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Tempora mutantur, nos et mutamur in illis - Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen“

Der Freund sendet mir: Richard David Precht erklärt uns die Geschichte. Und er hat Recht. Die Osterweiterung der NATO hat in Russland zu einem neuen Nationalismus und Revanchismus geführt. Precht führt uns zurück an den geschichtlichen Wendepunkt, an dem das Sowjetimperium zerbricht und sich die Welt neu zu ordnen beginnt.

Die Russische Föderation ist der Rechtsnachfolger der Sowjetunion. Im Jahr 2020 wurde dies durch eine Verfassungsänderung endgültig festgelegt. Im Gegensatz zu Deutschland war die Sowjetunion (da als Siegernation aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen) – so wie die Russische Föderation im Zuge der Westverschiebung der Grenzen der einzige wirkliche geopolitische Nutznießer der Neuordnung. Von einem Gewaltverzicht und von einem Verzicht auf Gebietsansprüche, wie sie von der Bundesrepublik Deutschland 1991 vertraglich erneut besiegelt wurden, war und ist die Sowjetunion und ihr Rechtsnachfolger Galaxien entfernt. Richard David Precht hat ja Recht, wenn er von einem neuen Nationalismus und Revanchismus in Russland ausgeht. Man kann geneigt sein, den Niedergang und das Auseinanderbrechen der UdSSR in einen milden, abgeschwächten Vergleich zu setzen mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands 1945. Auf welcher Rechtsgrundlage also nimmt Russland in Anspruch, die Souveränität der Staaten (und ihr Recht auf vertraglich zugesicherte Autonomie), die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgingen, in Frage zu stellen?

Für einen Freund

Martin Buber hätte sich besser an Albert Einstein und Sigmund Freud gewandt - auch deren Erkenntnisse klingen bitter, aber eben nicht zynisch wie im Folgenden die Empfehlungen Gandhis an Martin Buber.

Seit dem Februar 2022 führen uns die Kontroversen um den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dabei räume ich gerne ein, dass ich mich vermutlich - summa summarum - weiter auf meinen Freund zubewegt habe als umgekehrt. Inzwischen geht es mir überwiegend nur noch um die Dilemmata, die sich zwischen extremen Positionen eines radikalen Pazifismus und dem legitimen Recht auf Selbstverteidigung ergeben. Tief bin ich in den ideologischen Marianengraben eingestiegen und bin zu dem Ergebnis gelangt, dass Carl Schmitt über Immanuel Kant obsiegt. Heute lass ich schreiben. Ich werde zitieren aus: Heribert Prantl - Den Frieden gewinnen - Die Gewalt verlernen (Heyne Verlag, München 2024).

Tahsim Durgun: >Mama, es reicht<

Die Sinnhaftigkeit dessen, was ich hier tue, erschließt sich aus einer Haltung, aus der heraus sich Deutschland lernt zu verstehen als Schmelztigel:

In der Soziologie und in den Politikwissenschaften beschreibt der Begriff „Schmelztiegel“ (engl.Melting Pot) die Assimilation und die Integration von Einwanderern in die Kultur eines Landes. Die verschiedenen Kulturen und Werte sollen sich zu einer gemeinsamen integrierten nationalen Kultur mischen. Neben „Melting Pots“ sind aber immer auch so genannte „Salad Bowls“ vorzufinden, in denen nicht alle Kulturen verschmolzen werden, sondern Einwanderergruppen je für sich eigene, klar abgegrenzte Kulturen pflegen. Dies kann – wie in Kanada als „multikulturelles Mosaik“ praktiziert – ausdrückliches Ziel sein oder auch auf mangelhafter Detail-Umsetzung einer Schmelztiegelpolitik beruhen.

Sonett für Mascha Kaléko

Denk ich der Tage, die vergangen sind,
Und all des Lichtes, das aus uns strahlte,
Da Zuversicht und Glaube Bilder malte,
Und aus goldnen Fäden unsere Zukunft spinnt.

Denk ich, wie Träume damals in uns ras(t)en,
Wie wir im Rausch entwarfen unser Land
Ganz zielgewiss mit starker Hand,
Das Land, zu dem die Braunen immer schon den Weg vergaßen.

Lasst uns als Wächter stehen vor den Toren
Und ringen wir um das, was falsch ist und was wahr.
Blau sei nur der Himmel, vertreiben wir die braune Schar;
Damit das Licht, das Licht in uns nicht geht verloren.

Nicht nur im Traume soll es glühn und funkeln.
Kein brauner Sumpf soll unsern Horizont verdunkeln.


Horst Krüger leitet den dtv-Band: Mascha Kaléko - Die paar leuchtenden Jahre (München 2003) mit eigenen Erinnerungen ein: Meine Tage mit Mascha Kaléko. Auf 366 Seiten vereinigt diese Veröffentlichung Texte von Mascha Kaléko. Im kurzen Vorwort von Gisela Zoch-Westphal verwendet sie den Begriff der Gebrauchslyrik: "Als solche wurden Mascha Kalékos Gedichte hier und da etwas von oben herab abgestempelt. Gebrauchslyrik - einverstanden. Ich brauche sie - zum Leben. Meine eigene geplante Veröffentlichung - Das lyrische Klärwerk - wird die Gattung der von Erich Kästner und Mascha Kaléko begründeten Gebrauchslyrik in alten und neuen Kontexten wiederbeleben. Aber zurück zu Horst Krüger. Im Frühherbst 1974 verbringt er mit Mascha Kaléko "drei ruhelose Tage, unvergeßlich". Aus seinen Erinnerungen gebe ich folgende Eindrücke wieder:

Albert Einstein - Sigmund Freund: Warum Krieg? Ein Briefwechsel

Aus dem Jahr 1932 ist ein Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud belegt. Als Kleines Diogenes Taschenbuch ist er 1996 im Diogenes Verlag Zürich einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden. In der gegenwärtigen weltpolitischen Lage, zu der ich die belegbare These vertrete, dass Carl Schmitt gegenüber Immanuel Kant obsiegt hat, werden die Auslassungen Einsteins und Freuds einerseits verblüffen, andererseits dafür sorgen, dass die gegenwärtigen Kontroversen eher befeuert denn relativiert werden.

Dem Briefwechsel ist ein Statement Albert Einsteins vorangestellt mit dem Titel: Für einen militanten Pazifismus. Ich gebe die zentralen Thesen bzw. Positionen wieder:

Man kann die Eröffnung Albert Einsteins in der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland an die Adresse der FDP und der CDU/CSU – auch der AfD richten. Der erste Satz lautet: „Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder –traditionen zu machen.“ Und gleichermaßen höchst umstritten die zweite – auf Benjamin Franklin gestützte – Auffassung: „Es hat niemals einen guten Krieg und niemals einen schlechten Frieden gegeben.“ Gegenwärtig bleibt genau diese harte Unterscheidung zu verifizieren am drohenden Diktatfrieden, den die USA und Rußland der Ukraine aufzuzwingen drohen. Darin steckt auch die Begründung, warum ich innerhalb der deutschen Parateienlandschaft unterscheide zwischen jenen Parteien, die die Aggression Putin-Rußlands unwidersprochen hinnehmen und jenen, die Einsteins Forderung nach einer Zurückweisung des Rechts des Stärkeren untermauern.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund