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Bevor es zu spät ist – welche schwierigen, aber wirklich wichtigen Fragen wir unseren Eltern stellen sollten.

Das ZEIT-Magazin lockt mit diesem Aufmacher auf der Titelseite der ZEIT-Ausgabe vom 24. Oktober 2024 (45/24). Immerhin helfen dabei fünf renommierte Zeit-Redakteur:innen: Andreas Öhler, Johannes Dudziak, Iris Radisch, Malin Schulz und Raoul Löbbert. Sie nähern sich dem heiklen Themenkomplex, indem sie – sozusagen vorgeschaltet – fragen:

„Kennen wir unsere Eltern eigentlich wirklich? Wieso fällt es uns schwer, ihnen die Fragen zu stellen, die wir an sie haben?“ Sie verweisen auf ein neues Buch von Stephan Schäfer – eigentlich zwei Bücher. 100 Fragen hat er in einem Buch versammelt, das in der Tat in zwei Versionen erscheint – eins richtet sich an Mütter, das andere an Väter; es heißt: Das Buch, das bleibt (bei Ullstein).

Die Geschichten, die den genannten ZEIT-Redakteur:innen dazu einfallen sind gewiss mehr oder weniger lesenswert. Wie schon in meinen vorangegangenen Blog-Beiträgen wird hier eine Tür geöffnet, durch die gewiss nicht jeder gehen mag. Natürlich kennen wir unsere Eltern:

„Sie waren da in unserem ersten Moment, und wir sind es vielleicht in ihrem letzten. Aber kennen wir auch den Menschen, der unsere Mutter, unser Vater ist? Wissen wir, wer sie waren, bevor wir sie für immer zu unseren Eltern machten? Und was passiert, wenn wir uns diese Frage – und dieser Frage – wirklich einmal stellen?“

Wolfgang Schmidbauer: Dämonisierung von Eltern

mit einem Hinweis auf: Hannes Ringlstetter - Mein Abschied vom Vater

Wolfgang Schmidbauer hat mir bereits 2006 als Interviewpartner zur Verfügung gestanden - siehe hier: Die heimliche Liebe - das war zu Zeiten von Kopfschmerzen und Herzflimmern - kurz nach dem Tod der geliebten Mutter, deren Frühgeschichte - incl. der Geburt meiner Schwester 1942 - in der Auseinandersetzung durchaus Fragen aufgeworfen hat (siehe: Hildes Geschichte). Aber es war keine nachgetragene Liebe, sondern schlicht der Versuch ein wenig Licht in die abgeschatteten Dunkelzonen unserer Familiengeschichte hineinzutragen.

Heute fiel mir ein Interview in die Hände, das Wolfgang Schidbauer im aktuellen SPIEGEL (43/4, Seite 108-111) Tobias Becker gegeben hat. Ich gebe in der Folge einmal ein paar Passagen wieder, die bedenkenswert erscheinen:

Schmidbauer: Die Vorstellung, missratene Eltern gehabt zu haben, befreit von dem depressiven Konzept, selbst an allem schuld zu sein. Aber auf Dauer ist es schlecht fürs Selbstbewusstsein, diejenigen schlechtzumachen, die einem nahestehen. Ich nenne das den kannibalischen Narzissmus. Wenn ich sage, dass meine Frau ganz grässlich ist, muss ich mich auch als jemand sehen, der keine bessere Frau gefunden hat. So ähnlich ist es zwischen Kindern und Eltern. Wer seine Eltern entwertet, entwertet auch sich selbst. Dazu kommt ein weiteres Problem, das größere vielleicht.

SPIEGEL: Welches?

Schmidbauer: Wer sich als Kind inszeniert, erlebt sich als solches und verliert den Kontakt zu seinen Stärken, zu seiner Autonomie.

SPIEGEL: Der Psychoanalytiker kritisiert die Geister, der er gerufen hat?

Kann man sich auf Verlusterfahrungen vorbereiten? Die RZ als Ratgeber

„Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde. So Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024). Reckwitz versucht zu beschreiben, wie – und mit welchen Mitteln – die Moderne Verluste unsichtbar macht. Der Buchdeckel gibt in einer knappen Zusammenfassung Einblick in die zugrundeliegenden Annahmen und die Absicht, die Reckwitz hegt:

„Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen. Verluste bedrängen die westlichen Gegenwartsgesellschaften in großer Zahl und Vielfalt. Sie treiben die Menschen auf die Straße, in die Praxen der Therapeuten und in die Arme von Populisten. Sie setzen den Ton unserer Zeit. Während sich die Formen ihrer Verarbeitung tiefgreifend verändern, scheinen Verlusterfahrungen und Verlustängste immer weiter zu eskalieren. Wie ist das zu erklären? Und was bedeutet es für die Zukunft?

Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024) und Zygmunt Bauman: Fragmente meines Lebens (Suhrkamp Verlag Jüdischer Verlag, Berlin 2024) - in progress

Teil I: Andreas Reckwitz: Verlust - Ein Grundproblem der Moderne:

„Der Mensch leidet, weil er Dinge zu besitzen und zu behalten begehrt, die ihrer Natur nach vergänglich sind.“ (Siddhartha Gautama)

In seiner Einleitung beginnt Andreas Reckwitz mit Tuvalu: Tuvalu versinkt im Meer – ein besonders plastisches Beispiel  für die Schädigungen, die der Klimawandel global bewirke. Er versteht sein Buch als einen Beitrag zur Theorie der Moderne. Reckwitz stellt seinem Buch acht Episoden voran – er spricht von Befunden aus der Gegenwartsgesellschaft. Sie alle drehten sich um Verluste. So zum Beispiel um Folgen des Klimawandels, die Verfestigung negativer Zukunftserwartungen, um postindustrielle Modernisierungsverlierer, um den Umgang mit historischen Wunden, den Umgang mit individueller Verletzlichkeit, Populismus, rückwärtsgewandte Nostalgievorstellungen oder Resilienz. Verluste seien im Zentrum der Moderne angekommen.

Gesellschaft muss darauf reagieren: „Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde:

„In Sachen Erkenntnis ebenso hinderlich wie ein Negativismus ist die Einstellung der Abwehr, wenn man also von Verlusten nichts (mehr) hören will, sie aktiv ausblendet. Verluste sind ein unangenehmes Thema, nicht selten – insbesondere, wenn sie das Scheitern im persönlichen Leben betreffen – mit Scham verbunden oder mit einem Tabu belegt, über das man lieber den Mantel des Schweigens breitet.“ (Seite 15)

Arbeit und das gute Leben

Für Esther und Ihre Kooutorin anlässlich der Veröffentlichung von Arbeit und das gute Leben. Meine erste Auseinandersetzung mit dem von Esther Konieczny und Lena Stoßberger vertretenen Ansatz basierte auf einer Vorveröffentlichung. Insofern wird meine seinerzeitige Kritik der jetzt vorgelegten Publikation nicht in Gänze gerecht. Dies wird einem eigenen Beitrag vorbehalten sein. Der kurze nachstehende Verweis auf Hartmut Rosa und Karl Otto Hondrich passt in den vorgegebenen Kontext.

Veröffentlicht: 13. Juli 2024

Es geht auch mit Hartmut Rosa

Es muss nicht Karl Otto Hondrich sein, der ja deutlich über eine rein deskriptive Analyse der Individualisierungsgewinne und -verluste hinausgeht. Auch aktuelle Soziologen vom Format eines Hartmut Rosa äußern sich in ähnlicher Weise, wenn auch in einer nuanciert anderen Sprache (siehe vor allem auch: hier):

"Eine Kritik der Resonanzverhältnisse zielt also notwendig auf Emanzipation und Autonomie. Allerdings und das ist mein entscheidender Punkt, reicht diese freie Schwingungsfähigkeit als Kriterium für ein gutes Leben nicht aus." (S. 755)

   
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