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Für Willi - am 12.11.2024 und am 21.6.2025

Der Himmel zeigt sich heute wie am 21.6.1994 - blau und kalt, während es ähnlich heiß wird - wie weiland am längsten Tag. Wir registrieren die Abschiede im familialen Umfeld - auch wenn sie unendlich weit weg erscheinen (1968, 1970, 1988, 1994, 2003, 2004, 2010, 2020, 2025). Wir leben ja noch - ich schon mehr als 73 Jahre! Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns - so klingt es aus Rainer Maria Rilkes Feder; zuletzt mit Blick auf jemanden, der auch Willi mit begleitet hat - früh schon, als Willi noch nicht einmal ein Schulkind war. Schauen wir noch einmal zurück auf den 12.11. des vergangenen Jahres. Da gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen?

Na klar würden  w i r  heut (am 12.11.) feiern – 69 – eine Schnapszahl, ineinander verdreht und magisch - für Willi allemal:
Willi hätte gestern vermutlich schon gefeiert, ne Karnevalsjeck am 11.11. – hinein in den 12.11., seinen 69sten Geburtstag.

So aber gibt es nichts zu feiern, und die Erinnerung schmerzt und beglückt gleichermaßen. Sie gilt ja dem, den wir gehabt haben und dem, den wir nicht mehr haben. Will sie uns mahnen?

Sorgt Euch – nicht nur um Euch, vor allem um die, die uns anvertraut sind?

Ach Quatsch: Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?  Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. (Mt 10,29)

Das hätte Willi gefallen! Unser Willi war ja kein Sammler – er war ein Flieger über den Wolken (siehe auch: Katie Melua) und sein Sturz war bodenlos – hoffentlich nicht ohne seinen Vater?!

Wäre er heute unter uns, so würde er feiern und sich grämen gleichermaßen? Auch für ihn wäre die große Welt in Unordnung und kämpfen würde er für ein bisschen Ordnung in seiner kleinen Welt?!

Carl Schmitt - beginnen wir noch einmal von vorne

Fangen wir noch einmal ganz vor vorne an. Mehr als 90 Jahre nach Veröffentlichung der überschaubaren Publikation Der Begriff des Politischen (1. Auflage bei Duncker und Humblot, Berlin 1932) ist diese Schrift aktueller denn je. Es wird gewiss nicht um eine Rehabilitation des NS-Kronjuristen Carl Schmitt gehen. Gleichwohl lohnt ein genaueres Hinsehen, als ich es mir bislang gestattet habe. Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, dass mir Der Begriff des Politischen in der 7. Auflage von 1963 vorliegt. Dazu hat Carl Schmitt – datiert mit März 1963 – ein Vorwort geschrieben und versieht den Neudruck mit einer Reihe von Hinweisen. Er betont dabei, dass all das umfangreiche Material, das in der Auseinandersetzung mit seiner Schrift hinzugekommen sei, in einem bloßen Neudruck nicht berücksichtigt werden könne; einem „Neudruck, dessen Sinn und Zweck gerade darin besteht, einen Text, der von der Unmasse der ihm gewidmeten Widerlegungen übertönt worden war, wenigstens für einen Augenblick wieder zu Wort kommen zu lassen“. (S. 116)

Bernhard Schlink: Wichtig ist die Freiheit, die wir uns selbst geben

Christian Berkel hat seine mit stark autobiografischen Motiven versehene Romantrilogie beendet und mir heute im ZDF-Mittagsmagazin eine Vorstellung davon vermittelt. Was mich zentral berührt ist seine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Schweigens in deutschen Familien. Sein wesentlicher Antrieb zu erzählen, speist sich aus der Erfahrung des Schweigens und Verschweigens. In all meinen eigenen bescheidenen Bemühungen die Schweigespirale in der eigenen Familie zu durchbrechen, fühle ich mich merkwürdig isoliert, ein Lebensgefühl, dem man vermutlich nur durch gleichermaßen unbefangenes wie raumgreifendes Erzählen begegnen könnte. Die Unbefangenheit geht mir ab; das Raumgreifende schrumpft zunehmend auf lyrische Affekte - so auch passend zur heutigen Wahrnehmung von Christian Berkel:

Ein Lebenslauf besteht aus Wendepunkten

Hanna Schmitz und Franz Streit - Bernhard Schlink (Mediation) und Michael (Berg) - Kapitel 2

Veröffentlicht: 20. Juni 2016

Der Original-Beitrag, dem dieses Zweite Kapitel entnommen ist, hat den Rahmen des BLOG-Geschehens schon lange gesprengt. Die Fiktion mäandere um die Realität herum, meint Stefan Slupetzky. Den Kick, dann doch noch einmal der Fiktion den Vorrang zu geben, resultiert einerseits aus Slupetzkys Der Letzte Große Trost und zum anderen aus Achim Landwehrs Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Ich werde also noch einmal von vorne beginnen - vielleicht nimmt dann die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit so sehr Gestalt an, dass ihre Anwesenheit greifbar wird. Achim Landwehr ermuntert mich in seinem fulminanten Buch zu einer solchen Anstrengung mit folgender Impression:

"Wenn ich über einen Friedhof spaziere und dort meinen eigenen Grabstein imaginiere, wenn ich ein Foto meines verstorbenen Vaters ansehe, zu einer Zeit, als ich noch überhaupt nicht geboren war, dann ist dies nicht viel mehr als eine leise Andeutung der chronoferentiellen Ketten, mit denen diverse Zeiten in einem Hier und Jetzt zusammengezogen werden können. Der Tod erweist sich nicht nur als das Ende des Lebens, sondern auch als möglicher Dreh- und Angelpunkt von Chronoferenzen." (165)

Das im Folgenden erneut vorgestellte Zweite Kapitel gehört zu Hildes Geschichte und ist so in den Blog-Betrag: Hanna Schmitz und Franz Streit Bernhard Schlink (Mediation) und Michael (Berg) aufgenommen worden. Im Juni-Heft (2025) des Evangelischen Magazins chrismon wird Der Vorleser vorgestellt als ein Roman, der „den Umgang der Nachkriegsgeneration mit ihrer Elterngeneration thematisiert“. In Hildes Geschichte habe ich mich – konzentriert auf die Frage, wie ich selbst eigentlich zu einer 10 Jahre älteren Schwester gekommen bin – auf meine Weise mit meinen Eltern auseinandergesetzt. Dahinter und darüber schweben aber die Fragen, die Stephan Lebert und Louis Lewitan mit ihrem Blinden Fleck lebendig halten.

Was nun im Abdruck dieses Zweiten Kapitels sichtbar wird, ist nur zu verstehen und zu vertreten unter der Maßgabe, dass unsere Mutter – die Mutter meiner Schwester und meines Bruders und die meiner Wenigkeit – sich erst spät geöffnet hat. Erst wenige Jahre vor ihrem Tod hat sie zugelassen, dass über die Ereignisse der Jahre 1941/42 auch gesprochen werden konnte. Ich bin mir sicher, dass sie, die Hildes Geschichte nicht mehr lesen konnte – sie ist erst 10 Jahre nach ihrem Tod geschrieben worden – mir mit Wohlwollen und Verständnis begegnet wäre, dem begegnet wäre, was sich hier erzählerisch als einer der zentralen Wendepunkt in ihrem Leben herausstellen sollte:

Nehmen wir uns noch in den Arm?

Der Originalbeitrag ist am 8. Dezember 2021 in diesem Blog erschienen

Kann man diese Frage mit Dirk Baecker stellen: Studien zur nächsten Gesellschaft? Schwierig - und jedenfalls nur dann, wenn man vom Abstraktionsniveau einer theoretischen Erörterung absieht und konkret der Frage nachgeht, ob Familie in unserer Wahrnehmung eher daher kommt als der soziale Nahraum - die soziale Elementarerfahrung schlechthin -, der/die unserer individuellen Entfaltung den Weg ebnet; oder der/die - ganz im Gegenteil - eher daher kommt als jene schaurige Welt, in der uns vor allem von Gott gegebene Feinde begegnen. Wer würde mit Fug und Recht in Frage stellen, dass beide Extremvarianten vorkommen und den sozialen Erfahrungs- und Prägeraum eben so oder so konfigurieren? Genauso unterschiedlich werden sich die Antworten auf die folgenden Fragen ausnehmen!

  • Nehmen wir uns noch in den Arm?
  • Weinen wir miteinander?
  • Lachen wir miteinander?
  • Erklären wir uns den anderen - versuchen wir es zumindest?
  • Erleben wir uns als Mitfühlende?
  • Leiden wir mit anderen?
  • Wie zeigen wir das?
  • Vertrauen wir den anderen noch?
  • Vertrauen uns die anderen noch?
  • Geht es uns gut, wenn es den anderen gut geht?
  • Geht es uns schlecht, wenn es den anderen schlecht geht?
  • Erzählen wir unsere Geschichten?
  • Möchten wir, dass die anderen uns ihre Geschichten erzählen?
  • Sind wir noch neugierig?
  • Haben wir Freude - alleine und mit den anderen?
  • Vermissen wir die anderen, wenn sie nicht da sind?
  • Glauben wir, dass die anderen uns vermissen, wenn wir nicht da sind?
  • Wer wollen wir sein - für uns selbst und für die anderen?

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund