Folgen des Klimawandels - eine Veranstaltung der Grünen in Güls am 10.10.2023 oder: Mich verändert alles - Ich verändere nichts!?
Die Welt im Klimanotstand! In welchem Maß lässt man diese Beschreibung eindringen in einen über 71 Jahre gewachsenen und sedimentierten Wahrnehmungsapparat? Ich bin 71 Jahre alt und setze mich überlebensnotwendig auseinander mit einer Fülle von Eindrücken und Zumutungen, die im Alter offenkundig nicht mehr so ohne Weiteres integriert werden können im Sinne einer alltäglichen Robustheit in der Auseinandersetzung mit radikalen Veränderungen: „Von allen Stimmen, die zu mir sprechen, ist meine die schwächste. Mein Gesicht ist eine Tür, durch die man hinein kann, aber nicht hinaus. Mich verändert alles. Ich verändere nichts.“ So sieht es Meßmer, das Alter Ego des kürzlich verstorbenen Martin Walser.
Ich bin nach einigen Jahrzehnten der Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten und den Grünen beigetreten. Gestern Abend gab es eine Veranstaltung der Gülser Grünen, die sich schlicht mit Fakten und den Folgen des Klimawandels auseinandersetzte. Nach dieser Veranstaltung fühlte ich mich einerseits bestätigt im Sinne der Folgerichtigkeit dieses Wechsels - andererseits beschreibt mich diese Entscheidung als jemand, der nach den letzten Optionen in einem Notstandsfeld sucht. Der Hauptreferent des Abends, Bernhard Grunau, bekannte sich im Laufe des Abends zur Mitgliedschaft bei der Letzten Generation. Als Vater dreier Kinder erscheine ihm dies logisch und folgerichtig. Sein Vortrag war nahezu ausschließlich faktenorientiert und basierte weitgehend auf dem aktuellen 23er Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), eine Institution der Vereinten Nationen, auch als Weltklimarat bekannt. Er gibt im Abstand von fünf bis sechs Jahren Sachstandsberichte heraus, die als wissenschaftliche Konsensposition hinsichtlich des Einflusses des Menschen auf das Weltklima gelten. Die harten unleugbaren Fakten lassen sich kompakt zusammenfassen und werden nachstehend in ihrer Essenz der Website des IPCC entnommen. Unter der Einsicht, dass die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen sich für tausende von Jahren auswirken werden skizzierte Bernhard Grunau Fakten, die vor allem als Fakten nicht hintergehbar sind, weil sie unter dem Verdikt stehen, "dass die Physik nicht mit sich verhandeln lässt":
Synthesereport „Climate Change 2023“
März 2023
Der Synthesereport „Climate Change 2023“ des Sechsten Sachstandsberichts der IPCC wurde am 20. März 2023 auf einer Pressekonferenz im schweizerischen Interlaken vorgestellt. Am Abschlussbericht haben 93 Wissenschaftler:innen mitgewirkt, zwei davon aus Deutschland. Er bündelt die Erkenntnisse der letzten Jahre zum Klimawandel und ist eine Zusammenfassung der sechs Berichte, die seit 2018 erschienen sind. Bei der Vorstellung des Berichts warnte UN-Generalsekretär António Guterres:
„Die Klima-Zeitbombe tickt. Aber der heutige IPCC-Bericht ist ein Leitfaden zur Entschärfung der Klima-Zeitbombe. Er ist ein Überlebensleitfaden für die Menschheit.“
1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen
Schon 2018 machte der IPCC deutlich, dass enorme Anstrengungen vonnöten seien, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Nun, fünf Jahre später, sei die Herausforderung immens. Es bleibe keine Zeit mehr und man müsse sofort handeln, so die Wissenschaftler:innen. Die bisherigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel seien zu wenig ambitioniert und weitreichend; überdies würden die Regierungen zu langsam agieren. Findet hier nicht ein sofortiges weltweites Umdenken und entschlossenes Handeln statt, wird die Erde sich bereits in den 2030er-Jahren um 1,5 Grad erwärmt haben. Aktuell liegt die Erwärmung bereits bei 1,1 Grad. Dies führt schon jetzt zu immer häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen, die immer gefährlichere Auswirkungen auf die Natur und den Menschen in allen Regionen der Welt haben.
Klimawandel trifft die Schwächsten
Die Folgen des Klimawandels würden die schwächsten Menschen und Ökosysteme am härtesten treffen, so der IPCC. Daher sei „Klimagerechtigkeit [...] von entscheidender Bedeutung, denn diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismäßig stark betroffen“.
Treibhausgasemissionen müssen ab sofort sinken
Die Forderung der Wissenschaft: Die globalen Treibhausgasemissionen müssen ab sofort in allen Sektoren sinken und bis 2030 halbiert werden, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Außerdem richtet der Bericht einen Appell an die Regierungen weltweit, die Finanzierung von Klimainvestitionen massiv zu erhöhen.
Klimaschutz als Chance
Für die Klimaexpert:innen liegt die Lösung in einer klimaresilienten Entwicklung. So können Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion gepaart mit Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels langfristig für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft sorgen. Denn Klimaschutzmaßnahmen würden nicht nur die Schäden für Mensch und Natur verringern, sondern könnten auch die Wirtschaft ankurbeln und die Gesundheit verbessern. „Wenn wir jetzt handeln, können wir noch eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle sichern“, sagte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee.
Die nächsten Jahre sind entscheidend
Doch der Zeitfaktor und die nächsten Jahre sind entscheidend: „Hoffen wir, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen. Denn die Entscheidungen, die wir jetzt und in den nächsten Jahren treffen, werden für Hunderte, sogar Tausende von Jahren auf der ganzen Welt nachhallen“, mahnte Lee (Quellen: Zeit online; tagesschau).
IPCC Synthesis Report Climate Change 2023
Pressemitteilung zur Vorstellung des Synthesereports
Zur deutschen Übersetzung
Bernhard Grunau unterfütterte die Daten mit eindrücklichen Beispielen zu sogenannten Klimakipp-Punkten. Bei aller Nüchternheit der Analyse war deutlich zu spüren, das Grunau emotional gleichermaßen äußerst engagiert wie angespannt erschien. Ich belege diese Beobachtung an seinem Intro sowie an seiner Schlussbemerkung: Zum Einstieg ließ uns Bernhard Grunau ein etwa 8 bis 10jähriges Mädchen betrachten, das mit Gießkännchen in der Hand inmitten eines Gartens himmelwärts blickt. Dazu wurde folgender Text eingeblendet:
"Dass die Kleinen stark werden.
Und die Starken mitfühlen.
Die Empathischen gehört werden.
Und die Friedfertigen.
Dass wir wahre Größe belohnen.
Und die Menschlichen
uns beharrlich
ihr Zutrauen
unterjubeln."
Bernhard Grunau schloss seinen Vortrag mit dem Martin Luther zugeschriebenen Zitat ab:
„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Die nachfolgenden Ausführungen von Dr. Ulrich Kleemann (stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Koblenzer Stadtrat und u.a. 8 Jahre Präsident der SGD Nord) führten uns vor Augen, dass sich die von Grunau auf der Basis der IPCC-Daten angeführten Fakten und Zusammenhänge für die Stadt Koblenz und die Region bereits in ausgepägter Form zuspitzen. So kristallisiert sich für Koblenz und die Region bereits jetzt ein Temperaturanstieg heraus, der die 1,5 Grad deutlich überschreitet. Der Begriff des Klimanotstands gewinnt klare Konturen und löst Handlungsdruck aus. Kleemann zeigte aber gleichermaßen am Beispiel regionaler Kooperation in der Wasserwirtschaft, dass die Region nicht schläft. Ein Mitarbeiter der Verbraucherzentrale Koblenz rundete den Abend ab mit einer detallierten Information zu den Konsequenzen des Gebäudeenergiegesetzes.
Es waren einige Nachfragen von Teilnehmern, die mich irritierten. So wollte ein älterer Teilnehmer wissen, wer denn beispielsweise die Dämmungsqualitäten und -gegebenheiten von den Dachgeschossen hin zu ungedämmten Dachräumen kontrolliere. Zumindest die Zuständigkeit der Schornsteinfeger, was die Zulassungsvoraussetzungen zum (Weiter-)Betrieb von Heizanlagen angeht, konnte geklärt werden. Mir persönlich drängte sich der Eindruck auf, dass die Mentalität einer Haltung, die wir mit der Volksweisheit verbinden, dass nichts so heiß gegessen, wie es gekocht ist, vielfach Vermeidungsstrategien erahnen lässt, die an den Botschaften der Referenten deutlich vorbei gehen.
Mein persönliches Resümee läuft denn auch vor allem darauf hinaus, dass die Referenten einerseits unser Problembewusstsein deutlich beförderten. Andererseits verengt sich der Blick vor allem auf die politischen Akteuere und Institutionen. So ergibt sich aus dem Pariser Klimaabkommen die Selbstverpflichtung der 195 Unterzeichnernationen für die Realisierung bzw. Einhaltung der gesetzten Ziele einzutreten. Erstmals ambitionierte Zielsetzungen, wie die beispielsweise von der Ampelkoalition - zugegebenermaßen handwerklich in fragwürdiger Weise - auf den Gesetzesweg gebracht werden, sorgen aber vor allem dafür, dass sich Gesellschaft nicht nur polarisiert, sondern das selbst Akteure in der Ampel selbst eine an den Klimazielen orientierte Politik hintertreiben. Problembewusstsein und Handlungsdruck reichen bei vielen nicht einmal aus, die sachlich unhaltbare Position der AfD (zum Klimawandel) in der Wahlbevölkerung mit dem Signum der Unwählbarkeit zu versehen - ihre Wählbarkeit steht aufgrund ihrer rechtsextremen Ausrichtung ja ohnehin grundlegend unter einem Dämlichkeits- und Anstandsvorbehalt (gilt auch für Aiwanger).
Was wir in den nächsten Jahren nicht in eine wirksame Klimapolitik investieren, wird uns von der Kostenseite in den nächsten Jahrzehnten vermutlich in exponentieller Weise auf die Füße fallen. Auch wenn Bernhard Gronau einleitend betonte, dass die Lösungen für eine wirksame Klimapolitik längst vorhanden sind, werden wir nicht darum herum kommen, gleichermaßen Aspekte des Verzichts wie solche einer der Klimaanpassung geschuldeten Änderung unseres Lebensstils in den Wohlstandregionen unserer Erde zu bedenken. Vielleicht widmet sich eine unserer nächsten Veranstaltungen den praktischen Ideen und Möglichkeiten für eine solche Verhaltensänderung?