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Mein verquerer Adventskalender -heute mit Anlehnungen an Wolfgang Loth: Aussichten und Zuversicht

Der Elfte im Zwölften ist ein Datum, dass meine besondere Aufmerksamkeit erwartet; jährt sich der Geburtstag meines Vaters doch zum hundertsten Mal, so wie dem Freund ein Jahr nur noch fehlt zum runden achtzigsten. Und seine Frage, warum ich denn um Gottes Willen bereits das fünfzehnte Türchen geöffnet wissen will, wo wir doch heute erst mit Fug und Recht das elfte Türchen öffnen dürften, zwingt mich zu einer Klarstellung:

Zweitausendundeinundzwanzig Jahre kam das Christkind immer auf den Tag genau - am 24. Dezember zur Welt (so jeweils gegen 18 Uhr, wenn mich das Erklingen der Glöckchen nicht täuscht). Die Heiligen drei Könige verfehlen diesen Tag ebensolange bei weitem - wie im Übrigen auch die russisch-orthodoxe Kirche. In diesem Jahr konnte ich offenkundig die Geburt des Erlösers nicht erwarten.

Bereits am ersten Adventssonntag öffnete ich mein erstes Türchen und war offenkundig willens aus Jesus nicht gerade eben ein Frühchen zu machen, aber immerhin eine Verfrühung seiner Geburt hinzunehmen - hinzunehmen?. Nein, eher zu erzwingen - kaum jemals in all den vielen Jahren zuvor, in denen ich auf das Christkind gewarte habe, war seine Ankunft so notwendig. Auch wenn Weihnachten nach allen Annahmen und Erwartungen auch heuer wieder mit dem Heiligen Abend - am 24. Dezember - seinen Auftakt nehmen wird, ermöglicht mir meine Erschleichung die Eröffnung weiterer Türchen; gewissermaßen als Seiten- oder Sondertürchen - möglicherweise auch Falltürchen (:-) Eines dieser zusätzlichen Türchen wird mir erstmals Gelegenheit verschaffen, die 24 regulären Türchen dahingehend zu untersuchen, was mich denn bei dieser ungeplanten, rein intuitiv und höchst selektiv vorgenommenen Themenauswahl 2022 geleitet hat. Natürlich habe ich da auch schon eine Vermutung, obwohl noch acht Türchen verbleiben (dann hab ich die 24 voll (:-))

Am 6.12.2022 lud das systemmagazin zum Öffnen eines Adventskalendertürchens ein, über das Wolfgang Loth den Versuch unternahm, über das Begriffspaar Aussichten und Zuversicht nachzudenken. Diesen Text eröffnet Wolfgang Loth mit der Tatsache, dass seine Eltern im November 1944 geheiratet haben - eine Kriegshochzeit: "Ihre Aussichten waren unsicher, ihre Zuversicht alleine getragen von einem Glauben." Was heißt hier alleine? Meine Eltern haben 1948 geheiratet, und Wolfgang Loths Motiv, das er seinen Eltern zuschreibt, mag gleichermaßen für meine Eltern gegolten haben (über den Preis den sie gezahlt haben, aber auch über das, was sie gewonnen haben mit diesem Wagnis, schwant mir so Einiges). Mit Interesse habe ich wahrgenommen, wie Wolfgang Loth sich an den Begriff Zuversicht herantastet, um zunächst einmal festzustellen, dass Zuversicht ja wohl ein Vertrauen darauf meine, "dass etwas eintreffen wird, was man sich wünscht, erhofft, herbeisehnt". Wie das häufig mit dem Wünschen ausgeht, ist uns vermutlich allen relativ vertraut. Und so schleicht sich denn auch eine bemerkenswerte Wende in die Betrachtungen Wolfgang Loths ein, wenn er die Zuversicht mit einem Adjektiv näher eingrenzt und danach fragt, was dann wohl der Unterschied zu einer systemischen Zuversicht ausmacht? Bleibt man bei den Beobachtungen und Erwartungen erster Ordnung - hält man sie gewissermaßen für alternativlos - dann tappt man mit dem Vertrauen darauf, dass etwas eintreffen wird, was man sich wünscht, erhofft, herbeisehnt, oft genug in eine unverhoffte Falle. Systemische Perspektiven hingegen begründen die Haltung, die wir mit der Idee einer Beoabachtung zweiter Ordnung verbinden, indem wir darauf vorbereitet sind, dass es auch immer anders kommen kann als wir es erwarten. Wolfgang Loth, der sich u.a. auf einen der bemerkenswerten Metaloge bezieht, in die Gregory Bateson Tochter und Vater verwickelt (Ökologie des Geistes, Suhrkamp, Frankfurt 1985, Seite 32-39), verschärft die Perspektive noch, indem er darauf hinweist, "dass das Erwünschte, Erhoffte, Ersehnte nicht so wahrscheinlich ist, wie das andere, das Befürchtete, das über einen Hereinbrechende, oder auch nur das langweilig und alltagsgrau vor sich Hinschlappende". Ich war bei neuerlichem Lesen erstaunt, wie gnadenlos Gregory Bateson das Kontingente - das Zufallsabhängige - einseitig auflöst, indem er den Vater im Metalog noch schärfer agieren lässt:

Wenn "sie sagen, was nach ihrer Hoffnung passieren soll, dann sage ich ihnen, daß es nicht so kommen wird, weil es soviel anderes gibt, was passieren könnte. Und ich weiß, daß eins der vielen Dinge passieren wird, und nicht eines der wenigen."

Odo Marquard geht so weit zu sagen, dass wir alle weit mehr unsere Zufälle als unsere Wahl sind. Und im Rückblick sind es in der Tat die schicksalszufälligen  Wendepunkte, an denen die Weichenstellungen im Leben eine so völlig neue Richtung erzwingen, dass aus Hoffnungen, Erwartungen und Plänen nichts wird. Wir sind - sanft gesprochen - gezwungen, uns neu zu orientieren. Und genau hier stimme ich mit Wolfgang Loth überein, wenn er sich der systemischen Zuversicht eher über eine Vorstellung nähert und meint, "systemisch habe es eher mit 'tapfer'* zu tun als mit 'mutig'*, eher mit 'Rücksicht' als mit 'Volldampf', eher mit der Erkenntnis, dass im dynamischen Wirbel des Lebendigen die Ruhe die Ausnahme ist". Und ich kann getrost zurückkehren zu den ersten Türchen meines Adventskalenders, wenn Wolfgang Loth bemerkt:

"Es kann helfen, sich im Wirbel zu finden, miteinander die Farbe im Grauen zu sehen, und so dem eher Wenigen aus dem Vielen, dem Erhofften beizustehen und zu helfen, es wirklich werden zu lassen. Glück wäre dann die gelegentliche Erkenntnis, dass es sinnvoll war. Zuversicht wären dann eine Patin für dieses, eine Begleiterin, ein Lichtschein, der im Grauen die Farbe leuchten lässt." (Wer noch kein Grau gedacht hat)

Dass ich den Advent nicht erwarten kann, mag zusammenhängen mit der Idee, Jesus möge den Ungerechten und den Despoten dieser Welt ihre Grenzen zeigen und sie - wie weiland die Geldwechsler - aus dem Tempel jagen, seinen unsäglichen Stellvertretern, wie dem sabbernden Kyrill, die Eier abbeißen; ein schlichter Beleg dafür, dass Gregory Bateson recht hat, wenn er mir hier die Hoffnung nimmt, weil es so nicht kommen wird - leider!

Notiz: *Die erste und nachhaltige Unterscheidung von "tapfer" und "mutig" verdanke ich Rudi Krawitz.

Morgen öffnen wir das siebzehnte Türchen (17) 

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund