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Ein kleiner Nachtrag zu einem schönen gemeinsamen Abend mit Freunden und einer "kleinen" Differenz in der Wahrnehmung des aktuellen Generationenkonflikts, wie er zumindest von den FfF-Aktivisten gesehen wird

Meine Lieben,

ein kleiner Nachtrag zu unserer gestrigen "Differenz" im generativen Feld. Von Cornelia Funke habe ich nichts gelesen und weiß auch nichts von ihr - nur, was alle Literaturinteressierten wissen, dass sie eine der erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen ist (und im übrigen darüber wohl fast unanständig reich geworden ist). Jetzt ist sie von Malibu in die Toskana abgewandert, hat dort ein großes Anwesen gekauft.

Dort arbeitet sie und vor allem: sie fördert junge Künstler:innen, denen sie Anreise und Aufenthalt auf ihrem Anwesen aussetzt:

"Ich bezahle die Anreise, stelle die Unterkunft, die Materialien, und ich habe Werkstätten: In der Garage entsteht gerade ein Atelier für Maler, demnächst wird ein Töpferofen eingebaut, wir richten ein Tonstudio kleines Sto-Motion-Studio für Animation ein. Und dann wird gearbeitet."

Zu ihrem äußerst schmerzhaften Weggang aus Malibu sagt sie:

"Eigentlich sollte der Mensch Kalifornien verlassen und zugeben, dass unsere Art der Zivilisation dort gescheitert ist, dass die einzigen, die mit diesem Land umgehen konnten, die amerikanischen Ureinwohner waren. Von ihnen hätten wir viel lernen können. Stattdessen kommen immer mehr Millionäre nach Malibu. Wenn man alles Geld der Welt hat, kann man Unsummen in Bewässerung und Feuerabwehr stecken. Die armen Erntearbeiter werden sich dagegen das Essen bald nicht mehr leisten können."

Auf die Frage, ob sie die Ungeduld der jungen Generation verstehen könne, antwortet sie:

"Nicht nur verstehen, sondern absolut gutheißen. Ich habe mich vor einigen Monaten bei einer Veranstaltung bei den Kindern und Jugendlichen entschuldigt und gesagt: Als ich 17 war, habe ich gedacht, ich mache diese Welt etwas besser - und jetzt schäme ich mich zu Tode für die Welt, die ich euch überlasse. Wir sind selbstsüchtiger und verantwortungsloser gewesen, als wir es gehofft hatten. Ich finde, wir müssen uns alle entschuldigen."

Etwas arg dick aufgetragen?! Aber zu Beginn äußert sie (und natürlich gehen mir da die Bilder von der Ahr oder von der Erft durch den Kopf):

"Es ist mir noch nie im Leben so schwer gefallen, einen Ort zu verlassen. Aber es kamen einfach zu viele Dinge zusammen. Natürlich die schweren Feuer 2018, meine Farm wurde gerettet, die meiner Nachbarn ist abgebrannt. Dann kam der Winter, und wir hatten nur fünf Tage Regen. Ich konnte sehen, wie die Pflanzen verdorrten. Es gab kein Frühlingsblühen, stattdessen den ersten Feueralarm im Januar. Normalerweise kommt der im Oktober. Ich weiß noch genau, wie ich dachte: Du sitzt gerade im Schaufenster des Klimawandels. Und da ist keine Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren besser wird."

Angesprochen auf ihr eigenes nächstes literarisches Projekt (ein Kinderroman über Planzen) antwortet sie:

"Es geht um Caspia, die mit ihren Eltern nach Brooklyn zieht und dort in einer Kommode Briefe findet, die ein blindes deutsches Mädchen vor 40 Jahren an seine Schwester geschrieben hat. Es beschreibt viele Pflanzen, und Caspia beginnt nach ihnen zu suchen. Das blinde Mädchen bringt dem sehenden bei, die Welt ein bisschen mutiger zu erkunden. Ich hoffe, dass ich ein paar Kinder und Jugendliche mit meiner Faszination für Pflanzen anstecke und vor die Tür locke."

"Lieber der wilde Acker als die Lesestube?" fragt Katrin Hörnlein, die ZEIT-Redakteurin. "Unbedingt" antwortet Cornelia Funke: "Ich mache mir viel mehr Sorgen, dass den Kindern das Leben abhanden kommt, als das Lesen."

Zwischen Harald Welzer und Knut Löschke - wie positionieren wir uns im gesellschaftlichen Diskurs um das "Jahrhundertprojekt/Jahrhundertthema", zu dem wir am 27.9.21 - wie manche sagen: die Wahl hatten?

Liebe Grüße Jupp

P.S. Der Ort aller Orte erlaubt immer wieder Kurzlektüren mit tiefgründigen weitreichenden Effekten (hoffentlich bleibt das noch lange so (-:) Mit diesem "Beitrag", der fast ausschließlich dem O-Ton Cornelia Funkes vorbehalten ist, verbinde ich natürlich auch so etwas, wie eine eigene Positionierung. Ich gebe zu, man sollte gewiss auch nicht allzu leichtfertig mit der Selbstzuschreibung der Scham umgehen:

Was ist Scham?

Bei der Scham handet es sich um ein unangenehmes Gefühl, wenn man sich vor anderen Menschen in einer peinlichen Situation befindet. Das Schamspektrum ist breit: Das Gefühl kann von einer leichten Verlegenheit oder Fremdscham bis hin zu tiefer Demütigung oder Gesichtsverlust reichen. Es gibt sogar chronische Scham – ein krankhaftes, andauerndes Schamgefühl, das oft durch psychische Traumata hervorgerufen wird (https://www.mylife.de/sexualitaet/scham/).
 
Zumindest das "unangenehme Gefühl" wird den meisten vertraut sein. Es darf vielleicht auch ein wenig mehr sein - nur: vor den Folgen einer psychischen Traumatisierung sollten wir uns zu schützen wissen. Sie wäre nämlich durchaus in der Lage, eine aktive, verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit den lange schon ins Haus stehenden Herausforderungen zu unterlaufen. Und genau das können wir uns wohl am wenigsten gestatten.
   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
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