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Carl Schmitt - der Hasardeur: Was wir heute noch von ihm lernen können! Und was Eugen Kogon schon wusste

im Übrigen geschrieben vor den Ereignissen in Thüringen!

Holen wir etwas weiter aus - Teile dieses Beitrags sind in meinen Prosaphantasien zu Alexander Gauland bereits enthalten. Mir fällt allerdings auf, dass die gegenwärtige Auseinandersetzung um den parlamentarischen wie den außerparlamentarischen Rechstextremismus merkwürdig geschichtslos daher kommt. Ich habe mich bislang gewehrt gegen die konstruierten Parallelen zwischen Weimar und Bonn/Berlin. Inzwischen sehe ich die Sachlage differenzierter. Wenn ich mich im folgenden auf Carl Schmitt beziehe, dann geht es mir weniger um den fachlichen Rang eines - wie man möglicherweise zurecht feststellt - den Nazis nahestehenden Staatsrechtlers.

Nein, pardon, man sollte doch immer genauer hinschauen: Ich zitiere im folgenden eine Passage aus: "Sparring mit einem Hasardeur - Ausgerechnet der NS-Jurist Carl Schmitt hatte nach 1945 starken Einfluss auf Intellektuelle. Jetzt erscheint der Briefwechsel mit seinem Schüler Reinhart Koselleck, dem großen Historiker der Bundesrepublik" Alexander Cammann (ZEIT 52/19, S. 64):

"Der 1888 geborene Jurist hatte in den Zwanzigerjahren eine beeindruckende Karriere hingelegt; seine originellen, heute längst klassischen Schriften wurden leidenschaftlich diskutiert, der kleine katholische Aufsteiger war der brilliante rising star seiner Zunft und angemessen umstritten; für die Demokratie hatte er nur verächtlichen Hohn übrig. Schmitt versuchte 1932 den Siegeszug Hitler zu verhindern, indem er auf eine autoritäre Präsidialdiktatur hinarbeitete - um sich dann 1933 sofort auf die Seite der neuen Machthaber zu stellen. Seinen Antisemitismus nutzte er beim Säubern der Universitäten von jüdischen Kollegen intensiv und widerlich, auch für die eigene Karriere. Der Führer schützt das Recht: Sein berüchtigter Text von 1934 nach den staatlichen Morden  im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches wurde zum Symbol eines von der Diktatur korrumpierten Rechtsdenkens (wobei man bei genauer Lektüre ambivalente Intentionen Schmitts entdecken kann)."

Was mir ins Auge springt - und was jedem ins Auge springen muss - ist die Tatsache, dass Carl Schmitt in seinen Ausführungen zum "Begriff des Politischen" exakt das formuliert, was sich die Nazis und ihre Epigonen auch heute wieder zu eigen machen.

Carl Schmitt steht mit seiner Begriffsbestimmung des Politischen diamentral einem Politikbegriff gegenüber, wie er beispielsweise von Enst Fraenkel in den 50er Jahren ausgearbeitet wurde. In der Analyse vor allem außenpolitischer Konflikte spricht sehr viel dafür, dass Carl Schmitt mit seinen scharfsinnigen Analysen auch heute noch präzise das Handeln eines Donald Trump, eines Wladimir Wladimirowitsch Putin, eines Recep Tayyip Erdoğan, eines Baschar Hafiz al-Assad und so vieler anderer eher zu erklären vermag als es mit westlichen demokratietheoretischen Konzepten möglich erscheint. Bei Eugen Kogon, der einen ersten Bericht zum System der Konzentrationslager bereits im Dezember 1945 vorlegte und der unter dem Titel "Der SS-Staat" dann in Buch-Form erschien, können wir in deutlicher Wahrnehmung der Schmittschen Leitunterscheidungen nachlesen, was diese Schmittchen Wesensbestimmungen des Politischen in praxi bedeuten. Niemand - kein Björn Höcke, kein Alexander Gauland keiner der vielen namenlosen darf ungestraft die Grenze verwischen, die über unser Grundgesetz und unsere Rechstsordnung klar und eindeutig gezogen ist. Die Tatsache, dass auch AfDler diese Grenze permanent überschreiten und verwischen muss vom Souverän abgestraft werden: Keine einzige Stimme denjenigen, die sich weigern, aus der Geschichte zu lernen!

Ich schiebe hier eine kurze Sequenz ein, mit der ich Thomas Assheuer das Wort gebe. Er schließt seinen Beitrag "Kampf gegen die neue Rechte? Auf die Konservativen kommt es an" (ZEIT 8/20, S. 54) mit einem interessanten Hinweis ab und führt den Begriff der "Resakralisierung des Staates" ein (hierzu liefert Carl Schmitt mit seiner Begriffsbestimmung des Politischen, um die es in der Folge geht, die Theorie. Eine überaus lesenswerte kritische Analyse findet sich in Zygmunt Baumans Erörterungen zum "kategorialen Mord"): "Welche Konsequenzen es hat, kann man in Ungarn studieren. Auch Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident, feiert den Staat als heilige Größe, und kein Gericht, kein Journalist, kein aufsässiger Künstler darf von ihm Rechenschaft verlangen, ihn angreifen oder gar kontrollieren wollen. Der heilige Staat bestimmt, wer Freund ist und wer Feind."

Miriam Lau hat mir den Gefallen getan, einmal in einem kurzen Artikel ("Als hätten sie schon die Macht") in der ZEIT (2/2020, S. 3) die Veränderungen der politischen Kultur innerhalb des Parlaments zu thematisieren. Und plötzlich macht ein Goebbels-Zitat aus dem Jahre 1928 die Runde, als der NSDAP-Politiker folgendes vernehmen ließen:

"Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen (...) Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrtkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir."

Vorweg: Miriam Laus Artikel kommt leider daher wie sehr dünnes Bier. Gleichwohl bestätigt er, dass es einfach zu billig ist, Gauland und Konsorten als Drecksäue zu bezeichnen. Und sehr viel wesentlicher wird es sein, wie mehr oder weniger belämmert wir - die Schafherde - sich in den nächsten Wahlrunden und grundsätzlich verhalten wird. Dazu benötigen wir eine gute Portion Starkbier.

"Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir."

Zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts - auch gegen Ende der 20er Jahre, also 1928, haben das nicht alle wirklich ernst genommen, viele haben es schlicht zu leicht genommen. Wenn dieses Zitat schon unter den Bundestagsabgeordneten kursiert, und wenn Gauland, Höcke oder jener Stephan Brandner den Delegierten auf dem jüngsten AfD-Parteitag offenkundig nach dem Verlust des Vorsitzes des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag zugerufen hat: "Jetzt bin ich von der Kette gelassen", wenn diese und andere also keine Gelegenheit auslassen, zu betonen, dass man sie jagen werde, dass man sich die deutsche Geschichte zurückholen werde - wenn dies so ist, wenn also Begriffe - wie Jürgen Habermas sagt -  aus dem Wörterbuch des Unmenschen, wie Volksverräterentartete Politik oder Umvolkung bzw. des Völkischen wieder hoffähig gemacht werden, dann ist es an der Zeit sich zu besinnen und einmal zu schauen, wie denn der binäre Code von

Freund - Feind

theoretisch begründet und praktisch angewandt worden ist: Carl Schmitt führt dazu in seiner 1932 veröffentlichten und 1963 nachgedruckten Schrift "Der Begriff des Politischen" (Berlin, 7. Auflage 2002 - 5. Nachdruck d. Ausg. v. 1963) folgendes aus (alle Hervorhebungen - Fettdruck durch mich):

"Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststelllung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muß deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann. Nehmen wir an, daß auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Häßlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder beispielsweise Rentabel und Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen anderen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabhängige, selbständige und als solche ohne weiteres eineleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht (S. 26)?"

Carl Schmitt nimmt nun eine Unterscheidung vor, die fortan sein gesamtes staats- und gesellschaftspolitisches Koordinatensystem dominiert:

"Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von

Freund und Feind (S. 26)."

Carl Schmitt präzisiert im Folgenden die angebotene Definition mit äußerster Schärfe:

"Wenn der Gegensatz von Gut und Böse nicht ohne weiteres und einfach mit dem von Schön  und Häßlich oder Nützlich und Schädlich identisch ist und nicht unmittelbar auf ihn reduziert werden darf, so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegensätze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen [...] Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene Normierung, noch durch den Spruch eines 'unbeteiligten' und daher 'unparteiischen Dritten entschieden werden könnten (S. 27)."

Carl Schmitt geht es um eine "der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht" (S. 29). Wenn wir nun noch lesen, dass die Begriffe Freund und Feind in ihrem "konkreten, existentiellen Sinn" zu nehmen sind und nicht als "Methaphern oder Symbole", dass sie "nicht vermischt und abgeschwächt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen", dann gelangen wir quasi-automatisch und zwangsläufig zu der aberwitzigen von Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Posener Geheimrede vom Oktober 1943 vor 200 NS-Würdenträgern geäußerten Auffassung:

„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

Wir begreifen auch dann erst, dass Himmler und all seine Gesinnungsgenossen ein Legalitätsprinzip für sich reklamiert haben, das von ihnen in seinen absolut menschenverachtenden und menschenvernichtenden Konsequenzen niemals infragegestellt wurde. Die "Radbruchsche Formel" und die kontrovers diskutierten Auswirkungen des im GG verankerten Rückwirkungsverbots bilden bis heute den Rahmen, in dem gestritten wird über den singulären Charakter der Nazi-Verbrechen.

Carl Schmitt meint, was er sagt, denn:

"Der politische Gegensatz ist der intensivste und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist um so politischer, je mehr sie sich dem äußersten Punkte, der Freund-Feindgruppierung, nähert (S. 30)."

Es mag sein, dass Carl Schmitt 1932 sicherlich nicht wirklich gesehen hat, wohin diese Begriffsbestimmung des Politischen führen sollte. Genau diese Annahme muss uns warnen vor Blauäugigkeit und dem Versuch eine antidemokratische Grundhaltung demokratisch einzuhegen. Es wird zu überlegen sein, wie man sich die Schmittsche Zuspitzung des Politischen zu Eigen machen muss, wenn Antidemokraten - Feinde der Demokratie - demokratische Verfahren nutzen, um Ämter und Einfluss, schlicht Macht zu gewinnen. Die Absetzung Brandners stimmt in dieser Hinsicht durchaus zuversichtlich und Miriam Laus laue Darstellung des parlamentarischen Schulterschlusses diesseits der AfD ist ein Zeichen - aber nur solange es sich die CDU/CSU untersagt auch nur über den Hauch einer Kooperation mit der AfD nachzudenken.

Conclusio - cum ira et studio

Zumindest Wolfgang Klafki (im aufgerufenen Link Kapitel 3) zeigt uns in seinen Ausführungen einmal exemplarisch, wie man aus den sozialisationsbedingten Verstrickungen in die Nazi-Ideologie einen respektablen Weg findet. Auch wir - zumindest die große Überzahl - der in den 60er und 70er Jahren politisch Sozialisierten hat sich radikal von der Schmittschen Begriffsbestimmung des Politischen distanzieren können - mit Ernst Fraenkel, Karl Popper, Ralf Dahrendorf, Jürgen Habermas, schlicht mit den Vätern und Müttern des Grundgesetzes, übrigens auch mit Niklas Luhmann, bei dem der binäre Code des Politischen auf die verfahrensmäßig regulierte Frage hinausläuft Ämter innezuhaben oder eben nicht. Letzteres wird nicht reichen, wenn es um die Frage geht, ob man den (erklärten) Feinden der Demokratie zugesteht auf legalem Wege Ämter zu beanspruchen mit dem Anspruch demokratische Verfahrensweisen in Frage zu stellen. Es geht hier um die Gratwanderung, die Schmittsche Typologisierung auf die Feinde der Demokratie anzuwenden. Ich weiß, wir können uns hier keine Anleihe bei Sus Scofra gestatten: Die Überlebensgarantie des Wildschweins - wir erinnern uns - hängt zentral zusammen mit dem Suhlen im Schlamm, dem damit möglichen Einhegen der Parasiten und ihrer Entledigung durch das Scheuern an den sogenannten Malbäumen. Aber als Metapher und symbolische Geste darf eine solche Phantasie doch wohl noch gestattet sein.

Aber was kann uns noch helfen - als Souverän - jeden, aber auch jeden Versuch der Grenzverschiebung im Gebrauch der (politischen) Sprache radikal zu ahnden:

Keine Stimme der AfD!

Auf Seite 25 der Taschenbuchausgabe zu Eugen Kogons: Der SS-Staat - Das System der deutschen Konzentrationslager", 42. Aufl., München 1974 findet sich auf den Seiten 24-26 folgende Passage:

"Von vorneherein zu trennen ist der Terror von den Beweggründen und den Zielen des Terroristen. Er ist als Gewaltmethode, die das Recht bricht, in sich schlecht. Und er korrumpiert, ja vernichtet selbst ideale Beweggründe und Ziele [...] Es ist bezeichnend, dass der Terrorist, der zur Herrschaft gelangen oder seine Herrschaft aufrechterhalten will, nich bestimmte Stärken, sondern bestimmte Schwächen der menschlichen Natur ins Auge fasst. Zwei dieser Voraussetzungen sind ihm dabei von ausschlaggebender Bedeutung: eine individual- und eine sozialpsychologische.

Der Mensch hält einem Ausnahmezustand seines Daseins, wenn er plötzlich, radikal und nachhaltig in ihn versetzt wird, nur selten stand. Er vermag in solchen Fällen die spezifischen Abwehr- und Überwindungskräfte, die er seiner Anlage nach besitzt, kaum zu entfalten. Schrecken lähmt die Reaktionsfähigkeit des Verstandes. Wirkt der Schrecken total, so treibt die totale Angst vor tiefgreifender Benachteiligung das Vorstellungsvermögen mit einem Schlag in eine Blendperspektive, in der die Folgen wie eine reale Kettenreaktion sich häufen: Achtungsverlust, gesellschaftliche Beeinträchtigung, gefürchtete physische Übel wie Schmerz bis zur Existenzvernichtung erzeugen einen Panikzustand, in dem die Person von einem Gefühlschaos überschwemmt wird, das sich durch physiologische Begleiterscheinungen noch verschärft [...] Schrecken macht den durchschnittlichen Menschen hilflos und überwältigt oft auch starke Persönlichkeiten für kürzere oder längere Zeitspannen, in denen dann erst das eigentliche Verhältnis von Überlegenheit und Unterlegenheit geschaffen wird.

Die zweite Voraussetzung ist die Erfahrung, dass Massen auf unbeschränkte Gewaltanwendung, sei sie vorübergehend, sei sie von Dauer, durchaus nicht einheitlich, keineswegs allgemein ablehnend, sondern je nach Interessenlage verschieden reagieren. Wie rasch das Interesse erkannt wird, hängt von dem Zustand ab, in dem sich eine Masse zum Zeitpunkt des Eintritts des den Schrecken erzeugenden Ereignisses befindet, selbstveständlich auch von seiner Heftigkeit und vom besonderen Erscheinungsbild. Sowohl bei einem plötzlichen Brandalarm im Theater als auch bei einer Überfallsattacke auf der Straße ist die Lähmung des einzelnen in der Masse im allgemeinen geringer und partieller als in der isolierten Begegnung, weil das Kollektiv immer noch ein Gefühl von Geborgenheit, wenn auch möglicherweise nur mehr einen Rest davon, gewährt. Das geht ja so weit, dass bei gewissen Schreckensereignissen der einzelne in das Kollektiv geradezu flüchtet, und wäre es bloß in Gedanken: der Bürger zm Beispiel, der zu Hause beim Mittagessen durch den Lautsprecher von einer nichtbürgerlichen Revolutionsverkündung überrascht wird, der Arbeiter, der von einem reaktionären Staatsstreich erfährt. Der individuelle Belebungstrieb erhält inmitten der Massenstockung und Massendesorientierung Spielraum, um Anschluss an die Bewahrung, vielleicht sogar, bei gesellschaftlich-politischen Schreckensvorgängen, an die den Terror ausübende Gruppe zu finden. Das an irgendwelchen Zeichen erkenntlich werdende Ziel des Terrors zersetzt die Objektgleichheit der Masse und teilt sie: in Opfer und Anhänger des Terrors.

Diese psychologischen Tatbestände sind für die Errichtung, für die Aufrechterhaltung und für die Überwindung eines Terror-Regimes von Bedeutung."

Die nun folgender Passage ist von entscheidender Bedeutung bei der realistischen Einschätzung der ideologischen Argumentationsgrundlagen vieler AfD-Akteure:

"Die ideele Grundlage, von der der Terror seinen Ausgang nimmt, ist die Leugnung oder die Relativierung jener Rechte, die wir aus dem Wesen und den Aufgaben des Menschen selbst herleiten. Sie kann, wie bereits angedeutet, prinzipielle sein. Wer eine monarchische oder cäsarische Despotie anstrebt, würde in der Anwendung terroristischer Mittel behindert, wenn er Autorität und Freiheit, die beiden Seiten eines und desselben Grundrechtes, auch nur irgendeines anderen Menschen anerkennen wollte. Außer dem Despoten und all jenen, auf die er als seine Werkzeuge die vermeintlich absolute Verfügungsgewalt überträgt, besitzt niemand Rechte aus sich oder aus dem ihm zustehenden Sachbereich. Wer aber das Gesetz der niederen Natur vom 'Kampf ums Dasein' auch in der menschlichen Gesellschaft und ihren Ordnungen für gültig hält, muss jede Art von Recht zu einer Ausdrucksform der Freund-Feind-Theorie relativieren, die es ihm erlaubt, selbst die gemeinsten Mittel der Gewalt für gerechtfertigt anzusehen, sofern sie ihm in einem gegebenen Fall besser angebracht erscheinen als List, Überredung und jeder andere Versuch, Oberhand zu gewinnen. Denn die Meinung, es sei ein 'Naturgesetz' auch der menschlichen Gemeinschaft, dass der Tüchtigste, der Stärkste schließlich sogar der Gewalttätigste überlebe und überleben solle, da er allein zur Herrschaft berufen sei, heiligt von solchem Zweck her selbstverständlich den Rechstsbruch."

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund