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Helmuth James von Moltke an seine Söhne Caspar und Konrad

Einleitung bzw. Vorbemerkung:

Was vermag ein Einzelner in einem Terrorregime, wie es sich von 1933 bis 1945 in Deutschland etablierte; in einem staatlich organisierten System des Terrors, das auf den Fanatismus einer Minderheit von gewaltbereiten Mittätern bauen konnte und das auf dem Mitläufertum von Millionen beruhte (siehe zuletzt: Das Ende der Geborgenheit)? Der deutsche Widerstand war gewiss vielfältiger und umfassender als uns eine auf den 20 Juli fixierte Perspektive nahelegt. Neben der breiten Forschung zur NS-Diktatur sind es ambitionierte Einzelunternehmungen, wie die von Sabine Friedrich, die uns einen tiefen Einblick in die Hintergründe, in die Biografien und feinen Unterschiede von Teilen der Widerstandsbewegung ermöglichen. In Zeiten, da eine gesichert rechtsextreme Partei bei Landtagswahlen inzwischen fast ein Drittel der Wähler hinter sich vereint, muss man die Frage stellen, was läuft in diesem Land der Blutrichter und Henker verkehrt? Es gibt keine Entschuldigung für ein Wählervotum, dass Fratzen wie Krah oder Höcke als wählbar erachtet. Es bleiben nur SchamWut und Unverständnis!

Immer noch Vorbemerkung:

Dem Brief an seine Frau Freya vom 12. Oktober 1944 legt Helmuth James von Moltke einen weiteren Brief bei:

„Einen Brief an die Söhnchen füge ich bei. Ob Du ihn denen später einmal aushändigen willst, überlasse ich Dir.“

Vor mir liegt: Helmuth James und Freya von Moltke – Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel (September 1944 bis Januar 1945, erschienen als „Jubiläumsedition 2013“ im Verlag C.H. Beck).

Für Harald und Dorothee Poelchau lautet die Widmung.

Im Vorwort betonen die Herausgeber Ulrike von Moltke und Helmuth Caspar von Moltke, dass die Briefe

„wegen ihres persönlichen Charakters nicht früher veröffentlicht wurden: Für Freya waren sie ein Blick ins Innerste, das sie zu Lebzeiten nicht der Öffentlichkeit preisgeben wollte; der Nachwelt hat sie allerdings die Freigabe bewusst überlassen. In ihrem letzten Lebensjahr beschloss sie, alle Briefe, auch diese letzten, dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar zu schenken.“

Ulrike von Moltke und Helmuth Caspar von Moltke weisen darauf hin – und so mag sich die Widmung erklären –, dass

„die Briefe, die Helmuth und Freya einander heimlich zukommen ließen, für alle Beteiligten gefährliche Dokumente waren. Denn auch der Gefängnispfarrer Harald Poelchau riskierte täglich sein Leben, indem er sie zwischen Helmuths Zelle und seiner eigenen Wohnung, wo Freya sie empfing und beantwortete, hin- und hertrug.“

Das Vorwort beginnt mit einem längeren Zitat Helmuth James von Moltkes. Er schrieb dies am 2. Januar 1945, drei Wochen vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten. Ich gebe einige Sätze daraus wieder:

„Manchmal denke ich über das Schicksal unserer langen schriftlichen Unterhaltungen nach. Ob die für Dich und die Söhnchen auch nach 10, 20 oder mehr Jahren ein lesenswerter Stoff sind […] Wenn diese Zeit vorbei ist, wenn einmal wieder wirklicher Frieden eingezogen ist, was wird man dann zu solchen Erwägungen sagen. Wird man sie verstehen. Wird man glauben, dass das extreme Lagen waren, die die Menschen hysterisch machten, wird man begreifen können, dass der Mensch, dieses wunderliche Tier, sich selbst an das Hingerichtet-Werden gewöhnen kann?“

Helmuth James von Moltke, dieses doch offenkundig wunderliche, tapfere Tier; dieser aus der Masse herausragende Monolith, richtet zwei Briefe an seine Söhne Caspar (*1937) und Konrad (1941-2005)

Im zweiten Brief vom 17. Oktober 1944 liegt ihm vor allem daran, seinen Söhnen – dem siebenjährigen Caspar und dem eben erst dreijährigen Konrad – die Mutter in ihrer Besonderheit und Einzigartigkeit ans Herz zu legen. Denn er vertritt die Auffassung, dass er – von seinem Gewissen getrieben – einen eigensinnigen und in gewisser Weise rücksichtslosen Weg gegangen sei. In all den Jahren habe die Mutter alle Entbehrung auf sich genommen und immer in der Sorge leben müssen, dass „ich verhaftet, eingesperrt oder getötet würde“. Aber niemals habe die Mutter ihn in dem, was er für nötig hielt, gehindert oder auch nur belastet:

„Und ich sage Euch, das ist viel mehr als ich getan habe. Denn selbst Risiken zu laufen, die man kennt, ist garnichts gegen die Bereitwilligkeit, den, mit dem man sein Leben verbunden hat, Risiken laufen zu lassen, die man nicht übersehen kann.“

So endet der Brief mit dieser Betonung und einem daraus folgenden Wunsch:

So, meine Lieben, ich möchte doch, dass Ihr wisst, was für eine tapfere Mutter Ihr habt. Liebt sie, liebt Euch untereinander und gedeiht an Leib, Herz und Seele.“

Helmuth James von Moltke wusste wohl, warum er seiner Frau, Freya, die Entscheidung überließ, wie sie mit den Briefen an die Söhne umzugehen gedachte. Der erste Brief beginnt mit einer für die eigenen Söhne unfassbaren Zumutung:

Lieber Caspar, lieber Konrad

Da ich in wenigen Tagen wahrscheinlich nicht mehr leben werde, und da ich Euch deshalb in Eurem Leben nicht werde beistehen und helfen können, so will ich, solange ich noch Zeit habe, Euch wenigstens einen Brief schreiben. Dich, Konrädchen, kenn ich eigentlich nicht, denn als ich Dich zuletzt gesund sah, da warst Du noch ein Baby und jetzt bist Du schon ein kleiner Mensch.

Im Angesicht des Todes findet Helmuth James von Moltke die Kraft und die Haltung, sich von seinen Söhnen zu verabschieden und Ihnen – aus seiner Sicht – etwas mitzugeben, das – aus seiner Sicht wenig genug – seinen erwachsenen Söhnen ein Verständnis für den Vater eröffnen soll. Aber sehr viel mehr ist ihm daran gelegen die Einheit zu beschwören, die in der Mutter verbürgt ist:

Mit dem wichtigsten will ich anfangen. Habt Euch und Reyali (die Kinder nannten ihre Mutter Reyali) immer und ganz unverrückbar lieb. Ich weiß, dass es so sein wird, aber ich muss es auch noch besonders sagen.“

Er vermittelt seinen Söhnen in einer bemerkenswerten Haltung – getragen von Empathie, Wärme und Liebe – Grundorientierungen, von denen er hofft und annimmt, wie er im zweiten Brief schreibt, dass sie dazu beitragen, dass seine Söhne an Leib, Herz und Seele gedeihen. Die Bedeutung der mütterlichen Linie veranlasst in gar zu einer Relativierung der väterlichen Herkunft:

Woher Eure Väter kamen, das werdet Ihr schon von alleine lernen. Ihr werdet aber nicht so selbstverständlich wissen, was für eine Mutter ich gehabt habe und was für Menschen ihre Eltern waren.“

Wenige Zeilen zuvor schreibt er:

Seht, ich habe von meiner Mutter so viel Liebe und Wärme mitbekommen, dass ein Mensch davon sein ganzes Leben zehren und sich erwärmen kann. Das wird Reyali auch mitgeben.“ Und der Vater beschwört die Einheit noch auf eine andere Weise: „Aber Ihr müsst auch denken, dass ich ja den zweiten Teil meines Lebens in Reyali’s Liebe gebettet verbracht habe und dass ihr nun ihr Mann fehlt. Vergesst das nie, denn ich bitte Euch, ihr soviel an Liebe zu erzeigen, dass sie nicht so sehr fühlt, dass ich nicht mehr da bin. Ihr müsst sie für mich mit lieb haben.“

All dies geht immer einher mit dem Bedauern darüber, dass der Vater seinen Söhnen in ihrem Leben nun nicht mehr helfen und beistehen kann, „so wie ich es gerne getan hätte“. Vor allem bedauert er, dass er „von den wichtigsten Dingen“, die er während seiner Haft gelernt habe, nichts an sein Söhne übertragen könne.

Gleichwohl gerät der Brief an seine Söhne gleichermaßen zu einem politischen wie religiösen Bekenntnis. Es ist so unfassbar wichtig, diese Bekenntnisse heute jenen nahe zu bringen, die in irgendeiner Form glauben Anleihen machen zu müssen bei Ideologien, die offenkundig „in den Deutschen stecken“. Jede®, der mit rechtsextremen Phantasien sympathisiert, sollte sich die folgenden Hinweise immer wieder vor Augen führen:

Die Sache, wegen derer ich umgebracht werde, wird in die Geschichte eingehen, und kein Mensch weiß, wie. Euch will ich aber folgendes sagen: ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzess, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde. Insofern werde ich vom nationalsozialistischen Standpunkt zu Recht umgebracht.“

Helmuth James von Moltke grenzt sich gleichwohl von den Männern des 20. Juli ab:

Ihr sollt aber nur wissen, dass ich  nicht in einen Topf mit den Männern des 20. Juli gehöre.“ Er habe nie Gewaltakte wie den des 20. Juli gewollt oder gefördert: „Ich habe ihre Vorbereitung im Gegenteil bekämpft, weil ich aus vielerlei Gründen solche Maßnahmen missbilligte und vor allem glaubte, dass damit das geistige Grundübel gerade nicht beseitigt würde. Insofern werde ich zu Unrecht umgebracht. Wie das alles in späterer Perspektive aussehen wird, kann heute niemand sagen, auch nicht, ob mein Teil als etwas besonderes in diesen Vorgängen erkennbar bleiben wird.“

Helmuth James von Moltke gibt sich seinen Söhnen als gläubiger Christ zu erkennen:

Ich will Euch nur sagen, dass ich in der Gewissheit sterbe, dass ich durch Jesum Christum zu Gott eingehen werde und dass in Seiner Liebe wir vier, Reyali, Ihr beide und ich, immer vereint sein werden; niemand kann wissen, wie, und deswegen kann man danach auch nicht fragen. Ich sage es auch nicht, damit Ihr das glauben sollt: so etwas kann einem nicht von einem anderen gesagt werden, entweder man weiß es oder man weiß es nicht, es ist eine Gnade, es zu wissen.“

Wer von uns vermag auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, was Helmuth James von Moltke in diesen Monaten der existentiellen Grenzsituation getragen hat; was ihm die Kraft und Haltung erlaubt hat, solche Briefe zu schreiben? Der Brief endet mit der brutalen Einsicht in die eigene bevorstehende Hinrichtung. Liest man dies heute und erlaubt sich einen Blick auf die Biografien von Caspar und Konrad und das Lebenswerk ihrer Mutter, dann schließt sich womöglich ein Kreis, dessen Unverbrüchlichkeit Helmuth James von Moltke an diesem 11. Oktober 1944 schon wie eine Gewissheit in sich getragen hat.

Helmuth James von Moltke gehört gewiss zum Edelsten, was Deutschland jemals hervorgebracht hat. Zumindest dies wissen wir heute und möchten ihm gerne versichern, dass sein „Teil als etwas besonderes in diesen Vorgängen erkennbar bleiben wird“.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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