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Maurice Halbwachs - Bücher und ihre Geschichte(n) - Bücher und ihre Botschaften
Es lohnt sich zu lesen - vielleicht auch für die Skeptischen - bis hin zu der Frage, was Gereon Rath mit alledem zu tun hat?
Die meisten von uns kaufen Bücher oder bekommen Bücher geschenkt. Zweimal in meinem ausgehenden Berufsleben sind mir Bibliotheken übereignet worden - vielleicht 10.000 Bücher und Schriften, derer ich mich bedienen konnte - in denen ich mich verlieren konnte. Den Zugang zu einer der nachgelassenen Bibliotheken verdanke ich mittelbar meinem langjährigen Institutsleiter, Prof. Dr. Rudi Krawitz, der mir (und einem seiner Mitarbeiter) die Einlagerung der nachgelassenen Bibliothek von Prof. Dr. Ernst Begemann anvertraute bzw. überließ. Dies war ein Jahr vor der Versetzung in den Ruhestand und führte zu einem nachhaltigen Skandal in jenem Institut, dem ich bis zum September 2017 angehörte. Was den Skandal anbelangt, ist hier lediglich festzuhalten, dass während eines Krankenhausaufenthaltes im Frühjahr 2017 der gesamte bibliothekarische Nachlass Ernst Begemanns im Altpapier-Container landete. Wer - in den 50er und 60er Jahren sozialisiert - wäre wohl in der Lage, dies unwidersprochen hinzunehmen? Im Zuge dieser Einleitung möchte ich so weit gehen, an dieser Stelle festzuhalten, dass es sich wohl nicht nur um die Wertschätzung eines Nachlasses mit vielen persönlichen Anmerkungen und Einlassungen handelt. Ich habe seinerzeit gesprochen von morphischen Feldern und heillosen Kränkungen: Ernst Begemanns nachgelassene Bibliothek - ein Schlusswort! Glücklicherweise war es mir persönlich gelungen, einige hundert Bücher (incl. der Anmerkungen Ernst Begemanns) vor der Vernichtung zu bewahren. Der folgende eingerückte Abschnitt mag meine Betroffenheit noch einmal unterstreichen und wird zugleich mit der ernüchternden Einsicht verbunden, dass nur mein langjähriger Institutsleiter bereit war, noch einmal genauer hinzusehen.
Einlassung aus dem Jahr 2017: Ich will mit Blick auf den bedauerlichen Umgang mit Ernst Begemanns bibliothekarischem Nachlass zu einem Abschluss kommen. Dabei offenbart sich für mich, wie sehr Ernst Begemann mit seiner nachgelassenen Bibliothek ein morphisches Feld (Rupert Shaldrake) aufspannt, das auch meinen Versuch nachhaltig beeinflusst, vor meiner Versetzung in den Ruhestand mit Kurz vor Schluss eine private und berufliche Bilanz zu ziehen. Ich lasse die Hoffnung noch nicht fahren, dass der ein oder andere Akteur in diesem Geschehen zumindest Bereitschaft zeigt, noch einmal etwas genauer hinzusehen. Die ganze Wahrheit ist hierbei allerdings nicht zu haben!
Die zweite nachgelassene (Arbeits-)Bibliothek verdanke ich meinem Freund Prof. Dr. Winfried Rösler (die Kollegen werden hier im Übrigen alle mit ihren akademischen Titeln wiedergegeben, weil es in diesem Beitrag um akademische Nachlässe geht). Ich war weder in dem einen Fall in der Lage, dem Nachlass gerecht zu werden, noch ist es mir im zweiten Fall gelungen, die nachgelassenen Schätze angemessen zu adressieren. Immerhin habe ich aber inzwischen für die noch existenten Bücher und Tonträger einen Abnehmer gefunden. Ein örtliches, neu eingerichtetes Seniorenstift übernimmt wesentliche Anteile für eine zu begründende Hausbibliothek.
Und nun zum eigentlichen Auslöser dieses Beitrages:
Einmal mehr hatte ich heute das Vergnügen mich um meine jüngste Enkelin kümmern zu dürfen. Während ihres Mittagsschlafes stöberte ich in den Regalen meiner Tochter und meines Schwiegersohnes. Dabei stieß ich auf eine Veröffentlichung von Maurice Halbwachs, eine in der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1985 veröffentlichte Publikation, die erstmals 1925 erschienen war: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Die Quittung der Buchhandlung Bauer in Vallendar lag noch bei. Winfried Rösler hatte das Suhrkamp-Taschenbuch am 21. August 2006 erstanden. Die Taschenbuchausgabe erscheint jungfräulich und weist keinerlei Bearbeitungshinweise auf. Wenige Stunden später hat sich dieser Zustand gründlich gewandelt, und ich zitiere in der Folge 100 Jahre alte Erkenntnisse, Thesen, Annahmen, die mich teils erheitern, teils verblüffen, aber durchaus auch schockieren. Das fünfte Kapitel trägt die Überschrift: Das kollektive Familiengedächtnis (Seite 203-242). Maurice Halbwachs (es ist unabdingbar, sich den kurzen Wikipedia-Eintrag zu Maurice Halbwachs anzuschauen) geht hier der Frage nach: "Was ist also eigentlich dieser Familiensinn und dieses Familiengedächtnis? Welche von all den Ereignissen, die in der Familie stattfinden, behält es?" (S.222)
Ich fühle mich genötigt zu begründen, warum ich mich schockiert fühle: Unter der Maßgabe, dass ich in der Folge auch belegen kann, dass Maurice Halbwachs nicht (nur) ein latentes - möglicherweise im Sinne von generationsübergreifenden Traumata - Familiengedächtnis im Blick hat, stellt sich unmittelbar die Frage, worin sich denn ein Familiengedächtnis manifestieren könnte? Die brutalste Erkenntnis ist zweifellos die, dass es in meiner Familie keine manifesten Spuren eines solchen Familiengedächtnisses gibt - abgesehen von meinen eigenen Bemühungen. Familiensinn - dies wird sich auch im Sinne der Thesen von Maurice Halbwachs bestätigen, gibt es inselhaft, vor allem mit Blick auf die mäandernden Verästelungen innerhalb eines nur noch mit dem Begriff der Sippe zu greifenden komplexen Phänomens. Maurice Halbwachs stellt vor hundert Jahren zunächst einmal fest:
"Suchen wir einen Vorstellungsrahmen, der uns zur Wiedererweckung von Erinnerungen dienen könnte, so denkt man sofort an die Verwandtschaftsbeziehungen, wie sie in jeder Gesellschaft festgelegt sind. Wir denken tatsächlich dauernd an sie, weil unsere täglichen Beziehungen zu den Unsrigen wie auch zu den Mitgliedern der anderen Familien uns unablässig zwingen, uns daran zu orientieren." (S. 222) Halbwachs bedient sich vordergründig betrachtet lapidarer Anmerkungen: "Von dem Augenblick an, wo ein neues Mitglied in sie eintritt, räumt die Familie ihm einen Platz in ihrem Denken ein. Es mag durch Geburt, Heirat, Adoption in sie hineinkommen, sie merkt sich das Ereignis, das ein Datum besitzt und in der Tat unter besonderen Umständen stattfindet. Daraus entsteht eine Initialerinnerung, die nicht mehr verschwinden wird." (S. 225) Selbst dann nicht - möchte ich hinzufügen -, wenn derjenige seinen Platz in der Familie verliert; aufzuzeigen am Beispiel meines (Ex-)Schwagers.
Maurice Halbwachs hat - wie gesagt vor hundert Jahren (und im Übrigen auch als Schüler Emil Durkheims) - dazu bereits folgende Vorstellung entwickelt:
"Mit den Personen und den Ereignissen der Familie verhält es sich wie mit vielen anderen. Es scheint so, als ob man sie sich auf zweierlei Arten in Erinnerung bringe: einerseits, indem man besondere Bilder beschwört, die jeweils einer einzigen Tatsache, einer einzigen Begebenheit entsprechen - das wäre hier die Folge der ganzen Eindrücke, die wir von unseren Angehörigen besitzen, und die es erklärt, daß wir ihnen ein eigenes Gesicht zuerteilen, und sie nicht mit anderen verwechseln -; andererseits, indem man bei Nennung ihres Namens ein Vertrautheitsgefühl empfindet wie in Gegenwart eines Wesens, dessen Stellung in einem Ganzen und dessen relative Lage zu den benachbarten Wesen und Gegenständen man gut kennt - hier handelt es sich um die Vorstellung von den Stufen der Verwandtschaft, wie sie sich mit Worten zum Ausdruck bringen läßt." (S. 225f.)
Hochinteressant - auch mit Blick auf meine eigenen Bemühungen um ein Familiengedächtnis (nehmen wir meine Mutter und Hildes Geschichte; nehmen wir meinen Bruder und den Versuch die damit verbunden Wunde zu heilen) nimmt sich eine Bemerkung aus, die Maurice Halbwachs in einen größeren, experimentellen Kontext einbettet:
"Nur diejenigen der Vorfahren halten sich in der Überlieferung, deren Andenken immer lebendig bleibt, weil die heutigen Menschen ihnen einen Kult gewidmet haben und mit ihnen, zumindest in fiktiver Weise, in Beziehung bleiben. Was die übrigen betrifft, so verschmelzen sie zu einer anonymen Masse." (S. 229)
Maurice Halbwachs fragt: "Was würde geschehen, wenn sämtliche Mitglieder meiner Familie verschwunden sein würden?" Er vermutet, dass er eine gewisse Zeit die Gewohnheit beibehalten würde, ihren Vornamen einen Sinn beizulegen und erklärt dies folgendermaßen:
"Wir sind tatsächlich, wenn eine Gruppe uns lange mit ihrem Einfluß durchdrungen hat, derart durch diesen Einfluß gesättigt, daß wir, wenn wir uns alleine wiederfinden, so handeln und denken, als ob wir noch immer unter ihrem Druck stünden. Das ist ein ganz natürliches Gefühl, denn ein frischer Verlust bringt erst im Laufe der Zeit alle seine Wirkungen hervor." (S. 228)
Dazu passt der Hinweis, dass in jeder Familie unvermeidliche Umbildungen stattfinden: "Todesfälle, Geburten, Krankheiten, Altern, Abnahme oder Zunahme der individuellen organischen Schaffenskraft ihrer Mitglieder, die von einem Zeitabschnitt zum anderen ihre innere Struktur verändern." Und - so Halbwachs - man könne sich leicht vorstellen, dass die Mitglieder, oder die meisten von ihnen das nicht bemerken, wenn sie z.B. zusammen alt würden. Da ergibt sich allerdings ein dickes Fragezeichen, nehmen wir dies doch eher genau in umgekehrter Weise wahr - zumindest dann, wenn in der generativen Abfolge die Betroffenheit exorbitant wird, weil wir - indem wir alt und älter, schwach und schwächer werden - unsere Kinder und Kindeskinder in aufbrechender Perspektive und aktiver Haltung wahrnehmen, während in uns zunehmend abschiedliche Perspektiven Gestalt annehmen. Mit Blick auf abschiedliche Perspektiven kommt Maurice Halbwachs zu einer Randbemerkung, die uns einlädt bzw. zwingt, im Rückblick - vielleicht sogar unter dem unmittelbaren Eindruck des Abschieds von Vater und Mutter - folgenden Gedankengang zuzulassen:
"Jemand, der seine verstorbenen Eltern nicht vergessen will und sich dagegen wehrt, ihre Namen zu wiederholen, stößt bald auf allgemeine Gleichgültigkeit (Anm.: Maurice Halbwachs hatte angemerkt, dass die Griechen die Neigung besaßen, den Enkeln den Namen ihres Großvaters zu geben). In seine Erinnerungen eingesponnen, bemüht er sich vergeblich, unter das, was die gegenwärtige Gesellschaft interessiert, das, was die Gruppen von gestern interessierte, zu mischen. Aber es fehlt ihm dabei gerade die Unterstützung dieser verschwundenen Gruppen. Ein Mensch, der sich nur an das erinnert, woran die anderen sich nicht erinnern, gleicht jemandem, der etwas sieht, was die anderen nicht sehen. Er hat in gewissem Sinne Halluzinationen und fällt seiner Umgebung unangenehm auf. Da die Gesellschaft unmutig reagiert, schweigt er, und durch dieses Schweigen vergißt er die Namen, die niemand um ihn herum mehr ausspricht." (S. 229)
Gewiss komme ich mir manchmal selbst genau so vor, wie es Maurice Halbwachs beobachtet. Aber ich meinerseits habe einen starken (und zu Teilen zu Recht verfluchten) Verbündeten: Das Internet vergisst nichts. Auch nicht die Namen, die ich einem anonymen digitalen Gedächtnis einschreibe: Die Namen meiner Großeltern - in Sonderheit den von Josef Lahnstein; die Namen meiner Eltern: Hilde und Theo (der mit dem Namen meines Vaters verbundene Link führt zu einem ersten Versuch, Familie als generatives Phänomen zu beschreiben - ebenso wie dann Kurz vor Schluss II); den Namen meines Bruders: Wilfried; den Namen meiner Tante Annemie (im Kontext ihrer Familie - siehe im Link, Kapitel 13 - das Passwort zum Link lautet: wiro2015); den Namen von Franz Streit (der Vater meiner Schwester), den ich versuche einzuordnen sowohl in einen historischen als auch in einen engeren familialen Kontext); den Namen von Ernst Josten. Es sind viele weitere Namen, die ich hier anfügen könnte - Namen, die vergessen werden. Bei den angegebenen Links habe ich mich auf das engere Feld der Familie und ihre Toten beschränkt.
Es wäre freilich zu wünschen, wenn ich mit meinem Unterfangen nicht gänzlich alleine bliebe, und wenn sich die Annahme des Maurice Halbwachs bestätigen würde:
"Zumeist [...] stellen wir fest, daß die Verwandten heute nicht mehr die gleichen sind wie gestern. Sie stellen dann die gesamten Familienerinnerungen wieder richtig und ergänzen sie, indem sie den Behauptungen altgewordener und wenig zuverlässiger Zeugen die Meinung von Menschen aus anderen Gruppen und auch Analogien, geläufige Vorstellungen und alle der zu ihrer Zeit außerhalb ihrer Gruppe um sie herum gängigen Vorstellung entgegensetzen. So beschränkt sich die Geschichte nicht darauf, die Erzählung der Zeitgenossen vergangener Ereignisse zu reproduzieren, sondern sie retuschiert von Epoche zu Epoche, nicht nur, weil sie über andere Zeugen verfügt, sondern um sie den Denkweisen der Menschen von heute und ihrer Art, sich die Vergangenheit vorzustellen, anzupassen." (S. 231)
Mini-Exkurs: Volker Kutscher: Der zehnte Rath-Roman, Seite 615: Charly: Doktor Bischoff? Dem kann man nichts nachweisen. Der arbeitet munter weiter, und der Arzt, der ihm das Handwerk legen wollte, sitzt im Lager. Gereon: Tja, so ist das wohl. Wieviele Morde gibt es auf dieser Welt, die niemals gesühnt werden? Wieviele hat es schon gegeben und wieviele wird es noch geben? So viele, dass kein Mensch sie jemals wird zählen können. Charly: Aber sind wir nicht genau deshalb angetreten, diese Zahl zu verringern? Gereon: Am Anfang bin ich das. Aber irgendwann merkst du, dass du doch nichts ausrichten kannst.
Volker Kutscher erzählt uns Geschichten. Gereon Rath und Charlotte Ritter sind nicht nur die Hauptprotagonisten, sondern sie sind auch Sympathie-Träger dieser Geschichten - trotz aller Verwicklungen und Verstrickungen, in einer Zeit, aus der heraus Gereon Rath endgültig die Flucht nach Amerika antritt, weil er der GeStaPo entwischt und erkannt hat, dass der Tod ein Meister aus Deutschland sein wird. Charlotte Rath hingegen bleibt ihrer Mission verpflichtet, den Sohn von Hannah Singer und Fritze per Adoption (vor seiner sicheren Vernichtung) zu retten. Wie weit sie dafür gehen wird und muss, bleibt offen. Offen bleibt hingegen nicht, was es wohl bedeutet hat, im Tausendjährigen Reich (dessen Ende niemand abzusehen vermochte, der mitten in der zeitgeschichtlichen Dynamik der 30er Jahre steckte) Angehörige des Polizeiapparates zu sein. Ich erwähne dies hier nur am Rande, weil es so scheint, wie Maurice Halbwachs es andeutet: "So beschränkt sich die Geschichte nicht darauf, die Erzählung der Zeitgenossen vergangener Ereignisse zu reproduzieren, sondern sie retuschiert von Epoche zu Epoche, nicht nur, weil sie über andere Zeugen verfügt, sondern um sie den Denkweisen der Menschen von heute und ihrer Art, sich die Vergangenheit vorzustellen, anzupassen." Kann man Volker Kutscher Retusche unterstellen? Das würde ich gerne meinen Neffen fragen. Zumindest kann man sagen, dass das Eis recht dünn ist, auf dem Volker Kutscher mit Gereon und Charly Rath wandelt. Vielleicht wird uns ja Gereon Rath in einer doch nicht gänzlich ausgeschlossenen Fortsetzung als amerikanischer Offizier im besiegten Deutschland wiederbegegnen - wie weiland Stefan Heym?
Dass Franz Streit nicht zu den namenlosen Vergessenen gehört, verdankt er in Sonderheit seiner Tochter, Ursula, die ihren Vater nie kennengelernt hat. Er gehört zu jenen etwa 5,3 Millionen Wehrmachtsangehörigen, die ihre Gefolgschaft mit dem Höchstpreis bezahlt haben - ihrem Leben. Nicht nur Bernhard Schlink ermahnt uns genauer hinzusehen, um zu verstehen, um zu begreifen, was vernichtender Staatsterror bedeutet, und was er mit und in Menschen anrichtet, die dem (Un-)Geist der Zeit ausgesetzt waren. Dieses Verdienst kommt auch Volker Kutscher zu.
Ich bin bereit, folgende Skepsis des Maurice Halbwachs einerseits zu teilen - andererseits mich mit all meiner Kraft ihr entgegenzustemmen. Nicht nur weil er von den Nazis in Buchenwald ermordet worden ist, sondern weil Maurice Halbwachs mit seiner 100 Jahre alten Schrift eine Botschaft sendet, die in der Postmoderne unterzugehen droht. Er meint:
"Die Großeltern spielen, insofern sie sich in das Leben des neugegründeten Haushalts einmischen, nur eine beiläufige Rolle. Nur in Bruchstücken und wie durch das Medium der neuen Familie hindurch teilen sie den Enkeln ihre Erinnerungen mit und lassen so den Widerhall fast verschollener Traditionen zu ihnen gelangen. Sie können für sie kein Vorstellungsganzes und kein Tatsachenbild wieder lebendig werden lassen, die nicht als dieses Ganze und als dieses Bild in den Rahmen passen, in dem sich gegenwärtig das Denken ihrer Nachkommen bewegt. Nicht ohne Gewalt und manchmal nicht ohne Leiden und innere Zerwürfnisse geht diese Art Bruch zwischen zwei Generationen vor sich, den keine Wiederannäherung und Rückkehr mehr ungeschehen machen wird." (S. 234)
Maurice Halbwachs wirft ein Blitzlicht in häufig geronnene Leidensgeschichten, deren Wurzeln vollkommen außerhalb der Verantwortung der leidenden Akteure liegen:
"Wenn die gegenwärtigen Empfindungen und Gemütszustände stark genug wären, damit die einzelnen ihre Vergangenheit der Gegenwart opferten und sich von ihren Angehörigen losrissen, ohne sich die Schmerzen recht lebhaft vorzustellen, die sie hinter sich zurücklassen, so würde man nicht begreifen, daß sie sich innerlich zerrissen fühlen und daß das Bedauern bei ihnen zuweilen die Form von Gewissensbissen annimmt." (S. 235)
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Was fühlen Hunde?
so - inzwischen ist der Beitrag denn auch zu meiner Zufriedenheit zurückgewachsen bis zu den Hunden meiner Kindheit und Jugend und unserem Seelentier Biene - man kann es in der Hommage an Charly, Vasco und Biene nachlesen. Beim Wiederlesen dieses Beitrages ist mir im Übrigen klar geworden, wie sehr Biene mir erlaubt hat, die (für den Campus rechtsverbindlich)e Welt-Sicht von gleichermaßen geist- wie seelenlosen Amtspersonen, wie der seinerzeitigen Kanzlerin der Uni, Frau Mertel-Scherer, zu entlarven und erfolgreich zu attackieren.
Wir wissen es nicht genau. Aber in der Kommunikation mit unseren Hunden vermittelt uns die Fülle eines wechselseitig anschlussfähigen Repertoirs von Handlungen und Gesten, wie sehr sich Menschen und Hunde aufeinander einzulassen vermögen. So erleben viele eben ihren Hund als Spiegel ihrer eigenen Befindlichkeiten. Hunde vermögen ganz offenkundig unsere Gefühlwelt zu spiegeln - mehr noch: Man mag von Empathie sprechen, wenn Hunde durch die feinen Unterschiede ihres - auch proaktiven Verhaltens - signalisieren: Ich weiß, wie es dir geht! Schon als Kind waren mir mit Lux, Blacky, Anja und Ondra die verschiedensten Hundepersönlichkeiten in liebevoller Zuneigung und Verantwortung zugewachsen - zuletzt (das ist immerhin schon elf Jahre her) habe ich es in meiner Hommage an Charly, Vasco und Biene (und mit der Erfahrung Karl Otto Hondrichs) versucht auf den Punkt zu bringen.
Rupert Sheldrake war Direktor für Biochemie und Zellbiologie am Clare College (das zweitälteste College Cambridges). Eines seiner Unterkapitel in: Der siebte Sinn der Tiere - Warum ihre Katze weiß, wann Sie nach Hause kommen und andere bisher unerklärte Fähigkeiten der Tiere (5. Auflage, Bern, München, Wien 2000) ist schlicht mit dem Titel überschrieben: Empathie - ein weiteres mit: Das Halten von Tieren ist gesund (Seite 117f.). Dort ist zu lesen:
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Worum geht es? (siehe auch: Der ewige Wiederkunftsgedanke)
"Worum geht es?" war die conclusio aus den Erfahrungen, die ich - die wir - gemeinsam mit meiner Schwiegermutter während ihrer Zeit im Laubenhof gemacht habe. Der Versuch, mit ihr gemeinsam unter einem Dach zu leben - sie hatte sich am 11.12.2015 im Alter von 93 Jahren den Oberschenkel gebrochen - war gescheitert. Vom Mai 2017 an lebte sie im örtlichen Seniorenheim. Wir sind uns dort fast jeden Tag begegnet. Die hier versammelten Briefe bilden einen Kern dessen, was wir gemeinsam - mit Blick auf ihr Leben - zusammengetragen haben, getragen vom basso continuo dessen, was die vier folgenden Punkte andeuten. Dies würde für mich nicht funktionieren ohne den Versuch die Frage zu beantworten, ob man lernen kann zu wollen, was man soll (Kapitel 23 aus Kurz vor Schluss II)?DA SEIN: Da sein bedeutet sein eigenes Dasein zu überdenken. Es bedeutet, Zeit abzugeben – vielleicht auch Zeit zu gewinnen. Im Falle von Lisa, meiner Schwiegermutter, bedeutet es hinzufahren oder hinzugehen in den Laubenhof und mit ihr Zeit verbringen - einen Resonanzraum zu schaffen:
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Der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke - ein Gedanke Nietzsches
Hier noch einmal intensiv angedacht mit Blick auf die Tatsache, generativ nunmehr ganz vorne - sozusagen an vorderster Stelle angelangt zu sein.
Das Alter bzw. im Geschehen des Alterns verändert sich unsere Wahrnehmung bzw. die Schlüsse, die wir ziehen in der Auseinandersetzung mit unserer (Selbst-)Wahrnehmung. Besonders deutlich wird mir dies in der Realisierung eines Rollenwechsels, der mit der Auflösung generativ naheliegender Fürsorge einhergeht. Die Auflösung des Bios mit Blick auf die (Schwieger-)Eltern-Generation, der Tod als die unaufhebbare Grenzerfahrung, zwingt uns das (für mich) stets gegenwärtige memento mori (generativ) in eine neue Dimension zu rücken. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, das memento mori selbst - wenn ich behaupte, es sei früh schon präsent in mir gewesen - sei sozusagen in eine unverückbare generative Abfolge eingebunden - mors certa - hora incerta: Vielmehr gilt es Rainer Maria Rilkes lyrisch doch auf unvergleichliche Weise gefasstes memento mori zu bedenken: Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. In meiner seinerzeit - 1994 - ganz und gar von Normalität beherrschten Welt (ohne Kriege und existentielle Nöte) hat sich Rilkes Aphorismus tief in meine Erfahrungwelt eingegraben. Gleichwohl vollzog sich in den Jahrzehnten danach jene generative Abfolge, in der tradierte Rituale und Strukturen beherrschend blieben und mehr und mehr wurden, weil die Jungen, für die die Alten gesorgt hatten, nun für die Alten sorgten: Papa, Mama, Schwiegervater und Schwiegermutter.
Ich betrachte es im Übrigen als unverhofftes Glück, dass sich die generative Abfolge noch einmal modifiziert, und dass wir Alten nun helfen und unterstützen dürfen dabei die ganz Jungen in eine nicht mehr ganz so heile Welt begleiten zu dürfen!
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Olaf Scholz - klar und deutlich
Die grundsätzliche Frage bleibt, wie erreicht man heute noch ein Massenpublikum bzw. Teile davon, die sich in erster Linie über soziale Medien informieren und dabei in der Regel nur bedingt realisieren, welchen vertiktokten Rattenfängern sie auf den Leim gehen? Auch der SPD wird es nicht gelingen die Hürden und Barrieren zu überwinden, hinter denen sich jene versammeln, die politisch nur noch im Affekt handeln bzw. (re)agieren.
Ich bin vor zwei Jahren aus der SPD ausgetreten. Heute Morgen habe ich mir die Parteitagsrede von Olaf Scholz beim Spartensender Phoenix angehört. Dabei konnte ich durchaus spüren, wie sehr es dann doch auch befreit, wenn man (ämter)frei reden kann. Olaf Scholz hat mir noch einmal überzeugend und hautnah vermittelt, warum die SPD die Partei meiner Jugend, meines Aufbruchs bleibt - und warum ich ihr mit ein wenig Herzblut auch heute verbunden bleibe.