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Wir werden alle sterben
aus: Arnold Retzer, Miese Stimmung - Eine Streitschrift gegen positives Denken, Frankfurt am Main 2012 (S. Fischer Verlag - ISBN: 978-3-10-064205-9):
Was uns Michael Kleeberg in Vaterjahre vermittelt, ist weder neu noch überraschend. In fast literarisch anmutender Haltung hat uns Arnold Retzer diese Aussicht schon vor zehn Jahren in drastischer Konsequenz vor Augen geführt - in einem Kontext, der mit dem Gedanken und der Illusion ewiger Jugend spielt, und sei es auch nur in Gestalt einer ernährungsphysiologisch motivierten und einer maßlosem Fitnesswahn geschuldeten Haltung. Gleichermaßen in Würde zu altern und dabei die proaktiven Möglichkeitsaspekte nicht gänzlich zu verfehlen, stellt durchaus ein Herausforderung dar (:-))
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Michael Kleebergs Vaterjahre - mit schönen Grüßen von Jodok
Ja, wo fang ich an? Skurril die Geschichten, skurril Aspekte der Selbstwahrnehmung und der Selbstbeobachtung! Ja, wo fang ich an? Des Nachts liegt der ältere Mann zwischendurch – in der Regel nach dem Pinkeln – wach und sinniert. Gestern Nacht unter dem Einfluss der Lektüre von Michael Kleebergs Vaterjahre (München 2017) - hier Seite 389 bis 416. Kleeberg, sprachgewaltiger und sprachvirtuoser Erzähler der Welten Karlmann Renns (Charly), schildert auf den angegebenen Seiten Leben, Niedergang und Ableben des Jobst Rathjen. Obwohl die Frage erlaubt sein muss, ob diese 27 Seiten ein gleichwohl virtuoses Erzählwerk nicht ungebührlich aufblähen – dieser Eindruck stellt sich an so manch selbstverliebt daherkommenden Passagen ein –, gewinnt auch diese Sequenz in ihrer Geschlossenheit für sich genommen eine gewisse Eigenmächtigkeit, Plausibilität und Faszination.
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Peter Härtling - Nachgetragene Liebe (dritter Teil)
Deine Schwäche erscheint mir jetzt wie ein Ausbruch von Liebe
Warum bescheidet sich Peter Härtling nicht mit seiner ersten Haut? Ein sich versagender Vater, der die Mutter betrügt, den Sohn halb totschlägt und eine jämmerliche Soldatenkarikatur abgibt? Nachgetragene Liebe?
Gestatten wir uns ein paar andere Töne, die einen anderen Vater zeigen. Der sich sorgende, fürsorgliche, gar liebevolle Vater:
„Sie hätte uns sterben können, sagt Vater.“ Peter Härtling erzählt, wie er in der Nacht geweckt wird:
„Eine aufgeregte Hand tastet mich ab, weckt mich, drückt mir die Brust, patscht mir ins Gesicht.
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2. Februar 1943 - 2. Februar 2023
Michael Thumann erinnert in der ZEIT (6/23, S. 17) an den 2. Februar 1943: Am 2. Februar endete die Schlacht von Stalingrad mit dem Sieg der Roten Armee. Man kann sich auf unterschiedliche Weise erinnern an diesen - einer der - entscheidenden Wendepunkte im Zweiten Weltkrieg. Ich möchte dies hier anregen durch Zeitzeugen, die selbst - aus der Unmittelbarkeit des Erlebens - uns heute keine Alternative lassen zu einem Erinnern in der Haltung von Demut, Scham und eines kategorischen Nie wieder! Nie wieder darf Politik im Sinne der Ideologie eines Carl Schmitt ein Freund - Feind - Denken und das Recht des Stärkeren zur Richtschnur des Handelns erheben. Das Ausmaß und die Folgen der verbrecherischen Politik der Nazis hat Heinrich Gerlach in seinem Roman: Durchbruch bei Stalingrad schon in russicher Gefangenschaft niedergeschrieben.
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Peter Härtling - Nachgetragene Liebe (zweiter Teil)
Peter Härtling bekennt und beschreibt, wie er diesem Jungen, Eduard Nemec, verfiel. Sechsunddreißig Jahre später gelangt er nach seinen Häutungen zu folgendem Fazit:
"Wenn ich an ihn denke, schäme ich mich nicht nur, sondern ich spüre seine üble Nähe, die überschwemmende Körperlichkeit und den Haß, auf den ich vorbereitet war, der in der Luft lag, vor dem niemand sich hüten konnte. Nemec raubte mir die Möglichkeit, doch noch mit meinem Vater zu sprechen, ihn zu verstehen. Er setzte mich fest, machte mich fertig. Fertig, mich in die Schlachtordnung der zukünftigen Herren der Welt einzufügen. Ich war seinen Parolen hörig, weil er sie sichtbar machen konnte (94)."
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