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Wenn Du noch eine Mutter hast II

Ein Nachtrag

Von Putzerfischen und Schmeißfliegen "Viele Frauen sind zu leicht zu beeindrucken. Sie umschwirren die Männer wie Putzerfische den Hai" von Sabine Rückert (ZEIT 6/2016, Seite 50)

In ihrem Beitrag aus 2016 liest Sabine Rückert ihren Geschlechtsgenossinnen die Leviten. Ich greife von ihren zehn Punkten heute – am Muttertag – noch einmal den achten heraus. Selten habe ich das Bekenntnis zu einer (späten) Mutterschaft mit so viel Selbstironie und entwaffnender Ehrlichkeit wahrgenommen. Auch wenn Männer in ihrer nach wie vor ungebrochenen Hybris – nehmen wir Robert de Niro mit seinen fast 80 Lebensjahren zum Beispiel – in beträchtlicher Anzahl dafür sorgen, ihren verspäteten Kindern schon früh eine väterlich begründete und damit in allernächster Zukunft bereits verbürgte Halbwaisenschaft ins Stammbuch zu schreiben, halte ich es – auch als Mann – mit Sabine Rückert. Sie schreibt unter Punkt acht ihrer Abrechnung:

Wenn Du noch eine Mutter hast I

Es ist  -  mal wieder  -  Muttertag

Was ist eine Mutter? Eine einfache, große Frage zum Muttertag an eine EU-Kommissionspräsidentin, eine Hirnforscherin, eine Soldatin und andere „entbindende Personen“ VON TINA HILDEBRANDT UND ELISABETH RAETHER – in der ZEIT 20/23, Seite 6

Viele, die meine Blog-Beiträge lesen, kennen mich irgendwie von irgendwann und irgendwo. Ich bin 71 Jahre alt, männlich, habe nicht entbunden, habe aber viel geschrieben, vor allem inspiriert von Karl Otto Hondrich über Bindung, Geborgenheit und Entschiedenheit – zuletzt auch angeregt von Maximilian Probst über Verbindlichkeit. Ich habe auch schon die steile These vertreten, dass wir unser soziales Zusammenleben und die Art und Weise, wie wir Konflikte lösen, auf andere Weise gestalten würden, wenn Männer die Entbindenden wären. Andererseits spricht aber letztlich wenig für diese Annahme, da eine soziale Missgeburt wie Adolf Hitler vor allem unter Frauen den stärksten Rückhalt fand. Gleichwohl hätten bei militärischen Auseinandersetzungen die Kinder von Mördern – wie beispielsweise Wladimir Putin (samt seiner Führungsclique) an vorderster Front zu stehen. Eine Sensibilität oder schlichte Vorstellung davon, was es bedeutet, Raketen auf wehrlose Männer, Frauen, Kinder, alte Menschen, beeinträchtigte Menschen – im Übrigen auch entbindende Personen – abzufeuern, ist bei sozial debilen Menschen, wenn überhaupt, nur durch unmittelbare eigene Betroffenheit zu erzeugen. Es fällt mir schwer, solche Sätze zu schreiben und den dahinter stehenden Sinn als Option in Erwägung zu ziehen. Dies scheint mir auch ein Reflex auf die Enttäuschung zu sein, dass - anders als infolge der sowjetischen Intervention in Afghanistan - die Mütter ganz offenkundig im Zuge der russischen Aggression gegen die Ukraine keine Rolle zu spielen scheinen.

Max Uthoff: Dieser wundervolle Haufen Liebe

Manchmal überfordert mich Die Anstalt, die Max Uthoff gemeinsam mit Claus von Wagner moderiert – moderiert, so steht es in den Angaben zur Person in der Ausgabe von chrismon (Das Evangelische Magazin, 5/23). Die Tätigkeitsbeschreibung moderiert halte ich für maßlos untertrieben und frage mich manchmal, wie jemand komplex-komplizierte Sachverhalte in einer so ungemeinen Präsenz vermitteln kann. Wenig überrascht und ganz und gar nicht überfordert haben mich die Auslassungen im Rahmen des immer wiederkehrenden chrismon-Formats FRAGEN AN DAS LEBEN (Folge 195). Es sind ja Standardfragen, die man sich selbst beantworten kann/muss. Hier eine kleine Auswahl:

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Max Uthoff antwortet: „Wenn ich mich verbunden fühle mit der Natur, meinen Kindern, meiner Frau, dem Lachen nebenan – und das mit vielen Sinnen aufnehme.“

Wer oder was hilft in der Krise?

In Krisen müsse man die Rücklagen angreifen, meint Max Uthoff: „Dieser wundervolle Haufen von Vertrauen und Liebe und Gemeinschaft, der im Lauf der Jahre entsteht. Da liegen auch Brocken von Streit dazwischen, aber zu wissen, dass der andere da ist – das sind die Segnungen einer Familie, von gemeinsamen Erlebnissen. Ich glaube nicht, dass der Mensch in großem Umfang gemacht ist, allein durchs Leben zu laufen.“

Erich Kästner und das Elend der Kinder

In Band VI der Werke Erich Kästners – Splitter und Balken Publizistik (München 1998) findet sich in Kapitel Neues von Gestern auf den Seiten 553 – 558 ein Beitrag: Kinder suchen ihre Eltern (Erstdruck: Die Neue Zeitung, 17.6.1946)

Erich Kästner gehört zu den wenigen Schriftstellern und Nazi-Gegnern, die nicht emigriert sind und den Nazi-Terror in Deutschland überlebt haben. Mein Kästner-Bild, das ich in meinem Blog vielfach pflege, wird maßgeblich beeinflusst von Kästner und der Kleine Dienstag (Regie: Wolfgang Murnberger – Drehbuch: Dorothee Schön). Florian David Fitz gibt den Kästner auf eine so warmherzige, abgeklärte Weise, dass er mir sozusagen als Kästner-Ikone ans Herz gewachsen ist. Einiges mag meinetwegen geschönt sein. Gewiss bleibt, dass Erich Kästner nicht nur für und über Kinder (und natürlich die Erwachsenen, die ihre Kindheit, ihre eigenen Kinder und Kindeskinder in der Erinnerung und im Herzen tragen) geschrieben hat, sondern, dass er über Kinderrechte und Kinderbedürfnisse nachgedacht und auch publiziert hat, solange er das Elend der Kinder unter dem Naziterror und seine verheerenden Nachwirkungen aufmerksam beobachtet und kommentiert hat.

Er beginnt den erwähnten Zeitungsbeitrag mit dem sarkastischen und vernichtenden Zynismus, der einzig der Nazi-Barbarei gerecht wird:

„Zu den kopernikanischen Errungenschaften des totalen Krieges gehört es, die Zivilbevölkerung, als sei sie eine Armee, mobilisierbar und transportabel gemacht zu haben […] Man führt heim. Man siedelt an. Man siedelt um. Man verschickt Schulen. Man bewegt Kinderheime. Man verpflanzt Industrien. Man verlegt Ministerien. Man tut das solange, bis kein Mensch, das kleinste Baby inbegriffen, mehr weiß, wo er eigentlich hingehört.“

Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil V)

Schulden und Gaben: Die Politik der Verbindlichkeit – Pflichtlektüre im komplexen Nexus des Gebens und Nehmens ist wohl bis zum heutigen Tag Marcel Mauss‘ Essay „Die Gabe“ aus dem Jahr 1920. Maximilian Probst fasst die Kernaussage zusammen, indem er auf Mauss‘ Beobachtung hinweist, dass schon in archaischen Gesellschaften Schuld und Schulden bloß als Teil eines umfassenden Systems der Gaben verstanden werden:

„Beim Geben, schreibt er, gibt man sich selbst, ‚und zwar darum, weil man sich selbst – sich und seine Besitztümer – den anderen >schuldet<‘. Die anderen, das sind in diesem Fall nicht individuelle Gläubiger, sondern ‚Kollektive, die sich gegenseitig verpflichten, austauschen und kontrahieren‘ und zwar mittels Gaben und Geschenke. Entscheidend ist dabei, dass diese scheinbar freiwilligen Gaben erwidert werden müssen, dass sie ‚streng obligatorisch sind, bei Strafe des privaten oder öffentlichen Kriegs (S. 198).“

Maximilian Probst meint, die Überlegungen Mauss‘ könnten uns vor der Einseitigkeit bewahren, alles auf das rechnende Denken zurückzuführen. Mit einem Schuss Nietzsche, standen eben noch alle edlen Motive in Frage, da er doch meint, mit der Gabe schaffe man in erster Linie Abhängigkeiten (siehe Probst, Seite 203). Mit Marcel Mauss gelangt Probst dann doch noch zu der Auffassung, dass seine Geld schenkende Verwandtschaft mitnichten (nur) aus Eigenliebe gehandelt hätte, dass dies eben nur ein mögliches Motiv neben anderen gewesen sei, dass sie ebenso aus liebender Aufopferung, aus zeremoniellen Gründen, aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und aus Lust am Spiel schenkten:

   
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