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Mach dir im Leben nicht zu viele Sorgen, du kommst da nicht lebend raus!

Es zeigt sich mal wieder, dass meine Krämerseele immer auf der Hut ist, eine Zeitung vorschnell zu entsorgen - zumal wenn es sich um ein Exemplar der ZEIT handelt. Es ist die Nr. 13 vom 26. März 2015, die meine Aufmerksamkeit fast ein halbes Jahr später weckt. In meinem Kopf treffen sich Henning Mankell und und Ilka Piepgras - eine "DIE AUSZOG, DAS STERBEN ZU LERNEN" (ZEIT-Magazin der Ausgabe vom 27. August 2015 - es ist die Nr. 35).

Henning Mankell hat seine Krebsdiagnose im März 2014 erhalten - eineinhalb Jahre vor Roger Willemsen.
Neben der Solidarität in der Krebsbaracke - Henning Mankell erinnert sich an seinen Freund Christoph Schlingensief, der exakt an derselben Krankheit gestorben sei, an der auch er sterben werde - legt er eine ähnlich bemerkenswerte Haltung an den Tag. Eine ihrer Hauptparellelen sei die starke Affinität zu Afrika. Und dort - so Mankell - gehöre der Tod noch auf andere Weise zum Leben:

"In Afrika ist der Tod Teil des Lebens. Die Europäer haben Leben und Tod getrennt. Es ist Furcht einflösend, wie unsere Kultur ein Mysterium um den Tod macht. Ich halte das für eine Schwäche der europäischen Kultur. In Afrika konnte ich sehen, wie man vernünftig mit dem Tod umgeht. Deshalb habe ich keine Angst vor dem Tod." Susanne Mayer fragt nach: "Kein bisschen Angst?" und Mankell antwortet: "Naaa. Ich bin 67 Jahre alt. Ich habe ein längeres Leben gehabt, als es sich die meisten Menschen auf dieser Welt erträumen können. Es war ein fantastisches Leben. Ich bin am Ende meines Weges angekommen. Nein, ich habe nur eine Furcht, und sie ist ganz merkwürdig: davor, dass ich so lange tot sein werde. Das ist albern, man fühlt ja nichts, wenn man tot ist. Aber ich werde Millionen von Jahren tot sein, was ziemlich lange ist."

Roger Willemsen - der leidenschaftliche Zeitgenosse

Zu seinem Tod eine kleine Bemerkung über das Reisen - und darüber hinaus eine Hommage

9.2.2016: Das Letzte zuerst. Der Bios hat ihm nur noch eine sehr begrenzte Zeit gelassen. Roger Willemsen ist am vergangenen Sonntag (7.2.2016) im Alter von 60 Jahren verstorben. Auch mir wird er fehlen mit seinen Anregungen und seiner gelassenen Unruhe: Der Tod bringt bei mir - vermutlich ähnlich wie bei Roger Willemsen bzw. Thomas Stangl - immer schon die ontologische Differenz zum Schwingen, die starke Ahnung, was den Punkt ausmacht, in den die raum-zeitlichen Verschiebungen zusammenfallen. Nach meinem Großvater, nach meinem Vater, nach meinem Bruder, nach meiner Mutter, nach meinem Schwiegervater und Freunden wieder zur Differenz gekommen zu sein (und ihrer bislang auch nicht entgangen zu sein, ist ein kleines Glück, das ich auch RW noch so lange wünsche, wie ihn sein Lebensmotiv treibt und der Bios trägt.

Grade junge Menschen sehnen sich nach langjährigen, stabilen Beziehungen

Elisabeth Niejahr in der ZEIT 33/2015, S. 2

Die von mir gewählte Überschrift findet sich in Spalte 3 des Dreispalters, den Elisabeth Niejahr (ein Schwergewicht in der ZEIT-Redaktion), mit dem Titel versieht: "Und wenn Ja, wie viele?"Die Frage: "Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?" begleitet die (post)modernen Menschen schon seit Jahrzehnten. Wenn sie alt werden, Kinder haben, haben sie sich im besten Fall Fragen, wie diese kokett-verstörte weiter oben, beantwortet. Sie stellen sich sogar noch andere Fragen. Die nach dem Sinn des Lebens hat sich für diejenigen, die Kinder in diese Welt gebracht haben und ihre Eltern begleiten auf dem Weg hinaus aus dieser Welt, längst beantwortet. Jenseits dieser basalen Sinndimension, die uns das Leben selbst anbietet, gestatten sie sich in den Wohlstandsregionen dieser Welt natürlich auch den Sinn im Unsinn zu suchen: Im Reisen, in der Kunst, in der Bewegung (die nicht im Reisen aufgeht) oder in den Sinnofferten, die uns andere verheißen.

Zumindest aber könnten die eigenen Kinder auf die Idee kommen und die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, der Liebe auch eine Form zu geben - womöglich gar eine justiziable. Die Antwort darauf haben wir natürlich längst gegeben. Immerhin sind unsere Kinder die authentischsten Beobachter unserer Sinnsuche. Sie sind selbstverständlich nicht nur Beobachter, sondern sie sind - meist ohne es (noch oder schon) zu wissen - die Seismographen und die lebendigen Inkarnationen einer Beziehungskultur, die ihnen vorgelebt worden ist, und deren lebendiges Netzwerk sie Zeit ihres Lebens mitgestalten; dem sie allerdings zuerst ausgeliefert waren, und das sie im Laufe der Zeit mehr und mehr aktiv beeinflussen - mit und gegen die bedeutsamen Anderen. Leider kommen ihnen dabei die bedeutsamen Anderen zuweilen auf unterschiedlichste Weise abhanden:

Gelassenheit im Horizont des Feldwegs

(dies ist ein Kapitel aus der 2010 erschienen "Mohnfrau")

Der Feldweg

Porentief, Fraglos, Grenzgänger, Geborgen (demnächst auch nachzulesen in meiner Lyrographie) thematisieren eine Erfahrungswelt, in der als eine wesentliche Facette ein ausgeprägtes Naturerleben aufscheint. Dass es auf diese Weise sprachfähig und sprachmächtig wird, überrascht am meisten mich selbst. Ja, die Mitteilbarkeit eines eigenen Naturerlebens und Naturempfindens hat eng(st)e Grenzen. Wir können der Natur begegnen und wir können uns in der Natur begegnen, bei gemeinsamen Wanderungen. Im besten Falle erliegen wir der Illusion eines gemeinsamen Erlebens. Das Erleben aber wird zur Kommunikation, wenn wir versuchen, es in einem gemeinsamen Sprachraum zu ergründen: Wir schauen uns an, wir blicken in das erstaunte, gerührte, beglückte Gesicht eines anderen Menschen, wir verlieren uns in unserer eigenen Rührung und unser Angerührtsein löst eine Kette von beglückenden wechselseitigen Anschlüssen aus, die uns im besten Fall immer gegenwärtig bleiben als ein besonderes, ein umfängliches gemeinsames Erleben. Zur Welt kommen, zur Sprache kommen, zu uns selbst kommen durch die Anrührung der Natur begründet ein Stück unseres Welt- und Selbstbildes. Wem sollte ich denn einigermaßen verständlich vermitteln, dass das Gehen eines Feldweges immer wieder aufs Neue – es möge sich Hunderte von Male zugetragen haben und zutragen – auch das Andere bedeutet. Ich folge mir, ich gehe mit mir mit und gehe mir voraus.

Der Feldweg und die Gelassenheit

Kurze Vorbemerkung:

Ich sitze an meinem ersten Urlaubstag mitten in Koblenz auf dem Jesuitenplatz und denke bei mir so: Vorsicht da kommen Touristen! Aber das ist ein anderes Thema. Ich lese das Feuilleton der FAZ: "Der enthusiastische Eloquenzexperte", denke an Peter Sloterdijk und meine, eine unpassende, ungerechte Apostrophierung; bemerke aber sofort, dass nicht Peter Sloterdijk, sondern Roger Willemsen gemeint ist: Vom Existenzrecht des Texters: Ein Materialband zum sechzigsten Geburtstag von Roger Willemsen ("Ein leidenschaftlicher Zeitgenosse". Zum Werk von Roger Willemsen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015. 520 S., br. 24,99€.) Die Buchhandlung Heimes ist nicht weit, und ich denke: Beeile Dich - augenblicklich bist Du geneigt € 25 minus ein Cent auszugeben. Ob ich sie jetzt noch ausgeben werde, irgendwann in den nächsten Tagen, weiß ich nicht. Ein Anflug von Enttäuschung. Das Buch ist offensichtlich noch nicht ausgeliefert. Dem Grundsatz getreu, eine Buchhandlung nicht ohne den Kauf eines Buches zu verlassen, stoße ich auf ein bescheidenes Klett-Cotta-Bändchen: Martin Heidegger - Gelassenheit, 2014 in der 16. Auflage erschienen.

   
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