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dirk oschmann - es kommt auf die geschichten an - und auf die prämissen (in progress)

für meinen Neffen

dirk oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung (Ullstein - 5. Auflage, Berlin2023)

Ja, ich lese schnell und begreife offenkundig auch noch schnell. Es reicht, exemplarisch einen Argumentationsstrang herauszugreifen aus oschmanns Argumentation, um zu begreifen, dass nach mehr als dreißig Jahren jemand sagen muss, was auf der Hand liegt, was alle wissen und niemand verschweigen muss:

"Heute gibt es kein Gebiet in Europa, in dem der Bevölkerung so wenig von dem Grund und Boden gehört, auf dem sie lebt, in der so wenige Immobilien und Betriebe ihr Eigen nennen können wie im Osten Deutschlands." (Ingo Schulze) Und oschmann fragt: "Und das soll die Realität sein, mit der man sich im Osten >anfreunden< und >abfinden< soll?" (Seite 121)

Ein Bericht mitten aus dem Leben – Der Mensch ist, weil er sich verdankt

Ein Hinweis vorab, der die Absicht, die mit diesem Bericht verknüpft ist, noch einmal unterstreicht: Ganz am Ende habe ich ein Interview mit Alexander Kluge verlinkt. Es ist vor 12 Jahren anlässlich seines 80sten Geburtstags von Denis Scheck geführt worden. Die Zeitenläufte sind ähnlich - um so wichtiger die überlebensnotwendigen Hinweise, die Alexander Kluge uns gibt. Sie decken sich mit dem nachstehenden Bericht - der Link:  Sie (die Kohn-Geschwister) tun es aber im Sinne der von Alexander Kluge empfohlenen Haltung und Gewissheit, dass sie sich auf die Socken gemacht haben.

Der 8. Juni 2024, war der Sippe vorbehalten – Sippe ein Begriff aus dem Wörterbuch des Unmenschen? Nein! Sippe lässt sich auch heute noch als familiensoziologisch neutraler Begriff definieren, der schlicht der Tatsache geschuldet ist, dass in Stammbäumen auf Blutsverwandtschaft gegründete Familien auf- und zueinanderstoßen und so ein filigranes Netzwerk begründen, in dem Familien und Schwiegerfamilien (Familien der jeweiligen Ehegattin bzw. des jeweiligen Ehegatten) nebeneinander stehen und für immer neue Durchmischungen sorgen.

Byung-Chul Han: Das Zuhören ist kein passiver Akt

„Der Terror des Gleichen erfasst heute alle Lebensbereiche. Man fährt überallhin, ohne eine Erfahrung zu machen. Man nimmt Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Man häuft Daten und Informationen an, ohne Wissen zu erlangen. Man giert nach Erlebnissen und Erregungen, in denen man aber sich immer gleich bleibt. Man akkumuliert Friends und Follower, ohne je einem anderen zu begegnen. Soziale Medien stellen eine absolute Schwundstufe des Sozialen dar.“

Damit hat Byung-Chul Han 2016 meinen Blick auf eine sich rasant verändernde Gesellschaft geschärft. Seine pauschale Kritik – überschrieben mit dem Signum eines Terrors des Gleichen – beflügelte meine Streitbarkeit im letzten Jahr meines aktiven Berufslebens ebenso, wie mir die drohende Versetzung in den Ruhestand schließlich wie eine Erlösung zukam.

Die Austreibung des Anderen – Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute nennt Byung-Chul Han seine Essay-Sammlung, die 2016 bei S. Fischer erschienen ist. Die letzten neun Seiten tragen den Titel Zuhören (Seite 63-102):

Karl Otto Hondrich: Unschuld und Sühne

Karl Otto Hondrich gehört zu meinen zentralen Referenzautoren. Mit dem jetzt hier zu besprechenden Beitrag aus dem Jahre 2001 (FAZ vom 8. Dezember 2001, auch in: Karl Otto Hondrich, Wieder Krieg, bei Suhrkamp, Frankfurt 2002, S. 177-192) wird er nun endgültig für mich zu Karl Otto dem Großen: weitsichtig, hellsichtig, demütig und auf ungewöhnliche Weise (wenn auch kein Politiker) jener elder statesman, aus dessen Holz und Statur nur Ausnahmeerscheinungen wachsen.

Karl Otto Hondrich, der 2007 im Alter von siebzig Jahren verstorben ist, schreibt Ende 2001 im Kontext von nine eleven, der Terroranschläge in den USA. Ich bin ganz und gar davon überzeugt, dass die zentralen Aussagen Hondrichs - cum grano salis - auch auf die aktuellen Konflikte anwendbar sind. Zunächst stellt Hondrich in den Raum, dass entgegen aller humanen Ermahnung Sühne und Vergeltung, Schwere der Schuld und Genugtuung für die Opfer und ihre Angehörigen eine gewichtige Rolle spielen, "eine viel größere als uns lieb ist":

Großeltern - Eltern und Enkel (mit Bezug auf Fulbert Steffensky) Teil II (hier: Teil I)

Aber der Teil II wird nun doch einen anderen Akzent setzen, zumal Fulbert Steffensky auch in seinen Nachtgedanken eines alten Menschen (a.a.O. S. 215-134) ein eigenes, kleines Enkelkapitel einfügt. Der alte Mensch, der da schreibt – Fulbert Steffensky – ist zum Zeitpunkt seines Schreibens siebzig Jahre alt. Unterdessen – 2024 – ist Steffensky tatsächlich ein Greis im hohen Alter von gut 90 Jahren. Auf der anderen Seite kann ich mit Fug und Recht sagen, dass die Gedanken, die ich hier aufgreife, eben die Gedanken eines jungen Alten repräsentieren, der ich selbst inzwischen mit meinen 72 auch geworden bin. Kurzum: Fulbert Steffensky – der wortgewaltige und gleichermaßen empathische wie sensible Prediger – hilft mir mit seinen Unterscheidungen einmal mehr auf sowohl im Durchdringen der Bedrohungen als auch im Begründen der Sinninseln in der letzten Phase des Lebens (ich unterlege zur besseren Nachvollziehbarkeit die Zitate farbig - Hervorhebungen auch von FJWR):

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund