<<Zurück

 
 
 
 

GEO Dezember 2025: Die letzten Tage - Ein gutes Ende: Sterben lernen: Was in unseren letzten Tagen das Leben leichter macht

Auch für Hilla

In einem Geo-Themenheft würde einen - angesichts der sich beschleunigenden Klimakrise - ein Titel wie: Die letzten Tage der Menschheit nicht überraschen. Der Themenschwerpunkt im Dezemberheft befasst sich hingegen mit dem individuellen Ende, dem niemand von uns entgehen wird. Die letzten Tage - Lebensende werden eingeleitet mit der Anmerkung:

"Die meisten von uns wollen es, den wenigsten gelingt es: dem Tod zu Hause begegnen, in vertrauter Umgebung. Fotografin Nora Klein zeigt, wie Menschen diesen letzten Weg erleben. GEO-Autorin Katharina von Ruschkowski ergründet, wie besseres Sterben gelingen kann. Und warum es höchste Zeit ist, darüber zu sprechen."

Katharina von Ruschkowski gliedert ihren Beitrag in vier Abschnitte: I. REDEN; II. ENTSCHEIDEN; III. LINDERN; IV. AUSHALTEN - Sie setzt einen Rahmen, in dem sich das Sterben ihrer Großmutter vollzieht. Dies ist für uns Leser:innen eine kluge Herangehensweise, weil dieser Prozess in seinem Phasenverlauf beschrieben wird und durch sachdienliche Informationen angereichert wird:

  • Wir erfahren etwas über mögliche Verlaufsformen des individuellen Sterbegeschehens. Dabei werden biologisch-physiologische, psychische und soziale sowie rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt.
  • Katharina Ruschkowski holt sich Expertise bei der Medizin-Ethikerin Alena Buyx; bei Uwe Janssens, Intensivmediziner und Chefarzt am Sankt-Antonius-Hospital in Eschweiler. Er wirbt dafür, früh mit Schwerkranken über das Ende zu sprechen; bei Gian-Domenico Borasio, einer der Vorreiter der Palliativ-Medizin in Deutschland und in der Schweiz. Er ist der Verfasser des Standardwerkes >Über das Sterben<; bei Georg Bollig - Palliativmediziner, Begründer der sogenannten "Letzte-Hilfe-Kurse"; bei Carina Niemeier, Bestatterin, die als Trauerbegleiterin und Rednerin auf Beerdigungen Erfahrungen gesammelt hat, und die bei "Letzte-Hilfe-Kursen" unterstützt.

Ich selbst habe Expertise gesammelt als Begleiter des Sterbens meiner Mutter. Das dabei entstandene Sterbe-Protokoll - seinerzeit (2003) Ausdruck von Hilflosigkeit und der Suche nach Orientierung - bestätigt vieles, was Katharina von Ruschkowski in ihren eigenen Beobachtungen festhält- allerdings sehr viel detallierter und umfassender. Die lange häusliche Pflege meines Schwiegervaters habe ich in einem Demenz-Tagebuch festgehalten. Bei alledem laufen auch meine Erfahrungen auf eine Feststellung hinaus, wie sie uns Alena Buyx nahebringt:

"Es hilft nichts: Wir  müssen reden. Und sie glauben gar nicht, was das für tiefe, tolle und verbindende Gespräche sein können." Und: "Wir beraten uns in so vielen Lebensfragen mit Freunden und Profis. Über das richtige Studium, einen Jobwechsel, Familie: ja, nein? Beim Tod aber umgehen wir die Fragen." Alena Buyx (Beginn des Studiums der Medizin 1997) reflektiert ihre Erfahrungen in einem historischen Kontext, in dem sich das Sterben aus den Privathäusern in medizinische Einrichtungen verlagert hat. Dass dabei auch Lassen eine Option sein könne, habe sie bereits im Verlauf ihrer Praktikumserfahrungen gelernt: Ein krebskranker Patient lehnte eine ihm verordnete Chemotherapie ab. Was Alena Buyx von da an immer klarer wurde: "Sterben heißt eben auch entscheiden. Jeder Mensch besitzt, laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Doch aus diesem Recht ergibt sich auch ein Auftrag: sich mit dem Thema zu befassen, den eigenen Willen zu bekunden."

Dieser Auftrag wird gegenwärtig durch den assistierten Suizid der Kessler-Zwillinge zu einem öffentlich debattierten Thema. Das Beispiel unseres Freundes Rudi Krawitz wird von ihm selbst "einer interessierten Öffentlichkeit" nahegelegt.

Was sollten wir also nach Alena Buyx bedenken? So wichtig Papiere sind (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht), so wichtig sind Gespräche mit vertrauten Menschen über Werte und Wünsche ans Leben und ans Sterben - nur so könne man gut entscheiden, wenn man es selbst nicht mehr könne: "Denn eine Patientenverfügung ist kein Garant für ein selbstbestimmtes Sterben."

Aus der beantragten Hilfe zum assistierten Suizid, wie sie die Kessler-Zwillinge und Rudi Krawitz beansprucht haben, lässt sich in dieser Hinsicht lernen, dass man von einem "selbstbestimmtes Sterben" im vollen Wortsinn nur dann sprechen kann, wenn der Sterbewillige selbst die Tathoheit behält. Jeder Zweifel daran führt zu einem Ausschluss, und ein assistierter Suizid zu einer strafrechtich relevanten Tat. Ich erwähne dies an dieser Stelle, weil im GEO-Beitrag in erster Linie die Rede ist von einer Sterbebegleitung, die im palliativen Sinn vor allem für einen - so weit wie möglich - schmerzfreien Verlauf des Sterbeprozesses Sorge trägen soll.

Am Beispiel ihrer Großmutter zeigt Katharina von Ruschkowski auf, dass Angehörige und auch das Fachpersonal Lösungen kreieren müssen, wie sie durch Verfügungen ausgelöst werden, die da lauten:

"Wenn ich infolge eines weit fortgeschrittenen Hirnabbauprozesses (z.B. bei Demenzerkrankung) auch mit ausdauernder Hilfestellung nicht mehr in der Lage bin, Nahrung und Flüssigkeit auf natürliche Weise zu mir zu nehmen, lehne ich Wiederbelebungsmaßnahmen ab - keine künstliche Ernährung - keine Beatmung."

Katharina von Ruschkowski weist darauf hin, dass die Angehörigen - hier hat sie in erster Linie ihre Mutter im Blick - versuchen müssen, "die bald stummen Entscheidungen der Großmutter zu verstehen und umzusetzen. Es gibt im Verlauf des Entscheidungskapitel Hinweise, die schon seit langem - auch bei mir vor 25 Jahren - zu Gewissheiten geworden sind. So zum Beispiel: "Krankenhäuser sind nicht die besten Orte für Menschen, deren Ende sich deutlich abzeichnet." Oder: "Die medizinische Überversorgung - gerade die Versorgung am Lebensende ist völlig aus dem Ruder gelaufen." So ist Uwe Janssens zu einem "Prediger des überlegten Lassens geworden". Dazu passt die Feststellung, dass immer mehr Menschen auf Intensivstationen sterben:

  • "Bei 36.000 todkranke Krebspatienten und -patientinnen sind in den letzten beiden Lebenswochen sehr belastende, mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbundene Therapien neu begonnen worden."
  • "Ein verblüffend hoher Prozentsatz dementer Menschen wird auf Intensivstationen aufgenommen und beatmet, >ohne dass dies mit positiven Effekten für den Patienten verbunden ist<."
  • "In der letzten Lebensphase wird so bis zu einem Drittel der gesamten Gesundheitskosten für einen Menschen verbraucht, vor allem für teure, teils unnötige Medikamente, Diagnosen, Therapien."

Es sei eben leichter, alles zu tun, als zu sagen: Wir hören auf, meint Uwe Janssens. Dazu passt die Beobachtung, dass noch viel seltener Angehörige die Auffassung vertreten zu einem "Stopp". Das Ringen um beste Lösungen setzt eben nicht nur vertrauensbasierte Expertise des Fachpersonals voraus, sondern auch die Verarbeitung des Umstands, dass es zum Schwersten zähle, einen geliebten Menschen zu verlieren - und dafür auch noch sein Okay zu geben. Die jahrzehntelange Erfahrung und Expertise eines Palliativmediziners wie Gian Domenico Borasio, mündet in die Einsicht:

"Wenn sie nur die Wahl zwischen den zwei Extremen haben, ist es am Lebensende eindeutig besser, unter- als übertherapiert zu sein."

Dies im Einzelfall, der für viele Angehörige ja unter Umständen die erste Begegnung mit dem bevorstehenden, unausweichlichen Tod bedeutet, umzusetzen in verantwortliche Entscheidungen und eine entsprechende Praxis bedeutet für viele eine maßlose Überforderung. Und es kommt etwas hinzu, was weder im GEO-Heft noch im Alltagswissen der Betroffenen auf reflexive Weise verankert zu sein scheint. Karl Otto Hondrich hat 1997 - ähnlich wie im deutschen Sprachraum Ulrich Beck - mit Blick auf die sich verändernden Lebensformen in der Postmoderne von einem Horrortrip ins Niemandsland gesprochen. Ein einziges empirisches Datum mit Blick auf's Sterben macht dies auf drastische Weise deutlich:

"Fünf Prozent ihrer letzten Lebenszeit, so hat der australische Palliativmediziner Alan Calaghan ausgerechnet, verbringen Todkranke mit Medizinern und Pflegepersonal, 95 Prozent der Zeit sind sie allein oder, im besten Fall, mit Familienmitgliedern, Freunden, ehrenamtlichen Begleitern zusammen."

In der Auseinandersetzung mit dem überaus geschätzen 2022 verstorbenen Klaus Dörner: Leben und Sterben wo ich hingehöre, habe ich ihn gefragt, wovon er denn nachts träume, wenn er von der Wiederbelebung der vier Sozialräume phantasiere: Familie, Nachbarschaft, Kommune und Kirche???

Wir müssen reden - nur wer redet, ist nicht tot! Inzwischen kann ich ermessen, dass Rudi - und wir haben viel geredet - ein unfassbares Glück in seinem Unglück hatte, in seinen letzten Lebensjahren eine überaus erfahrene Begleiterin an seiner Seite zu haben. Denn der Entschluss die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. um die Begleitung beim assistierten Suizid zu bitten, war das Ergebnis eines langen, langen Gesprächs (auch mit sich selbst).

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.