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Kluge Frauen und kluge Männer (in progress) - vor allen Eva Menasse zugedacht
Dass ich zu den klugen Frauen Eva von Redecker zähle, ist mittlerweile sattsam bekannt. Zu den klugen Frauen gehört zweifelsfrei auch Eva Menasse. Ihre Betrachtungsweisen von Welt und Zeit reflektieren ganz grundlegend, was Peter Sloterdijk einmal mit Blick auf einen anderen klugen Mann folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat. Es geht dabei um die Unterscheidung von Weltbildern erster und zweiter Ordnung – eine Unterscheidung, die einer Vorbemerkung bedarf. So leite ich Sloterdijks Beschreibung mit einer eigenen kleinen Einleitung ein:
Warum Bildung immer wichtiger wird: Peter Sloterdijk weist darauf hin, dass jene, „die für sich einen höheren Ernst reklamieren, weil sie als Fürsprecher einer Realität erster Ordnung auftreten“ – in der Regel distanzlos agieren. Eine distanzierte Grundhaltung – eingedenk unvermeidbarer blinder Flecken – fördere hingegen „eine Neigung zum Desengagement von fixen Meinungspositionen“. Hier komme zum Tragen, was Niklas Luhmann eine Haltung der Selbst-Desinteressierung nennt. Warum dies so ungemein wichtig ist, wird überdeutlich in der von Peter Sloterdijk vorgenommenen Unterscheidung von Weltbildern erster Ordnung auf der einen Seite und einer Haltung, die den Realitätsglauben als auswechselbare Größe begreift, auf der anderen Seite:
„Denn es geht hier, möchte ich vermuten, um nichts Geringeres als das allen Weltbeschreibungen erster Ordnung inhärente Paranoia-Potential und die von ihm gebundene und entbundene Gewalt. Wo immer Menschen anfangen, ihre Weltbilder distanzlos zu bewohnen und ihre Einteilungen des Seienden im Ganzen als eine Arena realer Kämpfe zu erleben, dort sind sie der Versuchung ausgesetzt, für ihre Identitätskonstrukte bis zum bitteren Ende zu kämpfen und für ihre Fiktionen zu töten.“ (Peter Sloterdijk, in: Luhmann Lektüren, Berlin 2010, S. 153)
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Du musst dein Leben ändern!
Du musst dein Leben ändern!
Gebrauche niemals den Imperativ! Dieses imperativische Paradoxon hat Peter Sloterdijk mit der Assoziation eines absoluten Imperativs auf die Spitze getrieben. Seriös weist er auf Seite 708 des Buch gewordenen Imperativs Du mußt dein Leben ändern (Suhrkamp – Frankfurt 2009) auf die Umformung des Kantschen kategorischen Imperativs in einen ökologischen Imperativ durch Hans Jonas hin:
„Handle so, daß die Wirkungen deines Handelns verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Für den Daueraufenthalt im Überforderungsfeld enormer Unwahrscheinlichkeiten gibt er uns ebenso unwahrscheinlich einlösbare Handlungsanleitungen. Dies zeigen die Reaktionen auf Eva von Redecker, die mit ihrer Bleibefreiheit perspektivisch über die bloße Haltung eines imperativischen: Du mußt Dein Leben ändern! hinausgeht. So klingt Peter Sloterdijks Interpretation des ökologischen Imperativs wie das Balancieren auf des Messers Schneide – zwischen Absturz ins Bodenlose und einem nur um den Preis einschneidenden Verzichts möglichen Überlebens:
„Ich soll die Wirkungen meines Handelns in jedem Augenblick auf die Ökologie der Weltgesellschaft hochrechnen. Mir schein sogar, ich solle mich lächerlich machen, indem ich mich als Mitglied eines Sieben-Milliarden-Volks verstehe – obwohl mir schon die eigene Nation zuviel ist. Ich soll als Weltbürger meinen Mann stehen, selbst wenn ich meine Nachbarn kaum kenne und meine Freunde vernachlässige. Mögen die meisten neuen Volksgenossen für mich auch unerreichbar bleiben, weil >Menschheit< weder eine gültige Adresse noch eine begegnungsfähige Größe darstellt: Ich habe dennoch den Auftrag, ihre reale Gegenwart bei jeder eigenen Operation mitzubedenken. Ich soll mich zu einem Fakir der Koexistenz mit allem und allen entwickeln und meinen Fußabdruck in der Umwelt auf die Spur einer Feder reduzieren.“ (Seite 709)
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- Karfreitagsgedanken II
Am 8. März 2023 habe ich - versehen mit kleinen Ergänzungen - meine Auseinandersetzung mit Hartmut Rosas Resonanz-Schrift erneut hier platziert. Nach der ausgewählten Lektüre von Pädagogik statt Therapie sind mir Aktualität und Brisanz dieser Reflexionen noch klarer vor Augen gestanden. Rosas Versuch Familie als Resonanzraum erster Güte zu erörteren ist sich der Ambivalenzen bewusst. So ist zu lesen, dass die Moderne bzw. Postmoderne Entfremdung im Sinne stummer, kalter, starrer oder scheitern-der Weltbeziehungen gewiss in erschreckendem Ausmaß hervorgebracht hat. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, wie sie auch von Rudi Krawitz herausgestellt wird, ist damit keineswegs verschwunden. Im Gegenteil: Werte und Bedürfnisse, die in besonderen Maß als bedroht empfunden werden, erhalten im Licht der beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen gewiss eine erhöhte Aufmerksamkeit. Friedemann Schulz von Thun und Eva von Redecker haben aus meiner Sicht diese Aufmerksamkeit nicht nur aufgenommen, sondern lassen erkennen, wie wir uns der Logik der kapitalistischen Wachstumsideologie entziehen können und der Frage nach Haben und Sein neue Perspektiven abgewinnen. Den Kontrapunkt dazu setzt die im Nachhinein mehr als kritisch zu betrachtende Vorgehensweise im Zuge der Corona-Pandemie. Ich kann mir bis heute nicht verzeihen, der verheerenden Isolationshaft der Alten in ihren Heimen nicht mehr Widerstand entgegengebracht zu haben. Fern jeder verschwörungstheoretischen Verstrickung setze ich auf den politischen Diskurs und eine entsprechende steile Lernkurve, um in künftigen vergleichbaren Situationen angemessener zu agieren (siehe dazu in folgendem Link, Seite 12 die Kontroverse zwischen Klaus Mertes und Peter Dabrock - 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrats).
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Karfreitagsgedanken I
Eltern
Es gibt dicke Eltern und dünne Eltern;
Eltern die immer sehr ängstlich und besorgt sind,
und Eltern, denen alles egal ist.
Manchmal fehlt der Vater, der ist tot oder woanders,
manchmal fehlt die Mutter.
Das sind traurige Familien, da gibt es Tränen.
Am besten ist, wenn man außer den Eltern
auch noch einen Großvater hat.
Wenn die Eltern mal böse sind, geht man einfach zum Großvater.
(Walter Kempowski, Herr Böckelmanns schönste Tafelgeschichten)
Der Karfreitag hat mir schon den Traum vom Ewigen Frieden beschert. Karfreitagswetter – etwas trübe und regnerisch – veranlasst mich zum Räumen. Ich komme aber nicht weit. Zufällig fällt mir Pädagogik statt Therapie in die Hände – Rudi Krawitzens Habilitationsschrift (3. Überarbeitete Auflage, Bad Heilbrunn 1997). Und zufällig entdecke ich auf Seite 274 Walter Kempowskis lapidare Absonderungen zu den Eltern, die aber – und das lässt mich ein wenig schmunzeln – mit dem Gang zum Großvater enden (siehe zuletzt: Die Erfindung der Enkel oder: Großväter). Ich blättere vor und zurück und lese mich fest. Auf den Seiten 255ff. vollziehe ich noch einmal nach, was Rudi in den 90er Jahren über Eltern als „überforderte Träger der Erziehung, als Partner pädagogischer Praxis“ geschrieben hat. Es beginnt mit GG, Art. 6, 1, wo zu lesen ist, dass die Familie „unter besonderem Schutze der staatlichen Ordnung“ steht. Rudi Krawitz bezieht sich dann zunächst einmal auf soziologische Befunde, die den extremen Wandel von Aufwuchs-, Entwicklungs- und Erziehungsbedingungen in den letzten drei Jahrhunderten belegen. Wie drastisch sich dies auch schon vor 30 Jahren ausnahm, mag folgende Auflistung zeigen:
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Zum ewigen Frieden
Aus dem Nachlass von Winfried Rösler ist mir ein Buch zugekommen, dass ich heute – zwei Tage, nachdem er 73 Jahre alt geworden wäre – wieder einmal in die Hand nehme: Manfred Geier: Aufklärung - Das Europäische Projekt (2012 bei Rowohlt in der dritten Auflage erschienen). Aus gegebenem Anlass nehme ich mir aus Eine tröstende Aussicht in die Zukunft, das Immanuel Kant zugedacht ist, das siebte Unterkapitel: Der europäische Traum vom ewigen Frieden (Seite 274-281) zur Hand. Der gegebene Anlass ist nach wie vor die russische Aggression gegenüber der Ukraine auf der einen Seite und der unfruchtbare Disput mit einem Freund aus Jugendtagen auf der anderen Seite. Mehrfach habe ich mich bereits auf Kant bezogen, um Putins Vorgehensweise als absolutes Sakrileg zu brandmarken. Dem Vorwurf, ich würde meine eigene Position hinter den Nebelkerzen der Philosophie unkenntlich machen, begegne ich heute, indem ich die von Manfred Geier vorgelegte knappe Skizze dazu nutze, in der Tat meine eigenen Überzeugungen noch einmal zu unterlegen.
Kurze Einleitung:
Immanuel Kant zwingt uns Menschen insofern zur Bescheidenheit als er unserem Erkenntnisvermögen die Fähigkeit abspricht, die Dinge an sich erkennen und benennen zu können. Marcus Willaschek (Kant – die Revolution des Denkens, München 2023, S. 328ff.) bringt dies noch einmal auf den Punkt, indem er „die völlig neuartige Idee“ Kants illustriert: