-Liter-Fassungsvermögen.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder"
Geht an der Sache vorbei:
Kinder wachsen hinein in die Welt
Und in die Welt der Sprache.

Die großen Kinder hingegen
Stürzen hinaus
Und hinein in den Alptraum,
„Die Krankheit zum Tod".

Wir fallen mit ihnen
– Noch nicht so ganz,
Wenn wir flechten
Aus Windeln den Ehrenkranz.

 

(15)

Xenophobie oder: Bleib doch!

nach dem Schlüsselmonolog von General Harras in Carl Zuckmayers:
Des Teufels General, in: Stücke 2, Frankfurt 1976, Seite 149

Es regt sich sanft das Leben
im milden Schein der Sonne.
Frühjahr schon -
kein Sommer;
zaghaft und nicht wild,
nicht fett und satt.
Nur stiller Hunger,
der noch weiß,
wie Fremdes schmeckt.
Nicht drängend,
eher zart, für sich.
Denn Fremdes bleibt nicht fremd.
Aber einfach weiterrudern?
Achtet ihr das Fremde,
ehrt es auch?
Ist’s doch euer Leben.
Wisst ihr denn,
was Inzucht wirklich ist?

Xenophobia!

(16)

Don’t ask – don’t tell

Die Welt kommt zu uns
(manchmal auch als Flaschenpost*),
macht sich in uns breit,
sinkt ab in Fühlen und in Habitus.

Die Quellen gründen tief,
aus denen Lebenswasser quillt,
geklärt durch Denk- und Fühlverbote.

(Nur wenn ein Damm bricht vor der Zeit,
macht sich zuweilen Flut und Feuer breit,
zerreißt das dünne Eis der Contenance.)

Danach und manchmal auch zuvor
hilft uns dann Therapie
im Suchen und im Finden einer Sprache.

Und Sprache findet (manchmal) zaghaft ihren Weg
viel seltener die passende Adresse -
Für’s Zuhören wird ja nun gezahlt!

Wenn’s  jenem Urgrund mangelt an Vertrauen,
wenn Schmerz und Kränkung Fundamente bauen,
versagt man sich das Fragen -

und das Erzählen wohl erst recht!
Kommt, reden wir zusammen (schrieb Gottfried Benn**) -
wer redet, ist nicht tot!

Und wusste wohl: es züngeln doch die Flammen
schon sehr um unsere Not – und warnt:
Kommt öffnet doch die Lippen,

so nah schon an den Klippen
in eurem schwachen Boot.
Nur wer redet, ist nicht tot!

*im Link letzter Absatz - grün hervorgehoben

**Gottfried Benn, Gesammelte Werke - Gedichte (Limes Verlag), Wiesbaden 1963, S. 320

Meine Weihnachtsgeschichte 2024 (hier: die bebilderte Version aus 2023)

Vorbemerkung:

Bevor ich nun auch 2024 zum wiederholten Male meine Weihnachtsgeschichte anhänge, gibt es aktuell Trauriges und im Traurigen Versöhnliches zu berichten:

Am 3. Dezember 2023 – vor gut einem Jahr - haben wir im kleinen Kreis den 86sten Geburtstag meines Schwagers – (des ersten Mannes meiner Schwester) gefeiert. Den 87sten Geburtstag vor wenigen Tagen haben wir in der „Kleinen Perle“ in Bad Breisig begangen – jeder auf seine Weise, verteilt über den Tag (oder auch im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld eben durch Besuche im Pflegeheim). Der Jubilar hat im September 2024 einen Schlaganfall erlitten. Nach seiner ReHa bekam er einen Platz in besagtem Pflegeheim. Die große Familie betrachtete es als großes Glück und Segen, dass meine Schwester und mein Ex-Schwager sich eingehend versöhnt hatten, dass alle Reste von Hader und Ressentiments nun Vergangenheit waren. So hat auch meine Schwester ihn in Bad Breisig – einmal mit Astrid und einmal mit unserer Cousine Gaby besucht. Die Beglückung und die Erleichterung standen und stehen meinem Schwager jeweils ins Gesicht geschrieben, wenn man ihn darauf anspricht. In Gesprächen zeigt er sich – trotz aller eingetretenen kognitiven Beeinträchtigungen – erleichtert und mit sich im Reinen. Dass das nicht alle in der großen Familie so wahrnehmen und sehen können, mag man dem Umstand zuschreiben, dass nicht alle im Gleichschritt marschieren und dass möglicherweise jemand nicht bereit ist, seine lange gehegte und gepflegte Sonderrolle aufzugeben. Innerhalb der Familie verbieten sich therapeutische Empfehlungen. Wolfgang Schmidbauer spricht denn in dem von mir hier verlinkten SPIEGEL-Interview nicht den einzelnen an, sondern der 83jährige Therapeut schöpft und beschreibt aus seiner jahrzehntelangen Praxis und Erfahrung  jene Muster, die zu einer Dämonisierung der Eltern führen. Eigensinn und Kränkungserleben mag man jemandem zugestehen, der in seiner eigenen Welt lebt. Nachsicht ist allerdings dann fehl am Platz, wenn im Zuge der eigenen Opfermentalität Kinder/Enkelkinder in entsprechende fatale Dynamik einbegezogen werden. Ich stehe nicht nur unter dem Eindruck des Erfahrungsschatzes von Wolfgang Schmidbauer. Weit darüber hinaus zeigt mir Andreas Reckwitz, wie sehr der Umgang mit Verlusten ein Grundproblem der Moderne ist.

Philippa Perry: Wir müssen verstehen, worüber wir im Leben keine Kontrolle haben

Immer häufiger kommt mir in letzter Zeit die Weisheit in den Sinn:
Mach dir einen Plan, und das Schicksal fällt lachend vom Stuhl.

Philippa Perry – vor nicht allzu langer Zeit war es allein der Titel eines ihrer zum Bestseller gewordenen Bücher, der Neugier weckte: „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast).“ Das Buch, von dem die taz sagt: „Philippa Perry hat ein sehr kluges, geradezu weises Buch geschrieben“, steht seit einem Jahr unbeachtet im Regal (sollte sich in absehbarer Zeit ändern).

Nun bietet der aktuelle SPIEGEL (48/24) mir ein Interview mit Philippa Perry (Jg. 1957) an: Wir müssen verstehen, worüber wir im Leben keine Kontrolle haben: „Die Psychotherapeutin Philippa Perry erklärt, wie uns eine düstere Weltlage beeinflusst – und warum schon ein Stück Papier helfen kann, seelisch gesund zu bleiben.“

Viele Menschen – lesen wir hier – tun sich schwer Unsicherheit auszuhalten. Ich greife von den Allerweltsempfehlungen Philippa Perrys eine auf; dies vor allem, weil sie sich weitgehend deckt mit den von Alexander Kluge (unbedingt noch einmal lesen bzw. anhören) anlässlich seines 80sten Geburtstags gemachten Anregungen. Antje Windmann, die SPIEGEL-Redakteurin, fragt Perry:

„Sie empfehlen Menschen, die sich besser verstehen wollen, ein >Genogramm< von sich zu zeichnen. Eine Art Stammbaum, in dem durch unterschiedliche Linien die Beziehungen zu seinen Familienmitgliedern und Vorfahren illustriert und die einzelnen Personen durch wenige Eigenschaften charakterisiert. Was bringt das?“

Perry antwortet:

„Jeder von uns ist das Produkt einer besonderen Kombination von Genen und hat eine einzigartige Reihe prägender Beziehungen erlebt. Das Genogramm hilft etwa zu erkennen, welche Traumata es in der Familie gab und wie die Folgen auf einen selbst ausstrahlen. Mir hat es deutlich gemacht, wer und was mich wie geprägt hat. In der Familie meiner Mutter sind die Menschen isoliert, sprechen nicht miteinander, in der meines Vaters drehte sich alles um Regeln.“

Perry dreht den Spieß um und fragt Antje Windmann: „Haben Sie mal versucht, ein Genogramm für sich zu zeichnen?“

Windmann darauf:

„Als ich mich auf unser Interview vorbereitet habe.“ Perry: „Und?“ Windmann: „Mir ist noch einmal deutlich geworden, wie wichtig meine Oma für mich war. Sie war eine starke, sehr unabhängige Frau und hat mir schon als kleines Mädchen eingebläut: Lass dir nichts gefallen im Leben.“

Nun ja – manchmal reichen kleine Anstöße und Anregungen, um ein Licht – vielleicht einen Scheinwerfer – anzuschalten; vielleicht unter Perrys Motto: „Fast alles, was uns herausfordert, ist gut für uns und für unsere psychische Gesundheit.“

Also auf geht’s: Nimm dein Bett und wandele – oder wie Alexander Kluge ruft: "Wir müssen uns auf die Socken machen, der Schnee schmilzt weg. Wach auf du Christ - und was noch nicht gestorben ist, macht sich auf die Socken!"

Die Schlüsselstelle im Interview Denis Schecks mit Alexander Kluge lautet:

"Sehn sie, wenn die Zeiten sich so verdichten und beschleunigen, dass sie unheimlich sind - wenn die Zeiten sozusagen zeigen ein Rumoren der verschluckten Welt, als seien wir im Bauch eines Wals angekommen... wenn das alles so ist, dass man sich wie im Bauch eines Monstrums fühlt, dann kommt es darauf an sich zu verankern. Es ist am leichtesten sich zu verankern in dem, was wir in uns tragen! Sehen Sie, wenn wir beide unsere 16 Urgroßeltern nehmen - unter der Zahl werden wir nicht geboren sein - dann können sie sagen, die sind so extrem verschieden und wussten so wenig, in welchen Körpern sie einmal zusammen kommen werden, dass wir eigentlich denken müssten, bei uns müsste Bürgerkrieg herrschen."

Tränen sind hartes Wasser

Zuweilen sind Tränen hartes Wasser,
das über Steine rann. (Gottfried Benn)

Doch ohne Tränen, ohne Wasser,
was bleibt außer Seelenwüsten dann?

Ohne uns und die Unsren zu bergen,
veröden die Seelen – vereisen die Herzen.

Wir schrumpfen zu Zwergen,
verloren im eigenen Ich;

begegnen nur Fremden
und Fremdem in uns;

Du sehnst dich nach Hause
und weißt nicht wohin?! (J. von Eichendorff)

Wo darf ich sterben,
selig geborgen?

Was sind das für Fragen,
was treibt uns um?

Wozu die Klagen,
als seien wir hilflos und dumm?

Du mußt dir alles geben,
Götter geben dir nicht? (Gottfried Benn)

Hast du dich selber geboren?
Kehrst selber dein Häuflein Asche zusamm'?

Vielen Dank, lieber Walter!

Ein Teil der 74er-Abiturienten des Are-Gymnasiums in Bad Neuenahr traf sich im September 2024, also 50 Jahre nach Verlassen der Schule, im Ahrtal. Wir verbrachten miteinander den Tag – wie Walter in seinem Brief anmerkt – nicht nur im Erinnern, sondern durchaus auf der Höhe der Zeit und im Bewusstsein sowohl des Friedensprivilegs (für die in den 50er Jahren Geborenen eine historisch nahezu singuläre Phase ohne Krieg in Kerneuropa) als auch der gegenwärtigen Herausforderungen mit einem Wiedererstarken rechtsextremer Strömungen.

Ich bin Walter sehr dankbar, dass er sozusagen das zivilisatorische Minimum auf den Punkt bringt, das uns alle verbindet (der Begriff des zivilisatorischen Minimums resultiert aus der Auseinandersetzung mit Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser). Ich nehme Walters Brief in meinen Blog auf und gebe ihn nachstehend wieder. Auch Walter weist eindringlich darauf hin, dass wir nach mehr als 75 Jahren sehen und wertschätzen können, wie weitblickend die Mütter und Väter des Grundgesetzes gedacht und agiert haben. Und auch wenn wir schon zu den jungen Alten gehören, darf das gewiss nicht bedeuten, dass wir auch nur ein Jota nachlassen im Einsatz für die demokratischen Grundwerte und die Demokratie in Deutschland und in Europa. Es war für mich ein interessantes Unterfangen mich mit Barbara Supp (Barbara Supp: Happy Birthday Boomer, SPIEGEL 33/24, Seite 9-15) einmal auf eine kohortenspezifische Einordnung einzulassen.

Nach meiner Versetzung in den Ruhestand 2017 habe ich meine Anstrengungen verstärkt insbesondere im Sinne einer Verschränkung von politischer Grundbildung mit den sichtbaren Konturen unserer individuellen Lebensläufe: Wir no-names sollten uns nicht verpissen, sondern uns der Anstrengung des Begriffs unterziehen - "die individuellen und kollektiven Flugbahnen verbinden" in  der Gewissheit, dass man "zwar vorwärts leben muss, aber nur rückwärts verstehen kann". Von Dirk Oschmann (Der Osten: eine westdeutsche Erfindung, Berlin 2023) habe ich diese - auf Sören Kierkegaard gegründete - Einsicht übernommen. Sie bedeutet eine Verpflichtung nicht nur zur Selbsteinsicht, sondern auch zur Selbstpositionierung! Das sind wir allein schon unseren Ahnen sowie unseren Kindern und Kindeskindern schuldig.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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