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Dietmar Kamper: Altersradikalität - Einsamkeit und ein erstes Lob der Sterblichkeit
Dietmar Kamper ist 2001 gestorben. Aus der Vielzahl der Stimmen der Zunft ragt er immer mehr hervor - wie ein Leuchtturm, dessen Leuchtfeuer Erinnerung ist, dessen Orientierungskraft augenblicklich zerfällt - ihr Zerfallen gleicht den Erscheinungen einer Sonnenfinsternis:
"Es ist nicht die Offenbarung des überfließenden Lichtes, die den Menschen Fassung gibt. Es ist auch nicht das dunkle Nichts, das anstelle der Götter gähnt. Es ist die flüchtige Schönheit einer unwiederbringlichen Zeit, ein verschränktes Zwielicht das wandert. Deshalb gehören die Menschen nicht ins Paradies [...], sondern in den Augenblick. Hier und jetzt sind sie Kinder des Labyrinths, das sich aus den Spuren der Sonne auf dunklem Grund ergibt, immer wieder und immer anders (Der Sonnenstand. Ein erstes Lob der Sterblichkeit, in: Von Wegen, München 1998, S 20)."
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Alter, Altern, Alte - Identitätsschrumpfungen
Kurze Einleitung zu einem langwierigen Unterfangen
Es handelt sich im Folgenden um eine Sammlung von Briefen und Aufzeichnungen, die im höchsten Alter noch einmal dem Versuch gelten, Rudimente von Selbstvergewisserung und Identität zu bewahren. Anders als im entstehenden Büchlein hierzu, steht ein Brief voran, der mehr der Selbstvergewisserung desjenigen gilt, der für diese Aufzeichnungen verantwortlich zeichnet. Meine Schwiegermutter wird sich Wiedererkennen und Festlesen in den schlichteren Briefen, die folgen und die gemeinsamer Erinnerungsarbeit geschuldet sind. Verknüpfungen bieten sich an, im Versuch immer auch die gesellschaftliche Dimension von Alter und Altern zu reflektieren (siehe dazu: Jean Baudrillard oder: Der Tod - Gebirg des Seyn im Gedicht der Welt).
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Jean Baudrillard - Das leichte(re) Leben
Wer hätte denn gedacht, dass ich mir selbst in meinem Tun fragwürdig werden könnte. In meinen Händen halte ich einen Haufen Papier, beschriebene Blätter; der gemeinsame Erinnerungsschatz, den Lisa - meine Schwiegermutter und ich zusammengetragen haben. Nun rutsche ich gemeinsam mit ihr in jene Nische ohne Wiederkehr, die ich doch gerade zudecken bzw. wieder begehbar machen wollte.
Jean Améry spricht von den "drangvollen Herausforderungen des Daseins und namentlich des Zeitvergehens, in dessen Strom wir mitschwimmen und uns selber ertrinken zusehen; Stück um Stück unseres Ich wird schon weggeschwemmt, wenn die Erinnerungen verblassen und die Realität unserer Person schließlich in einen Strudel gerät, der uns in die Untiefen reißt (Jean Améry: Hand an sich legen Diskurs über den Freitod, Stuttgart 1976, S. 68f.)."
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Zur kirchlichen Hochzeit von Anne und Sebastian am 15.9.2018 in der evangelischen Kirche zu Güls
Liebe Anne, lieber Sebastian,
der Lebenslauf besteht aus Wendepunkten, an denen etwas geschehen ist, was nicht hätte geschehen müssen! Was heute – hier und jetzt – geschieht, und was vor gut einer Woche bereits standesamtlich besiegelt worden ist, das beruht selbstverständlich auf der freien Willensentscheidung Annes und Sebastians. Selbstverständlich? Nun, selbstverständlich ist in dieser, unserer globalisierten und kulturell auseinanderdriftenden Welt so ziemlich gar nichts mehr – selbst, Regen, der für uns in der gemäßigten Klimazone immer selbstverständlich war, mag sich nicht mehr wie selbstverständlich einstellen. Nur am heutigen Tag Eurer Hochzeit mag ich mich persönlich damit abfinden und mich mit dieser Katastrophe arrangieren.
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In memoriam Günter Altner
In Zeiten von covid19 hat man ja viel Zeit und kann genüsslich bis betroffen in alten Beiträgen schmökern. Dabei ist natürlich die Haltung eines Ich hab's ja immer schon gewusst genauso unangenehm wie die Blödigkeitsattitüde, die von alldem nicht gewusst haben will. Von alldem? Ein gesamtpolitisch inkompetenter Vollpfosten wie der NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart - heute noch in Amt und Würden - könnte, sofern er mehr wäre als ein neoliberaler, traditionsvergessener FDP-Akteur, schon mal ins Grübeln kommen - jetzt, da die Omma aus Wanne-Eikel um ihre Malle-Exkursionen gebracht wird. Günter Altner jedenfalls hat ja schon 1992 und im Übrigen sehr viel früher gemahnt. Das steht einem protestantnischen Theologen auch gut zu Gesicht - zumal als promovierter Biologe und Mitbegründer des Freiburger Öko-Instituts. Corona-Zeiten muss er nicht mehr erleben - nachstehend ein paar dürre Daten zu seiner Biografie. Mir stellt sich die Frage, ob seine Mahnungen heute - angesichts der schnellen und der langsamen Krise - nur naiv sind, oder ob sie nicht vielmehr doch offenbaren, dass sie nur zwei Seiten ein und derselben Medaille darstellen.