Die Freundschaft und der Krieg
Freundschaft ist ein eigenes Themenfeld, über das Arnold Retzer sehr weise und anregend reflektiert. Der Krieg ist ein anderes Themenfeld, über das ich nur insofern philosophieren mag, als danach zu fragen ist, ob er als geächtetes Phänomen gleichwohl in einem zu bestimmenden Bedingungsfeld nicht nur eine Option, sondern – sofern man bereit ist zu akzeptieren, dass Menschen sich nicht jederzeit und bedingungslos einer Zwangs- und Gewalt- und Fremdherrschaft beugen müssen –möglicherweise eine ultima ratio sein kann?
Einige Bemerkungen zum Phänomen der Freundschaft: Retzer holt weit aus und bezieht sich in seinen Unterscheidungen von Freundschaft auf Aristoteles, der die nützliche Freundschaft von der angenehmen oder Lustfreundschaft abgrenzt, um schließlich darauf hinzuweisen, dass wir – mit Blick auf eine lebenslange Freundschaft – möglicherweise in erster Linie die gute oder Tugendfreundschaft meinen könnten:
„Nur in dieser Freundschaft ist der Freund nicht Mittel zum Zweck und unterliegt denselben Kriterien wie der Selbstbezug. Sie beansprucht Zeit und realisiert sich im praktischen Zusammenleben.“
Retzer betont, das Wohlwollen nicht genüge, sondern Wohltaten darüber hinaus nötig seien. Er greift bei seinen Reflexionen durchaus nach den Sternen, wenn er im Sinne einer „teilhabenden und teilnehmenden Praxis der Freundschaft“ den Begriff der Wahrhaftigkeit einführt: In der Freundschaft setze ich mich an die Stelle des Freundes und er sich an meine.“ Sich nichts vorzumachen sei dann der Kern der Wahrhaftigkeit: „Ein Einlassen auf den Eigensinn des Tuns des Freundes zeigt sich als anteilnehmendes Interesse beim Miteinander-Reden im Zuhören und Nachfragen.“ Arnold Retzer geht in der Folge auf das Gespräch als Kernphänomen einer tätigen Freundschaft ein:
„Indem die Freunde etwas zur Sprache bringen, entbinden sie sich vom bis dahin unsagbaren ‚Eigenen‘ und machen es zu etwas Teilbarem und (in den Grenzen der Freundschaft) Öffentlichem. Wenn das (Miteinander-)Sprechen das spezifisch Menschliche ist, vermenschlichen wir, indem wir sprechen, sowohl das, was in der Welt ist, als auch das, was in uns ist. Wir bringen die Welt zu uns und uns in die Welt. Die Freundschaft ist ein geeigneter Ort, beides zu ermöglichen. Indem Freunde sich im Gespräch mitteilen, eignen sie sich ihre eigene Lebensgeschichte selbstreflexiv an und machen sich Tatsachen ihres Lebens zu Eigen. Freundschaftliches Mitteilen ist die Bereitschaft, sich selbst verständlich machen zu wollen.“
„Sich selbst verständlich machen wollen.“ Könnten hier möglicherweise auch Grenzen von Freundschaft kenntlich werden?
Ein Versuch in der Absicht eine Antwort zu riskieren:
Kann man über Krieg sprechen, und kann die schmerzhafte Auseinandersetzung über die russische Aggression der Ukraine gegenüber den Grenzwert von Freundschaft tangieren? Zunächst einmal würde ich das verneinen! Allerdings kann es wohl der Fall sein, dass im Zuge der Auseinandersetzung, ob über Krieg überhaupt ein Diskurs möglich ist, Fragen aufgeworfen werden, die so grundlegend sind, dass ihre Beantwortung auch zu einer Belastung von Freundschaft gerät.
Die beiden einführenden Sätze führen bereits zu schwierigen sprachlichen Unklarheiten:
1. Nicht jeder würde den Diskurs über die Frage von Krieg und Frieden als schmerzhaft begreifen wollen.
2. Die Rede von einer russischen Aggression wird gleichermaßen nicht allseits geteilt und taugt bereits dazu Kontroversen auszulösen:
Die informierte und kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Krieg in Osteuropa bereitet vielen Menschen ein ausgeprägtes Unbehagen, weil sie grundsätzlich der Auffassung sind, dass die Idee, Krieg als die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln zu begreifen (Carl von Clausewitz) kategorisch abzulehnen ist. Der Dissens im konkreten Fall der Ukraine wird dadurch scharf gestellt, dass viele innerhalb dieses Diskurses die einseitige russische Aggression der Ukraine gegenüber zwar – anders als Putin selbst – als kriegerische Handlung sehen; eine kriegerische Handlung im Übrigen, die bestehende Verträge und das Völkerrecht kategorisch missachtet! Dies bringt sie in die Situation ihre eigene Position an der Frage auszurichten, wie in dieser strukturellen Asymmetrie das Widerstands- und Selbstverteidigungsrecht eines willkürlich und widerrechtlich Attackierten zu bewerten ist? Macht es einen Unterschied, ob sich jemand verteidigt, weil ihn eine willkürliche Aggression zu einer Antwort zwingt?
Ich selbst beziehe mich in meinen dazu veröffentlichen Beiträgen zu einer grundsätzlichen Beantwortung dieser Frage auf das philosophisch und ethisch ausführlich begründete Widerstandsrecht – unter Einschluss des sogenannten Tyrannenmords (Carlo Schmid, Ger van Roon, Stufenmodell nach Klaus Gotto, Hans-Günther Hockerts und Konrad Repgen).
Eine grundsätzliche Kontroverse ergibt sich aus dem Bekenntnis zu einer pazifistischen Grundhaltung – radikal interpretiert mit Blick auf die kategorische Ablehnung jeglicher Gewalt und zwar in Absehung jeglicher situativ variierender Ausgangssituationen. Selbst wenn ich diese Haltung versuche grundsätzlich zu respektieren, vermag ich allerdings nicht nachzuvollziehen, wie es jemandem „damit sehr gut gehen kann“.
Worin besteht der Dissens und was dabei könnte freundschaftsgefährdend sein? Muss man philosophisch gebildet sein oder reicht Herzensbildung? Slavoij Ziesek macht auf die Differenz zwischen dem Realen und der Realität aufmerksam – offenkundig rekurrierend auf Hegel: Dabei erscheint der Radikalpazifist – dem es damit auch noch sehr gut gehen kann – als jemand, der die Realität auch für das Reale hält. Er - der Radikalpazifist - könnte zum Beispiel bemerken,
es sei wohl nicht die Zeit der Friedliebenden, sondern die der Kriegstreiber. Die Mahner zum Frieden, darunter viele Intellektuelle, würden nicht gehört, scheinbar einfach ignoriert oder lächerlich gemacht: „Aggression führt zur Gegenaggression, mit Waffen in Milliardenhöhe befördert. Pazifismus wird zum Anachronismus degradiert, auch und vor allem von den einstmals Friedensbewegten. Das ist mehr als traurig und verleitet zur Resignation. Krieg und Gewalt waren und sind keine Lösung.“
Die reale Fiktion von Frieden und Gewaltfreiheit impliziert hier eine vollkommen differenzeinebnende Haltung gegenüber der Realität. Der Hinweis, dass Aggression zur Gegenaggression führt, ist zweifellos korrekt, verkennt aber in der gegebenen Situation – nach Mariupol, Butscha und Irpin (und wie die Orte der Massaker alle heißen mögen), dass wir es mit einem so ganz und gar offenkundigen Fall eines eindeutigen Völkerrechtsbruchs zu tun haben. Nicht wenige betrachten die Haltung der Radikalpazifisten als eine ausgeprägte Form des Zynismus, weil sie im Grunde genommen erwartet, dass die Geschundenen nun auch noch die rechte Wange hinhalten; zweifellos perfide alle, die angesichts des russischen Terrors Widerstand reklamieren und organisieren, kategorisch als "Kriegstreiber" zu denunzieren. Kaja Kallas – estnische Premierministerin bemerkt in einem Interview mit der ZEIT (37/22, S. 6) lapidar: Alles, was in der Ukraine geschehe, geschehe wegen der russischen Besatzung: „Hätte Russland die Ukraine nicht besetzt, dann würde es das Problem nicht geben.“
Der Entschluss zum Tyrannenmord – die Anwendung physischer Gewalt mit dem Ziel den Tyrannen Hitler zu töten – basierte auf dem Hintergrund einer christlichen Grundorientierung auf einer Güterabwägung. Das radikale Votum auch hier dem Gewaltverzicht unbedingten Vorrang einzuräumen, kommt einer fatalistischen Akzeptanz des Rechts des Stärkeren gleich. Diese Akzeptanz bedeutet gleichzeitig das Reale zu verleugnen, um der eigenen Realitätskonstruktion noch folgen zu können. Denn erst im weitergefassten realen Raum einer vertragsbasierten wechselseitigen – Vertrauen erst rechtfertigenden Grundhaltung – wird erkennbar, dass es einen Unterschied gibt zwischen der offenen, einseitigen Vorgehensweise eines skrupellosen Aggressors auf der einen Seite und dem Opfer dieser Aggression auf der anderen Seite. Vollends perfide gestaltet sich die Vorgehensweise eines vertragsbrüchigen Aggressors, wenn er – im Sinne des Rechts des Stärkeren – seine vermeintliche militärische Übermacht zur Geltung bringt – in Missachtung des Völkerrechts unter Inkaufnahme einer kriegsverbrecherischen Vorgehensweise (denn selbst in kriegerischen Auseinandersetzungen gelten Regeln – zum Beispiel im Sinne der Genfer Konvention). Die kriegerischen Handlungen und die Handlungen zu ihrer Abwehr finden wohlgemerkt auf ukrainischem Terrain statt, nicht auf russischem Hoheitsgebiet! Der Radikalpazifist will (und kann?) dies nicht sehen.
Werden in der Ukraine westliche Werte verteidigt?
Aus meiner Sicht lautet die Antwort uneingeschränkt: Ja! Die Ukraine hat sich nach 1991 – in dreißig Jahren als souveräner Staat – Schritt für Schritt – im Sinne westlichen Demokratieverständnisses – in die Richtung einer an Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit orientierten Demokratie bewegt. Dass dies den altstalinistischen Betonköpfen, die von einer Wiederauferstehung des sowjetischen Imperiums träumen, ein Dorn im Auge ist, muss nicht verwundern. Die in den fünfziger Jahren Geborenen konnten erst am 8. Mai 1985 erleben, dass ein deutscher Bundespräsident in der Gestalt Richard von Weizäckers von einem „Tag der Befreiung“ sprach - der Befreiung von einer Terror- und Gewaltherrschaft! Es ist beschämend, erleben zu müssen, dass Oskar Lafontaine die Grünen heute zur „schlimmsten Kriegspartei im deutschen Bundestag“ erklärt und Äußerungen unserer Außenministerin Annalena Baerbock mit dem Etikett „faschistoid“ versieht. Hier liegt des Pudels Kern. Und ich werde nicht müde immer wieder darauf hinzuweisen, dass sich Russland seinerseits Schritt für Schritt zu einem faschistoiden Terrorregime entwickelt hat. Und dies ist nicht billig, sondern die Analogien zur Vorgehensweise Nazi-Deutschlands springen jedem aufmerksamen Beobachter ins Auge. Nochmals:
- Russland weist im Inneren mehr und mehr Parallelen zum Faschismus deutscher Lesart auf: Gleichschaltung der Medien; Eliminierung jeglicher Opposition – deren Verfolgung unter Bedrohung von Leib und Leben (Einweisung in Gefängnisse und Lager); Missachtung und Zurückweisung rechtsstaatlicher Grundsätze, Abschaffung der Gewaltenteilung (mit freien Wahlen, unabhängiger Justiz und einem Regierungshandeln, dass sich rechtsstaatlichen Regeln und Erfordernissen unterwirft).
- Russland bricht sämtliche geschlossenen internationalen und bilateralen Verträge. Es missachtet Völkerrecht und das Recht auf die Unversehrtheit der Grenzen. Russland agiert – analog zu Nazi-Deutschland - in der Missachtung noch vor kurzem geschlossener Verträge. „Minsk I“ und „Minsk II“, die im Übrigen russischen Interessen Vorrang einräumten, sind nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind - wie weiland das "Münchner Abkommen".
- Russland bedient sich einer faschistischen Ideologie in der Rechtfertigung seiner Vorgehensweise insofern es die Welt – in der Nachfolge Carl Schmitts (Der Begriff des Politischen, Berlin 1932) – einer konsequenten Freund – Feind – Kategorisierung unterwirft. Dies impliziert – in Unterschreitung eines zivilisatorischen Minimums – die radikale Zurückweisung des Gleichheitsgrundsatzes (schon seit Lafayette: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“). Dies ist Faschismus in Reinkultur und findet sowohl nach Innen als auch nach Außen Anwendung. Die Faschisten in Moskau legitimieren ihre Unrechtspolitik mit dem erklärten Ziel, die Nazis in Kiew eliminieren zu wollen!!!
Oskar Lafontaine muss sich fragen lassen, ob er die fünfte Kolonne Putins aufwerten will und damit das bisschen Reputation, das ihm geblieben ist, auch noch verspielen will? Gemeinsam mit seiner Frau - Sarah Wagenknecht -, die noch am Vorabend die Invasion Putin-Russlands in die Ukraine öffentlich bei Anne Will ausgeschlossen hat, muss er unterdessen eingestehen, dass ihre Realitätskonstruktionen von der realen Dynamik des russischen Wahnsinns konterkariert werden. Warum fahren die beiden nicht nach Moskau und werfen ihre politischen Pfunde (?) in die Waagschale und bringen Wladimir Putin zur Besinnung?
Wer soll und kann dieser russischen Barbarei Einhalt gebieten und was hat das mit uns zu tun?
Inzwischen verwischen sich die Grenzen, und Oskar Lafontaine trägt dazu bei die Grenzen zu verwischen zwischen den Errungenschaften westlichen Demokratieverständnisses und der Unkultur autokratischer Terrorregimes mit faschistoidem Einschlag:
Ein Anhang
Mir ist vor Tagen ein aktueller Song Konstantin Weckers zugesandt worden:
Es geht mit dem Schrei an
Dem allseits bekannten
Erst kommt′s auf den Brei an
Und auf die Verwandten
Dann läuft es wie immer
Du versuchst kurz zu denken
Doch irgendwer wird dieses
Denken schon lenken
Du möchtest dich fühlen
Versuchst dich zu kriegen
Du bist ganz begeistert
Von deinen Trieben
Doch bald erkennst du
Ausgeschmiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Der bestimmt und regiert
Der bestimmt und regiert
Ob das der Lehrer ist
Oder der Meister
Irgendwann treten sie dich
Denn sie sind immer feister
Ob das die Eltern sind
Und ihr Ordnungmußsein
Du möchtest wachsen
Doch sie kriegen dich klein
Dann träumst du von Wiesen
Und von Dingen, die weich sind
Währenddessen erzählen sie dir
Dass die Menschen nicht gleich sind
Und daß das wichtig ist
Dass man pariert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Denn da ist immer wer
Der bestimmt und regiert
Der bestimmt und regiert
Der bestimmt und regiert
Dann möchtest du rennen
Dann möchtest du schrein
Hast unbändige Lust
Einmal böse zu sein
Da muß doch was faul sein
Das kann doch nicht stimmen
Die wollen dich einfach
Auf Untertan trimmen
Die reden von Liebe
Was damit wohl gemeint ist
Du schaust dein Gesicht an
Das meistens verweint ist
Und es dauert nicht lange
Dann ist es passiert
Es ist schon in Ordnung
Dass jemand regiert
Es ist schon in Ordnung
Dass jemand regiert
Es ist schon in Ordnung
Dass jemand regiert
Es ist schon in Ordnung
Dass jemand regiert
Es ist schon in Ordnung
Dass jemand regiert
Dass jemand regiert
Dass jemand regiert
La la la la
La la la
La la la la la la la la la
La la la la
La la la la
La la la
La la la la la la
Ich habe diesen Text zum Anlass genommen, im Kontext der unfassbaren Aggression von Putins-Russland noch einmal genauer hinzuschauen und zu verstehen, wann etwas „in Ordnung ist“ und wann nicht?!
Wenn man viele Jahrzehnte Seit an Seit schreitet, beruht dies auf einem gemeinsamen Verständnis darüber, wie man sich arrangiert mit der Tatsache, dass da tatsächlich immer jemand ist, der bestimmt und regiert. Wenn man sein (Berufs-)Leben lang dafür gestritten hat, wann es denn „in Ordnung ist“, dass jemand bestimmt und regiert, dann basierte der Konsens darauf, dass das Bestimmen und Regieren immer nur ein mandatiertes, eines auf Zeit ist – in vier- oder fünf-Jahres-Turni; dass wir – das Volk – der Souverän bleiben und in freien Wahlen darüber entscheiden, wer „bestimmt und regiert“.
Wenn man dies für sich in Frage stellt und möglicherweise ins Querdenkertum abgleitet (incl. nachhaltiger Zweifel an der Legitimationsgrundlage unseres politischen Systems), dann kann ein Nachdenken über das gemeinsame freundschaftsverbürgende Selbstverständnis nicht ausbleiben.
Natürlich fällt einem mit Blick auf’s Knistern und Knirschen im Gebälk unserer Demokratie Winston Churchill ein, der sinngemäß meinte, die Demokratie sei die schlechteste Regierungsform, aber er kenne keine bessere. Wie unfassbar zutreffend seine ironische Selbstvergewisserung heute daherkommt, zeigt uns Wladimir Putin mit seiner Gewaltherrschaft, die kein Recht und kein Gesetz kennt: Pacta sunt servanda – haben wir gedacht.
Und Michail Gorbatschow? Er hätte sich für sein Ableben keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können. Er hat die Verträge geschlossen, die für alle seine Nachfolger bindend waren. Er war der erste sowjetische und dann russische Präsident, der die Souveränität der Staaten und die Unversehrtheit der Grenzen anerkannt hat.
Konstantin Wecker – da können wir gewiss sein – kennt genau diesen Unterschied.
Sein Schrei meint die Putins, Assads und Lukaschenkos dieser Welt, die dem Recht des Stärkeren wieder auf brutalste Weise die Ordnung der Welt unterwerfen wollen, die diese „Irgendwers“ sein wollen, die das Denken ihrer U N T E R G E B E N E N lenken wollen, die alle, die sich nicht unterwerfen wollen, in die Gulags oder in den Tod schicken, die alle a n s c h m i e r e n, die sich ihrem Diktat nicht beugen, die das O R D N U N G M U S S S E I N mit Terror und Waffengewalt erzwingen.
Mit Carl Schmitt und den Verfassern der Rassegesetze der Nazis e r k l ä r e n sie dir, dass die Menschen nicht gleich sind – sie erklären es nicht nur, sondern sie zeigen es dir: Schwule, Lesben, Queere, A N D E R S A R T I G E, Missliebige, Oppositionelle - S Ü N D E N B Ö C K E, wandern in den Knast, werden vergiftet auf offener Straße verhaftet, weil sie ein weißes Blatt Papier in die Höhe halten.
Da muss doch was faul sein – da muss doch was faul sein!!! Ja es stinkt, es stinkt, es stinkt in der Welt der Gewaltherrscher – es stinkt!!!
Ganz ohne Zweifel meint Konstantin Weckers Schrei aber uns alle – und ich bin mir sicher, dass er seine eigene Meinung haben wird zu einem Publikum, das ihm stehende Ovationen zu Teil werden lässt, das sich aber ansonsten mit passiver Larmoyanz und passiver Kritik begnügt.
Aber lassen wir das alles und lesen uns den Text von Konstantin Wecker aufmerksam durch:
Ob das der Lehrer ist
Oder der Meister
Irgendwann treten sie dich
Denn sie sind immer feister
Ob das die Eltern sind
Und ihr Ordnungmußsein
Du möchtest wachsen
Doch sie kriegen dich klein
Dann träumst du von Wiesen
Und von Dingen, die weich sind
Währenddessen erzählen sie dir
Dass die Menschen nicht gleich sind
Und daß das wichtig ist
Dass man pariert
Ich habe – weiß Gott – schon bessere Texte von Konstatin Wecker gelesen. Und er selbst tritt konsequent der Haltung eines Jammerlappens entgegen, der für alle seine Versäumnisse, Irrtümer und Fehler immer nur die Anderen bemüht: die Lehrer, den Meister, die Eltern, die Regierenden!
Wir sind gemeint – erst recht unsere Generation der in den 50er und frühen 60er Jahren Geborenen. Lasst uns streiten über unsere Grundhaltung. Es würde mich nachhaltig erschüttern, wenn einer wie Konstantin Wecker daherkäme und mir sein biografisches Resümee als eine unendliche Folge von Behinderungen und Verhinderungen verkaufen würde. Konstantin Wecker würde sich einen Ast lachen, wenn jemand solche Erzählungen für sich reklamieren würde, die immer wieder darauf hinauslaufen, dass man ihn gehindert hätte, das zu tun und das zu sein und das zu werden, was er E I G E N T L I C H tun, sein und werden wollte.
In vielen Liedern ist Konstantin Wecker nicht müde geworden darauf hinzuweisen, wie er als Jugendlicher von zu Hause abgehauen ist, um Jahrzehnte später auch seinen Frieden mit seinen Eltern zu finden. Von ihm kann ich mir zu allerletzt vorstellen, dass er mir erzählt hätte, dass seine Eltern ihn (im übertragenen Sinne) erfolgreich „getreten haben“ oder „ihn (gar) klein gekriegt haben“, um eine Ausbildung zu beginnen, mit der er sich nicht identifiziert, dass sie gar seinen Weg als Singer- Songwriter hätten hintertreiben können oder dass sie womöglich ihm jene Frauen hätten ausreden können, die Mütter seiner Kinder oder auch nur Weggefährtinnen auf mehr oder weniger kurzen Wegstrecken geworden sind. Wecker wäre gewiss auch niemand gewesen, der gegen seine Überzeugung als Soldat gedient hätte – so jung und verrückt er vor mehr als fünfzig Jahren war.
Angesichts der Putinschen Aggression ermuntert uns Konstantin Wecker, uns „nicht kleinkriegen zu lassen“. Konstantin Wecker sei mein Zeuge. Diese Demokratie ist verteidigungswürdig gegenüber Despoten und Gewaltherrschern wie Putin. Ballt die Faust – organisiert Euch, schaut nicht hochmütig auf die Vielen, die in Parteien, Verbänden, Vereinen diese Gesellschaft hochhalten sie verteidigen, sie bereichern und mit Lebendigkeit versehen.
Wenn jemand weiter als Freund mit mir streiten will, erwarte ich zumindest, dass der Freund mir Antworten gibt auf die aufgeworfenen Fragen. Es kann doch nicht sein, dass Radikalpazifisten - um ihre Position zu bewahren - nur noch halbe Realitäten konstruieren. Wir sind uns alle einig: Wir wollen keinen Krieg!!! Die Ukraine will und wollte keinen Krieg!!! Frieden schaffen ohne Waffen kann nur im Einvernehmen und unter Billigung aller Völker und Mächte eine Perspektive sein. Davon müssen wir Wladimir Putin überzeugen!!! Bin ich jetzt der Idiot, wenn ich so etwas sage, erwarte, fordere? Ich weiß nur, auf mich hört Putin nicht! Es ist doch nicht wahr, dass die westlichen Regierungen - einschließlich des UN-Generalsekretärs Guterres - Putin keine Gesprächsbereitschaft gezeigt hätten. Bislang sehe ich nur einen kategorischen Verweigerer; jemanden, der widerrechtlich fremdes Staatsgebiet annektiert und besetzt hält und der gefälligst den status quo ante wieder herstellen soll - raus aus der Ukraine!!! Wer bist du denn Waldimir Putin, dass du glaubst ungestraft das Erbe Adolf Hitlers antreten zu können? Daher bin ich mir sicher, dass Wladimir Kara-Mursa, der in Moskau in Haft sitzt, recht behält mit seiner Prognose: "Das Regime Putin wird kollabieren" (ZEIT 37/22, S. 11).