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Großeltern - Eltern und Enkel (mit Bezug auf Fulbert Steffensky) Teil II (hier: Teil I)

Aber der Teil II wird nun doch einen anderen Akzent setzen, zumal Fulbert Steffensky auch in seinen Nachtgedanken eines alten Menschen (a.a.O. S. 215-134) ein eigenes, kleines Enkelkapitel einfügt. Der alte Mensch, der da schreibt – Fulbert Steffensky – ist zum Zeitpunkt seines Schreibens siebzig Jahre alt. Unterdessen – 2024 – ist Steffensky tatsächlich ein Greis im hohen Alter von gut 90 Jahren. Auf der anderen Seite kann ich mit Fug und Recht sagen, dass die Gedanken, die ich hier aufgreife, eben die Gedanken eines jungen Alten repräsentieren, der ich selbst inzwischen mit meinen 72 auch geworden bin. Kurzum: Fulbert Steffensky – der wortgewaltige und gleichermaßen empathische wie sensible Prediger – hilft mir mit seinen Unterscheidungen einmal mehr auf sowohl im Durchdringen der Bedrohungen als auch im Begründen der Sinninseln in der letzten Phase des Lebens (ich unterlege zur besseren Nachvollziehbarkeit die Zitate farbig - Hervorhebungen auch von FJWR):

Die Gesellschaft und ihre Alten: Ich bin schon häufiger der Frage nachgegangen, wozu eine Gesellschaft ihre Alten braucht und wie sie mit ihnen umgeht. Fulbert Steffensky – er schreibt inmitten der Nullerjahre – weist darauf hin, dass sich allein die soziologisch-statistische Dimension von Alter erheblich gewandelt hat: „Wir leben in anderen Welten. Junge Alte werden heute die genannt, die noch vor 100 Jahren als Uralte gegolten haben.“ Und er meint hier nicht nur das Lebensalter, sondern vor allem die Lebenswelt selber. Gehörte in früheren Zeiten zu einer Lebensgewissheit das Gefühl von Kontinuität und Dauerhaftigkeit, gerät genau diese Lebensgewissheit heute ins Wanken. Ein Gefühl von Kontinuität und Dauerhaftigkeit könne nur erfahren werden, wo mindestens drei Generationen sichtbar sind und miteinander leben: „Menschen werden von ängstlicher Zufälligkeit geschüttelt, wo sie nur noch sich selber und die eigene Zeit erleben, höchstens noch die der nächsten Generation.“ Ja, um Gottes Willen (oder wessen Sinngebung auch immer): Lasst uns diese Botschaft hören und in uns aufnehmen. Gewiss, viele von uns, die diese Botschaft nicht mehr erreicht, geraten unversehens zur Inkarnation eines von ängstlicher Zufälligkeit geschüttelten Selbstbildes! Fulbert Steffensky erinnert in diesem Zusammenhang an eine ars moriendi, eine Kunst des Sterbens, in der die sichtbare Hinfälligkeit und das Sterben der Menschen selbst aufgehoben waren (intuitiv ist mir diese Normalität zur kostbaren Chance geraten in der Sterbebegleitung meiner Mutter, meines Schwiegervaters und meiner Schwiegermutter).

  1. Zuletzt wirkt in mir der Appell Steffenskys nach, dass wir uns zeigen müssen in unserer Endlichkeit, wenn wir denn davon ausgehen, das eine Gesellschaft die Sichtbarkeit des Alters benötigt, um sich nicht völlig selbst zu verlieren: „Wir sollten allmählich die große Lebenskunst gelernt haben, uns nicht mehr durch uns selber zu rechtfertigen. Das wäre auch unsere eigene Vorbereitung auf den Tod. Denn am Ende des Lebens ist man durch gar nichts mehr gerechtfertigt außer durch den Blick der Güte, der uns schöner findet, als wir sind und je waren.“
  2. Die Einsamkeit des Alters: „Ich bin alt, aber ich war nicht einsam, solange meine Frau noch gelebt hat.“ (Liebe Marisa, ich habe Dich gut verstanden, als Du vorgestern, am 17. Mai 2024, gesagt hast, Du möchtest nicht mehr einen einzigen Tag ohne Peter sein!). Nun kommt Fulbert Steffensky zu einer schrägen These, die mit Bedacht und aufmerksam gewürdigt sein will. Er schreibt, er sei nicht einsam, weil er arbeite: „Ich arbeite vermutlich mehr, als ich zur Zeit meiner Berufstätigkeit gearbeitet habe. Ich lese, ich schreibe, ich halte Vorträge. Ich liebe meine Arbeit. Solange ich sie tue, vergesse ich die bisher noch leichten Beschwerden des Alters. >Arbeit macht frei!< war der zynische Spruch über dem Eingang von Auschwitz – zynisch, weil er am Ort der Barbarei stand. Sonst aber stimmt er. Arbeit befreit mich davon, unerträglicher Gast meiner selbst zu sein.“
    Ich würde eine Nuance abweichen und sagen: Ich kann erst wirklich Gast meiner selbst sein, solange ich mein Selbst jener Kritik, jenen Erkenntnissen, jenen Lebensweisheiten aussetze und anvertraue, die mir in dem von Steffensky geschilderten Prozess des Lesens, Schreibens und gewiss auch des dann gründlichen Tuns zuwachsen.
    Nun gelangen wir zu der fundamentalen Unterscheidung, die ich – wie gesagt ebenso alt wie Steffensky, als er diese Gedanken niederschrieb – so kongruent und auf beglückende Weise nachvollziehen kann: „Ich bin nicht einsam, weil ich Kinder und Enkelkinder habe und Freunde und Freundinnen. Ich sehe sie, ich telefoniere mit ihnen, wir schicken uns Mails, ich koche für sie. Ich lebe also in Zusammenhängen. >Er spricht zusammenhanglos<, sagen wir, wenn jemand verwirrt spricht. Dieser Verwirrung bin ich bisher entkommen, weil ich den Zusammenhang der Generationen sehe und den Zusammenhang der Welten, die mir durch meine Freunde vermittelt werden. Und doch hat sich einiges verändert: ich wachse heraus aus diesen Zusammenhängen, weil die Kinder mich nicht mehr lebensnotwendig brauchen. Wenn ich jetzt stürbe, wären sie traurig. Aber es brächen für sie keine Welten mehr zusammen, wie es der Fall ist, wenn eine Mutter oder ein Vater in jungen Jahren stirbt. Ich werde nur noch begrenzt benötigt. Das ist der Anfang der Einsamkeit.“ Dieser Prozess, den wir bei unseren Eltern beobachtet und begleitet haben, findet seine Dynamik in der Feststellung Steffenskys: "Einsam werde ich sein, wenn mir diese äußere Welt nicht mehr vertraut ist; wenn kleine Verrichtungen zu großen Angelegenheiten werden und wenn ich die einfachen Lebenstechniken nicht mehr beherrsche […] Einsam werde ich, wenn die Menschen eher über mich sprechen als mit mir; wenn sie sich über meine Krankheit unterhalten und besorgt sind. Einsam bin ich, wenn die Angst über meine Zukunft mich packt. Dann komme ich nicht mehr von mir los und klebe ständig an mir selber. Wenn ich in mir selber eingekerkert bin, gerate ich in eine Wahnwelt.“
    Und schließlich als lebendige Selbstevaluation gedacht: „Ich merke, dass in meinem Text ein Wörtchen reichlich Junge geworfen hat: das Wort noch. Noch lebe ich mit anderen zusammen, noch gehe ich wie ein Gesunder, noch ist das äußere Leben geläufig.“
    Fulbert Steffensky erfährt (und lehrt uns) im Alter von siebzig Jahren die Tatsache seiner Sterblichkeit: „Das ist die letzte Lehre, die uns die Toten geben: wir werden bald sterben. […] Es gibt viele Lehrer dieser Sterblichkeit. Gerade hat es mich meine sechsjährige Enkeltochter gelehrt. Wir sprachen darüber, was sich in 15 Jahren alles verändert haben könnte. Ich sagte zu ihr: >Vielleicht hast du selber dann schon Kinder!< Sie antwortete bekümmert und realistisch: >Aber die Oma und du werdet dann schon tot sein und sie nicht mehr sehen.“ (Ob seine Enkelin schon Mama ist, kann ich nicht nachvollziehen, aber wir wissen, dass die Oma – Dorothee Sölle in der Tat schon tot ist, dass Fulbert Steffensky aber noch lebt)
    Nun ja, für viele eine Zumutung – Fulbert Steffensky widmet dem Sterben und dem Tod einen eigenen kleinen Absatz, den hier nicht zu erwähnen einer Form des Selbstbetrugs gleichkäme: „Das Sterben ist die Einsamkeit, die allen misslingt und mit der niemand fertig wird. Es ist die Stelle, an der alle Souveränität verlorengeht. Der Tod ist die letzte große Unverschämtheit des Lebens. Ihm kann ich nichts mehr entgegensetzen – keine Stärke, keine Tugend, keinen Gleichmut […] Das Alter ist nicht schön (wohl wird es oft genug schön geredet). Aber eine Schönheit könnte noch gelingen: dass man es aufgibt, sich durch sich selber zu rechtfertigen.“
  3. Die letzten Aufbrüche und Anfänge: Fulbert Steffensky spricht von verschiedenen Zeiten und Arten von Aufbrüchen. So gebe es die Aufbrüche der Jugend, wo man irgendwann Vater und Mutter, das Haus und die Lebenswelt verlasse, die einen geborgen und gewärmt haben. Es veranlasst ihn zu einer fundamental bedeutsamen Unterscheidung: Seien dies doch Abschiede, die aus Anfängen geboren würden. Und das Vergessen der alten Welt sei wahrscheinlich notwendig, um in einer neuen Welt anzukommen: „Es sind radikale Abschiede!“ Steffensky schildert solche Wendepunkte, an denen das Alte stirbt und das Neue beginnt. Seine Zeit im Kloster (Maria Laach), das er nach 13 Jahren verlässt („Dieser Austritt aus dem Kloster hatte sicher die Dramatik einer Ehescheidung.“); den Kraftakt eines Neubeginns mit Heirat, Ehe, der Begründung einer Familie – tollkühn. Die Anfänge in der Lebensmitte seien dagegen realistischer. Und Steffensky weist uns auf dem Hintergrund seiner Lebenserfahrung auf etwas hin, was Arnold Retzer so treffend mit dem Begriff und der Haltung einer resignativen Reife beschreibt: „Es gibt ein Unglück, das durch zu große Erwartungen zustande kommt. In den Anfängen nach Niederlagen schätzt man die gelungene Halbheit des Lebens, man schätzt das halbe Glück und halbe Erfüllung. Man weiß, dass ein durchschnittliches Glück ein großes Glück ist. Man lernt die Dankbarkeit für das halbe Gelingen. Dies hört sich nun wie die pure Illusionslosigkeit und wie Pessimismus an. Es ist es nicht. Es ist die Dankbarkeit für das kleine Gelingen.“
    Steffensky schreibt – als Siebzigjähriger: „Ich bin inzwischen alt. Und ich stelle mit Erstaunen fest, wie viele Aufbrüche mir im Alter zugemutet werden.“ Und er stellt den zweiten Teil der oben angedeuteten fundamentalen Unterscheidung scharf: „Die Abschiede der Jugend waren aus Anfängen geboren. Meine heutigen Anfänge sind aus Abschieden und Verlusten geboren. Ich lerne mit jedem Tag die Endlichkeit des Lebens. Ich lerne mit jedem Tag, dass das Leben Frist ist.“ Der Reichtum des Lebens sei geringer, aber er sei intensiver geworden: „Ich habe Freunde, ich habe Erinnerungen, vor allem: ich habe Enkelkinder – welch ein Reichtum!“
    Die von Axel Hacke so bemüht beschriebene und umworbene Heiterkeit gewinnt bei Steffensky eine beeindruckende Realitätsmacht: Ein Grund seiner neuen Lebensheiterkeit bei allen Verlusten resultiere aus der Erleichterung, nicht mehr stark und überlegen sein zu müssen: „Ich habe eine Kunst gelernt, die ich schon lange können sollte: „Ich muss mein Leben nicht mehr rechtfertigen durch die gute Arbeit, die ich mache; nicht mehr durch meine Schönheit, Intelligenz, Frömmigkeit, Erfolge. Ich kann ein heiterer Nichtsnutz sein.“
  4. Die Hoffnung auf die unüberholbaren Anfänge: Für uns Ungläubige – bestenfalls agnostisch im Universum Driftende – kommt nun die Wende, die für die einen ein (unverhofftes?) Glück markiert, die anderen ratlos zurücklässt: Dass der Tod nicht das Ende des Lebens, sondern sein eigentlicher Anfang sei: „Unsere Hoffnung auf das Glücken der Anfänge nährt sich aus der Erinnerung von großen und guten Anfängen. Das beste Beispiel dafür ist die Erzählung von der Erschaffung der Welt […] Eine unserer Enkelinnen hat, als sie klein war, die Frage nach ihrem eigenen Anfang gestellt: >Wo war ich, als ich noch nicht geboren war?< hat sie meine Frau gefragt. Diese hat beiläufig geantwortet: >Du warst noch nicht da.< Die Enkelin hat auf ihrer Frage bestanden und hat sich schließlich selbst die Antwort gegeben: >Ich war noch in Gott versteckt!< Sie hat sich ihre eigene Schöpfungsgeschichte erzählt und sich selber gesungen: Mein Anfang war gut! oder in ihren Worten: >Ich war in Gott versteckt!<“
  5. Die Kunst des Abdankes (hier mein Schlüsselkapitelchen): Ja, „wenn wir als Großeltern über unser Verhältnis zu den Enkeln nachdenken und wenn wir von ihnen erzählen, dann schönen wir oft. Wir beschreiben uns als rüstig und noch stark. Wir können noch mit den Enkeln spielen und schwimmen, wir können ihnen erzählen und mit ihnen spazieren gehen. Wir erzählen von den Enkeln als kleinen Kindern, die drollig, neugierig, aufgeschlossen und liebevoll sind. Aber es kommen andere Zeiten, kalte Zeiten, wenn wir sehr alt und unsere Enkel schon erwachsen sind. Vielleicht werden wir mit Schmerz feststellen, dass unsere Welt, in der wir gelebt, geliebt und geweint haben, schon untergegangen ist und dass unsere Kinder und Enkel in ganz anderen Welten leben.“
    Wenn ich nun an dieser Stelle einen großen Sprung mache, dann in erster Linie, weil in den Wünschen, die Fulbert Steffensky am Ende dieses Kapitelchens äußert, ein großer Spannungsbogen erkennbar wird, der im besten Fall dazu führt, dass die Kinder und die Enkel irgendwann nicht nur sehen, sondern auch fühlen können, wie elementar und unverzichtbar sich der Blick öffnet; öffnet für die Tatsache, dass sowohl wir als auch dann unsere Kinder und Enkel jeweils die Erben des kleinen Gelingens der jeweiligen Vorfahren sind:

    „In demütigem Stolz können wir auch sehen, dass die, die nach uns kommen, von den Lebensbroten leben, die wir für sie gebacken haben. […] Sie stehen auf unseren Schultern mit ihrem eigenen Leben, wie wir unser ganzes Leben lang auf den Schultern von anderen gestanden haben.“ Ich schließe mich dem folgenden Wunsch Fulbert Steffenskys uneingeschränkt an: „Ich wünsche mir eine Zeit, in der die Eltern und die Großeltern Sorge tragen für die Welt, die Atemluft und die Lebensträume ihrer Kinder; eine Zeit also, in der Menschen nicht in verblendeter Heutigkeit nur an sich selber denken. Ich wünsche mir eine Zeit, in der die Enkel die Namen ihrer Großeltern wissen, auch wenn sie schon lagen gestorben sind. Sorge und Gedächtnis machen die Welt menschlicher und verbinden die Generationen.“

  6. Auf halber Treppe: Was gilt es wohl zu bedenken im Blick auf unsere Kindheit? Was gilt es zu bedenken für jemand der 1942, 1952, 1956, 1962, 1982, 1986, 1987, 1989, 2000 oder 2004 geboren worden ist? Die Kindheit ist zu Ende! Und der 1933 geborene Fulbert Steffensky gibt zu bedenken: „Wir hatten eine Kindheit. Obwohl in schrecklichen Zeiten, bestand sie nicht nur aus Schrecken. Wir hatten eine Jugend, in der wir mehr gehofft haben, als unsere Jugendlichen hoffen. Wir hatten Ruhe zum Lernen und zur Ausbildung. Wir hatten Idee und haben einiges dafür gearbeitet. Wir haben geliebt und wurden geliebt. Und wir hatten Tränen, über die zerbrochenen Lieben zu weinen.“ Fulbert Steffensky singt – seit ich ihn lese und wiederlese – das Lied auf die gelungene Halbheit des Lebens, das halbe Glück und die halbe Erfüllung: „Man lernt die Dankbarkeit für das halbe Gelingen.“ Und ja, er räumt ein, dass wir mit all unseren Ideen nicht bis in das Land der Träume gekommen sind: „Vieles ist zerbrochen von dem, was wir hatten. Vieles haben wir nur halb gehabt und gemacht. Aber wir hatten wenigstens die Hälfte […] Wir sind schwer von Geschichten.“ Es sind beglückende Geschichten, und es sind schwere Geschichten: „Vielleicht sind einige davon gelungen. Vielleicht haben uns einige nicht bitterer, resignierter und zynischer gemacht. Vielleicht haben uns einige von falschen Hoffnungen befreit. Vielleicht hat uns unsere Schwäche humanisiert – wenigstens hie und da.“ Schwer und schwerer – betont Steffensky – ist es wohl mit den anderen Geschichten umzugehen; mit den Geschichten unserer Schuld: „Zerstörungen haben wir nicht nur erfahren, wir haben sie auch angerichtet, und wir haben Leben beschädigt Wir sitzen auf halber Treppe und können sie nicht neu hinaufgehen. Wir müssen damit leben, dass bestimmte Dinge unseres Lebens nicht wiedergutgemacht werden können; dass sie unwiederbringlich sind und dass keine Chancen auf Heilung bestehen.“
    Kommen wir nun an eine Weggabelung, an der sich Fulbert Steffenskys und mein Blick auf die Welt unterscheidet. Ich gehe mit ihm – die halbe Treppe; die halbe Treppe die wir gestiegen sind – auf der die Wegmarken eingekerbt sind zu all dem, was wir gesehen und gehört haben, zu all der Liebe und all dem Versagen, deren Folgen sich tief eingegraben haben in die Züge unserer Seele. Was bleibt uns noch zu tun? Sich einzuüben in die sanften Tugenden der Geduld, der Langsamkeit und des Verzichts? Und was meint Fulbert Steffensky, wenn er vom Abdanken spricht. Steffensky hat seine Antwort gefunden – vielleicht in dem Vierzeiler:

    So sollst Du, munt’rer Greis,
    Dich nicht betrüben!
    Sind gleich die Haare weiß,
    doch wirst du lieben.

    Für ihn steht am Ende der Name Gottes, und er räumt ein: „Wir wissen nicht genau, was wir sagen, wenn wir ihn nennen.“ Aber alt werden heißt für Steffensky erkennen, dass wir nicht genug sind. "Wir sind nicht genug, die Welt zu retten und das Leben zu wärmen. Wir einzelnen und wir alle zusammen sind nicht genug, die Stadt zu bauen, in der der Tod entmachtet ist. Der Name Gottes ist unsere große Erleichterung.“
    Ich habe Fulbert Steffensky bereits im Zusammenhang mit seiner fulminanten Schrift: Mut zur Endlichkeit – Sterben in der Gesellschaft der Sieger (RADIUS-Verlag, Stuttgart 2007) gefragt: Geht das auch ohne Gott? (siehe unter diesem Link, Seite 97-105). Kann es uns nicht gelingen mit Immanuel Kant den Rahmen zu setzen, in dem die krummen Hölzer, die wir sind, in Frieden und wechselseitiger Anerkennung miteinander leben? Mit Gott und den Göttern jedenfalls ist es bislang nicht gelungen - ganz im Gegenteil (siehe die Sloterdijksche Würdigung Luhmanns). Wie kann man – so Steffensky – „in Heiterkeit Fragment sein“? Er meint nur so könnten wir unserem Leben Spiel geben, akzeptieren, dass wir nicht alles sein müssen: „Der Gedanke, dass wir an Gott genesen und dass niemand an unserem Wesen genesen muss“ – ja da folge ich Steffensky noch – dieser Gedanke erst macht uns erträglicher für uns selber und für die anderen. Und „die letzte große Kunst“?
    Dass wir lernen, dass wir das Urteil über uns selbst nicht fällen? Dass wir die sind, die wir am Ende unseres Lebens sind? Mehr bräuchten wir nicht: „Wir brauchen uns nicht zu loben, wir brauchen uns nicht zu verdammen. Wir sind vor den Augen der Güte, die wir sind. Es ist wahr: Wir Alten haben nur noch eine Frist, ablaufende Zeit. Bis dahin aber werden wir weiter träumen. Und wir werden das wundervolle Altersprivileg genießen, dass niemand mehr uns ganz für voll nimmt, nicht einmal wir selber. Lasst uns in Heiterkeit diese Narrenfreiheit genießen.“
   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund