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Peter Härtling: Hallo Opa – Liebe Mirjam, Weinheim 2013

Ein kleines Büchlein, das noch kleiner wird, da es die Geschichte in E-Mails erzählt; die Wiedergabe eines Mail-Austauschs zwischen dem knapp achtzigjährigen Opa und seiner 14jährigen Enkelin Mirjam - Für Hannah und ihre Cousinen - steht in der Widmung. Es ist das alte Thema eines weitgehend vertrauensvollen Austauschs zwischen einem alten Mann und einer seiner Enkelinnen, die sich von ihren Eltern missverstanden und über die Maßen gegängelt sieht. Der Opa lässt sich auf diese Form eines schnellen Hin und Her ein – aus guten Gründen: Er ist zwar alt – auch schon sterbensalt -, aber er bemerkt (und thematisiert dies auch), dass die Zeit des Briefeschreibens vorbei ist. Und so wechseln auf 66 Seiten Mails die Adressaten und lassen ansatzweise und wechselseitig Blicke zu in füreinander inkompatible Welten – auf den ersten Blick. Man kann Peter Härtling zugestehen – das Büchlein wird in seinem achtzigsten Lebensjahr veröffentlicht -, dass er tunlichst vermeidet, die wechselseitigen Anschlüsse als idealtypische Sprechakte zu verbrämen. Sie sind teilweise – vor allem seitens Mirjams – so egomanisch und selbstreferentiell angelegt, dass eher der gegenteilige Eindruck entsteht. Gegen Ende relativiert sich dieser Eindruck dann allerdings durch eine dramatische Wende.

Opa ist vor allem die Facebook-Kommunikation seiner Enkelin ein Dorn im Auge. Aber er bemerkt sehr schnell, dass Mirjam in galaktisch beschleunigter Form jenes Mobbing erfährt, das auch ihm als Heranwachsender das Leben zur Hölle gemacht hat, weil ihn seine Mitschüler versuchten „fertigzumachen“. Ob allerdings Mirjam seinem Rat folgt,

„das blöde Facebook zu verlassen“, bleibt offen: „Wenn ich eure allerliebsten Bilderchen anschaue wird, mir schon übel. Ihr spielt Rollen, die ihr nicht aushaltet. Ihr probiert ein Leben, das nicht eures ist. Und dazu kommen die Gemeinheiten, die üble Nachrede. Ich verstehe nur zu gut, dass du auf Samanta, von der du gedacht hast, dass sei eine Freundin ist, losgegangen bist und sie verdroschen hast. Bravo, mein Mädel! (Ich bin mir nicht sicher, ob sich deine Eltern über mein Mail freuen.)“

Natürlich entsteht jene Komplizenschaft, die es offenkundig nur zwischen Großeltern und EnkelInnen geben kann. So sorgt sich Mirjam denn auch um die angeschlagene Gesundheit des Opas. Das Büchlein erzählt schließlich, wie auf der Rückseite zu lesen ist, „eine Geschichte von großer Nähe und Zugewandtheit, die ein überraschendes Ende findet, das in Wirklichkeit keines ist.“

Opa stirbt – zwar krank -, aber dennoch plötzlich und unverhofft im Verlauf seines Kuraufenthalts in „seiner Lieblingsklinik“. Mirjam versucht per Mail auch den Kontakt dorthin aufrecht zu erhalten. Aber irgendwann antwortet Opa nicht mehr:

„Hallo Opa, das ist echt gemein, mich so hängen zu lassen. Du hast immer gemotzt, dass ich ohne Laptop nicht auskomme, aber eigentlich komme ich ohne dich nicht aus. Das hätte ich nicht schreiben sollen. Bilde dir bloß nichts ein. Schreib ein paar Worte, bitte!
Deine Mirjam“

Von ihrer Mama muss Mirjam schließlich erfahren, dass Opa gestorben ist. Und Peter Härtling findet jene Lösung, die uns Alte vielleicht ein wenig versöhnlich stimmt. Während ich – kurz vor meinem 72sten - diese kurze Würdigung des Büchleins von Peter Härtling in meinen Blog schreibe, kommt mir mein Opa wieder ins Gedächtnis - jener Opa - den ich so oft besungen und beschrieben habe, und für den die Phantasien Mirjams zutreffen, wenn sie schreibt:

„Lieber Opa, ob dein Laptop meine Mail noch kriegt? Ich spinne, wenn ich dir jetzt noch maile. Du lebst nicht mehr. Du hast dich auf deiner Wellness-Insel nicht erholt. Mama hat gesagt, dass deine Seele irgendwo ist, in der Nähe. Ich bin traurig und froh. Froh, weil die Seele keine Beine hat, die stolpern können. Am Freitag wirst du begraben. Ich komme zu dir.
Deine Mirjam“

Und Opa schreibt zurück:

„Hallo Mirjam, ich habe dich gesehen. Du  hast mir ein Blumensträußchen nachgeworfen. Meine Seele hat sich gefreut. Aber mit deinen Tränen hast du dein Taschentuch richtig gewässert. Ich habe dich sehr gemocht, und weil du mich auch magst, bleibt meine Seele in der Welt.
Dein Opa“

Und die letzte Mail, die Mirjam ins Nirwana sendet, geht so:

„Lieber, lieber Opa, wir fahren natürlich mit dem Auto (in den Urlaub). Wir müssen aufhören zu mailen. Mama, die zufällig in meine E-Mail geguckt hat, verbietet mir, weiter Mails zu schreiben. Und das an deiner Stelle. Das ist abwegig, findet sie. Ich soll mich in meine Trauer nicht reinsteigern. Jetzt könnte ich ein paar Sätze von dir brauchen. Ich weine mal wieder.
Deine Mirjam.“

Ja, so einfach ist das! Vielleicht ist es einfach passend, dass Peter Härtling in einem seiner letzten Büchlein die verknappte Form des E-Mail-Kontakts wählt. Alles andere bleibt uns überlassen. Auch der Versuch im Erinnern einmal herauszufinden, inwieweit wir – zumindest im höheren Alter - mit der Tatsache versöhnt sind, dass alle schon gegangen sind, die uns in unserer Kindheit und Jugend so wichtig waren. Ich setze hier selbstverständlich noch einmal die Links und füge ein kleines Gedicht an – und: Die Gewissheit wächst in mir, dass mein begonnenes Projekt, das der kommentierten Alben genau diesen Sinn hat, eine zugleich ärmer und reicher werdende Welt zu beseelen(:-)

Was ich auch von meinem Ahnen genommen habe

Aus dem Ofen in den Laden,
und von dort auf unsern Tisch
große, kleine Fladen,
neben Wurst ein wenig Fisch.
Mit der Hand in meinen Mund,
eingeschleimt, zerkaut, dann in den Schlund,
hinein in jenen Magen,
der nunmehr hat das Sagen:
Durchsäftet, angedaut
wandert dann der Brei
durch Dick und Dünn
- nein, eher umgekehrt -,
bevor er wurstet sich von dort
hinein in jenen Ort,
der heute
- komfortabel -
mittels Wasserspülung
alle Reste von dem Feste
schwemmt durch dunkelste Kanäle
fort
in jene düstren Hallen,
wo einst mein Ahn
die Last von allen saubren Leuten nahm.

Klärwerk heißt der Ort,
an dem ich kam
vom Ahnen hin zum Wort,
dem ich fortan huldigte.
Doch dies gewiss nur,
weil mich jener Ahn
auf in seine Seele nahm,
und in mir als Kind
das Licht erweckte,
mit dessen Kraft
ich fortan Wort für Wort
und auch die Welt entdeckte.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund