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Zum ewigen Frieden

Aus dem Nachlass von Winfried Rösler ist mir ein Buch zugekommen, dass ich heute – zwei Tage, nachdem er 73 Jahre alt geworden wäre – wieder einmal in die Hand nehme: Manfred Geier: Aufklärung - Das Europäische Projekt (2012 bei Rowohlt in der dritten Auflage erschienen). Aus gegebenem Anlass nehme ich mir aus Eine tröstende Aussicht in die Zukunft, das Immanuel Kant zugedacht ist, das siebte Unterkapitel: Der europäische Traum vom ewigen Frieden (Seite 274-281) zur Hand. Der gegebene Anlass ist nach wie vor die russische Aggression gegenüber der Ukraine auf der einen Seite und der unfruchtbare Disput mit einem Freund aus Jugendtagen auf der anderen Seite. Mehrfach habe ich mich bereits auf Kant bezogen, um Putins Vorgehensweise als absolutes Sakrileg zu brandmarken. Dem Vorwurf, ich würde meine eigene Position hinter den Nebelkerzen der Philosophie unkenntlich machen, begegne ich heute, indem ich die von Manfred Geier vorgelegte knappe Skizze dazu nutze, in der Tat meine eigenen Überzeugungen noch einmal zu unterlegen.

Kurze Einleitung:

Immanuel Kant zwingt uns Menschen insofern zur Bescheidenheit als er unserem Erkenntnisvermögen die Fähigkeit abspricht, die Dinge an sich erkennen und benennen zu können. Marcus Willaschek (Kant – die Revolution des Denkens, München 2023, S. 328ff.) bringt dies noch einmal auf den Punkt, indem er „die völlig neuartige Idee“ Kants illustriert:

„Die traditionelle Auffassung, der auch der Alltagsverstand zustimmen würde, lautet, dass Objektivität dadurch zustande kommt, dass unser Denken sich nach seinem Gegenstand – nach der Realität - >richtet<. Kants völlig neuartige Idee ist dagegen, dass Objektivität im Denken darauf beruht, dass alle menschlichen Subjekte in ihrem Denken und Erkennen denselben notwendigen Bedingungen unterworfen sind (Raum, Zeit, Kategorien), um überhaupt erfahren und erkennen zu können. Insofern kann man von einer >Objektivität des menschlichen Standpunkts< sprechen: Der erkannte Gegenstand selbst ist nicht von den subjektiven Bedingungen seiner Erkenntnis unabhängig, sondern wird durch sie erst möglich gemacht […] Die Gültigkeit synthetischer Urteile a priori beruht darauf, dass sie die subjektiven Bedingungen angeben, unter denen eine objektive Realität für uns erfahrbar ist. Das bedeutet aber zugleich, dass diese objektive Realität nicht aus denkunabhängigen Dingen an sich besteht, sondern aus >Erscheinungen<, die von unseren spezifisch menschlichen Erkenntnisstrukturen mitgeprägt sind.“

Erst aus dieser Relativierung aller „Objektivität“ resultiert die Verantwortung, die wir für unsere Weltsicht tragen: Objektiv ist derjenige, der – im Bewusstsein der Grenzen seines Erkenntnisvermögens – Verantwortung für seine Konstruktionen von Welt übernimmt.

Immanuel Kants Ausführungen zum ewigen Frieden erfahren auf diesem Hintergrund ihre besondere Ausstrahlung. Sie basieren auf einer – seinerzeit – vollkommen neuartigen Betrachtungsweise der grundlegenden Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen; dies gewiss in Sonderheit, da Kant sich Zeit seines Lebens als erklärter Misanthrop verstanden hat, der den Menschen aufgrund ihrer Triebhaftigkeit zutiefst misstraute. Manfred Geier ordnet Kants Vorhaben folgendermaßen ein:

„Vor dem Gerichtshof der Vernunft verhandelt Kant den großen menschheitsgeschichtlichen Fall: Unter welchen Bedingungen kann die Aufgabe gelöst werden, zwischen den Staaten und Völkern eine Frieden zu schaffen, der nicht nur ein vorübergehender Waffenstillstand ist, sondern auf Dauer Schluss macht mit diesem ewigen Töten und Getötetwerden, zu dem die Menschen von ihren Machthabern wie Maschinen abgerichtet und eingesetzt werden.“ (Seite 275)

Manfred Geier beginnt mit den drei sogenannten Definitivartikeln, mit denen Kant die grundlegenden Prinzipien für das Staatsbürgerrecht, das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht benennt. Es handele sich um Maximen für einen gesetzlichen Zustand, der Kant zu seiner Zeit bereits als realisierbar erschienen sei:

  • Der Erste Definitivartikel ist dabei einer staatsbürgerlichen Ordnung zugedacht, „zu der sich freie und gleiche Menschen durch eine >republikanische Verfassung< zusammengeschlossen haben […] Republikanisch ist das Volk sein eigener Souverän, das nach seinem eigenen Gesetz regiert wird und selbst darüber entscheidet, wie es leben will.“
  • Der Zweite Definitivartikel erweitert diese Argumentation auf das Verhältnis zwischen den Staaten. Kant geht davon aus, dass auch Staaten miteinander in einer Verbindung zusammenkommen können, um auf diese Weise ihren kriegerischen Eigensinn unter gemeinsame Kontrolle zu bringen und einen dauerhaften Frieden zu begründen. Hier entsteht bereits die Idee einer Föderation freier, souveräner Staaten die sich nach einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht richten.
  • Der Dritte Definitivartikel widmet sich dem Recht der Weltbürger. Manfred Geier weist darauf hin, dass Kant nicht als Philantrop argumentiere. Auch im Hinblick auf alle Bürger in einer gemeinsam bewohnten Welt gehe es ihm und gesetzliche, vertragliche Regelungen.

Wie könnte es anders sein, geht es bei Kant immer um das Spannungsverhältnis zwischen Moral und Politik. Manfred Geier bemerkt, dass nicht zuletzt Kants Beantwortung dieser Frage die Aktualität seiner Philosophie belege. Dazu lediglich der Hinweis auf Kants Unterscheidung von zwei Typen von Politikern, deren subjektives Verhältnis zu Moral und Recht klar profiliere:

„Auf der einen Seite steht der moralische Politiker: Er handelt so, dass die subjektiven Prinzipien seiner politischen Willens jener Moral entsprechen, die Kant mit seinem Kategorischen Imperativ zu begründen versucht hat. Er richtet sein Handeln am allgemeinen Recht aller Menschen aus, die als freie und gleiche Bürger leben wollen.
Anders sieht es beim politischen Moralisten aus: Er orientiert sein Handeln nicht an allgemeinen Rechts- und Moralprinzipien, sondern schmiedet sich seine Moral so, wie er es für seinen Vorteil jeweils gebrauchen kann. Für ihn gibt es nur jene >Schlangenwendungen einer unmoralischen Klugheitslehre<, die Kant scharf kritisiert, weil sei die Machtinteressen und subjektiven Handlungsmaximen über die rechtlich-politischen Grundsätze stellt, die der politische Moralist nur dann rhetorisch ins Spiel bringt, wenn er es für seine Zwecke für opportun hält. Dann kann er sogar humanitäres Mitgefühl mit fernen Unterdrückten demonstrieren, um aggressive militärische Maßnahmen moralistisch zu legitimieren.“ (Seite 281)

Manfred Geier hält fest, dass Kants Sympathie bei den moralischen Politikern liege. Von ihnen erhoffe er sich schrittweise Verbesserung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, sowohl in den Einzelstaaten als auch internationalen Staatengeflecht. Für sie habe er die Grundideen es Staatsrechts, des Völkerrechts und des Weltbürgerrechts entworfen.

Dass 140 Jahre später auf deutschem Boden Carl Schmitt mit seiner Schrift Der Begriff des Politischen oder Auslassungen (im Kontext des sogenannten Röhm-Putschs) wie Der Führer schützt das Recht den Weg in einen faschistischen Staatsterrorismus und das größte Menschheitsverbrechen juristisch begleitete, gilt es zu bedenken. Es dürfte keine zwei Meinungen geben hinsichtlich der Traditionslinien, die hier sichtbar werden und wer wohl im Sinne der oben definierten Kantschen Unterscheidungen wo steht.

Immanuel Kant würde gewiss – bei allen Vorbehalten - mit Genugtuung auf die Europäische Union schauen. Mit Blick auf eine über Jahrhunderte währende durch Völkerfeindschaften und –kriege verheerten Kontinent erscheint eine über 80 Jahre hin entstandene Friedenordnung wie eine einzige Bestätigung der Vision Kants.

Wer heute mit geopolitischen Argumenten hingegen das Vorgehen Putins als vernünftig legitimiert, hat den Anschluss an 300 Jahre Aufklärung in ihrer besten Ausprägung verloren. Er findet sich wieder in einem Freund-Feind-Denken, das einem Kriegsverbrecher huldigt, der im Sinne Kants den politischen Moralisten gibt, der alle staatbürgerlichen und völkerrechtlichen Errungenschaften seinen (geopolitischen) Machtinteressen opfert – Carl Schmitt lässt grüßen!

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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