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Nur wer vergessen wird, ist tot

Gestern - am letzten Septembertag - bekam ich eine Whattsapp von Rose Merfels: "Rudi hatte letztes Jahr noch eine 'Kerze entzündet' für Mario! Es ist dort zu lesen: >Gedenkkerze Rudi Krawitz - entzündet am11.05.2024 um 9.30 Uhr. Nur wer vergessen wird, ist tot.<"

So wirst Du, lieber Rudi weiterleben - wie Mario - zumindest solange Rose, Claudia und ich - und so viele, viele andere leben, weiterleben ohne Dich, nachdem Du Deinen Weg zu Ende gegangen bist. Du weißt, dass ich einen besonderen Weg Dir verdanke. Wir sind ihn oft gegangen - gemeinsam und jeder für sich. So schreibe ich ihn hier noch einmal auf. Er ist ja schon seit vielen Jahren - in der Mohnfrau (Seite 91-94) - nachzulesen. Nachlese! Dir verdanke ich auch Peter Härtlings Nachgetragene Liebe. Wie oft hast Du Peter Härtling zitiert und Dich mit ihm verbunden gefühlt - bis zuletzt mit dem Blick auf die bittere Sehnsucht nach einem zu Hause, die weglos geworden war; Peter Härtling (auch dieser Beitrag, vom 13. Januar 2023, war Dir, lieber Rudi, zugedacht), ja, Peter Härtling, der mir über Dich so nahe gekommen ist.

Der Feldweg

Rudi Krawitz verdanke ich Martin Heideggers „Der Feldweg“ (in der Ausgabe von Vittorio Klostermann, Frankfurt 1953, mir in der sechsten Auflage aus 1978 vorliegend). Martin Heidegger endet mit der Einsicht: „Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“ In Heideggers fast lyrischen Anmutungen wird überdeutlich, wie sich im Feldweg einerseits Facetten urwüchsiger Natur lichten. Im Feldweg manifestieren sich andererseits die uralten Wegmarken einer kulturell geprägten Landschaft. Und dennoch erahnen wir den Geschmack von Langsamkeit und Stete, mit denen der Baum wächst: „Die Eiche selber sprach, dass in solchem Wachstum allein gegründet wird, was dauert und fruchtet […] und immer noch sagt es die Eiche dem Feldweg, der seines Pfades sicher bei ihr vorbeikommt.“

Das für andere immer öde(r) erscheinende Erwandern desselben Weges erscheint Martin Heidegger gleichermaßen vertraut und fremd, weil „dieselben Äcker und Wiesenhänge den Feldweg zu jeder Jahreszeit mit einer stets anderen Nähe begleiten“. Aber dies vermag nur jenen sich erschließen, die „im Einfachen das Rätsel des Bleibenden und Großen“ erahnen: „Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Und weiß Gott keine heile Welt. Aber man mag Martin Heidegger zurufen, dass die Zahl derer, „die noch das Einfache als ihr erworbenes Eigentum kennen“, sich nicht – wie er meint – rasch verringert. Wir hören es heute überdeutlich, das Menetekel eines Sehers (der ja im Übrigen auch ein Blinder war) der hofft, dass die Wenigen überall die Bleibenden sein werden: „Sie vermögen einst aus der sanften Gewalt des Feldweges die Riesenkräfte der Atomenergie überdauern, die sich das menschliche Rechnen erkünstelt und zur Fessel des eignen Tuns gemacht hat.“ Ja, wir sehen von unserem Feldweg aus auch das Milliardengrab Mülheim-Kärlich, jenen Atommeiler, in dem sich die gigantische Vernichtung materieller und kreativer Ressourcen so exemplarisch und auch jämmerlich manifestiert - mittlerweile eingeebnet, aber als Menetekel lebendig.

Umso mehr erweckt „der Zuspruch des Feldweges einen Sinn, der das Freie liebt und auch die Trübsal noch an der günstigen Stelle überspringt in eine letzte Heiterkeit“. Und wir wehren in der Tat dem Unfug des nur Arbeitens, der – wie Martin Heidegger meint – für sich betrieben allein das Nichtige fördere.

Zugegebenermaßen besänftigen und zähmen wir die Trübsal nicht selten mit jenen Tropfen, deren Ursprung sich den Reben am Rande des Feldweges verdankt. Die osmotischen Wechselwirkungen, die hier ausgelöst und angestrebt werden, vermitteln und verbürgen eine Bodenständigkeit ohnegleichen – wenn auch zeitweise verbunden mit dem Verlust der Bodenhaftung.

Wir mögen die göttliche Dimension vielleicht blasphemisch manches Mal auf ihre bacchantische Facette verkürzen – therapeutisches Wandern mit Trinkern im Sinne von Hans Kusenbach; aber auch dies ganz gewiss nicht in der Manier jener Saufbanden und -gelage, die sich auf Planwagen durch die Gemarkungen ziehen und schieben lassen.

Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt. Im Ungesprochenen ihrer Sprache ist, wie der alte Lese- und Lebensmeister Eckehardt sagt, Gott erst Gott.“

Den Zuspruch des Feldweges – so Martin Heidegger – vermögen allerdings nur jene zu hören, die in seiner Luft geboren sind: „Sie sind Hörige ihrer Herkunft, aber nicht Knechte von Machenschaften. Der Mensch versucht vergeblich, durch sein Planen den Erdball in eine Ordnung zu bringen, wenn er nicht dem Zuspruch des Feldweges eingeordnet ist. Vor rund 60 Jahren drohte für Martin Heidegger die Gefahr, „dass die Heutigen schwerhörig für seine Sprache bleiben“. Ihnen falle nur noch der Lärm der Apparate ins Ohr. So werde der Mensch verstreut und weglos. Den Zerstreuten erscheine das Einfache einförmig. Das Einförmige mache überdrüssig. Die Verdrießlichen fänden nur noch das Einerlei. Das Einfache sei entflohen und seine stille Kraft versiege.

Vielleicht sind Rudi und ich inzwischen alt genug, den Zuspruch des Feldweges ganz deutlich zu vernehmen, wenn wir gemeinsam oder alleine unserer Wege ziehen:

„Spricht die Seele? Spricht die Welt? Spricht Gott? Alles spricht den Verzicht in das Selbe. Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen. Der Zuspruch macht heimisch in einer langen Herkunft.“

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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