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Ja, in der Tat: W i e  o f t  d e n n  n o c h ???

Zum naiven Umgang mit Carl Schmitt

In den letzten Tagen habe ich mich mit Jörn Leonhards fulminanter Studie: Die Büchse der Pandora – Geschichte des Ersten Weltkriegs (Verlag C.H. Beck, München 2014) befasst. Auf Seite 1009 dieser akribischen Anstrengung zitiert Jörn Leonhard Carl Schmitt:

„Aber die Debatte um das Wesen des Politischen nach den Erfahrungen des Weltkrieges barg noch ganz andere Positionen. Die >eigentlich politische Unterscheidung< sei, so Carl Schmitt 1927, die von >Freund und Feind<. Sie ermögliche erst jene begriffliche Bestimmung, ohne die es keine Kriterien in den Formen, Prozessen und Inhalten der Politik geben könne. Alle politischen Begriffe und Vorstellungen rekurrieren, so Schmitt, auf diese Gegensätzlichkeit, deren >letzte Konsequenz< sich >in Krieg oder Revolution äußere. Wenn aber das Politische auf das Paradigma von Freund und Feind zurückging und der Krieg die >äußerste Radikalisierung der Feindschaft< war, dann ließ sich die permanente Möglichkeit eines Krieges argumentativ als Voraussetzung des Politischen selbst beschreiben: >Das Politische liegt nicht im Kampf selbst, der wiederum seine eigenen technischen, psychologischen und militärischen Gesetze hat, sondern in einem von der realen Möglichkeit eines Krieges bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden.< Daher sei eine Welt, in der es gelänge, die >Möglichkeit eines Krieges< restlos auszuschließen, eine >Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik.<“

Auch hier wird Carl Schmitt zitiert als ein feinsinniger und scharfsichtiger Analytiker. Man – auch Jörn Leonhard - ist geneigt, dies für eine pure Deskription gegebener Verhältnisse zu halten. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass Putin Carl Schmitts Ausführungen als Handlungsanleitung versteht. Jörn Leonhard hätte eben die 1932 veröffentlichte Schrift Der Begriff des Politischen mit zu Rate ziehen müssen, um einer solchen Fehleinschätzung zu entgehen! Carl Schmitt war ein schmutziger, führergläubiger Antisemit, der im wiedergegebenen Zitat Leonhards auch noch unter Beweis stellt, dass er eben nicht jener souveräne Intellektuelle ist, der die politische Ideengeschichte angemessen reflektiert. Er wendet sich als überzeugter Nationalsozialist gegen einen Begriff des Politischen, wie er von Kant 140 Jahre zuvor konzipiert worden ist. Schmitts Resümee, ohne die Unterscheidung von Freund und Feind gerate man in eine Welt ohne Politik, verkennt, dass diese Unterscheidung lediglich Elemente bzw. Versatzstücke eines Politikverständnisses sind, das beispielsweise bei Kant in die Vorstellung eines vertragsbasierten Miteinanders eingehen. Auch Immanuel Kant wusste um die Bösartigkeit der menschlichen Natur und dass der Friedenszustand unter Menschen sei kein Naturzustand ist: Der Friedenszustand sei allein der unter Gesetzen gesicherte Zustand des Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menschen.

Randbemerkung: Die Europäische Union steht für die von Immanuel Kant entwickelte Vorstellung eines vertragsbasierten Miteinanders und sieht Kerneuropa als eine Union, der es gelungen ist, Krieg als Mittel der politischen Problemlösung auszuschließen!

Miriam Laus Hinweis, es lohne sich sicher noch einmal einen Blick in die Schriften Carl Schmitts zu werfen reicht nicht aus. Wer verstehen will, was Gewaltherrscher, wie Putin ideologisch und begriffsgeschichtlich leitet, der muss Carl Schmitt gründlich studieren. In der Folge wird noch einmal unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Carl Schmitt bei alledem kein distanzierter, wissenschaftlich motivierter Beobachter war. Er hat nicht nur den Nazis die Blaupause für ihr Handeln geschrieben. Als Judenhasser, der sich nicht entblödet hat, seinen Judenhass in Gestalt seiner Tagebuchaufzeichnungen zu hinterlassen, hat er möglicherweise mit dem Kalkül gespielt, dass es in Deutschland wieder eine braune Brut geben könnte, die es ihm gleichtun (vgl. dazu die Tagebücher Carl Schmitts - 1930-1934, herausgegeben von Wolfgang Schuller,  Akademie-Verlag, Berlin 2010).

 

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 Veröffentlicht: 20. März 2024

Danke für Ihren Hinweis, Herr Witsch-Rothmund, es lohnt sich sicher,  noch einmal einen Blick in die Schriften Schmitts zu werfen.

Beste Grüße,

Mariam Lau

Mariam Lau

DIE ZEIT

Schöneberger Str. 21A

10963 Berlin

030 590048 640

Von: leserbrief-bot <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!;;
Gesendet: Monday, March 18, 2024 8:06:12 AM
An: Lau, Mariam <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!;;
Betreff: 1. Erinnerung: Fwd: Miriam Lau und Giovanni di Lorenzo 9/24 - Titelseite (9/2024)

Immerhin nimmt Miriam Lau sich die ZEIT - bei über 300 Leserbriefen zu ihrem Leitartikel vom 22. Februar Gefährlich still mit einem Satz zu reagieren, dass es sich in der Tat lohnen könne, in Carl Schmitts Monographie Der Begriff des Politischen einen Blick zu werfen (folgende Belegstellen sind der 7. Auflage von 1962 <Duncker und Humblot, Berlin> entnommen). In der aktuellen Auseinandersetzung um die Unterstützung der Ukraine ist er deshalb hilfreich, weil er auch denjenigen bei einem Verständnis der Vorgehensweise Putins helfen könnte, die mit dem "Einfrieren" des Konflikts auf eine absehbare Verhandlungslösung setzen. So sehr eine Verhandlungslösung auch Not tut und erstrebenswert ist, um endlich einer nicht enden wollenden Eskalationsspirale zu entkommen, so sehr ist erkennbar, dass Wladimir Putin seinerseits vollends der Logik Carl Schmitts folgt. Mit Putins gebetsmühlenartig vorgetragenen Feindstilisierungen bleibt kein Zweifel, dass er den binären Freund-Feind-Code Carl Schmitts in seinem Sinne - ebenso wie er - als "seinsmäßige Wirklichkeit" versteht. So liest sich dann in der Tat Schmitts Rechtfertigung auch nach 92 Jahren noch, wie eine höchst aktuelle Beschreibung des russisschen Vorgehens:


"Ob man es aber für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, daß die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, daß es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier (und für Wladimir Putin, Anm. Verf.) nicht in Betracht. Hier handelt es sich [nämlich] nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes politisch existierende Volk als reale Möglicheit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen." (S. 28)

Ist man möglicherweise geneigt, dies für eine pure Deskription gegebener Verhältnisse zu halten, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Putin u.a. die Schrift Carl Schmitts als Handlungsanleitung verstehen - denn:

„Der politische Feind […] ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, das er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (ebd. S. 27)

Der Feind kristallisiert sich heraus als eine der

"realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht" (S. 29)

Und noch konkreter:

"Der Krieg als das extremste politische Mittel offenbart die jeder politischen Vorstellung zugrunde liegende Möglichkeit dieser Unterscheidung von Freund und Feind und ist deshalb nur so lange sinnvoll, als diese Unterscheidung in der Menschheit real vorhanden oder wenigstens real möglich ist [...] Die Frage ist dann immer nur, ob eine solche Freund- Feindgruppierung als reale Möglichkeit oder Wirklichkeit vorhanden ist oder nicht, gleichgültig, welche menschlichen Motive stark genug sind, sie zu bewirken. (S. 36)

Conclusio:

"An der Möglichkeit solcher (intensiver, unmenschlicher) Kriege zeigt sich aber besonders deutlich, daß der Krieg als reale Möglichkeit heute noch vorhanden ist, worauf es für die Unterscheidung von Freund und Feind und für die Erkenntnis des Politischen allein ankommt [...] Das Politische liegt nicht im Kampf selbst [...], sondern wie gesagt, in einem von dieser realen Möglichkeit bestimmten Verhalten, in der klaren Erkenntnis der eignen, dadurch bestimmten Situation und in der Aufgabe, Freund und Feind richtig zu unterscheiden." (S. 37)

Veröffentlicht: 24. Februar 2024

Wie oft denn noch?

Dr. Franz Josef Witsch-Rothmund, Am Heyerberg 11, 56072 Koblenz zu:

Miriam Lau: Gefährlich still – Keine Partei wird so brutal attackiert wie die Grünen. Die anderen Parteien sollten sich endlich klarer vor sie stellen (ZEIT 9/24 – Titelseite) und: Giovanni di Lorenzo: Vor aller Augen - Wer sich nach Alexej Nawalnys Tod noch Illusionen über Putin macht, dem ist nicht mehr zu helfen (ZEIT 9/24 - Titelseite)

Wie oft denn noch? Carl Schmitt ist längst wieder in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und ersetzt zum Beispiel bei vielen Ernst Fraenkels Pluralismustheorie durch totalitäres Freund - Feind - Denken; und dies nicht nur als Blaupause für die Despoten dieser Welt à la Putin, Xi Ji Ping, Lukaschenko, Assad…:

"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen. Sie sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner […] Ob man es aber für verwerflich hält oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, daß die Völker sich immer noch wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gründen zu fingieren, daß es überhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier nicht in Betracht. Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativitäten, sondern um seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; daß die Völker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, daß dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und für jedes politisch existierende Volk als reale Möglicheit gegeben ist, kann man vernünftigerweise nicht leugnen.“ (Der Begriff des Politischen, Duncker&Humblot, Berlin 1932 – hier 7. Auflage, Berlin 1963, S. 28f.)

Der Text ist 92 Jahre alt. Und entscheidend ist, dass es sich bei Carl Schmitt nicht um eine deskriptive Analyse faktischer Zustände handelt. Er argumentiert selbst normativ – nicht nur hinsichtlich der faktischen Definition, dass souverän sei, wer über den Ausnahmezustand bestimmen könne. Nein, er schreibt Putin die Blaupause für die vor zwei Jahren erfolgte Invasion der Ukraine, indem er ein um’s andere Mal betont:

„Der politische Feind […] ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, das in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können.“ (ebd. S. 27)

Carl Schmitt negiert - wie Putin in praxi - jedes international verbindliche Völkerrecht; Interventionen, wie sie heute die UN vorträgt oder der Internationale Gerichtshof in Den Haag, würde er kategorisch zurückweisen. Seine Unterscheidungen und diejenigen, die sie in praktische Politik umsetzen, zwingen uns heute selbst, wehrhafte Demokratie nicht nur metaphorisch und symbolisch zu begreifen. Leider bedeuten die uns aufgezwungenen Konflikte – sowohl auf internationaler Ebene wie innenpolitisch – Wehrhaftigkeit ganz unmittelbar konkret und praktisch zu definieren.

Nachbemerkung:

Eine Rehabilitierung (oder sprechen wir milder von einer Relativierung der Positionen) Carl Schmitts, wie sie immer wieder versucht wird, kann nicht hingenommen werden. Wolfgang Schuller als Herausgeber der Tagebücher 1930-1934 Carl Schmitts (Akademie-Verlag, Berlin 2010) sieht sich beispielsweise immer wieder in dieser Versuchung. Sieht man einmal ab von den in der Tat Ekel erregenden Eintragungen Schmitts insbesondere zur "Judenfrage", stößt man natürlich unablässsig auf die tiefe Verstrickung Schmitts in die nazionalsozialistische Führerideologie. Dabei spielt es keine Rolle, dass Schmitt selbst zwischen die Fronten gerät, bleibt er doch bis zuletzt insbesondere Protegé Hermann Görings. Wie weit sich ein Gelehrter von Schmitts Zuschnitt zu versteigen mag, zeigt insbesondere sein 1934 im Kontext des Röhm-Putschs veröffentlichter Artikel "Der Führer schützt das Recht", in dem Hitler als die höchste Rechtsquelle hingestellt wurde - Verbrecher wie Putin werden solche Rechtskonstruktionen und -phantasien mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen (der Link führt zu: Macht und Recht - Versuch über das Denken Carl Schmitts. Auch in der Würdigung von Michael Reitz aus dem Jahr 2019 überwiegt eine respektvolle, anerkennende Haltung, die die Verstrickungen Carl Schmitts in die Führerideologie und letztlich den Genozid nicht angmessen berücksichtigt - siehe dazu auch Christoph Becker). Und man mag sich nicht ausmalen, wie weit Trumps Versuche gehen werden, den Rechtsstaat zu unterminieren, wenn er tatsächlich noch einmal in das Amt des amerikanischen Präsidenten gewählt wird. Wolfgang Schuller schreibt in seinem Nachwort auf Seite 467: "Begeisterung für Hitler - etwa nach dessen Rede auf dem Leipziger Juristentag (3.10.33) - wird zwar gelegentlich zur Ironie relativiert [...], aber fast tragikomisch ist die Beteuerung, dass und wie begeistert er alle drei Strophen des Horst-Wessel-Liedes gesungen habe."

Nein, Wolfgang Schuller! Das ist nicht "tragikomisch"!!! Das ist und bleibt ekelhaft. Es ist und bleibt deshalb ekelhaft, weil Sie - Wolfgang Schuller - eine Seite zuvor (S.466) notieren: "Und dann die Juden [...] das ist der düsterste Aspekt des Tagebuches. Gerade in Bezug auf die Juden spielt das Adjektiv 'eklig' eine besonders große Rolle und auch sonst sind abschätzige und sogar hasserfüllte Äußerungen Legion."

Carl Schmitt hat bis zuletzt - er ist 97 Jahre alt geworden, keinen Abstand genommen von einem tief verankerten Antisemitismus. Umso unverständlicher erscheint mir, dass z.B. Hans Kosselek diesem Widerling bis zuletzt verbunden blieb.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund