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Maximilian Probst: Verbindlichkeit –
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil IV)

Kapitel 5 – Die größte Verbindlichkeit (Seite 139-157) - hier: Teil III

Tugend hin, Tugend her – der größten aller Verbindlichkeiten die Aura der Tugend zu verleihen greift zu kurz. Daran lässt jedenfalls Maximilian Probst keinen Zweifel:

Kinder bringen die Verbindlichkeit schlechthin. Man ist dieser Verbindlichkeit völlig ausgeliefert, vom ersten Tag an. Rums – ist ein Kind da (Seite 141).“

Wenn ein Mann schreibt – und Maximilian Probst schreibt genau dies -, dass er sich um die Kinder kümmerte, „im gleichen Maß wie meine Frau“, dann schreibt er sich ein in jenen gewaltigen Veränderungsschub, der die Welt verändern könnte – verändern kann! Daran ändert auch nichts seine Relativierung, dass ihm dies zumindest so scheine, und dass seine Frau das „vielleicht ein wenig anders sieht“.

„Ich wickelte die Kleinen, wiegte sie in den Schlaf, schob sie in der Karre durch die Straßen, saß mit ihnen im Sandkasten und hörte dort Müttern zu, wie sie über Wickelkommoden, Kinderwagen und Sandkastenspielzeug sprachen (Seite 142f.).“

Der Konjunktiv mit Blick auf Veränderungsschübe ist also angemessen. Gleichwohl bestehe ich als Vater und Großvater auf den ungeborgenen Potentialen, indem ich insbesondere die Väter und die Großväter dazu anregen möchte, ihre Erfahrungen als Väter und Großväter aufzuschreiben, sie zur Sprache und damit in die Welt zu bringen. Nur auf diese Weise erscheint mir der Wahnsinn in seinem Wahnsinn greifbar zu werden, der aus den Versäumnissen resultiert, Kindern zu geben, was den Kindern gemäß ist. Ich weiß – zu plakativ, zu abstrakt. Also beschränke ich mich exemplarisch - im Sinne konkreterer Hinweise - auf den weise gewordenen (leider allzu früh verstorbenen) Karl Otto Hondrich.

Maximilian Probst zeigt mit seinem fünften Kapitel, wie sehr er des Schreibens mächtig ist und uns auf humorvolle, selbstironische Art einen Zugang zu jenem Schisma verschafft, dass aus dem schlichten Unterschied resultiert, Kinder zu haben bzw. keine Kinder zu haben (mir bleibt diese Unterscheidung stets im Halse stecken, weil ich weiß, wie viele Menschen ungewollt kinderlos bleiben). Ich möchte dazu anregen – zumindest dieses fünfte Kapitel - zu lesen. Dabei erscheint der Tenor in Maximilian Probst’s Resümee weitgehend konsensfähig zu sein, auch wenn er unter Larmoyanzverdacht steht, weil er tausendmal beschrieben worden ist:

„Man hat sein Leben eben nicht in der Hand – dafür wenigstens die Kinder im Griff? Erst recht nicht […] Erstaunlich ist allerdings, dass diese doch so verbindliche Beziehung zu den Kindern ein hohes Maß an Flexibilität erfordert. Der flexible Mensch, von dem der amerikanische Soziologe Richard Sennett spricht und den er auf Seiten der Unverbindlichkeit sieht: In mancher Hinsicht wäre er ein ziemlich guter Vater. Denn man legt sich zwar mit Kindern fest, muss ich aber immer wieder neu auf sie einstellen. Man muss nicht immer mit ihnen befasst sein, aber wenn es drauf ankommt, ganz und gar für sie da sein, mal morgens, mal mittags, mal abends. Zu sagen, heute ist Papa-Tag, Kinder, jetzt stellt euch bitte auf mich ein, ich will jetzt mit euch Spaß haben, bevor ich mich für den Rest der Woche wieder verabschiede – so läuft das nicht. Was heute ein Problem ist, kann morgen schon vergessen sein. Ja, doch. Kinder sind schnelllebig, wechselhaft wie das Wetter, zumindest wie das Wetter in Hamburg (Seite 146).“

Ja, Maximilian Probst schöpft seine metaphorischen Anleihen aus der maritimen Welt und meint, es sei keineswegs so, dass eine Ehe, das Kinder dem sicheren Hafen gleichen, in den wir uns retten könnten, wenn wir uns mit letzter Kraft den Strudeln der Boheme entwunden hätten: "Das Gegenteil ist der Fall. Die Ehe, die Kinder, die Verbindlichkeit - das ist das Meer. Ganz genau: Das Meer ist die Metapher, die uns den Verlust der Kontrolle über unsere Geschicke bedeutet (Seite 149)." Maximilian Probst wird überaus konkret, wenn er - als Beispiel für die unausweichlichen Klemmen im Familienalltag - die Begleitung einer Klassenreise durch seine Frau zum Anlass nimmt; hier ein paar Splitter:

Utopie, Teil 1 bis 4: Probst schildert eigentlich nichts anderes als Familienalltag, wie ihn Millionen Familien kennen. Dann kann ein Tag - als Strohwitwer - auch einmal so aussehen, dass man morgens Wäsche gemacht und gestaubsaugt hat, mittags gekocht und nachmittags den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen hat und dann irgendwann "schlicht zu müde ist, um noch klar zu denken" - Probst arbeitete damals ja noch an seiner Dissertation.
Oder wenn Wohnen zur Katastrophe und die Sehnsucht nach einer angemessenen Heimstatt für eine Familie mit zwei Kindern nach Utopia führt. Probst vertraut sich dem befreienden Fluidum zen-buddisthischer Gelassenheit an, um dann doch resignierend festzustellen, dass sich dies angesichts des hoch aufragenden Turms aus Geschirr und Besteck, Töpfen und Kännchen nur als kruder Schlendrian entpuppt.
Auch Wäsche hängt sich nicht von selbst auf - allerdings überzeugt mich Probst dann doch mit einer nachvollziehbaren win-win-Konstellation, mit der ich mich eines Besseren belehren lasse. Denn "wenn man dabei Theodor W. Adorno, Arnold Gehlen oder Niklas Luhmann im Ohr hat - YouTube sei Dank!" -, gerate stupide Hausarbeit zu einem Ereignis, "besser als jede Vorlesung an der Uni [...] Jeden zweiten Tag eine halbe Stunde am Wäscheständer stehen - das ersetzt jedes Studium."

Hinter diesen langweiligen, platten Alltagsgeschichten steckt eine Einsicht, an der ganz gewiss viele Familien - und die sie tragenden Kernbeziehungen - heute zerbrechen. Auf die Frage seiner Frau nach Rückkehr von der Klassenreise, wie es denn gehe und wie es denn stehe, erfolgt das abschließende Resümee:

"Na ja, es stand mal wieder Verbindlichkeit gegen Verbindlichkeit. Die Verbindlichkeit familiärer Häuslichkeit auf der einen Seite, die Verbindlichkeit meiner Aufzeichnungen auf der anderen Seite, und ich habe mich gefragt, ob es wohl geht, beides zu verbinden. Einen Versuch war es wohl wert (Seite 156)."

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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