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Theodor W. Adorno: Tisch und Bett und Karl Otto Hondrich: Rauft euch zusammen!

Umfassendere Verlinkungen und versprochene Ausflüge in das Lyrische Klärwerk werden nachgeliefert!

Ja, hat man einmal angefangen, verliert man sich leicht in Theodor W. Adornos knappen, doch um so eindringlicher daher kommenden Aphorismen. Bedenkt man, dass sie bei Suhrkamp erstmals 1951 erschienen sind, erscheinen einem die - wie mit einem Skalpell vorgenommen - Schnitte in die Wirklichkeit unseres sozialen Lebens tatsächlich wie das gebleckte Gebiss eines harten Hundes. Dies erscheint hier jemandem auf so brutale Weise, der all dies kennt; es erscheint jemandem, der im chaotischen Gewirr der Gleise, auf denen er sich vor mehr als dreißig Jahren bewegte, jene Weiche erwischte, deren richtungsweisende Kurskorrektur ihm dann ein Jahrzehnt später von Karl Otto Hondrich in Gestalt seiner gleichermaßen gewaltigen wie hilflosen Reflexionen in: Liebe in Zeiten der Weltgesellschaft geschenkt wurde. Seither erscheint Karl Otto Hondrichs in Total-Ambivalenz ausgerufener Appell: "Rauft euch zusammen!" wie ein ewig präsenter Nachhall auf die Irrungen und Wirrungen, denen in der postmodernen Gesellschaft mit ihren Individualisierungschüben und -verheißungen niemand entgeht. 

Die wortgewaltigen und gnadenlosen (Selbst-)Reflexionen, die sich in den Jahrzehnten danach aus meiner Denk- und Fühlwelt herauskristallisierten, bewegen sich im Kontext der von Eva Illouz aufgeworfenen Fragen: Warum Liebe endet? und Warum Liebe weh tut? Die praktische Anleitung zu einem überlebenstauglichen Driften im Chaos der Postmoderne legte allerdings Detlef Klöckner mit seiner phänomenalen Studie: Phasen der Leidenschaft - Emotionale Entwicklungen in Paarbeziehungen (Klett-Cotta, Stuttgart 2007) vor.

Nachdem ich im folgenden Theodor W. Adorno noch einmal das Skalpell in die Hand gebe und ihn über Tisch und Bett (Minima Moralia, Frankfurt 1969, Seite 29-31) fabulieren lasse, greife meine eigenen erfahrungsgeschwängerten Schlussfolgerungen aus alledem noch einmal auf - mit Kostproben aus dem im nächsten Jahr erscheinenden Lyrischen Klärwerk:

Theodor W. Adorno führt aus:

„Sobald Menschen, auch gutartige, freundliche und gebildete, sich scheiden lassen, pflegt eine Staubwolke aufzusteigen, die alles überzieht und verfärbt, womit sie in Berührung kommt. Es ist, als hätte die Sphäre der Intimität, das unwachsame Vertrauen des gemeinsamen Lebens sich in einen bösen Giftstoff verwandelt, wenn die Beziehungen zerbrochen sind, in denen sie beruhte. Das Intime zwischen Menschen ist Nachsicht, Duldung, Zuflucht für Eigenheiten. Wird es hervorgezerrt, so kommt von selber das Moment der Schwäche daran zum Vorschein, und bei der Scheidung ist eine solche Wendung nach außen unvermeidlich. Sie bemächtigt sich des Inventars der Vertrautheit. Dinge, die einmal Zeichen liebender Sorge, Bilder von Versöhnung gewesen sind, machen sich plötzlich als Werte selbständig und zeigen ihre böse, kalte und verderbliche Seite. […] Gerade das Behütete wird zum grausamen Requisit des Preisgegebenseins. Je >großzügiger< die Vermählten ursprünglich sich zueinander verhielten, je weniger sie an Besitz und Verpflichtung dachten, desto abscheulicher wird die Entwürdigung. Denn es ist eben der Bereich des rechtlich Undefinierten, in dem Streit, Diffamierung, der endlose Konflikt der Interessen gedeihen.“ (Hervorhebungen FJWR)

Zu Beginn der fünfziger Jahre, in der sich die Frau – wie Adorno konstatiert - weitgehend rechtlos „der barbarischen Verfügung des Mannes über Eigentum und Arbeit der Frau“ ausgesetzt sah, sieht sich Adorno gleichermaßen genötigt, auch die Situation des Mannes in der Ehe einer schonungslosen Desillusionierung zu unterziehen, indem er spricht von der „nicht minder barbarischen Sexualunterdrückung, die den Mann tendenziell dazu nötigt, für die sein Leben lang Verantwortung zu übernehmen, mit der zu schlafen im einmal Lust bereitete“.

All dies krieche aus den Kellern und Fundamenten ins Freie, wenn das Haus demoliert werde. Wie ungemein die Zeitgeist- und Ideologieabhängigkeit von Männer- und Frauenbildern doch auch hier noch aus Adornos Beschreibungen fäkaliengleich diffundiert!

Gleichwohl bleiben seine Impressionen bis zum heutigen Tag in gewisser Hinsicht frappierend aktuell, präzise und hellsichtig, wenn er darüber hinaus feststellt:

„Die einmal das gute Allgemeine in der beschränkenden Zugehörigkeit zueinander erfuhren, werden nun von der Gesellschaft gezwungen, sich für Schurken zu halten und zu lernen, daß sie dem Allgemeinen der unbeschränkten Gemeinheit draußen gleichen. Das Allgemeine erweist sich bei der Scheidung  als das Schandmal des Besonderen, weil das Besondere, die Ehe, das wahre Allgemeine in dieser Gesellschaft nicht zu verwirklichen vermag.“

All dies, was Adorno hier ganz im Sinne seiner generalistisch vorgenommen Fundamentaldiagnose, es gebe kein richtiges Leben im falschen, als desaströse Skizze der Institution Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft vornimmt, wird von ihm in keiner Weise ergänzt durch auch nur den geringsten Hinweis, wie denn ein richtiges Leben aussehen könnte.

Mehr als fünfzig Jahre später setzen sich dann Arnold Retzer, Detlef Klöckner – meinetwegen auch Eva Illouz – und all die anderen Legende gewordenen Leuchttürme aus der Therapeuten- und Soziologen-Szene dem Verdacht aus, die Ehe auf dem Horrortrip ins Niemandsland als (be-)lebbares Modell retten zu wollen; vielleicht am eindringlichsten mit Arnold Retzers Lob der Vernunftehe.

Was Theodor W. Adorno mit keinem Wort erwähnt, bezieht sich auf die Situation der Hilflosesten im Konzert der Kakophonie, wenn Ehegatten sich nicht nur trennen, sondern nolens volens ihre Kinder in diesem Trennungsgeschehen nicht nur als Leidende erleben, sondern sie nolens volens selber leiden lassen, weil sie es selber nicht besser wissen und können.

Weihnachten – das Fest der Liebe – zerrt dann im Adornoschen Diktus in der Tat die Umkehrung dessen hervor, was einst im Sinne des Intimen zwischen Menschen als Nachsicht, Duldung und Zuflucht für Eigenheiten den Hort von Geborgenheit ausmachte. Es werde so hervorgezerrt, dass von selber das Moment der Schwäche daran zum Vorschein komme, und es bemächtige sich des Inventars der einstmaligen Vertrautheit: Dinge, die einmal Zeichen liebender Sorge, Bilder von Versöhnung gewesen seien, machten sich plötzlich als Werte selbständig und zeigten ihre böse, kalte und verderbliche Seite.

Und nun weinen nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern, die begreifen müssen, dass sie – wie Karl Otto Hondrich argumentiert – etwas tun müssen, das unabwendbar schmerzhaft bleibt. Er nimmt eine feinsinnige Unterscheidung vor, die uns vor der Hand zunächst irritiert, wenn nicht gar provoziert. Kaum jemand mag ihm widersprechen, wenn er davon ausgeht, dass der frühe Tod von Eltern für die betroffenen Kinder einen unwiederbringlichen Verlust an Geborgenheit bedeutet:

„Ein größeres Unglück läßt sich kaum denken. Aber es bleibt ein Unglück.“ (Hondrich 2004, Liebe in Zeiten der Weltgesellschaft, Seite 164) Es sei aber gerade diese existentielle Dimension des Unglücks, die es zulasse, dass sich die Überlebenden mit dem Verstorbenen bruchlos in eins setzen, ihn in die Identität der Familie, diese sogar bestärkend, mit einbezögen. Bei einer Scheidung sei genau dies aber kaum möglich: „Nicht durch ein Unglück, Naturkräfte, höhere Mächte oder Gottes Willen wird den Kindern Geborgenheit genommen, sondern durch den Willensakt von Menschen, und zwar von denjenigen, die sie am meisten lieben.“ (Ebd.)

Das Dilemma erscheint unausweichlich:

„Zwei Menschen, die ihre Bindung auflösen, bringen sich selbst um Geborgenheit. Sie wissen das und setzen deshalb alles daran, wenigstens die Bindung zu ihren Kindern zu erhalten. Den Partner darf man verlassen, die eigenen Kinder nicht. Scheidungskinder, das ist heute Konsens auch unter zerstrittenen Eltern, sollen die Bindung zu beiden, zu Mutter und Vater behalten. Das ist die Leitidee aller gerichtlich und außergerichtlich ausgeklügelten Besuchsregelungen. Hinter dem Bemühen, diese so gerecht, verständnisvoll, Interessen ausgleichend wie möglich zu gestalten, steht, unerkannt, ein gewaltiger soziologischer Kraftakt: die Geborgenheit, die mit dem Scheitern der Gattenbindung verloren ist, in der Bindung zwischen Eltern und Kindern zu retten (Hondrich, a.a.O., Seite 162)."

Ich räume an dieser Stellen ein, dass sich Menschen – mitten im Leben – von Karl Otto Hondrichs Appell schwerlich erreichen lassen. Theodor W. Adornos ausweglose Feststellung, es gebe kein richtiges Leben im falschen, eignet sich da eher, um die eigenen schmerzhaften Erfahrungen einzuordnen. Ich bin inzwischen alt – fast 74 Jahre alt - und habe damit den alten Hondrich (01.09.1937-16.01.2007) schon um vier Jahre überlebt. Ich teile seine Einsichten uneingeschränkt:

Der alte Karl Otto Hondrich dringt zu schmerzlichen Einsichten vor, die – wie es scheint – dem Alter vorbehalten zu sein scheinen; deshalb kann sein Appell an die nachfolgenden Generationen nur zu einer rhetorischen Kunstfigur geraten, die allerdings – wie mit einem Zeitzünder versehen – für viele zu späten, oftmals leider allzu späten Einsichten führt. Dazu gehören von Hondrich beobachtete Paradoxien, wonach dort, wo Nähe und Geborgenheit wachsen, auch die Einsicht in das individuell Trennende wachse: "Der Prozeß des Vertrautwerdens bringt nicht nur Geborgenheit, sondern… auch Entfremdung hervor (Hondrich 2004, 168)." Die Enttäuschung über den Verlust der romantischen Liebe scheint für viele nicht hinnehmbar. Wiederbelebungsversuche mit demselben Partner scheitern. Abenteuer und Liebschaften, so wenig synchronisierbar sie bleiben, sind für den Höchstrelevanz (Peter Fuchs) einbüßenden Partner oft unerträglich und erzwingen häufig Trennungen, auch dort, wo sie niemand wirklich will. Und vor allem: „Eine Neuauflage des Romantikprogramms mit neuem Partner opfert eine Geborgenheit, die kaum zu ersetzen ist – und unterliegt doch auch dem Gesetz der Verwandlung von romantischer in familiäre (oder partnerschaftliche, Verf.) Liebe (Hondrich a.a.>O., Seite 168)."

Karl Otto Hondrichs Erwägungen erscheinen höchst bedenkenswert. Er meint, drei Wege stünden offen: 1. die Rücknahme überzogener Ansprüche; 2. die Entschiedenheit zur Partnerschaft und schließlich 3. die Einsicht, dass das Individuum in Liebe und Familie nichts selbst, aber – fast – alles mitbestimme. Bevor ich mich der letzten seiner Schlüsselkategorien – Entschiedenheit – zuwende, gehe ich noch einmal auf den „Altersvorbehalt“ ein: Karl Otto Hondrich meint, das gute Leben bestünde nicht in der Erfüllung, sondern in der Annäherung von Wünschen und Wirklichkeit: "Nicht bei dem Wunsch nach Liebe selbst, sondern bei der Wunscherfüllung müssen wir uns bescheiden.“ (Hondrich 2004, 170) Das Erreichen einer erfüllenden Intimität oder gar eines „fürsorglichen Finales“ (Klöckner 2007) sei nur möglich in einem langwierigen Prozess des Irrens und Korrigierens, als Gemeinschaftsarbeit!

Eine solche Gemeinschaftsarbeit läßt sich etwas nachvollziehen im Kapitel: Die Mohnfrau (in: F.J. Witsch-Rothmund: Die Mohnfrau, Lyrische Miniaturen und mörderische Beobachtungen, Koblenz 2010, Seite 85-88)

in progress

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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