<<Zurück

 
 
 
 

Die endgültige Trauerrede(n) für Lisa - meine Schwiegermutter - mit einer kleinen, aber gewichtigen Ergänzung (11.8.2020 - 5.45 Uhr)

Der letzte Wendepunkt - Zum Tod von Elisabeth Rothmund, unserer Mutter, Schwiegermutter, Oma und Uroma (11.8.20)

Der letzte Wendepunkt im Leben von Elisabeth Rothmund hat sich am 6. August in der Frühe um 9.00 Uhr vollzogen - in den Armen ihrer Tochter Claudia. Ich weiß, dass nicht jeder angesichts des Todes von einem letzten Wendepunkt sprechen würde. Ein alter Freund hat seine Todesanzeige selbst gestaltet und legte dabei Wert auf die Feststellung: „Ins nackte Dasein geworfen, gehen wir ins immerwährende Nichts."

In der Trauerrede auf meinen Freund habe ich Zweifel geäußert, ob man als noch Lebender dies so - wie eine Tatsache - in den Raum stellen kann. Über ein langes Leben bin ich zumindest selbst zu der Einsicht gelangt, dass uns Diesseitigen das Jenseitige ein Rätsel bleiben muss. Meine Schwiegermutter war da deutlich einen Schritt weiter!

Wenn wir gleich auf dem Friedhof Humperdincks Abendlied hören werden – in zwei Versionen, dann wird die Interpretation André Rieus mit einem Schlussakkord verklingen. Das ist genau die Stelle, an der die himmlischen Chöre übernehmen werden, die wir Diesseitigen noch nicht hören können.

In den letzten drei Jahren ihres Lebens im Seniorenzentrum Laubenhof - am südlichen Dorfrand von Güls - hat mir Lisa oft aus ihrem Leben erzählt, und Vieles davon habe ich aufgeschrieben.

Mir ist an dieser Stelle der Hinweis wichtig, dass Lisa mit Gewissheit nicht an Covid-19 gestorben ist; aber Covid-19 hat ihren Tod zweifellos maßgeblich beeinflusst. Wir haben von Anfang an des totalen lock-downs gespürt, wie gewaltig sich für sie der Einschnitt durch die viele Wochen währende totale Kontaktsperre in ganz besonderer Weise auswirken würde. Wir hatten uns - sie hatte uns nicht mehr!

In den letzten drei Jahren Ihres Laubenhofaufenthalts sind wir uns näher gekommen als jemals zuvor, weil die tägliche Zeit, die wir miteinander hatten - im Freien, in den Gärten des Laubenhofes und immer wieder im Café Laubenhof - nur ihr galt. So sind viele kleine Geschichten entstanden, die in den letzten Monaten den Spiegel bildeten, in dem sie sich immer wiedererkennen und betrachten konnte. Wir haben Briefe geschrieben und immer wieder ein noch von Leo zusammengestelltes Fotoalbum angesehen. Viele Fotos bildeten die Fenster in ein langes, 58 Jahre währendes gemeinsames Leben.

Drei Geschichten aus dem Leben Lisas möchte ich heute hier erzählen:

In diesen Geschichten wird nicht die Rede davon sein, dass Lisa eine excellente Tennisspielerin war, geschätzt und gefürchtet, raffiniert und ausgekocht bis zum ihrem 80sten Lebensjahr; es wird nicht die Rede davon sein, dass sie einen grünen Daumen hatte und so bis zu ihrem 90sten Geburtstag noch den Heyerberg im Griff hatte. Vielmehr soll die Rede sein von den Geschichten, die mehr und mehr die abschiedliche Perspektive der letzten Jahre widerspiegeln.

Die erste Geschichte geht so:

  • Lisa war das mittlere von sieben Geschwisterkindern - ein wenig zart und schwächlich, noch keine Vorstellung davon zulassend, mit welcher Ausdauer und Zähigkeit sie das Leben meistern sollte. Und wie erfolgreich und anerkannt sie bis in die siebziger Jahre ihren weit über Koblenz hinaus geschätzten Ruf als Schneidermeisterin begründen sollte. So abwechslungsreich und schmackhaft uns Lisa auch bekocht hat, in der Kindheit war sie nach eigenem Bekunden - was das Essen anging - schlauchigund wählerisch. Oft schmeckte ihr nicht, was die Mutter gekocht hatte. Sie erzählte, dass sie oft vor der Türe gesessen habe, wenn der Vater vom Feld nach Hause kam. Philipp - der Vater - früh verstorben, noch vor der Hochzeit Lisas mit Leo (1952) - sah seine Tochter dann mitleidig an (insgeheim wusste er schon, dass sein Lieselchen den Mittagstisch wieder verweigert hatte). Und zur Kirschenzeit im Juni und Juli stellte er ihr die rhetorische Frage: "Na, Liesel, hat es Dir heute Mittag nicht geschmeckt?" Und die kleine Liesel antwortete wahrheitsgemäß und Mitleid erweckend: "Nein, es hat mir nicht geschmeckt!" In dem, was nun folgt - begleitet durch das Leuchten ihrer Augen, auch noch nach weit mehr als 80 Jahren, entsteht das übergroße, leuchtende Bild ihres Papas - Philipp - als das eines überaus gütigen und liebevollen Vaters. Denn der griff dann in die Taschen seiner Jacke und reichte seinem Lieselchen zwei Hände voll dunkelroter, süßer Kirschen.
  • Der zweiten Geschichte würde Lisa den Titel geben: „Du sollst Vater und Mutter ehren“: Erscheint der Vater in seiner Güte und Liebe für seine Generation tatsächlich übergroß, so bewahrte Lisa auch ihrer eigenen Mutter ein ehrendes Andenken, indem sie immer wieder betonte, wie sehr sie ihre Mutter dafür liebte, dass sie ihren Papa Philipp geheiratet habe. Denn der hatte eine missgebildete Schulter, so dass er - vordergründig betrachtet - als Mann einen eher schweren Stand hatte. Lisa hat erzählt, dass sie dies selbst durch geschickten Schnitt und Aufpolstern der Schulter bei seiner feinen Ausgehjacke fast vollständig kaschieren konnte. So gilt - mittelbar - auch in der folgenden Geschichte wieder dem Vater das Hauptaugenmerk: Einmal, Lisa war bereits Schneidermeisterin und verdiente ihr eigenes Geld, war sie mit dem Vater in die Stadt gegangen. Nachdem alle Besorgungen erledigt waren, quälte sich Lisa mit der Idee, mit ihrem Papa in ein Café zu gehen - Kaffee zu trinken und vielleicht ein Stück Kuchen zu essen. Schließlich verwarf sie diesen Gedanken, weil sie befürchtete, ihr Papa habe kein Geld, oder zu wenig Geld dabei. Und einladen konnte sie den Papa nicht, ohne das Gefühl zu haben, ihn zu beschämen: "Wir sind dann mit der Straßenbahn nach Hause gefahren und haben daheim Kaffee getrunken."
  • Die dritte Geschichte steht bereits im Zeichen eines mehr und mehr nachlassenden Gedächtnisses. In ihren letzten Jahren hatte LisasKurzzeitgedächtnis – vor allem bezogen auf ihr Ehe- und Familienleben – sehr nachgelassen. Sie lebte in ihrer Welt, in der Claudia, Laura, Anne und ihr Schwiegersohn Josef ihren Platz behielten, in der ihr Ehemann Leo aber zunehmend verblasste. So antwortete sie stets zuverlässig und wie aus der Pistole geschossen, wenn man sie fragte, wo sie denn gewohnt habe: "Triererstraße 282!" Dort stand ihr Elternhaus, das sie schon mit Mitte zwanzig verlassen hatte. Dass sie mit Leo und ab 1956 mit Claudia insgesamt fast 17 im Pollenfeldweg gewohnt hat, dass sie ab 1967 bis 2015 auf dem Heyerberg gewohnt hat, spielte in ihren Erinnerungen keine Rolle mehr – es war ihr nicht mehr gegenwärtig. Aber sie konnte sich noch erinnern! So zum Beispiel, wenn man ihr einen kleinen Anstoß gab, was denn sie beide - sie und ihren Mann - auf ganz besondere Weise verbunden habe. Dann kam ein Leuchten in ihre Augen, wenn die Rede auf die vielen Urlaube und Kuren in Abano-Therme kam: Dort wurde nach dem Abendessen des öfteren zum Tanz aufgespielt. Dabei trug es sich zu, dass der Leo seine Lisa so elegant und beherzt über das Parkett führte, dass irgendwann alle anderen Tanzpaare an den Rand rückten, einen großen Kreis bildeten und den beiden auf offener Tanzfläche applaudierten. 

In den letzten Jahren hat Lisa, die lange Jahre im Metternicher Kirchenchor unter der Leitung des Chorleiters Eltz gesungen hat, im Chor des Laubenhofes und im Damenkränzchen immer wieder zum Gesang gefunden. Und auch wir haben gemeinsam gesungen, immer wieder - jenes Lied, das uns allen, insbesondere natürlich Laura und Anne, in Erinnerung bleibt und das uns gegenwärtig bleibt aus den Jahren, als Lisa auf ihre Enkeltöchter achtgegeben hat - die Omas sind die Besten:

"Kleine Möwe flieg nach Helgoland, bring dem Liebsten, den ich liebe einen Kuss. Ich bin einsam und verlassen, und ich sehne mich nach seinem Kuss."

In den letzten Monaten - vor Corona - und in den letzten Wochen haben wir mit Lisa ihre Geschwisterreihe – sie mittendrin - immer wieder erfolgreich in Erinnerung gerufen: Käthchen, Gretel, Ignaz, Häns, Änni und Rosel. Wir haben uns gemeinsam an ihre Eltern - Philipp und Anna - und an ihren Ehemann Leo erinnert. Wenn ich dann erzählt habe, dass die alle im Himmel beieinander sitzen und immer wieder den lieben Gott befragen, wo denn die Liesel bleibt, und der dann immer wieder geantwortet hat: "Die muss noch ein bisschen auf der Erde bleiben, und Ihr müsst alle noch ein wenig Geduld haben,  irgendwann kommt auch die Liesel", dann hat sie große Augen gemacht und wissend gelächelt.

Liebe Lisa, nun hast Du die 100 nicht geschafft und auch die 97 knapp verfehlt. Aber Du würdest mir ganz sicher zustimmen, wenn ich hier sage, dass Du ein erfülltes und reiches Leben gehabt hast; sogar Deinen Urenkel Leo hast Du noch in Deinen Armen gehalten.

Und mit Karl Jaspers möchte ich für Dich und uns alle hoffen:

"Wir sterben hin zu den geliebten Toten. Sie empfangen uns in ihrem Kreis. Nicht eine Leere des Nichts nimmt uns auf, sondern die Fülle des wahrhaft gelebten Lebens. Wir treten ein in einen von Liebe erfüllten, durch Wahrheit hellen Raum."

So hoffen wir und glauben, dass der letzte Wendepunkt in Deinem Leben Dich in diesen hellen Raum geführt hat und Deine Stimme nun die himmlischen Chöre bereichern wird.

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund