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Denken wir das Undenkbare – Fühlen wir das Unfühlbare – Schweigen wir, wo wir nicht antworten können? Aron Bodenheimer und Eva Menasse

Aron Bodenheimer lässt für sein Verständnis des Verstehens keine andere Prämisse gelten, als dass es sich um einen Akt handele, der sich jedesmal neu einstelle, neu entwickele, und dieses Erlebnis dem Überdenken zu erschließe: „Dem Nachdenken, das ist: dem Zustimmen, viel eindringlicher aber dem kreativen Widersprechen.“ (in: Verstehen heißt antworten, Stuttgart 1992, Vorwort)

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 Veröffentlicht: 20. Dezember 2022

Verstehen heißt antworten - so meint Aron Bodenheimer (Stuttgart 1992, S. 169f.).

"Fragen kann krank machen, sagen kann bewahren - selbst wenn der Tod schon vor der Tür steht. Sogar dann, wenn es der nukleare Tod ist, das Ende im atomaren Genozid. - Im Gespräch über diesen treffen wir, es ist nach Tschernobyl, eine Familie an, irgendwo rund um die Erde, und das Kind fragt: 'Was passiert, wenn die Atombombe losgeht?' Dieses Kind hat Eltern, denen Wahrheit die Deutlichkeit der Realität ist, nicht die bewegende Wirkung des Wortes. Und aus dem heraus, was ihnen als Liebe zur Wahrheit gilt, antworten sie ohne weitere Besinnung dem fragenden Kind:

'Dann sind wir alle tot.'

Nur, die Eltern überhören, dass das Kind sich nichts hat vorstellen können: weder unter den Realitäten noch unter den Bedrohungen dahinter, noch unter dem Text und dem Sinn dieser Antwort. Atomare Bedrohung ist diesem Kind, was der Tod jedem Kind ist, und wenn es fragt, was es mit der Bombe auf sich hat, so fragt es, wie und was es sonst zu fragen gewohnt ist, um zu erkunden, wo seine Eltern sind und wer sie ihm sind. Das Kind will wissen, ob es sich seiner Eltern vergewissern darf. Und darauf kann die Antwort nicht heißen: 'Dann sind wir tot', sondern:

'Dann sind wir bei dir.'

Und sich, den Eltern, sagen sie damit: Auch wenn wir zugrunde gehen, es macht einen Unterschied, wie es sein wird, eh wir zugrunde gehen. Das Kind erkundet, was es von den Eltern zu erhoffen hat. Versicherndes und bewegendes Sagen versagt auch nicht vor vernichtender Bedrohung."

Diese Textpassage habe ich Aron Ronald Bodenheimer: Verstehen heißt antworten (Stuttgart 1992, S. 169f.) entnommen. Den kompletten Beitrag unter diesem Link

Das Kind erkundet, was es von den Eltern zu erhoffen hat. Versicherndes und bewegendes Sagen versagt auch nicht vor vernichtender Bedrohung.

Es fällt mir schwer an dieser Stelle an Eva Menasse anzuknüpfen, zumal dies – im Sinne eines historisch nachvollziehbaren Verstehens – Voraussetzungen erfordert, die dem Ungeheuerlichsten, dem denkbar Unmenschlichsten Gestalt geben; die Gestalt nationalsozialistischer Programmatik und Praxis; vermutlich bei keiner anderen Gelegenheit deutlicher, brutaler und zynischer ausgesprochen als in Heinrich Himmlers Posener Reden vom 4. Und 6. Oktober 1943. Dort heißt es u.a.:

„Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gelten: ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und sonst zu niemandem. Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig. Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen. Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“

„Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ‚Das jüdische Volk wird ausgerottet‘, sagt ein jeder Parteigenosse, ‚ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.‘ […] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte. Denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.“

„Ich bitte Sie, das, was ich Ihnen in diesem Kreise sage, wirklich nur zu hören und nie darüber zu sprechen. Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? – Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten – sprich also, umzubringen oder umbringen zu lassen – und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag durchführen mußte, war es der schwerste, den wir bisher hatten. […]
Ich habe mich für verpflichtet gehalten, zu Ihnen als den obersten Willensträgern, als den obersten Würdenträgern der Partei, dieses politischen Ordens, dieses politischen Instruments des Führers, auch über diese Frage einmal ganz offen zu sprechen und zu sagen, wie es gewesen ist. – Die Judenfrage in den von uns besetzten Ländern wird bis Ende dieses Jahres erledigt sein. Es werden nur Restbestände von einzelnen Juden übrig bleiben, die untergeschlüpft sind.“

Nur in Romanen kann man die Zeitgebundenheit auflösen (Eva Menasse)

Eva Menasse nimmt Bezug auf einen Roman, von dem sie sagt, dass sie ihn besonders bewundere: Die Fliegenfängerfabrik von Andrzej Bart. Sie erläutert es handele sich bei diesem Roman um eine Versuchsanordnung gegen die Zwänge von Zeit und Raum:

„In einer Fabrik kommen die Geister der Ermordeten und der Überlebenden des Ghettos von Lódz´ zusammen, in dem zeitweise über hundertfünfzigtausend Menschen lebten und für die Rüstungsindustrie der Nazis schufteten. Ein Teil von ihnen führt nun vor den Augen der anderen ein Theaterstück auf, das unversehens in einen Gerichtsprozess kippt, angeklagt ist der damalige Vorsitzende des Judenrats, Chaim Rumkowski, der mit Frau und Sohn in der ersten Reihe sitzt. Der historische Rumkowski kollaborierte auf eine Weise mit den Nazis, die einem heute die Haare zu Berge stehen lässt: Er stellte die Listen für mehrere Deportationen in das Vernichtungslager Chelmno zusammen, im September 1942 sollte er alle Kindes des Getthos auf einmal ausliefern und tat es, er überredete die Eltern dazu, in der Hoffnung, den Rest der Einwohner vor der Ermordung bewahren zu können. Von seiner damaligen Ansprache ist ein Tondokument erhalten: >Ich bin wie ein Räuber zu euch gekommen, um euch das zu nehmen, was euch am meisten am Herzen liegt.< Rumkowski lieferte also Rüstungsgüter und er lieferte, weil die Nazis es verlangten, Tausende Menschen, darunter alle jüdischen Kinder. Er soll selbstherrlich und brutal agiert, es soll Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben haben, aber er richtete im Ghetto auch Schulen und Krankenhäuser, Polizei- und Postdienst ein. Alles geschah in der Hoffnung, einen Teil seiner Leute retten zu können. Doch es misslang, am Ende, im August 1944 nach der Auflösung des Ghettos, wurde auch er in Auschwitz ermordet.“ (S. 178f.)

Zygmunt Bauman wiederum wendet sich als Soziologe den Menschheitsverbrechen der Nazis unter der Fragestellung zu: Kategorialer Mord oder: Das Erbe des 20. Jahrhunderts und wie wir es bewahren können, in: Leben in der Flüchtigen Moderne (Suhrkamp), Frankfurt 2007, S.69-108. Was in praxi im Ghetto von Lodz geschah, geschah in der Vernichtungsorgie der Nazis in allen von der deutschen Wehrmacht im Osten besetzten Gebieten. Zygmunt Bauman spricht vom Kategorialen Mord:

Bauman argumentiert, dass hier – im totalitären System - der Staat für sich das Recht beanspruche, bestimmen zu können, wer in den Genuss gesetzlich verbriefter Rechte und ethischer Prinzipien gelange und wer davon auszuschließen sei. Im Sinne Carl Schmitts liegt genau darin ein Wesensmerkmal moderner Souveränität (siehe dazu auch Thomas Assheuser in der ZEIT 8/20, S. 54) und der Holocaust war nach allgemeiner Auffassung die extremste und radikalste Manifestation dieses Anspruches (vgl. Bauman, S. 76). Zygmunt Bauman (a.a.O., S.77) zitiert John P. Sabini und Mary Silver:

"Betrachten wir einmal die Zahlen. Der deutsche Staat ermordete ungefähr sechs Millionen Juden. Bei einer Größenordnung von 100 Toten am Tag [also der Zahl der Opfer der berüchtigten 'Kristallnacht', dem von der nationasozialistischen Regierung organisierten Progrom gegen die deutschen Juden -Z.B.] hätte man dafür beinahe 200 Jahre gebraucht. Die vom Mob ausgeübte Gewalt beruht auf einer untauglichen psychologischen Grundlage, nämlich auf Emotionen. Man kann Menschen so manipulieren, dass ihr Zorn entfacht wird, aber man kann diesen nicht über 200 Jahre aufrechterhalten. Emotionen und ihre biologische Basis haben ein natürliches Verfallsdatum; jede Lust, selbst die Mordlust, ist irgendwann gestillt. Darüber hinaus sind Emotionen notorisch unbeständig und ändern sich rasch. Ein lynchender Mob ist unzuverlässig, er kann von Mitleid übermannt werden - etwa durch das Leiden eines Kindes. Um eine 'Rasse' auszurotten, ist es aber wesentlich, die Kinder zu töten." (John P. Sabini/Mary Silver: Survivors, Victims, Perpretators, Washington: Hemisphere 1980, S. 229f.)

Daraus folgt für Bauman, dass man Gefühle und andere Äußerungen menschlicher Individualität unterdrücken muss, und das Handeln der Menschen voll und ganz der instrumentellen Vernunft unterwerfen muss: "Erst in der Moderne war so etwas wie der Holocaust möglich. Die Voraussetzungen dafür schuf die totalitäre Herrschaft mit ihrer totalen  und absoluten Souveränität (S. 77)." Baumann macht darauf aufmerksam, dass während des letzten Jahrhunderts rund sechs Millionen Juden, etwa eine Million Sinti und Roma sowie viele Tausende Homosexuelle und geistig Behinderte im Zuge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden - weil sie nicht in die Ordnung passten, die errichtet werden sollte (man muss hier in jedem Fall die Tausenden Ermordeter hinzurechnen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugungen von den Nazis ermordet worden sind). Er zählt in der Folge einer weitere Vielzahl von Massakern auf, um dann festzustellen: "All diese Massaker unterschieden sich von den unzähligen vorangegangenen Exzessen menschlicher Grausamkeit nicht nur (oder jedenfalls nicht notwendigerweise) durch die Anzahl der Opfer, sondern vor allem darin, dass sie kategoriale Morde waren. Männer, Frauen und Kinder wurden getötet, weil man sie einer Kategorie von Lebewesen zurechnete, die ausgelöscht werden sollte (S. 79)."

 Denken wir das Undenkbare – Fühlen wir das Unfühlbare – Schweigen wir, wo wir nicht antworten können? Aron Bodenheimer und Eva Menasse

Unter all den Geistern der Ermordeten, die im Theater – im Ghetto von Lodz – sprechen, so schreibt Eva Menasse, „gibt es welche, die ihm (dem Judenrat Rumkowski) niemals verzeihen werden, dass sie im Moment des Todes nicht bei ihren Kindern sein durften.“

Verstehen heißt antworten, sagt Aron Bodenheimer. Eva Menasse sagt, nur in Romanen könne man die Zeitgebundenheit auflösen. Und sie schreibt weiter, der schandbare, erbärmliche Tod ihrer Urgroßmutter in Theresienstadt gehe ihr nicht mehr oder weniger nahe als die Kinder von Lodz, die in ihren besten Kleidern auf die Lastwagen in Richtung Gaskammern gehoben wurden. „Nicht näher oder weniger nah als so vieles andere auch, Anne Frank, Janusz Korczak.“ (S. 180)

Wenn ich die weitere Argumentation Eva Menasses aufgreife, werde ich mit ihr gewiss die Gemeinsamkeiten entdecken, die wir (wie Eva Menasse formuliert) - "die post-arischen Deutschen, die sich mit diesen Themen ernsthaft beschäftigt haben, mit ihr gemeinsam haben. Ich werde aber auch auf einen gewissen Unterschied hinweisen, der aus Zygmunt Baumans Erörterungen des Kategorialen Mords resultiert und der zentral mit Himmlers programmatischem Äquivalent zu diesem Verständnis des Kategorialen Mords zusammenhängt. Dazu füge ich zunächst eines meiner letzten Gedichte ein:


Wie kann das sein?

1) Wie kann das sein?
Mein Kopf sagt nein!
Mein Herz will schrein!
Wir sind die Enkel jener Schinder,
deren widerlichster sprach: zuerst die Kinder!

2) In Posen nahm er sie beim Wort
und sprach von Anstand vor den Schloten;
sie schufen jenen Ort,
belebt von Henkern und von Toten.
Sie hielten sich daran und töteten (zuerst) die Kinder!

3) Die Herrenrasse sagt: der Freund! - der Feind!
Und Carl, der Schmitt, ermuntert sie, das Fremde auszumerzen.
Der Herrenmensch marschiert im Wahn vereint
enthemmt, bar jeder Regung noch im Herzen.
Er mordet, was im Wege steht und tötet immer auch die Kinder - (zu allerst) die Kinder!

4) Und Schinder wachsen nach – aus BluBo und aus BrauSi.
Der Abschaum pflanzt sich fort, gebiert den Bastard,
der tackert sich die Ahnentafel auf die Stirn;
hat ne Kloacke dort, wo andre haben Hirn.
Wer glaubt, dass die mal waren Kinder?

5) Nie Wieder! Wer versteht das nicht?
Spricht R v W doch von Befreiung!
Und Willy Brandt kniet nieder und bittet um Verzeihung;
bekennt sich zu den Grenzen – zum Gewaltverzicht!
Wie kommen BluBo, BrauSi in das Hirn verführter Kinder?

6) Wenden wir’s mal kämpferisch mit Erich Kästner!
Der dichtete – bevor die Erste Republik zusammenbrach – das Marschliedchen.
Und irrte sich fatal, der Kästner Erich!
Denn die SS marschierte bis nach Stalingrad und Auschwitz hörte ihre Liedchen.

7) Wir machen's besser – ein Ruck geht durch die Republik.
Nie wieder? Ja, das ist wohl heute, wir machen es publik!
Wir hören noch den Kästner rufen – nach über neunzig Jahren
und sind uns sicher, dass wir wachsam und auch klüger waren!

 

Kleine Verstehens- und Erklärungshilfen (alle Hervorhebungen - farblich und fett FJWR):

Erste und zweite Strophe:

Mit dem widerlichsten Schinder ist Heinrich Himmler gemeint, der in Posen 1943 die ungeheuerlichste und zugleich widerwärtigste Rede gehalten hat, in der er die an der industriellen Massenvernichtung aktiv Beteiligten belobigte für die Tatsache selbst im Angesicht dieser Tötungsorgien anständig geblieben zu sein. Zu einem tieferen Verständnis des Holocaust ist es hilfreich Unterscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, die Zygmunt Bauman - ein polnisch-stämmiger Soziologe, der in England lehrte, vorgenommen hat (hier: Leben in der flüchtigen Moderne, Frankfurt 2007):

Die Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten wurden in diesem Sinne kollektiv und pauschal der Kategorie des homo sacer zugerechnet, zu Menschen also, deren Leben - wie Bauman zeigt - keinen Wert besitzen und deren Ermordung als moralisch bedeutungslos betrachtet wurde und daher straffrei blieb. Bauman argumentiert, dass hier der Staat für sich das Recht beanspruche, bestimmen zu können, wer in den Genuss gesetzlich verbriefter Rechte und ethischer Prinzipien gelange und wer davon auszuschließen sei. Im Sinne Carl Schmitts liegt genau darin ein Wesensmerkmal moderner Souveränität - souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt (siehe dazu Thomas Assheuser in der ZEIT 8/20, S. 54). Der Holocaust war nach allgemeiner Auffassung die extremste und radikalste Manifestation dieses Anspruches (vgl. Bauman, S. 76). Zygmut Bauman (S.77) zitiert John P. Sabini und Mary Silver:

"Betrachten wir einmal die Zahlen. Der deutsche Staat ermordete ungefähr sechs Millionen Juden. Bei einer Größenordnung von 100 Toten am Tag [also der Zahl der Opfer der berüchtigten 'Kristallnacht', dem von der nationasozialistischen Regierung organisierten Progrom gegen die deutschen Juden -Z.B.] hätte man dafür beinahe 200 Jahre gebraucht. Die vom Mob ausgeübte Gewalt beruht auf einer untauglichen psychologischen Grundlage, nämlich auf Emotionen. Man kann Menschen so manipulieren, dass ihr Zorn entfacht wird, aber man kann diesen nicht über 200 Jahre aufrechterhalten. Emotionen und ihre biologische Basis haben ein natürliches Verfallsdatum; jede Lust, selbst die Mordlust, ist irgendwann gestillt. Darüber hinaus sind Emotionen notorisch unbeständig und ändern sich rasch. Ein lynchender Mob ist unzuverlässig, er kann von Mitleid übermannt werden - etwa durch das Leiden eines Kindes. Um eine 'Rasse' auszurotten, ist es aber wesentlich, die Kinder zu töten."

Dritte Strophe:

Für die Ideologie der Nazis - und im Übrigen aller Despoten, insbesondere vom Zuschnitt Putins - ist eine Schrift von zentraler Bedeutung, die Carl Schmitt 1932 unter dem Titel Der Begriff des Politischen veröffentlicht hat (hier in der 7. Auflage bei Duncker&Humblot, Beron 2002). Dort ist unter anderem zu lesen: "... so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen [...] Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können." (S. 27)

Hier haben wir die Blaupause für den Hitler-Stalin-Pakt vor Augen. Wir können aber auch sehen, dass man sich im Denken Schmitts und seiner Epigonen - heißen sie nun Hitler, Stalin oder Putin - letztlich auch nicht an geschlossene Verträge halten muss, denn "im extremen Fall sind Konflikte mit ihm möglich, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung (adé UN-Menschenrechts-Charta, FJWR), noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können". Wer kann also mit Putin verhandeln? Mit wem verhandelt Putin?

Gehen wir zu einer Passage über, die essentiell der Begriffsbestimmung des Politischen gewidmet ist. Wir können angesichts der obigen Unterscheidungen nicht nur erkennen, wie die schlichten Unterscheidungen Carl Schmitts zu brutalsten politischen Praktiken der Nazis geführt haben, sondern wir erkennen zugleich, wie sehr Putin und andere Despoten in die Schule Carl Schmitts gegangen sind:

"Das Politische muß deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an, daß auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder beispielsweise Rentabel und Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht. Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind." (S. 26)

Wem dies noch nicht deutlich genug ist, kann den damit definierten Begriff des Politischen mit Carl Schmitt durchaus noch schärfer fassen:

"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen." (S.28)

Und hört doch einmal den AfD-Rednern in den Parlamenten - gar nicht auf der Straße - zu, wie sehr sie gelehrige SchülerInnen Carl Schmitts sind:

"Die Begriffe Freund und Feind sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geisseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner." (S.28)

Wir können doch nun ein wenig deutlicher sehen, wieso Putin die verweichlichten westlichen Demokratien mit Häme überschüttet. In seinem System gibt es keine Konkurrenten und erst recht keine Diskussionsgegner mehr!

Vierte Strophe:

BluBo und BrauSiBlut, Boden, Brauchtum, Sippe

Fünfte Strophe:

RvW: Richard von Weizsäcker

 

Und zuletzt noch Erich Kästners Marschliedchen zuerst im Original und danach in meiner Adaption:

 

Das Marschliedchen (von Erich Kästner im Original - Denn ihr seid dumm)

Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen
In die Kasernen der Vergangenheit.
Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit.
Denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien.

Ihr kommt daher und lasst die Seele kochen.
Die Seele kocht, und die Vernunft erfriert.
Ihr liebt das Leben erst, wenn ihr marschiert,
Weil dann gesungen wird und nicht gesprochen.

Marschiert vor Prinzen, die erschüttert weinen:
Ihr findet doch nur als Parade statt!
Es heißt ja: Was man nicht im Kopfe hat,
Hat man gerechterweise in den Beinen.

Ihr liebt den Hass und wollt die Welt dran messen.
Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin,
Damit es wächst, das Tier tief in euch drin!
Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.

Ihr möchtet auf den Trümmern Rüben bauen
Und Kirchen und Kasernen wie noch nie.
Ihr sehnt euch heim zur alten Dynastie
Und möchtet Fideikommißbrot kauen.

Ihr wollt die Uhrenzeiger rückwärts drehen
Und glaubt, das ändere der Zeiten Lauf.
Dreht an der Uhr! Die Zeit hält niemand auf!
Nur eure Uhr wird nicht mehr richtiggehen.

Wie ihr's träumt, wird Deutschland nicht erwachen.
Denn ihr seid deumm und seid nicht auserwählt.
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!

 

Marschliedchen 2022 (F.J. Witsch-Rothmund)

Die Dummheit zog in Viererreihen (so zieht sie immer noch),
Heut schämt die Dummheit sich der Dummen.
So dämlich wie ihr seid, mahnt sie euch zu verstummen,
Statt Idioten gleich nach deutschem Wesen heut zu schreien.

Ihr kommt daher und wärmt die schalen Suppen,
In euren Schädeln haust ein brauner Geist,
Der euch verwirrt und alles mit sich reißt -
Nur nicht von euren Augen alle Schuppen!

Marschiert ihr nun in Chemnitz und in Halle…,
Ihr findet doch nur als Parade statt,
Denn das, was jeder da von euch im Kopfe hat,
Man nennt es Dum(pf)mheit wohl in jedem Falle!

Weil wieder predigt ihr den Hass
Und wollt die Menschheit spalten -
Statt schlicht an Recht und Ordnung euch zu halten,
Wähnt ihr das Volk zu sein und träumt vom völkisch-deutschen Pass!

Ihr habt die Trümmerwelt im deutschen Wahn vergessen,
Von Schuld und Sühne ist die Rede nie,
Ihr brüllt nach deutscher Größe selbstvergessen;
Ich hoff ihr schießt euch nur ins eigne Knie!

Ihr wollt die Uhren rückwärts drehen
Und stemmt euch gegen die Vernunft.
Dreht an der Uhr und doch: die Zukunft
wird euch als ewig gestrig sehen!

Wie ihr’s erträumt, wird Deutschland nicht erwachen,
Denn ihr bleibt dumm, nicht auserwählt!
Die Zeit ist nah, da man erzählt:
Das war’s: ein Staat ist mit Idioten (und auch der AfD) halt nicht zu machen!

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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