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Benedikt Bösel: Rebellen der Erde (II)

Kapitel II - Vom Banker zum Bauern (hier geht es zu III und IV)

Benedikt Bösel hat seine Erfahrungen auf 256 Seiten zusammengetragen. Ich werde diese Erfahrung extrem verdichten – ich bin ja im Übrigen Lyriker. So sehr ich auch schwafeln kann, ich verstehe mich auch auf die Kunst der Verdichtung!

Und Benedikt Bösel hat mit seinem Weg – nolens volens – einen Plot, der neugierig macht. In diesem Kapitel erklärt er seinen Weg – und ich bin ihm dankbar dafür – mit wendepunktträchtigen biografischen Splittern. Sie geben im Endergebnis hohen Sinn, weil sie uns allen Hoffnung machen auf die Kraft der Einsicht, der Visionen und die Fähigkeit umzukehren! Aber zunächst zur bilderbuchhaften Tellerwäsche-Karriere des Benedikt Bösel:

  • Benedikt ist ein lausiger Schüler, wächst in München auf, dann folgen Stationen über Leverkusen nach Bad Godesberg: „Ich hasste den Unterricht und liebte die Natur […] Egal wo ich hinkam, gab es Probleme […] Ich war zu dieser Zeit radikal interessenlos, wenn es ums Lernen und Lesen ging.Benedikts Vaterbild (zur Mutter bzw. beiden kommen wir später): Benedikt Bösel merkt an, er wisse gar nicht mehr, wie oft sein Vater in der Schule auftauchen musste: „Er hatte ein zweites Handy, das nur für die Probleme der Kinder bestimmt war. Selbst wenn es mitten in der Sitzung vibrierte, verließ er umgehend den Raum und nahm die nächste Schreckensmeldung entgegen (der Vater ist Banker). Was ich mochte, war, anzupacken, Dinge zu tun, Sachen zu machen.“
  • Nach der mittleren Reife geht Benedikt nach England auf ein Internat in Oxfordshire und kommt mit bemerkenswerten Einsichten zu dem Resümee: „England war heilsam […] Dort kam ich mit den Lehrkräften weit besser zurecht als in Deutschland. Sie brachten mir bei Verantwortung zu übernehmen. Und ich wollte ihnen plötzlich gefallen – mit Leistung.“
  • Nach seinem Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald geht er zurück nach England, studiert in Durham Business Finance. Hier steht bereits der Satz: „Während ich studierte, war Madlitz immer in meinem Hinterkopf.“ Madlitz ist das Gut, das seine Eltern im Süden von Brandenburg bewirtschaften – dazu weiter unten mehr).
  • Auch im Rückblick weiß Benedikt diese Erfahrungen positiv einzuordnen: „Am meisten Spaß machte mir das Fach Behavioral Finance, verhaltensorientierte Finanztheorie, weil es dort Erklärungen auf philosophischer und psychologischer Ebene dafür gab, warum bestimmte Dinge im Markt passieren und andere nicht.“
  • Mit 22 geht er nach Frankfurt, heuert bei einer Privatbank an, verdient viel Geld, sammelt in kurzer Zeit 1400 Überstunden an. „Dann kam die Finanzkrise. Eine 300 Jahre alte Familienbank ging pleite." Er hat Glück und darf Kolleginnen und Kollegen freisetzen. Er gerät nun in jene Mühle, die man entweder geläutert überlebt und verlässt, oder der man verfällt um den Preis des Verfalls aller Sitten und aller Moral. Er realisiert in dieser Zeit zwei Einsichten: „Sollte ich selbst einmal Menschen führen, dann würde das mit Respekt und Wertschätzung geschehen! Und: Nehme nichts für immer an!“
  • Beides kommt in Madlitz zum Tragen. Benedikt verlässt Frankfurt, studiert in Berlin Agrarökonomik und hat Berührung mit Agrartechnologie-Start-ups. Und es kommt das Jahr 2016. Nach einem Scheitern in diesem bereits vermeintlich innovationsträchtigen Feld der Agrar-Tech-Fonds entschließt sich Benedikt Bösel zur „Route der Erkenntnis“ – er begibt sich auf den Jakobsweg. Er läuft sich einen Wolf und irgendwann, nach Entbehrungen und bewegenden Begegnungen gelangt er an den für ihn so empfundenen Wendepunkt: „Ich setzte mich, musste an all die Menschen denken, die ich auf meinem Lebensweg schon verloren hatte, und dann, ungelogen, öffnete sich der Himmel. Die Sonne brach an einer Stelle durch und warf einen gebündelten Strahl auf die Landschaft. In diesem Moment voller Ruhe und Ehrfurcht fiel es mir wie Schuppen von den Augen: >Es ist doch eigentlich ganz klar, was ich jetzt mache. Ich gehe nach Madlitz, ich gehe nach Hause.< Das veränderte alles.“
  • Die Klarheit der Gedanken weist den Weg: „Ich würde in Madlitz doch alles machen können, was ich immer wollte: Dinge bewegen, Dinge verändern, innovativ sein, mit coolen Menschen arbeiten.“Benedikt Bösel scheint angekommen – endlich. Nur dass ihm diese Ankunft einen sehr viel weiteren Weg der Erkenntnis auferlegen würde, ist ihm zu diesem Zeitpunkt gänzlich unklar. Denn nach eigenem Bekunden dominiert in seinem Kopf immer noch die Faszination für die Agrartechnologie. Mit all dem – so seine späte, aber eben nicht zu späte Einsicht – hätte er keine Wende eingeleitet, wäre den Felden, die er künftig bewirtschaftet nicht nützlich, sondern allenfalls weniger schädlich gewesen: „Dass die Technologie-Ausrichtung aber für uns in die Sackgasse führen würde, erkannte ich Gott sei Dank noch rechtzeitig. Und zwar exakt in dem Moment, als ich im Frühjahr darauf in jener flirrenden Hitze auf dem trockenen Acker stand und meinen Weg zurück zur Natur antrat.“

Benedikt Bösel stellt uns die bewegte Geschichte des Gut Madlitz vor, die irgendwann auch zu seiner Familiengeschichte geworden ist. Dies ist auch eine Wendegeschichte, in der geschildert wird, wie aus einem „furchtbaren Sammelsurium von Besitzverhältnissen“ durch Pacht und Erwerb wieder jenes Familiengut wird, auf dem ab 1994 wieder umfängliche konventionelle Landwirtschaft betrieben wurde. Und nun kommt Benedikt Bösels Mutter ins Spiel:

„Treibende Kraft dabei war meine Mutter. Sie hatte bei einer Düsseldorfer Immobilienfirma als Controllerin gearbeitet, gab ihren Job auf und wechselte 2004 mal eben nach Madlitz in die Landwirtschaft. >Sie hatte den härtesten Job überhaupt<, erinnert sich mein Vater. Jahrelang lebte sie unter der Woche allein auf Madlitz, baute die maroden Betriebe wieder auf und renovierte die Häuser […] Hatten wir nach zehn Jahren konventioneller Landwirtschaft […] fast nur Verluste gemacht, begannen wir nach und nach auch einmal schwarze Zahlen zu schreiben. Nach seiner Banklaufbahn zog mein Vater dann fest nach Madlitz und versuchte, meiner Mutter nicht zu sehr im Wege zu stehen.“

Es begeistert und berührt gleichermaßen, wenn Benedikt Bösel dieses Kapitel abschließt mit einer Widmung an seine Eltern, die er folgendermaßen einleitet:

„Und in genau dem Moment, in dem sie es mal selbst hätten genießen können, entscheide ich mich 2016, nach Hause zu kommen und sie aus dem eigenen Nest zu schubsen. Ich glaube, ich selber hätte nie die Größe und Weitsicht meiner Eltern gehabt, mir die Verantwortung über die Betriebe zu geben, mir die Fortsetzung ihres Lebenswerks anzuvertrauen.“

Meinen Eltern Cornelie und Hans-Detlef verdanke ich alles. Zuerst mussten sie mich als anstrengendes Kind ertragen, dann als Hüter ihres Lebenswerks akzeptieren.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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