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Wolfgang Schmidbauer: Dämonisierung von Eltern
mit einem Hinweis auf: Hannes Ringlstetter - Mein Abschied vom Vater
Wolfgang Schmidbauer hat mir bereits 2006 als Interviewpartner zur Verfügung gestanden - siehe hier: Die heimliche Liebe - das war zu Zeiten von Kopfschmerzen und Herzflimmern - kurz nach dem Tod der geliebten Mutter, deren Frühgeschichte - incl. der Geburt meiner Schwester 1942 - in der Auseinandersetzung durchaus Fragen aufgeworfen hat (siehe: Hildes Geschichte). Aber es war keine nachgetragene Liebe, sondern schlicht der Versuch ein wenig Licht in die abgeschatteten Dunkelzonen unserer Familiengeschichte hineinzutragen.
Heute fiel mir ein Interview in die Hände, das Wolfgang Schidbauer im aktuellen SPIEGEL (43/4, Seite 108-111) Tobias Becker gegeben hat. Ich gebe in der Folge einmal ein paar Passagen wieder, die bedenkenswert erscheinen:
Schmidbauer: Die Vorstellung, missratene Eltern gehabt zu haben, befreit von dem depressiven Konzept, selbst an allem schuld zu sein. Aber auf Dauer ist es schlecht fürs Selbstbewusstsein, diejenigen schlechtzumachen, die einem nahestehen. Ich nenne das den kannibalischen Narzissmus. Wenn ich sage, dass meine Frau ganz grässlich ist, muss ich mich auch als jemand sehen, der keine bessere Frau gefunden hat. So ähnlich ist es zwischen Kindern und Eltern. Wer seine Eltern entwertet, entwertet auch sich selbst. Dazu kommt ein weiteres Problem, das größere vielleicht.
SPIEGEL: Welches?
Schmidbauer: Wer sich als Kind inszeniert, erlebt sich als solches und verliert den Kontakt zu seinen Stärken, zu seiner Autonomie.
SPIEGEL: Der Psychoanalytiker kritisiert die Geister, der er gerufen hat?
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Kann man sich auf Verlusterfahrungen vorbereiten? Die RZ als Ratgeber
„Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde. So Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024). Reckwitz versucht zu beschreiben, wie – und mit welchen Mitteln – die Moderne Verluste unsichtbar macht. Der Buchdeckel gibt in einer knappen Zusammenfassung Einblick in die zugrundeliegenden Annahmen und die Absicht, die Reckwitz hegt:
„Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen. Verluste bedrängen die westlichen Gegenwartsgesellschaften in großer Zahl und Vielfalt. Sie treiben die Menschen auf die Straße, in die Praxen der Therapeuten und in die Arme von Populisten. Sie setzen den Ton unserer Zeit. Während sich die Formen ihrer Verarbeitung tiefgreifend verändern, scheinen Verlusterfahrungen und Verlustängste immer weiter zu eskalieren. Wie ist das zu erklären? Und was bedeutet es für die Zukunft?
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Arbeit und das gute Leben
Für Esther und Ihre Kooutorin anlässlich der Veröffentlichung von Arbeit und das gute Leben. Meine erste Auseinandersetzung mit dem von Esther Konieczny und Lena Stoßberger vertretenen Ansatz basierte auf einer Vorveröffentlichung. Insofern wird meine seinerzeitige Kritik der jetzt vorgelegten Publikation nicht in Gänze gerecht. Dies wird einem eigenen Beitrag vorbehalten sein. Der kurze nachstehende Verweis auf Hartmut Rosa und Karl Otto Hondrich passt in den vorgegebenen Kontext.
Veröffentlicht: 13. Juli 2024
Es geht auch mit Hartmut Rosa
Es muss nicht Karl Otto Hondrich sein, der ja deutlich über eine rein deskriptive Analyse der Individualisierungsgewinne und -verluste hinausgeht. Auch aktuelle Soziologen vom Format eines Hartmut Rosa äußern sich in ähnlicher Weise, wenn auch in einer nuanciert anderen Sprache (siehe vor allem auch: hier):
"Eine Kritik der Resonanzverhältnisse zielt also notwendig auf Emanzipation und Autonomie. Allerdings und das ist mein entscheidender Punkt, reicht diese freie Schwingungsfähigkeit als Kriterium für ein gutes Leben nicht aus." (S. 755)
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Andreas Reckwitz: Verlust – Ein Grundproblem der Moderne (Suhrkamp Verlag, Berlin 2024) und Zygmunt Bauman: Fragmente meines Lebens (Suhrkamp Verlag Jüdischer Verlag, Berlin 2024) - in progress
Teil I: Andreas Reckwitz: Verlust - Ein Grundproblem der Moderne:
„Der Mensch leidet, weil er Dinge zu besitzen und zu behalten begehrt, die ihrer Natur nach vergänglich sind.“ (Siddhartha Gautama)
In seiner Einleitung beginnt Andreas Reckwitz mit Tuvalu: Tuvalu versinkt im Meer – ein besonders plastisches Beispiel für die Schädigungen, die der Klimawandel global bewirke. Er versteht sein Buch als einen Beitrag zur Theorie der Moderne. Reckwitz stellt seinem Buch acht Episoden voran – er spricht von Befunden aus der Gegenwartsgesellschaft. Sie alle drehten sich um Verluste. So zum Beispiel um Folgen des Klimawandels, die Verfestigung negativer Zukunftserwartungen, um postindustrielle Modernisierungsverlierer, um den Umgang mit historischen Wunden, den Umgang mit individueller Verletzlichkeit, Populismus, rückwärtsgewandte Nostalgievorstellungen oder Resilienz. Verluste seien im Zentrum der Moderne angekommen.
Gesellschaft muss darauf reagieren: „Es werden politische und kulturelle Formate entwickelt, die auf Verlusterfahrungen antworten, sie transformieren oder versuchen, sich gegen sie zu wappnen.“ (Seite 14) Dies geschehe – so Reckwitz - in aller Ambivalenz. Entsprechende Reaktionsmuster sind uns allen mehr als geläufig. Ihm gehe es um eine nüchterne Analyse der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt, in welcher Relation sie sich zu Verlusterfahrungen befinde:
„In Sachen Erkenntnis ebenso hinderlich wie ein Negativismus ist die Einstellung der Abwehr, wenn man also von Verlusten nichts (mehr) hören will, sie aktiv ausblendet. Verluste sind ein unangenehmes Thema, nicht selten – insbesondere, wenn sie das Scheitern im persönlichen Leben betreffen – mit Scham verbunden oder mit einem Tabu belegt, über das man lieber den Mantel des Schweigens breitet.“ (Seite 15)
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Über den Souverän und andere Illusionen - Wählen (und andere Handlungen) im Affekt (ein erster Entwurf im Rückgriff auf den unterkomplexen Zuschnitt der #metoo-Debatte und andere Kontroversen
Teile der Bevölkerung leben ihren Frust in vorreflexiven Affekten aus: Ich habe Angst, ich bin zornig, wütend und frustriert! Eine affektgesteuerte Haltung legen zu Teilen auch Akteure gleichermaßen auf der nationalen wie der internationalen Bühne politischen Handelns an den Tag.
Das deutsche Strafrecht kennt im Übrigen die Ausübung einer Tat im Affekt (Affekttat), was zu einer Strafmilderung nach § 21 StGB oder, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB, zur Schuldfähigkeit führen kann.
Zugegebenermaßen bemüht der folgende Beitrag Vorstellungen über ein Phänomen wie Affektlogik primär in anderen Zusammenhängen. Es handelt sich bei: Kurvenverläufe und #metoo nämlich um eine Auskopplung aus Kurz vor Schluss II – Mosaiksteine zur Rekonstruktion und Modellierung von Familiendynamiken (Koblenz 2022).
Wenn ich dennoch – wie häufig in meinen letzten Blog-Einträgen – dazu neige, auch Wählerverhalten und politisches Handeln unter affektlogischen Kriterien einzuordnen, dann vor allem aus der Annahme heraus, dass Menschen in der Tat vor allem in Krisen- und Stresssituationen dazu neigen, Handlungen sozusagen im Affekt zu begehen. Affekte wie Zorn, Wut, Hass tauchen z.B. immer häufiger in der Rechtfertigung von Wählern auf, die der Ampel eine Lektion erteilen wollen. Die Annahme, dass man ihnen dabei eine Bewusstseinsstörung attestieren könnte, halte ich für nicht zulässig. Schon eher mag man Jan Phillip von Reemtsmas These vom Unaufhebbaren Nichtbescheidwissen der Mehrheit (München 2005) in Erwägung ziehen. Aber auch dies halte ich nicht wirklich für zulässig – siehe: