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Vielen Dank, lieber Walter!

Ein Teil der 74er-Abiturienten des Are-Gymnasiums in Bad Neuenahr traf sich im September 2024, also 50 Jahre nach Verlassen der Schule, im Ahrtal. Wir verbrachten miteinander den Tag – wie Walter in seinem Brief anmerkt – nicht nur im Erinnern, sondern durchaus auf der Höhe der Zeit und im Bewusstsein sowohl des Friedensprivilegs (für die in den 50er Jahren Geborenen eine historisch nahezu singuläre Phase ohne Krieg in Kerneuropa) als auch der gegenwärtigen Herausforderungen mit einem Wiedererstarken rechtsextremer Strömungen.

Ich bin Walter sehr dankbar, dass er sozusagen das zivilisatorische Minimum auf den Punkt bringt, das uns alle verbindet (der Begriff des zivilisatorischen Minimums resultiert aus der Auseinandersetzung mit Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser). Ich nehme Walters Brief in meinen Blog auf und gebe ihn nachstehend wieder. Auch Walter weist eindringlich darauf hin, dass wir nach mehr als 75 Jahren sehen und wertschätzen können, wie weitblickend die Mütter und Väter des Grundgesetzes gedacht und agiert haben. Und auch wenn wir schon zu den jungen Alten gehören, darf das gewiss nicht bedeuten, dass wir auch nur ein Jota nachlassen im Einsatz für die demokratischen Grundwerte und die Demokratie in Deutschland und in Europa. Es war für mich ein interessantes Unterfangen mich mit Barbara Supp (Barbara Supp: Happy Birthday Boomer, SPIEGEL 33/24, Seite 9-15) einmal auf eine kohortenspezifische Einordnung einzulassen.

Nach meiner Versetzung in den Ruhestand 2017 habe ich meine Anstrengungen verstärkt insbesondere im Sinne einer Verschränkung von politischer Grundbildung mit den sichtbaren Konturen unserer individuellen Lebensläufe: Wir no-names sollten uns nicht verpissen, sondern uns der Anstrengung des Begriffs unterziehen - "die individuellen und kollektiven Flugbahnen verbinden" in  der Gewissheit, dass man "zwar vorwärts leben muss, aber nur rückwärts verstehen kann". Von Dirk Oschmann (Der Osten: eine westdeutsche Erfindung, Berlin 2023) habe ich diese - auf Sören Kierkegaard gegründete - Einsicht übernommen. Sie bedeutet eine Verpflichtung nicht nur zur Selbsteinsicht, sondern auch zur Selbstpositionierung! Das sind wir allein schon unseren Ahnen sowie unseren Kindern und Kindeskindern schuldig.

In diesem Sinne habe ich 2017 Kurz vor Schluss I und 2022 Kurz vor Schluss II vorgelegt. Sie stehen in einer Reihe mit meinen seit 2002 regelmäßig einhergehenden Publikationen, die in der Tat versuchen, die individuellen mit den kollektiven Flugbahnen verbinden (eine Formulierung Dirk Oschmanns):

Der Brief von Walter Hoffmann:

Liebe Klassenkameradinnen und Klassenkameraden,

Anlass meines Schreibens ist ein heute mit Harald geführtes Telefongespräch, bei dem wir uns über den vollkommen offenen und unkomplizierten Ablauf und Umgang untereinander während unseres Treffens im September waren.

Mir wurde diese positive Wahrnehmung auch von einigen von euch direkt nach dem Treffen mitgeteilt. Das halte ich nach 50 Jahren nicht für selbstverständlich, umso schöner ist es jedoch, wenn es dann tatsächlich so verläuft.

Die Ursache für das Gelingen liegt meines Erachtens jedoch nicht in einer platten und oberflächlichen Gute - Laune - Mentalität nach Rheinländer Art begründet, sondern in einer - ich formuliere es zunächst einmal ganz salopp -  gleich oder ähnlich gearteten Grundstimmung, Grundeinstellung, die uns alle bei aller individuellen Unterschiedlichkeit verbindet und die ich als demokratische im weitesten Sinne im Rahmen des Parteienspektrums von CDU über FDP, SPD, Grüne bis hin zu der Linken verorten möchte.

Im Nachgang unseres Treffens hatte ich deutlich das Gefühl, dass uns die demokratische Grundeinstellung der sogenannten Bonner Republik verbindet; als Teil der ersten Nachkriegsgeneration im weiteren Sinne sind wir geprägt von den Errungenschaften dieser sich in vielen schmerzlichen Wehen etablierenden jungen Demokratie, aber auch von ihren Fehlern und Versäumnissen. Uns allen war und ist bewusst, dass wir Teile einer Gesellschaft sind, die die schlimmste Zeit deutscher Geschichte aufzuarbeiten und eine Auferstehung solcher oder ähnlicher Zustände zu bekämpfen, zu verhindern hat.

Als Erfolge des sogenannten "Rheinischen Kapitalismus" bzw. der Bonner Republik sind sicherlich die Verankerung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen im Grundgesetz und das Grundgesetz selbst als staatstragende Leitlinie, die soziale Marktwirtschaft, die Gründung der EWG und die Einbindung in westliche Bündnissysteme, die Aufarbeitung der Nazi - Verbrechen (an erster Stelle der Auschwitzprozess in Frankfurt), die Bildungsoffensive und die Einführung des Bafög (von denen gerade wir als Kinder einer strukturschwachen Region profitiert haben), die Ost - Verträge unter der sozialliberalen Koalition, meines Erachtens - aus heutiger Sicht - auch der NATO - Doppelbeschluss, und die Wiedervereinigung zu nennen.

Dem entgegen stehen Fehler und Versäumnisse wie etwa die in großen Teilen Übernahme vieler Nazi - Juristen (an erster Stelle Carl Schmitts als Mitverfasser der Nürnberger Gesetze 1935), nachdem sie sich über Persilscheine hatten reinwaschen lassen, die verschleppte oder unterdrückte und behinderte Aufarbeitung nationalsozialistischer Kriegsverbrechen in Italien, Griechenland und Frankreich, der sogenannte Radikalenerlass als Mittel zur Eindämmung und Bekämpfung einer Bedrohung von links bei gleichzeitiger Blindheit des Staates auf dem rechten Auge (z.B. im Umgang mit Alt- und Neonazis - die AfD fällt ja nicht einfach vom Himmel - oder mit den südamerikanischen Militärjunten).

Bei allem von uns an der Bonner Republik empfundenen Mief und bei aller Provinzialität trifft doch zu, was der Verleger Damian van Melis zur Erscheinung des Buches "Die Bonner Republik. Vier Jahrzehnte Westdeutschland 1949 - 1990" von Herbert Prantl, Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer im Greven Verlag feststellt: "Das Buch ist eine Zeitreise, aber auch eine Mahnung und ein Aufruf, nicht alles sich selbst zu überlassen, sondern Sorge dafür zu tragen, dass die gesellschaftlichen und politischen Errungenschaften der Bonner Republik erhalten bleiben." Und ich ergänze: Wir dürfen nicht zulassen, dass Gleichberechtigung, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, Rechtsstaatlichkeit und das Grundgesetz der Willkür nachgewiesen rechtsradikaler und linksextremistischer Strömungen und Parteien ausgesetzt und von diesen unterhöhlt werden. Ich lese gerade das Buch "Die Achse der Autokraten" von Anne Applebaum; solchen Zuständen und Entwicklungen, wie sie dort aufgezeigt werden, sind wir ausgeliefert, wenn wir unsere nun Berliner Republik und Demokratie nicht schützen.

Jupp Witsch spricht in seiner Mail vom 5.10.2024 vom "Erbe ..., mit dem wir uns bis heute alle auseinandersetzen" - und ich meine, diese Auseinandersetzung ist eine immerwährende Verpflichtung. Er weist damit meines Erachtens exakt auf den zentralen Punkt hin! 

Ich hatte bei unserem Treffen, ohne dass grundlegend davon gesprochen wurde, den Eindruck, dass alle Teilnehmer bei aller individuellen Eigenheit unausgesprochen geeint waren und sind in dem Bewusstsein des zu schützenden Wertes und der Errungenschaften der Demokratie dieser Bonner Republik. Ich denke manchmal, dass es gerade für eine sich entwickelnde junge deutsche Demokratie, erst recht nach deutschen Großmannstönen und Monströsität vergangener Jahrzehnte, gut war, dies quasi in der Bescheidenheit der Provinz tun zu können.

Diese Form von Resilienz hat zu tun mit Erziehung im Elternhaus, mit dem Aufwachsen in Zeiten, in denen noch nicht alles im Überfluss vorhanden war, mit der allmählichen Ausbildung von Verantwortlichkeit für sich selbst und andere (viele von uns waren ja im Internat) und Demokratiebewusstsein durch die Vorbildfunktion und Souveränität z. B. eines Lehrers wie Dr. Herbert Wiens (ich erinnere nur an das einwöchige EWG - Seminar in Bad Marienberg im Westerwald in Klasse 10 oder an die Studienfahrt nach Berlin in der Unterprima: beides für mich persönlich ganz stark prägende Veranstaltungen).

Diese Gedanken niederzuschreiben, hatte ich unmittelbar nach dem Gespräch mit Harald, der somit durchaus als Katalysator fungierte; gleichzeitig regte mich das Verlagsmagazin "Irene No.2" des Greven Verlags dazu an, da es einige meiner Ansichten bestätigte und unterstützte; ferner fühlte ich mich auch irgendwie verpflichtet, Jupp zu antworten. Sicherlich spielt auch der Wunsch eine Rolle, auszudrücken, dass wir allen Grund haben, trotz aller Fehler stolz auf 75 Jahre Demokratie sein zu können - und dass diese u. a. geschützt und verteidigt werden kann durch eine Art gesellschaftspolitischer Dankbarkeit dem System und seinen Gestaltern gegenüber, denn sie verhindert Missmut, Kleinmütigkeit, Egoismus. Ich habe als Lehrer in meinen Fächern Deutsch und Erdkunde meine Rolle immer so verstanden, jungen Menschen über die reine Materie hinaus eine positive Lebenseinstellung und ein konstruktives politisch-gesellschaftliches Bewusstsein vermitteln zu wollen; dies funktioniert am nachhaltigsten im Diskurs, nicht in fachverbohrter Faktenhuberei. Ob mir dies gelungen ist, können nur die Schüler beantworten, doch setze ich auf das Prinzip Hoffnung, da mit dem Vorsatz ja immerhin der erste notwendige Schritt gemacht war.

Euch allen wünsche ich eine schöne Adventszeit, verbunden mit dem Gedanken, unsere Gespräche in nun kürzeren Zeitabschnitten fortzusetzen.

Herzliche Grüße 

Walter

 

Ich schließe mich Walter an und würze meine Adventswünsche mit ein paar Kostproben meines lyrischen Klärwerks - mögen die entsprechenden Gedanken und Einsichten ihrer Ankunft bei den Zögernden und Zweifelnden nicht allzulange harren:

Wer wir sind, und was wir tun? An alle, die ein Wählervotum für die AfD erwägen

Diese Frage habe ich mir schon im Rahmen meiner Kästner-Adaption gestellt!

Wer wir sind?
Wie können wir das wissen?
Wer wir sind als Kind?
Schaut euren Eltern ins Gewissen!

Gewiss kann heute jeder seh‘n
dass – wo die Seele grob verroht,
wo Solidarität und Mitgefühl vergeh‘n
ein steter Kreislauf droht.

Klaus Theweleit ruft in die Runde:
„Seht dort, die halb-gebor‘ne Brut*,
wie ein Fanal trägt sie die Wunde,
verwandelt sie in rohen Hass und Wut.

Was heißt hier: halb-gebor'ne Brut?“
Nicht jedes Kind wird angebrüllt, geschlagen,
alleingelassen – ohne Zuspruch, ohne Mut,
auf sich gestellt in allen Lebenslagen!

Du meinst, es fehlt an Liebe und an Wärme –
vielleicht ganz schlicht: an Urvertrau'n?
Und Angst schürt das Gelärme?
Worauf soll man denn bau'n?

Ja, Angst bereitet immerfort den Grund,
mit dem beginnt die Welt sich aufzulösen,
- nur noch Fragment, kaputt und wund -
wer sind die Guten, wer die Bösen?

Natürlich ist es leicht, die Bösen auch zu packen,
in einer Welt, in der das Fremde droht.
Wir sind es nicht! So brüll(t)en immer schon die rechten Spacken.
Und sehen ab von sich – reflexhaft und verroht.

Und brüsten sich als singulär und arisch,
als einzigartig grenzt man and're aus.
Und geht ein Fremder fehl, dann ist das exemplarisch,
und alle Fremden müssen raus!

Der eigne Körper wird zur Waffe,
gestählt und taub negiert er jeden Schmerz.
Und nur ein Feind nimmt an, da klaffe
tief in uns ein triefend-blutend Loch im Herz.

Und immer wieder frag ich nach den Müttern.
Wer gebiert denn einen Hurensohn?
Es müsst ihr Herz und den Verstand erschüttern,
wenn Söhne würdelos verlieren sich in blankem Hohn.

Wer glaubt denn heute noch der Haarer
und lässt sein Kind verwahrlost schrein?
Es müsst ein Schmutzfink sein von Pfarrer,
gewissenlos im Anblick fremder Pein.

*um diese Begriffswahl nachvollziehen zu können, muss man sich mit Klaus Theweleit auseinandersetzen (geht über diesen Link)

Und wollt ihr wirklich wieder

"Mütter, die im Schoße tragen
Ein hart Geschlecht, das wie aus Erz geschweißt
Und ohne Knechtsinn, bänglich zagen
Sich kühn den Weg zum neuen Aufstieg weist?

Wollt ihr wirklich wieder

Mütter, die nicht abseits stehen,
Wenn blonde Söhne ruft der Kampfesschall,
Die schützend im Gebet zur Seite gehen
Und segnend Hände breiten überall?

Ja, wollt ihr wirklich wieder

Mütter, die da opfernd geben,
Was sie genährt mit ihres Leibes Blut.
Und wenn der Wunde tiefste schlug das Leben
Sich selbst verströmen in der Liebe Glut?" **

**den Urheber/die Urheberin dieser rot gesetzten Zeilen konnte ich nicht ermitteln

Hört doch Björn, den Höcke reden,
hört des Krahs Gekräh!
Ich frage von euch jeden:
Wollt ihr's wirklich wieder flink und hart und zäh?

Schluss mit eurem billigen Protestgehabe,
ein jeder weiß und hat gewußt -
ein jeder, auch die letzte Schabe,
wer sich bedient und labt an eurem Frust.

Steht auf und nehmt das Leben in die Hand,
steht ein für eure Sache,
ihr lebt in einem freien Land -
schon sieht sie sich - die AfD - als Wache.

Wollt ihr den totalen Sieg
zum Preise eurer Freiheit?
Wenn nicht, dann seht ihn endlich - ihren Krieg,
mit dem sie spalten uns're Einheit!

 

Erich Kästner: Wie kann das sein?

Erich Kästner war mir immer eine Inspiration. Ich habe ihm nicht nur die Frage gestellt: Wie kann das sein? Ich habe mich auch seines Marschliedchens bemächtigt und es zeitgemäß adaptiert (:-))

Wie kann das sein?

1) Wie kann das sein?
Mein Kopf sagt nein!
Mein Herz will schrein!
Wir sind die Enkel jener Schinder,
deren widerlichster sprach: zuerst die Kinder!

2) In Posen nahm er sie beim Wort
und sprach von Anstand vor den Schloten;
sie schufen jenen Ort,
belebt von Henkern und von Toten.
Sie hielten sich daran und töteten (zuerst) die Kinder!

3) Die Herrenrasse sagt: der Freund! - der Feind!
Und Carl der Schmitt ermuntert sie, das Fremde auszumerzen.
Der Herrenmensch marschiert im Wahn vereint
enthemmt, bar jeder Regung noch im Herzen.
Er mordet, was im Wege steht und tötet immer auch die Kinder - (zu allerst) die Kinder!

4) Und Schinder wachsen nach – aus BluBo und aus BrauSi.
Der Abschaum pflanzt sich fort, gebiert den Bastard,
der tackert sich die Ahnentafel auf die Stirn;
hat ne Kloacke dort, wo andre haben Hirn.
Wer glaubt, dass die mal waren Kinder?

5) Nie Wieder! Wer versteht das nicht?
Spricht R v W doch von Befreiung!
Und Willy Brandt kniet nieder und bittet um Verzeihung;
bekennt sich zu den Grenzen – zum Gewaltverzicht!
Wie kommen BluBo, BrauSi in das Hirn verführter Kinder?

6) Wenden wir’s mal kämpferisch mit Erich Kästner!
Der dichtete – bevor die Erste Republik zusammenbrach – das Marschliedchen.
Und irrte sich fatal, der Kästner Erich!
Denn die SS marschierte bis nach Stalingrad und Auschwitz hörte ihre Liedchen.

7) Wir machen's besser – ein Ruck geht durch die Republik.
Nie wieder? Ja, das ist wohl heute, wir machen es publik!
Wir hören noch den Kästner rufen – nach über neunzig Jahren
und sind uns sicher, dass wir wachsam und auch klüger waren!

kleine Verstehenshilfen ganz unten im Anhang


Erich Kästners Marschliedchen wurde 1932 in der Weltbühne unter dem Titel "Denn ihr seid dumm" veröffentlicht. Ich habe versucht es zu aktualisieren- und war erstaunt, wie sehr Erich Kästner mit seinen Gedichten gegenwärtig ist. 1932 allerdings unterlag er leider - mit Blick, auf das, was da kam - einem fatalen Irrtum - das darf sich nicht wiederholen!

Marschliedchen 2022

Die Dummheit zog in Viererreihen (so zieht sie immer noch),
Heut schämt die Dummheit sich der Dummen.
So dämlich wie ihr seid, mahnt sie euch zu verstummen,
Statt Idioten gleich nach deutschem Wesen heut zu schreien.

Ihr kommt daher und wärmt die schalen Suppen,
In euren Schädeln haust ein brauner Geist,
Der euch verwirrt und alles mit sich reißt -
Nur nicht von euren Augen alle Schuppen!

Marschiert ihr nun in Chemnitz und in Halle…,
Ihr findet doch nur als Parade statt,
Denn das, was jeder da von euch im Kopfe hat,
Man nennt es Dum(pf)mheit wohl in jedem Falle!

Weil wieder predigt ihr den Hass
Und wollt die Menschheit spalten -
Statt schlicht an Recht und Ordnung euch zu halten,
Wähnt ihr das Volk zu sein und träumt vom völkisch-deutschen Pass!

Ihr habt die Trümmerwelt im deutschen Wahn vergessen,
Von Schuld und Sühne ist die Rede nie,
Ihr brüllt nach deutscher Größe selbstvergessen;
Ich hoff ihr schießt euch nur ins eigne Knie!

Ihr wollt die Uhren rückwärts drehen
Und stemmt euch gegen die Vernunft.
Dreht an der Uhr und doch: die Zukunft
wird euch als ewig gestrig sehen!

Wie ihr’s erträumt, wird Deutschland nicht erwachen,
Denn ihr bleibt dumm, nicht auserwählt!
Die Zeit ist nah, da man erzählt:
Das war’s: ein Staat ist mit Idioten (und auch der AfD) halt nicht zu machen!

Kleine Verstehens- und Erklärungshilfen (alle Hervorhebungen - farblich und fett FJWR):

Erste und zweite Strophe:

Mit dem widerlichsten Schinder ist Heinrich Himmler gemeint, der in Posen 1943 die ungeheuerlichste und zugleich widerwärtigste Rede gehalten hat, in der er die an der industriellen Massenvernichtung aktiv Beteiligten belobigte für die Tatsache selbst im Angesicht dieser Tötungsorgien anständig geblieben zu sein. Zu einem tieferen Verständnis des Holocaust ist es hilfreich Unterscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, die Zygmunt Bauman - ein polnisch-stämmiger Soziologe, der in England lehrte, vorgenommen hat (hier: Leben in der flüchtigen Moderne, Frankfurt 2007):

Die Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten wurden in diesem Sinne kollektiv und pauschal der Kategorie des homo sacer zugerechnet, zu Menschen also, deren Leben - wie Bauman zeigt - keinen Wert besitzen und deren Ermordung als moralisch bedeutungslos betrachtet wurde und daher straffrei blieb. Bauman argumentiert, dass hier der Staat für sich das Recht beanspruche, bestimmen zu können, wer in den Genuss gesetzlich verbriefter Rechte und ethischer Prinzipien gelange und wer davon auszuschließen sei. Im Sinne Carl Schmitts liegt genau darin ein Wesensmerkmal moderner Souveränität - souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt (siehe dazu Thomas Assheuser in der ZEIT 8/20, S. 54). Der Holocaust war nach allgemeiner Auffassung die extremste und radikalste Manifestation dieses Anspruches (vgl. Bauman, S. 76). Zygmut Bauman (S.77) zitiert John P. Sabini und Mary Silver:

"Betrachten wir einmal die Zahlen. Der deutsche Staat ermordete ungefähr sechs Millionen Juden. Bei einer Größenordnung von 100 Toten am Tag [also der Zahl der Opfer der berüchtigten 'Kristallnacht', dem von der nationasozialistischen Regierung organisierten Progrom gegen die deutschen Juden -Z.B.] hätte man dafür beinahe 200 Jahre gebraucht. Die vom Mob ausgeübte Gewalt beruht auf einer untauglichen psychologischen Grundlage, nämlich auf Emotionen. Man kann Menschen so manipulieren, dass ihr Zorn entfacht wird, aber man kann diesen nicht über 200 Jahre aufrechterhalten. Emotionen und ihre biologische Basis haben ein natürliches Verfallsdatum; jede Lust, selbst die Mordlust, ist irgendwann gestillt. Darüber hinaus sind Emotionen notorisch unbeständig und ändern sich rasch. Ein lynchender Mob ist unzuverlässig, er kann von Mitleid übermannt werden - etwa durch das Leiden eines Kindes. Um eine 'Rasse' auszurotten, ist es aber wesentlich, die Kinder zu töten."

Dritte Strophe:

Für die Ideologie der Nazis - und im Übrigen aller Despoten, insbesondere vom Zuschnitt Putins - ist eine Schrift von zentraler Bedeutung, die Carl Schmitt 1932 unter dem Titel Der Begriff des Politischen veröffentlicht hat (hier in der 7. Auflage bei Duncker&Humblot, Beron 2002). Dort ist unter anderem zu lesen: "... so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen [...] Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können." (S. 27)

Hier haben wir die Blaupause für den Hitler-Stalin-Pakt vor Augen. Wir können aber auch sehen, dass man sich im Denken Schmitts und seiner Epigonen - heißen sie nun Hitler, Stalin oder Putin - letztlich auch nicht an geschlossene Verträge halten muss, denn "im extremen Fall sind Konflikte mit ihm möglich, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung (adé UN-Menschenrechts-Charta, FJWR), noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen' Dritten entschieden werden können". Wer kann also mit Putin verhandeln? Mit wem verhandelt Putin?

Gehen wir zu einer Passage über, die essentiell der Begriffsbestimmung des Politischen gewidmet ist. Wir können angesichts der obigen Unterscheidungen nicht nur erkennen, wie die schlichten Unterscheidungen Carl Schmitts zu brutalsten politischen Praktiken der Nazis geführt haben, sondern wir erkennen zugleich, wie sehr Putin und andere Despoten in die Schule Carl Schmitts gegangen sind:

"Das Politische muß deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an, daß auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder beispielsweise Rentabel und Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht. Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind." (S. 26)

Wem dies noch nicht deutlich genug ist, kann den damit definierten Begriff des Politischen mit Carl Schmitt durchaus noch schärfer fassen:

"Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen." (S.28)

Und hört doch einmal den AfD-Rednern in den Parlamenten - gar nicht auf der Straße - zu, wie sehr sie gelehrige SchülerInnen Carl Schmitts sind:

"Die Begriffe Freund und Feind sind keine normativen und keine 'rein geistigen' Gegensätze. Der Liberalismus hat in einem für ihn typischen Dilemma von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geisseite her in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht. Im Bereich des Ökonomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner." (S.28)

Wir können doch nun ein wenig deutlicher sehen, wieso Putin die verweichlichten westlichen Demokratien mit Häme überschüttet. In seinem System gibt es keine Konkurrenten und erst recht keine Diskussionsgegner mehr!

Vierte Strophe:

BluBo und BrauSi = Blut, Boden, Brauchtum, Sippe

Fünfte Strophe:

RvW: Richard von Weizsäcker

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund