<<Zurück

 
 
 
 

Peter Sloterdijk - ein Tröster, dem Bescheidenheit zuwächst!?

für jemanden, der heute einen runden Geburtstag begeht - ein paar sympathiegeschuldete Impressionen mit der Hilfe von Thomas E. Schmidt (ZEIT 47/23)

"Mon dieu, als ich noch alles wußte, da war ich ein ziemlich laut tönendes Erz und eine überklug klingende Schelle." Thomas E. Schmidt, der seine Besprechung des dritten Bandes von Zeilen Tage von Peter Sloterdijk (Suhrkamp - Berlin 2023) mit Der alternde Zarathustra überschreibt, wählt aus der Vielzahl und Vielgestaltigkeit des Zitierbaren u.a. diese - Bescheidenheit und Einsicht in die eigenen Grenzen signalisierende - Fundstelle aus den auf 583 Seiten zusammengestellten Tagebuchnotizen aus. Möglicherweise neigte ich, der seine eigenen Überlegungen mit einem überreichen Zitaten- und Fundstellenschatz aus den Sloterdijkschen mäandernden Absonderungen unterfüttert, auch zu der Unterstellung, "dass Peter Sloterdijk von seiner Position aus klarer sehe, schon indem er mutiger erschien".

Möglicherweise würde Peter Sloterdijk nunmehr jene Haltung auch für sich reklamieren, die er in seiner Totenrede auf Niklas Luhmann als (dessen) Haltung der Selbst-Desinteressierung beschrieb und seinerzeit noch als "schmerzhaftes Opfer" anerkannte. Beide waren ja schon längst an dem Punkt angelangt, von dem in Zeilen und Tage III nur noch zu lesen ist:

"Es ist an der Zeit, sich von der Laternenanzünder- und Elektriker-Metapher >Aufklärung< zu verabschieden."

Gleichwohl beziehe ich nach wie vor einen wesentlichen Antrieb meiner (noch) nicht nachlassenden Sucht nach dem geschriebenen Wort (kontextbewusste Selbst-Reflexion als zivilisierendes Element) aus dem, was Thomas E. Schmidt als roten philosophischen Faden in Sloterdijks Gesamtwerk zu erkennen glaubt:

"Er (dieser rote Faden, Anm. FJWR) besteht in dem Gedanken der Natalität. Das Motiv menschlicher Geburtlichkeit tritt hier noch einmal deutlich hervor, da der Tod langsam näher rückt. Es bleibt beim Widerwillen gegen die idealistische Tradition eines sich selbst setzenden und darin festen Grund findenden Ichs. Der Mensch, erwidert Sloterdijk, komme heillos zufällig auf die Welt, gewissermaßen ohne Berechtigung, und er könne die Lücke seiner Grundlosigkeit nachträglich nicht schließen. Der Schauplatz des Existierens ist dann die je eigene Lebenswelt. In Die schrecklichen Kinder der Neuzeit (2014) malte er aus, was das Fehlen von Genealogie für Geschichte und Gesellschaft bedeutet. Und wenn dieses Leben keine zureichende Legitimation besitzt (>Neues vom nackten Daß: Jeder spürt, es gibt keine Regel, die sein Dasein erklärt. Das Zufällige ist dem Notwendigen immer ein paar Schritte voraus<) fällt dem Einzelnen zwangsläufig eine ungeheure, potenziell auch ruinöse Freiheit zu: >Frei ist, wer nie zum Sklaven des Angeborenen und Vorgefundenen wurde, auch nicht seiner geerbten Eigenschaften.< So muss sich das Ich ausleben, und sein Leib führt im Ich Regie; nicht allein die Reflexion zivilisiert es. Also leitet die Natur den Geist an, nicht umgekehrt, auf Philosophisch: Schelling statt Hegel. Wie man mit einem schwachen Begriff von Subjekt zu einer starken Individualität gelangen könne, war immer Sloterdijks Problem gewesen. Und >stark< heißt dann: Das Ich bedarf einer Lebenskunstlehre, es soll sich aufhellen und kultivieren...."

Ein Letztes - bezogen auf Schmidts Würdigung der Sloterdijkschen Anregungen. Gelassenheit - entdeckt Schmidt in Zeilen und Tage III - werde gefunden, nicht eingeübt und:

"Wer mitliest, kann auch etwas über sich als Denkenden erfahren, denn Sloterdijk zeigt, dass Haltungen und Gedanken nicht dieselben bleiben, sondern in der Zeit ihre Färbung ändern oder welken. Auch Wahrheit altert, genau wie man selbst."

Und noch eines nehme ich als Tagebuchschreiber mit - mit dem gewaltigen Unterschied, dass Peter Sloterdijk eben weiß, wo er seine Nachrichten deponieren muss, damit sie anderen zugänglich werden (das aber wiederum muss man ja nicht nur können, sondern auch wollen!):

"Das Tagebuch: Klagemauer für Leute, die nicht wissen, wo sonst sie die Nachricht deponieren können, der Tag sei wieder eine Zumutung gewesen."

Und seine wertschätzende Einordnung des Tagebuches erfolgt dementsprechend meinerseits um so viel diskreter: "Auch eine Hochzeit: Mit dem Notizbuch zusammen, in guten wie in schlechten Tagen."

Dem Jubilar wünsche ich im Reizklima des Nordens gute Tage Zuversicht und die ihm eigene Tapferkeit in schlechten Tagen.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.