Die Kraft der Einsicht und die Kraft der Zuversicht
Mosaiksteine einer lebenslaufbezogenen Familienrekonstruktion
(zu den erwähnten Autoren finden sich am Ende der Aufzeichnungen die notwendigen bibliografischen Verweise - in Vorbereitung)
Einleitung:
Wir sind uns selbst nicht komplett ausgeliefert? Alard von Kittlitz (Vielleicht motiviert das schon mal: Wir sind uns selbst nicht komplett ausgeliefert, in: ZEIT 7/21) fragt: Woher nehmen wir die Zuversicht? Er spricht mit verschiedenen Menschen und befragt sie. Er kommt zu dem Ergebnis: „So unterschiedlich ihre Geschichten auch sind, am Ende ist ihnen eine fundamentale Erkenntnis gemein: Ohne ein realistisches Bild von uns selbst und von der Wirklichkeit, in der wir uns befinden, sind wir verloren. Wir können nicht wissen, wohin wir wollen, wir können nicht wissen, wie wir irgendwohin kommen, wir werden vor Frustration stehen bleiben.“ Zuletzt befragt Alard von Kittlitz Schwester Ursula. Sie lebt im Kloster Arenberg bei Koblenz. Mit ihr erörtert er die Haltung des „Wirklichkeitsgehorsams“. Es geht um den aktuellen Lockdown. Es geht darum, dass der gewohnte Rhythmus radikal ausgesetzt ist. Auf die Unterstellung von Kittlitz‘, im Kloster herrsche doch „sowieso Lockdown ohne Ende“, antwortet sie zunächst, dass die Arenberger ein großes Gästehaus unterhalten für Menschen, die Ruhe suchten oder Ruhe brauchten. Nun aber könnten seit Monaten keine Gäste kommen und sie lebten von ihren Ersparnissen. Da sei es leicht, in eine Endzeitstimmung zu verfallen. Sie versuche mit der Situation zurechtzukommen, indem sie sich in einer Praxis übe, die sie als „Wirklichkeitsgehorsam“ bezeichne: „Ich muss immer wieder neu lernen, die Wirklichkeit zu akzeptieren, statt zu sagen: Das darf nicht sein. Es ist ein furchtbar aufreibender Prozess, etwas nicht wahrhaben zu wollen. Eine Wirklichkeit zu verleugnen, davor davonzulaufen: Das ist letztlich tödlich. Siehe die Corona-Leugner.“
Und im politischen Fragebogen der gleichen Ausgabe auf Seite 54 antwortet Delphine Horvilleur auf die erste Frage: „Welches Tier ist das politischste?“ – „Der Mensch. Die Tatsache, dass die Menschheit an Geschichten glaubt und die Welt durch Geschichten erfährt, die zugleich ihre Verletzlichkeit und ihre Stärke zeigen, macht uns zu sehr politischen Wesen.“
Ich widme die folgende(n) Geschichte(n) meiner Frau, der Mutter meiner Kinder, ohne die die Gegenwart eine völlig andere wäre, ohne die schon die Vergangenheit eine sehr viel ärmere wäre, und ohne die die Zukunft weniger verlockend wäre – auch wenn sie meint, wir alle hätten doch überhaupt nichts Besonderes zu erzählen. Ich glaube an unsere Geschichten, und ich weiß, dass unser Weltverständnis ohne diese Geschichten ein anderes wäre. Sie zeigen zugleich unsere Verletzlichkeit, unsere Schwächen und unsere Stärken. Das ist letztlich auch der Grund, warum ich der Auffassung bin – so wie einst mein Neffe –, dass unsere Nachkommen sich vielleicht dafür interessieren könnten.