<<Zurück

 
 
 
 

Blubo und Brausi - Niklas Luhmanns Anregungen zu einem Nachruf auf die Bundesrepublik

Ich beziehe mich im Folgenden auf einen Beitrag, den Niklas Luhmann am 22.8.1990 in der FAZ veröffentlicht hat. Bevor ich begründe, warum mir dies wichtig ist, nehme ich mit den Worten Niklas Luhmanns die Antwort vorweg. Es mag paradox klingen, wenn Luhmann sagt: "Zerstörung war das wichtigste Kapital - Zerstörung im Sinne der Unnennbarkeit spezifisch deutscher Traditionen." Vor allem "auch in der intellektuellen Entwicklung war Zerstörung vielleicht das wichtigste Kapitel - Zerstörung im Sinne der Unnennbarkeit spezifisch deutscher Traditionen. Die Nazis hatten es mit Blubo und Brausi, wie wir damals sagten, verdorben: mit Blut, Boden, Brauchtum und Sippe. Es blieb nur die eifrig zu manifestierende Scham." Daran werde ich ganz zum Schluss wieder anknüpfen.

Warum also widme ich einem fast 25 Jahre alten Zeitungsartikel heute Aufmerksamkeit und einen eigenen Eintrag im Rahmen meines Blogs? Mir fielen seine Anmerkungen zufällig - und wie so häufig ganz beiläufig als Klolektüre - wieder in die Hände. Meine Verblüffung war beachtlich. Angesichts der aktuellen Diskurse und der teils nur schwer nachvollziehbaren Spaltungspotentiale in unserer Republik scheinen mir Niklas Luhmanns Anmerkungen hilfreich für eine Besinnung. Er stellt seine Anregungen zu einem Nachruf unter das Motto: DABEISEIN UND DAGEGENSEIN. Und schon seine erste Bemerkung verblüfft - zumal die wenigsten unter uns Älteren seinerzeit einen solchen Gedanken zugelassen haben:

"Weniger als im Falle der DDR ist im Falle der Bundesrepublik davon die Rede, daß es demnächst zu Ende sein wird. Im Falle der DDR sind die Veränderungen offensichtlich, scharf spürbar und daher bewußt. Im Falle der Bundesrepublik erscheinen sie mehr als Vergrößerung des Volumens, also in Form von Zahlen und Zahlungen."

Auf dem Hintergrund von Helmut Kohls Prophezeiungen blühender Landschaften und der aufkommenden Goldgräberstimmung zu Beginn der neunziger Jahre, vermag es nicht zu verwundern, dass Niklas Luhmann innerhalb seiner systemtheoretisch unterfütterten Unterscheidungswelt statt eines Primats der Politik ein Primat der Wirtschaft sieht. Deren binärer Code besteht in der Tat aus der schlichten operativen Differenz von Zahlen versus Nichtzahlen. Während die Treuhand die ostdeutsche Wirtschaft abwickelte, Existenzen und Biografien massenhaft schrottete, vollzog sich die Revolution primär als Wirtschaftsrevolution. Der entsprechenden Lesart hatte die ehemalige DDR nichts entgegenzusetzen:

"Der Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftsordnungen, und zwar ihr spezifisch wirtschaftliches Versagen, wird als Triumph der Marktwirtschaft gesehen."

Sehr viel deutlicher als noch 1990 können wir heute sehen, was die Folgen sind: Die Beobachtung der Wirtschaft durch die Politik führt anhand eigener Datenaggregationen immer nur zur Information der Politik über sich selbst. Die Kehrseite bedeutet - zumindest mit Blick auf die massenhaft gebrochenen Erwerbsbiografien derer, die im Zuge der Wiederverreinigung nicht nur ihre Jobs, sondern auch wesentliche Anteile ihrer Identität und ihres Selbstverständnisses verloren - zu einem nachhaltigen Misstrauen einem System gegenüber, dass die Wiedervereinigung konsequent unter das Primat der Wirtschaft stellte.

Niklas Luhmann hat schon 1990 angemahnt, dass damit viele wichtige Fragen, mit denen uns die sogenannte Marktwirtschaft konfrontiert, nicht beantwortet wurden/werden:

"Das gilt etwa für den Zweifel, ob nicht wirtschaftliche Rationalität zwangsläufig zu einer Art Abweichungsverstärkung, also zur Verstärkung von Ungleichheit führt." Und mehr mag man Niklas Luhmann seherische Qualitäten zugestehen, wenn er anmahnt: "Und ferner (steht die Frage im Raum, Verf.), was geschehen wird, wenn man durch Spekulation auf den internationalen Finanzmärkten Geld schneller, also kurzfristiger, also mit besseren Anpassungsmöglichkeiten verdienen oder verlieren kann als mit Investion in Produktionsmittel, die aus technischen Gründen heute oft sehr langfristig geplant sein will. Einfacher und drängender gefragt: Wo sollen die riesigen Kapitalmittel herkommen, die man für eine radikale Umstellung der Technologien - zum Beispiel, aber nicht nur: der Energieerzeugung - im nächten Jahrhundert benötigen wird."

All diese Versäumnisse fallen uns heute dramatisch auf die Füße. Der Triumph des Kapitalismus hat insofern bittere Konsequenzen:

"Es könnte ja sehr wohl sein, dass der sozialistische Gedanke einer ethisch-politischen Steuerung der Wirtschaft so verfehlt war, dass es auch noch verfehlt ist, sich davon unterscheiden zu wollen. Es war, könnte man meinen, derart absurd, dass es nichts Positives sagt, wenn man feststellt: Wir haben diesen Irrweg vermieden. Sowenig wie die Landtiere etwas Sinnvolles über sich selbst erfahren, wenn sie eines Tages feststellen, dass sie nicht so leben und nicht so umkommen wie Fische im Wasser."

Also fragt Luhmann weiter: "Mit welchen Kategorien, Formen, Unterscheidungen beobachten wir eigentlich unser Wirtschaftsystem." Luhmann widersteht nicht der Versuchung, das Protestverhalten in der Bundesrepublik sanften Bewertungsmaßstäben zu unterziehen; neben dem "Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft", sieht er in der "Gewohnheit zu protestieren" einen zweiten relevanten Aspekt eines genetischen Fingerabdrucks der alten BRD:

"Die Gewohnheit zu protestieren hat einen festen Platz in der Geschichte der Bundesrepublik [...] Die Themen haben gewechselt, und zwar so schnell, dass biographische Brüche in der Protestiergeneration unvermeidlich gewesen wären, hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, von Protest zu Protest überzugehen. Auf Proteste gegen Remilitarisierung und Atombewaffnung folgen Ostermarschierer und Notstandsopposition, Studentenbewegung und Neomarxismus, Bürgerinititativen-Inititativen, Antiberufsverbot-Kampagnen, Friedensbewegung, Frauenbewegung, Selbsthilfegruppen und mit besten Ergebnissen die Ökologiebewegung [...] Verteilungsthemen werden durch Risikothemen ergänzt, wenn nicht ersetzt [...] In Paris sieht man das zuweilen als ein Sequenz typisch deutscher Neurosen. Das mag sein. Aber es hat in einem Kontext funktionierender Demokratie auch einen Frühwarneffekt, vor allem in bezug auf Probleme der Ökologie und auf die Themen eines möglichen politischen Widerstandes."

Ich ergänze in der Folge dieses Zitat um einen wichtigen Ausblick - auch mit Blick auf das, was Luhmann mit "Themen eines politischen Widerstandes" ins Spiel bringt. In Wannsee-Konferenz I und Wannsee-Konferenz II habe ich deutlich gemacht, dass diejenigen, denen sich im Rahmen der Corona-Politik mit ihren Grundrechts-Einschränkungen Fragen der Legitimation, der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit stellen, ihren Protest in einem demokratischen Rechtsstaat zum Ausdruck und auf die Straße bringen sollen - aber in radikaler Abgrenzung von allen rechtsextremen Umtrieben! Und insofern lassen sich Luhmanns Anmerkungen elegant und treffend mit dem Hinweis abschließen, dass man den Protest in seiner Demokratietauglich- und notwendigkeit - weder aufgeben darf oder aufgeben kann:

"Aber vielleicht könnte man die Naivität etwas reduzieren, mit der Bejahung und Verneinung in der Bundesrepublik betrieben worden waren. Die Herausforderungen der Zukunft haben ein anderes Format."

Niklas Luhmann hat das 1990 gesschrieben. In der von ihm avisierten Zukunft leben wir! Und nun bleibt zuallerletzt nur noch sein Hinweis an alle rechten Spacken, an alle Idioten und alle naiven Deutschtümler. Schreibt es Euch hinter Eure Ohren und schreibt es in Eure Stammbücher - geäußert und angemahnt von einem Konservativen besonderen Formats:

"Auch in der intellektuellen Entwicklung war Zerstörung vielleicht das wichtigste Kapitel - Zerstörung im Sinne der Unnennbarkeit spezifisch deutscher Traditionen. Die Nazis hatten es mit Blubo und Brausi, wie wir damals sagten, verdorben: mit Blut, Boden, Brauchtum und Sippe. Es blieb nur die eifrig zu manifestierende Scham."

Alexander Gauland und Björn Höcke nenne ich hier nur stellvertretend - ich könnte freilich Alice Weidel und wesentliche Teile der AfD-Fraktion im Bundestag, der sie vorsitzt, hinzufügen - ab nun ohne Jörg Meuthen, der seinen Parteiaustritt mit einem für ihn nicht mehr tolerierbaren Rechtsruck der AfD begründet. Es geht aber vor allem auch um die Namenlosen, die sich im Dunstkreis rechtsextremer Bewegungen aufhalten und dort aktiv werden - ob als Reichsbürger, als Ungeimpft-Bekenner mit unerträglichen Anleihen nationalsozialistischer Symbolik oder als besorgte Bürger, die sich unter dem Akronym PEGIDA organisieren - für die allermeisten von Euch gilt: Schämt Euch!

Es bleibt nur die eifrig zu manifestierende Scham!

 

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.