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(M)Ein Adventskalender (2022) - Heute öffnen wir das zweiundzwanzigste Türchen (22)

In einer interessanten Replik auf mein neunzehntes Adventskalendertürchen steht unter anderem die Frage im Raum, warum ich eigentlich Christ sein will? Mir müsse doch klar sein, dass das gesamte Wertegerüst, dessen sich die christlich-abendländische Kultur rühme, doch erst gegen ihren erbitterten Widerstand erkämpft werden musste. Man möge doch damit aufhören, Geschichtsklitterung zu betreiben und wahrhaftig sein: Das Christentum habe nichts zum zivilisatorischen Fortkommen der Menschheit beigetragen. Ich habe daraufhin entgegnet:

Mein Lieber,

vielen Dank für Deine kritischen Anmerkungen. Bei der Suche nach Bewegungen, denen ich von vorne herein attestieren würde, dass sie etwas zum zivilisatorischen Fortkommen der Menschheit beigetragen hätten, habe ich Mühe fündig zu werden. Freiheitsbewegungen gab und gibt es zuhauf  – zuhauf endeten sie in Formen der Diktatur (des Proletariats) und des Despotismus. Die Linie, der wir uns zivilisatorisch und ideologisch zugehörig fühlen, versucht alle Formen der totalen Herrschaft dadurch zu zähmen, dass sie der Idee einer Souveränität des Volkes folgt. Das heißt die Ausnahme liegt in einem stetigen Prozess begründet, der die Legitimation von institutioneller bzw. staatlicher Herrschaft an demokratisch gerahmte Verfahrensregeln knüpft – wenn man so will: Legitimation durch Verfahren, aber nur in einem Rahmen der auf Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit beruht und der die Mandatierung der Ämtervergabe zeitlich begrenzt. Ich kenne und überblicke – mit meinem bescheidenen Blick in die Geschichte – keine bessere Form gesellschaftlicher Ordnung (da bin ich recht nahe bei Churchills Bonmot).

Eine andere Frage rührt aus der Ergründung dessen, was wir – jenseits formaler (staatlicher) Ordnung und Ordnungsprinzipien – unter einem Ethos verstehen können, an dem wir unser Handeln orientieren. Und hier widerspreche ich Dir insofern, als ich durchaus der Auffassung bin, dass „zivilisatorisches Fortkommen“ sich auch christlichen Wertvorstellungen verdankt (ein Wertegerüst - da folge ich Dir -, das bis heute gegen den erbitterten Widerstand der Amtkirche erkämpft werden muss). Es sind Millionen und Abermillionen von Menschen, die tagtäglich motiviert werden durch – im Kern – auch urchristliche Motive; ob das nun gegenwärtig Suppenküchen, Tafeln, Kältebusse, caritative Einrichtungen jeder Ausrichtung und jeder Zielsetzung sind oder Christen, die sich - der Schöpfungsidee verpflichtet - mit der Letzten Generation solidarisieren.

Das Schisma diesbezüglich ist schon lange eines zwischen Amtskirche und Gemeinden. Natürlich denke ich dabei auch an Menschen, wie meine Mutter. Und Du weißt – das begründet meine Nähe zu einigen Vertretern der Landeskirchen, dass ich Fulbert Steffensky folge, wenn er davon ausgeht, dass der Mensch ist, weil er sich verdankt. Das Motiv des Dankes und der Mildtätigkeit (im Übrigen auch von Menschen, die selbst am Rande der Bedürftigkeit leben) erscheint mir als zentraler Motor in einem bestimmten Segment zivilgesellschaftlichen Engagements. Und ich bin ganz und gar davon überzeugt, dass die Menschen, die dort jeden Tag handeln, organisieren, helfen, unterstützen und Anteil nehmen, gerade diesen Zwiespalt aushalten. Ich möchte sogar so weit gehen, dass dieses alltägliche Handeln geradezu die unfassbare Hybris und Arroganz der Amtskirchen konterkariert (jedenfalls gehörte beispielsweise meine Mutter zu jenen Menschen, die aus einem - meinetwegen ganz und gar naiven - christlichen Urmotiv zum Beispiel Krankenhausdienst und vieles mehr in der Gemeinde leisten bzw. geleistet haben).

Kleine Randbemerkung: Corinna Zisselsberger: „In meinem Alltag sind Kirchenmitglieder eine Minderheit. Ich erlebe täglich den Traditionsbruch und gleichzeitig, dass etwas von uns erwartet wird. Als Stadtkirche nahe dem Berliner Alexanderplatz kümmern wir uns um Arme und Bedürftige, es kommen aber auch ständig hilfesuchende Obdachlose und Drogenabhängige. Menschen ohne Berührung zum Christentum finden uns Pfarrerinnen exotisch. Wenn wir auftauchen bringen wir ein Stück Himmel mit. Das weckt Neugier.“

Verabschiedet man sich konsequent aus dem zivilgesellschaftlichen, meinetwegen auch politischen Tagesgeschäft, entgehen einem die unzähligen täglichen Aktionen, Aktivitäten, Initiativen, Aufbrüche, Bewegungen, Beharrlichkeiten, die das Schmiermittel dieser Gesellschaft bedeuten. Was glaubst Du, würde passieren, wenn alle Christen, wenn alle, sich einem christlichen Ethos verpflichtet fühlenden Menschen mit einem Schlag ihr Engagement einstellen würden? Es sind vielfach Menschen, die angesichts der Umstände über sich hinauswachsen; häufig genug eben Menschen der Tat, nicht des Wortes. Vor knapp 1 ½ Jahren waren es Menschen aller Herkunft, Überzeugung und Couleur, die beispielsweise an der Ahr einfach angepackt haben, angesichts der Umstände über sich hinausgewachsen sind – darunter waren auch viele Christen (und ich werde auf ein weiteres Türchen zurückgreifen und lyrisch noch einmal versuchen Dir nahezubringen, was ich meine. Corinna Zisselsberger sagt zu Beginn des Interviews in der ZEIT, sie könne sich nicht selber segnen. Dies kann niemandem eine Botschaft sein, der den Segen, der einem zugedacht ist – zum Beispiel von seinen Nächsten für eine leere Hülle hält. Ich denke und fühle da anders. Aber noch einmal zurück zur Bedeutung von Glaube und Ideologie:

Nehme ich nur die großen geschichtlichen Dramen und Katastrophen, dann fällt es (auch) mir leicht, die galaktische Differenz zu benennen, die sich zwischen den ideologischen Ansprüchen der meisten Bewegungen (die geschichtlich relevant geworden sind und Spuren hinterlassen <haben>) und den von ihnen zu verantwortenden Zuständen offenbart; das Kommunistische Manifest oder meinetwegen die Bergpredigt – moralisch befriedigende Weltverhältnisse sind ihnen weder zuzurechnen noch zu verdanken.

Ich habe mich über die Anregungen gefreut. Ich werde sie aufnehmen und bin überzeugt, dass sie mir helfen bei meiner Suche nach Orientierung und Gemeinschaft.

Ich habe Mühe mich zu einer konsistenten, irgendwie christlich begründeten Identität zu bekennen, aus der ich bruchlos Mut, Kraft und Zuversicht schöpfen könnte. Gleichwohl bin ich in eine Familie hineingeboren worden, die ohne christliche Identität nicht zu denken ist. Hier ist und war es die mütterliche Linie. Über die Großmutter und Urgroßmutter kolportieren und verbürgen sich christliche Haltungen. Ohne die echte und wahre Rückendeckung von Urgroßmutter und Großmutter (Großmutter und Mutter meiner Mutter), wäre die Exklusion meiner Mutter aus der christlichen Gemeinde unabwendbar und vollständig gewesen. Nur die verbürgte Zugehörigkeit, das Kümmern und Sorgen dieser starken Frauen hat meine Mutter in einem Leben gehalten, das für sie als siebzehnjährige eine allzufrühe Mutterschaft bedeutete. Und ja, diese unverbrüchliche Solidarität stellte sich gegen die HeuchlerInnen, gegen die bigotten KirchgängerInnen, die keine Kenntnis der Botschaft Jesu für sich reklamieren konnten. Auch heute gilt es gegen eine korrupte, verlogene Amtskirche und viele ihrer höchsten Würdenträger die Christenlehre zu verteidigen. Und so bekenne ich mich in nachfolgendem Gedicht, das ich zu meinen stärksten und gewichtigsten rechne, zu einer Sozialisation und zu einer Erziehung, in die sehr wohl christliche Werte eingeflossen sind - über die Mutter durch Wort und Tat, über den Vater, fundiert durch die Tat: Die Welt kommt zu uns, macht sich in uns breit, sinkt ab in Fühlen und in Habitus. Unser Habitus liegt nicht in unseren Händen. In ihm fließen Quellen und Bächlein aus allen Richtungen und Urgründen zusammen. Mir ist es heute aufgetragen, mir mit diesem Gepäck einen neuen Weg zu suchen, jenseits einer durch die katholische Amtskirche desavouierten christlichen Identität.

 

Don’t ask – don’t tell

Die Welt kommt zu uns,
macht sich in uns breit,
sinkt ab in Fühlen und in Habitus.

Die Quellen gründen tief,
aus denen Lebenswasser quillt,
geklärt durch Denk- und Fühlverbote.

(Nur wenn ein Damm bricht vor der Zeit,
macht sich zuweilen Flut und Feuer breit,
zerreißt das dünne Eis der Contenance.)

Danach und manchmal auch zuvor
hilft uns dann Therapie
im Suchen und im Finden einer Sprache.

Und Sprache findet (manchmal) zaghaft ihren Weg
viel seltener die passende Adresse -
Für’s Zuhören wird nun ja gezahlt!

Wenn’s  jenem Urgrund mangelt an Vertrauen,
wenn Schmerz und Kränkung Fundamente bauen,
versagt man sich das Fragen -

und das Erzählen wohl erst recht!
Kommt, reden wir zusammen (schrieb Gottfried Benn*) -
wer redet, ist nicht tot!

Und wusste wohl: es züngeln doch die Flammen
schon sehr um unsere Not – und warnt:
Kommt öffnet doch die Lippen,

so nah schon an den Klippen
in eurem schwachen Boot.
Nur wer redet, ist nicht tot!

*Gottfried Benn, Gesammelte Werke - Gedichte (Limes Verlag), Wiesbaden 1963, S. 320

 

Hier geht es zum nächsten Adventskalendertürchen (23)

   
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