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Die ewige Wiederkunft des Gleichen (als Grundlage höchster Lebensbejahung)

"Das größte Schwergewicht- - Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: 'Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und unzuählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wieder kommen, und alles in derselben Reihe und Folge -  und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht - und du mit ihr Stäubchen vom Staube!' Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? 

Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: 'Du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!' Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen, die Frage bei Allem und Jedem 'willst du dies noch einmal und unzählige Male?' würde als das größte Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?" Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, Viertes Buch, Aphorismus 341 (KSA 3, S. 571).

Zum 24sten Mal jährt sich morgen der Todestag meines Bruders, Willi; gewissermaßen ein "Sekundentod" - Absturz ins Nichts. Er hat den Zeitpunkt erfahren - erstürzt, an dem er nicht mehr war. Wir sind zurückgeblieben. Für meinen Bruder ist die Möglichkeit des eigenen Nicht-Seins zur T A T - S A C H E  geworden, ihm ist das Seiende im Ganzen entgleitet. Er ist seinem eigenen Tod begegnet. Uns ist sein Tod begegnet und hinterlässt uns die Grunderfahrung der Angst. In den letzten zwei Jahren ist uns der Tod der Anderen vielfältig begegnet. Er schürt die Angst vermutlich in dem Maß, wie diese Begegnungen mit Menschen verbunden waren, die - wie wir manchmal sagen - zur Unzeit die Seiten gewechselt haben: Willi, Andreas, Henri - und heute ganz frisch und unvermittelt durch die Nachricht vom Tod Winfried Hehls.

Es wird der Zeitpunkt kommen, wo wir nicht mehr Sein werden, dann werden wir Gott ähnlicher als alle Tage im Chajim (auf das Leben!), wo wir uns vorbereitet haben.

Und warum haben wir dann Angst?

„Die menschliche Grunderfahrung ist Angst. Die Angst ängstet sich nicht so sehr vor anderem Seienden, sondern um das In-der-Welt-Sein als solches, schärfer gefasst: um die Möglichkeit des eigenen Nicht-Seins. Die Angst ist die radikale Erfahrung, in der dem Menschen das Seiende im Ganzen entgleitet: Er begegnet seinem eigenen Tode. Der Tod begegnet aber dem Dasein nicht von außen her. Er gehört ihm zu: Dasein ist nur als Sein-zum-Tode. Aus dieser Begegnung mit dem eigenen Tod als der absoluten Grenze entspringt die eigentliche Bedeutsamkeit und Dringlichkeit des menschlichen Daseins. Verfügten wir über eine unendlich lange Zeit, so wäre nichts dringlich, nichts wichtig, nichts ‚wirklich’. Für gewöhnlich schließen wir die Augen vor diesem Sachverhalt. Wir vergessen, dass wir angesichts des Todes unser je eigenes, unverwechselbares Leben zu verwirklichen haben. Wir gleiten ab ins Uneigentliche, ins Unverbindliche, ins ‚man’. Besinnung aber lehrt uns erkennen, dass der Tod uns zur Übernahme der eigenen Existenz aufruft, er offenbart die Unwiderruflichkeit unserer Entscheidungen, ruft uns auf zum eigentlichen und eigenen (‚je meinen’) Leben in Freiheit und Selbstverantwortung.“ (Heidegger in Sein und Zeit, nachgezeichnet von Hans Joachim Störig, Frankfurt 1999, S. 683)

Wir vergessen, dass wir angesichts des Todes unser je eigenes, unverwechselbares Leben zu verwirklichen haben!? Hans Jonas fasst in seiner Dankesrede: "Der Gottesbegriff nach Auschwitz" (Suhrkamp - Frankfurt 1987) zur Verleihung des Dr. Leopold-Lucas-Preises sein "Gestammel" - wie er selbst bemerkt - folgendermaßen zusammen:

"Ein traditioneller, allemal ein christlicher Gottesbegriff muss verzweifeln unter dem Eindruck des 'wahrhaft und ganz einseitig Ungeheuerlichen, das unter seinen (Gottes) Ebenbildern in der Schöpfung dann und wann die einen den schuldlos anderen antun. Man dürfte wohl erwarten, dass der gute Gott die eigene Regel selbst äußerster Zurückhaltung seiner Macht dann und wann bricht und mit dem rettenden Wunder eingreift. Doch kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott. Die Wunder, die geschahen, kamen von Menschen allein: die Taten jener Einzelnen, oft unbekannten Gerechten unter den Völkern, die selbst das letzte Opfer nicht scheuten, um zu retten, zu lindern, ja, wenn es nicht anders ging, hierbei das Los Israels zu teilen. Von ihnen werde nich noch einmal sprechen. Aber Gott schwieg. Und da sage ich nun: nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte griff er nicht ein... kein manichäischer Dualismus wird bemüht zur Erklärung des Bösen, aus den Herzen der Menschen allein steigt es auf und gewinnt es Macht in der Welt. Im Bloßen Zulassen menschlicher Freiheit liegt ein Verzicht der göttlichen Macht."

Die ewige Wiederkunft des Gleichen - als die Grundlage höchster Lebensbejahung? Es ist wohl eine allzu naive, kindliche Diesseitsperspektive, die sich hier Geltung verschafft. "Dasein ist nur als Sein-zum-Tode. Aus dieser Begegnung mit dem eigenen Tod als der absoluten Grenze entspringt die eigentliche Bedeutsamkeit und Dringlichkeit des menschlichen Daseins... Besinnung aber lehrt uns erkennen, dass der Tod uns zur Übernahme der eigenen Existenz aufruft, er offenbart die Unwiderruflichkeit unserer Entscheidungen, ruft uns auf zum eigentlichen und eigenen (‚je meinen’) Leben in Freiheit und Selbstverantwortung."

Nach langer Zeit erhielt ich gestern ein Lebenszeichen von Rudi Krawitz. Dort, wo er seit 2013 seinen Lebensmittelpunkt hat, gab es "schwere Zeiten". Er, der wie kein zweiter weiß, was es bedeutet mit erleben zu müssen, wie den Nächsten das Seiende im Ganzen entgleitet, besinnt sich seit langem auf das Wesentliche. Die palliative Begleitung im wahlverwandtschaftlichen Kontext hat sich verkürzt zur verantwortlichen Gestaltung einer Totenfeier. Am WE nimmt Rudi als einer der ersten Subskribenden der Heidegger GA in Frankfurt an einer Diskussion mit Peter Trawny teil (u.a. Herausgeber der "Schwarzen Hefte"). Dazu wünsche ich ihm Glück und das Standing, das ihm aus all den Grenzerfahrungen zukommt, die er in seinem Leben meistern musste - heute am Vortag der Sommersonnenwende, die sich in mein eigenes Leben als existenzbestimmender Wendepunkt eingemeißelt hat.

 

 

 

 

 

 

   
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