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Arno Frank und Erich Kästner: Wie kann das sein?

Sehr geehrte Leserbrief-Redaktion,

nachstehend mein Leserbrief zu Arno Frank: Wenn der Faschismus plötzlich an meine Tür klopft (SPIEGEL 40/25, S.100-102):

Ich habe nur eine zustimmende Randbemerkung (und ein Gedicht): Arno Frank, Du irrst Dich, wenn Du meinst, "Ginsterburg" und dieser grandiose Essay, der uns allen noch einmal die Leviten liest, würde nichts ändern. Wir brauchen Kerle wie Dich, die ihr Wissen und ihre Bildung mit dem Vermögen verbinden zu einer knallharten Ansprache, um einer kollektiven Intelligenzhemmung vorzubeugen, solange es noch nicht zu spät ist!

Erich Kästner: Wie kann das sein?

Wie kann das sein?
Mein Kopf sagt nein!
Mein Herz will schrein!
Wir sind die Enkel jener Schinder,
deren widerlichster sprach: zuerst die Kinder!

In Posen nahm er* sie beim Wort        *Heinrich Himmler
und sprach von Anstand vor den Schloten;
sie schufen jenen Ort,
belebt von Henkern und von Toten.
Sie hielten sich daran und töteten (zuerst) die Kinder!

Das Ende: In die Hand nehmen - oder sich aus der Hand geben?

Mein Erwachsenenleben lang - und diesen Status gestehe ich mir erst seit gut 25 Jahren zu - setzte ich mich mit der Frage auseinander, wie wir mit der Tatsache unserer Endlichkeit umgehen, und ob wir diese Tatsache als gegeben hinnehmen und geschehen lassen. Oder ob wir auf die Umstände unseres unausweichlichen Endes Einfluss nehmen - es möglicherweise sogar selbst bestimmen wollen? Vor mir liegen drei gewichtige Leitz-Ordner mit Briefen und Aufsätzen. Beim Durchblättern dieser Ordner fällt mir auf, wie häufig doch im Austausch mit Weggefährten die angesprochenen Fragen in den Vordergrund rücken - und dies auf unterschiedlichste und gegensätzlichste Weise. Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im örtlichen Seniorenwohnheim Laubenhof hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, diese Fragen auch im öffentlichen Raum zur Diskussion zu stellen - Rund um den Laubenhof war für drei Jahre ein Forum, das dies auf Ortsebene ermöglichen sollte:

Die Verwüstung der dem Terrain des Todes abgerungenen Gebiete steht mir eindrücklich vor Augen. Es ist so offenkundig, dass wir – um Verwüstung zu vermeiden – etwas benötigen, was Klaus Dörner mit den vier Sozialräumen meint, die nur im Verein miteinander den gesellschaftlichen Reichtum bewahren bzw. pflegen könnten, der sich in unseren Alten manifestiert. Mit ausreichender Pflege und Versorgung die Wartezonen zum Tod zu flankieren reicht eben nicht aus. Fulbert Steffensky mahnt  uns zwar zu der Einsicht, dass wir alle sind, weil wir uns verdanken. Er will die Schranken für etwas Selbstverständliches absenken bzw. einreißen, nämlich dass Fürsorge und Versorgung nur in einer gepflegten Umgebung, in der die liebevolle Zuwendung zu spüren und zu greifen ist, unseren Alten gerecht werden kann. Man kann dies im Sinne unser aller Würde erwarten bzw. fordern. Man muss aber gleichzeitig sehen, dass die moderne Gesellschaft mit ihrem grenzenlosen Hang zur Kommerzialisierung und zur Individualisierung die Grundlagen für eine vorbehaltlose wechselseitige Berücksichtigung unserer (Ur-)Bedürfnisse zunehmend schädigt bzw. zerstört. Sind es zum einen schlicht gesellschaftliche Rahmenbedingungen bzw. Erwartungen (Mobilität, Flexibilität), die uns allein schon räumlich trennen von den uns nahen Menschen, so ist es auf der anderen Seite ein häufig damit verbundener Wertewandel, den es zum Beispiel mit Barbara Bleisch genauer zu betrachten und einzuordnen gilt. Es lohnt durchaus die These, warum Kinder ihren Eltern nichts schulden differenziert und aufmerksam zu betrachten.

Gewalt

Dirk Baecker hat am 18. Januar 2005 in die tageszeitung einen Beitrag veröffentlicht - überschrieben schlicht mit dem Begriff Gewalt. In vielen Beiträgen habe ich mich mit Carl Schmitt und seiner epochmachenden Schrift: Der Begriff des Politischen (Berlin 1932) auseinandergesetzt. Schmitt, auf den die programmatisch richtungsweisende Definition von Souveränität zurückgeht in dem Sinne, dass souverän derjenige sei, der über den Ausnahmezustand verfüge, reduziert Politik auf die binäre Konfiguration von Freund-Feind-Konstellationen, in deren praktischer Konsequenz sich jegliche legitimationsrelevanten Aspekte von Gewaltanwendung relativieren bzw. auflösen. Vor allem relativiert sich ein staatliches Gewaltmonopol in dem Sinne, dass es sich erst konsekutiv ergibt aus der Gewalt des Stärkeren. Bei Carl Schmitt wird ein durch Rechststaatlichkeit und Gewaltenteilung eingehegtes Gewaltmonopol obsolet. Genau hier setzt Dir Baecker an. Bei ihm ist zu lesen:

"Gewalt ist unverzichtbar, weil über die Androhung von Gewalt, nicht über ihre Ausübung, soziale Ordnung hergestellt wird. Die Ausübung ist nur nötig, damit anschließend glaubwürdig angedroht werden kann. Das ist der Kern jeder Politik, die Verhandlung darüber, wer wem welche Art vn Gewalt zur Aufrechterhaltung welcher Art von sozialer Ordnung glaubwürdig androhen kann. Und dies ist nicht etwa deswegen der Kern der Politik, weil sich jeder von überlegt, welchem Stärkeren er sich tunlichst unterwirft, bevor dieser zu unangenehmen Maßnahmen greift. Obwohl auch das richtig ist, sonst wäre wohl kaum jemand bereit, Steuern zu zahlen, seine Kinder einzuschulen und die Gesetze zu wahren. Sondern dies ist deswegen der Kern der Politik, weil die Androhung von Gewalt die Voraussetzung dafür ist, dass die soziale Ordnung für jeden von uns berechenbar wird. Politik ist die Kontrolle meiner nahen und fernen Nachbarn. Ich kalkuliere die Glaubwürdigkeit der Androhung von Gewalt, um abschätzen zu können, wie sehr ich mich darauf verlassen kann, dass ich mich einigermaßen sicher in öffentlichen Räumen bewegen und einigermaßen verlässlich meine privaten Räume vor Eindringlingen und Zugriffen schützen kann. Wir brauchen die Androhung von Gewalt durch die Politik, um uns gegenseitig an der Ausübung von Gewalt hindern zu können. Politik löst das Problem des unberechenbaren Dritten."

Uwe Timm und Shila Behjat

haben nichts miteinander zu tun. Shila Behjat fragt im aktuellen SPIEGEL (38/25): "Wo habe ich versagt? Die Welt wird härter, autoritärer - und das sickert auch in die Familien ein. Warum es so schwer ist, Söhne zu Solidarität und Gerechtigkeit zu erziehen.

Wir alle haben versagt - wir alle versagen, sofern es uns nicht gelingt, die in Dirk Baeckers Gewalttraktat formulierten Trivialitäten zum allgemeinsten aller Allgemeinplätze zu machen. Niemand - auch der letzte Hartzer bzw. Bürgergeldempfänger bzw. Grundsicherungsbegünstigte und erst recht nicht gut situierte Hasardeure und geschichtsvergessene Flachpfeifen - darf in Frage stellen, was in jeder Autokratie, die nach innen und nach außen das Recht des Stärkeren praktiziert, immer schon zur Disposition steht bzw. stand: Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit! Uwe Timm lässt an diesem zivilisatorischen Minimum nicht den geringsten Zweifel gelten. Auch Shila Behjat lässt keinen Zweifel zu an ihrer grundlegenden Position:

"Wladimir Putin führt Krieg in Europa. Donald Trump destabilisiert die Weltpolitik. Beide sind nicht die Ursache, sondern Symptome des Backlash. Die Historikerin Anne Applebaum nennt diese Phase eine neue Ära ohne klare Ordnung, in der die >Pax Americna< Geschichte ist. Der Journalist Gideon Rachman beschreibt in >Welt der Autokraten<, wie autoritäre Führer weltweit im Aufstieg begriffen sind - nicht trotz, sondern wegen der großen Verunsicherung. Klimaschutz wird zurückgefahren, Frauenrechte stehen wieder zur Disposition. Begriffe wie >Meinungsfreiheit< werden instrumentalisiert, um Hass und Ausgrenzung zu legitimieren. Moral ist nicht mehr Kompass - sie ist Schlachtfeld."

Selbstreferenz

Nach mehr als 600 Beiträgen in meinem Blog zeigt sich ein Phänomen, dass man mit dem Begriff der Selbstreferenzialität umschreiben kann. Selbstreferentielle Systeme leiten ihr Handeln aus ihren eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Bewertungen ab, was wiederum zu neuen Handlungen führt. In ihren Prozessen beziehen sie sich nur auf sich selbst. Sie reagieren nur noch auf Veränderungen in ihrem eigenen System. Die Ressourcenschöpfung allerdings ist unabhängig davon zu betrachten. So tauchen in den beiden folgenden Blog-Beiträgen eine Reihe von Verlinkungen auf, die ihrerseits darauf hinweisen, was dem Beobachter, dem handelnden Subjekt einerseits unverhofft und eher zufallsbedingt begegnet und was ihm andererseits wichtig bzw. erkenntniserweiternd erscheint. Alte Menschen bewegen sich vorwiegend in einem Spannungsraum, der sich grundlegend aus Erfahrungen mit unserer Endlichkeit - also aus abschiedlichen Perspektiven - speist. Hat man als alter Mensch Glück, erweist sich der Spannungsraum wahrhaftig als solcher und man erfährt Generativität in Gestalt zur Welt kommender Enkelkinder. Im Verlauf der endenden Woche offenbarte sich dieser Spannungsraum mit dem erzwungenen Abschied von Rudi und der erhofften Geburt unseres vierten Enkelkindes. In den sich aufdrängenden Referenztexten zeigt sich nun, wie sehr meine Wahrnehmung als junger Alter von abschiedlichen Perspektiven geprägt wird. Auf der anderen Seite halten meine Enkelkinder den Raum auf Spannung, insofern wir das Glück haben, im familiären Erleben nicht nur abschiedliche, sondern auch aufbrechende Perspektiven in Gestalt unserer Enkelkinder zu erleben.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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