Maximilian Probst: Verbindlichkeit -
Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend (Teil II)
Mit Maximilian Probst (Verbindlichkeit - Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend, Hamburg 2017)) lassen sich die vier Gipfel des Moderne-Massivs lapidar auf den Punkt bringen: „Alles ist künstlich, alles ist käuflich, alles ist verstreut, alles ist rechtlich fixiert (Seite 86).“
Die Dimensionen haben sich allerdings verschoben. In den Jahren nach meiner Lebens-Mitte-Krise habe ich u.a. mit Hilfe Ulrich Becks versucht herauszufinden, wie denn eigenes Leben in dieser sich relativierenden Welt überhaupt noch funktionieren kann. Maximilian Probst zitiert ihn just an der Stelle, wo er meint, dass wir immer noch in der Zeit der universellen Käuflichkeit, Künstlichkeit und Zerstreutheit lebten – lediglich das Vertragsdenken weiche stellenweise auf. Er zitiert Ulrich Beck:
„Heute werden die Menschen nicht mehr aus ständischen, religiös-kosmologischen Sicherheiten in die Welt der Industriegesellschaft, sondern aus der nationalstaatlichen Industriegesellschaft in die Turbulenzen der Weltrisikogesellschaft entlassen (Probst, Seite 89).“
Seit einigen Jahren – Ulrich Beck ist 2015 verstorben – vollzieht sich die Transformation dieser Weltrisikogesellschaft in einer Rasanz – man kann sagen in einer Art hektischer Agonie, die Beck (und Übrigen auch viele andere) vorausgesehen haben. Maximilian Probst selbst hat sie im Übrigen in die Formel gepackt: Umdenken oder untergehen! Dazu später mehr. Da geht es ja um alles! In der Auseinandersetzung mit der (Spät-)Moderne hingegen geht es ja nur um die Frage, „wie man sich allgemein zur Moderne positionieren kann". Maximilian Probst gibt aus seiner Sicht vier mögliche Antworten auf diese Frage:
- „Die erste Antwort besteht darin, wesentliche Merkmale der Moderne zu verwerfen uns ich zu refundamentalisieren im Namen irgendwelcher Werte, Glaubensinhalte oder Gemeinschaften, für die ein Jenseits der Käuflichkeit, Zerstreuung, Künstlichkeit behauptet wird (diese und die folgenden Zitate, Seite 97).“ Wohin dies führt hat Peter Sloterdijk auf den Punkt gebracht, indem er den Impetus der Selbstdesinteressierung im Sinne der Luhmannschen Lektion betont: Er begreift die Entbindung der ungeheuerlichen Gewaltexzesse im 20. Jahrhundert und ihre Fortsetzung bis in die Gegenwart hinein als Folge der von Probst adressierten Weltbeschreibungen erster Ordnung. Sie bergen in sich jenes Paranoia-Potential und die Bereitsschaft zu Gewaltexzessen, wie sie gegenwärtig von Putin-Russland entbunden werden: „Wo immer Menschen anfangen, ihre Weltbilder distanzlos zu bewohnen und ihre Einteilungen des Seienden im ganzen als eine Arena realer Kämpfe zu erleben, dort sind sie der Versuchung ausgesetzt, für ihre Identitätskonstrukte bis zum bitteren Ende zu kämpfen und für ihre Fiktionen zu töten (siehe Luhmannsche Lektion).“
- „Die zweite Antwort liegt im heroischen Aushalten der Zumutungen, also darin, wie Flaubert sagen würde, auf Seiten „der Wahrheit, der bitteren Wahrheit“ zu leben.“ Damit ist man nur einen Wimpernschlag von der ersten Antwort entfernt, denn „die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“.
- „Die dritte Antwort besteht in der emphatischen Annahme der Moderne, bei all denen, die von ihr materiell profitieren und nicht über genügend Phantasie verfügen, sich die damit einhergehenden Verluste von immateriellen Werten angemessen ausmalen zu können oder aber zu glauben, die technischen Neuerungen werden den Menschen ohnehin jeder materiellen wie immateriellen Zumutung entheben.“ Damit können gegenwärtig nur die wenigen Pseudo-Liberalen gemeint sein, die sich hinter Christian Lindner und seinen LeidensgefährtInnen versammeln. Ich hoffe sie schrumpfen sich weiterhin gesund.
- „Die vierte und von mir favorisierte Antwort (schreibt Probst) ist der Versuch, der Moderne von innen heraus zu reformulieren und die mit ihr einhergehenden Verluste durch eine Neuprogrammierung von Bindungen und Sinngehalten zu kompensieren.“
Auch 2017 ist sich Maximilian Probst seines westeurozentrischen Nischenblicks schon lange gewiss, wenn er die Moderne und erst recht die Postmoderne mit dem Hinweis hinüberretten will in eine lebbare Perspektive und dazu meint:
„Und hängt die Moderne nicht wie die Verbindlichkeit an ihrem Kontext und meint verschiedenes im Westen, im Osten, unten und oben? Gibt es statt der einen Moderne nicht vielmehr multiple Modernen (Seite 98)?“
Es bleibt also spannend – vor allem, wenn Maximilian Probst sich in Kapitel 4 mit der Ehe auseinandersetzt.
hier: Teil I