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Weitere Mosaiksteinchen zum lyrischen Klärwerk

Das lyrische Klärwerk ist ein Ort unerschöpflicher Absonderungen - solchen, die der Schäbigkeit der Zeit geschuldet sind, sozusagen putinesken Zuschnitts; andere kommen daher als Geschenke, die sowohl der Daseinsgestaltung als auch der Daseinsbewältigung dienen. Schon 2003 erschien mir das Leben als Klang - Klang in all seinen beflügelnden wie lähmenden Ausprägungen. Seither ziehn sie in die Welt, und ich rufe ihnen hinterher:

So zieht nun in die Welt!

Ihr seid mir alle Zeit so nah.
Ich habe euch geboren,
wie immer das geschah,
nun seid ihr auserkoren:

Ihr leuchtet wie die Sonne,
glänzt in der Wörterwelt,
seid leicht, wie reine Wonne,
so licht wie ein Gedankenzelt.

Und doch tu ich mich schwer,
hab jedes Wort gewogen,
so häufig liegt ihr quer,
hab euch gezerrt, gebogen.

So zieht nun in die Welt,
der Wahrheit bleibet fern.
Wahrhaftigkeit die zählt -
sie ist ein heller Stern.

In seiner Aura kann man lesen,
sich selber neu erfinden,
ahnen, was gewesen
und neue Ziele finden.

Genießt der Menschen Huld,
und schießt ihr über's Ziel
so übt euch in Geduld.
Wir spielen dann ein neues Spiel.

Wir spielen nie alleine,
am Du wächst jedes Ich.
Die Quelle, die ich meine,
nährt alle, dich und mich.


Damals war ich eben erst 51 Jahre alt - inzwischen wachse ich ins 74ste. Unsere Kinder waren schon geboren, die Nichten ebenso. Der Bruder war verloren - und unbedarft war früher mal; ein weinig vielleicht noch als mir Die Mohnfrau begegnete. Heute kommt's crossover und zuweilen mag Sentiment überwiegen - zwei Kostproben, die dies bezeugen mögen:

Crossover - Lass uns einen Kaffee trinken
Oder: Am Ende der Geschichte?

Lass uns einen Kaffee trinken -
weder heiß noch kalt,
hüten wir uns zu versinken,
als gäb es einen Halt.

Schweigen wir gemeinsam,
reden über alles und vor allem Nichts.
Verschweigen wir, wie einsam
alle bleiben im Leben des Verzichts.

Aber immerhin lockt Frieden,
wenn auch nicht Verzeihen.
Wir alle sind verschieden
und keiner schließt die Reihen.

Kränkung gründet tief im Schmerz;
Sie schwingt sich auf zur Seelensprache.
Wortlos, stumm spricht jetzt das Herz,
bleibt ohne Wiederhall in öder Brache.

Alles, was wir immer wussten
hilft nun nicht weiter.
Sehnsucht kümmert unter Krusten
am Ende unsrer Lebensleiter.

Unerhört bleibt alles Unerhörte.
Der Seelenhumus zu Beginn,
der alles Schlichte unerhört betörte
gab unserm Anfang höchsten Sinn.

In ihm gedieh und glomm die Wärme.
Wer kam, war immer auch geborgen.
Im Tierreich sorgen dafür Schwärme.
Und Sorgen wähnten wir weit weg im Morgen.

Nun ist die Glut in uns verglommen;
Doch Hitze ist noch da – auch Wut,
das  Miteinander ist verkommen,
die Drift macht einsam – nimmt den Mut.

Und wer nun meint:
Das kann's doch nicht gewesen sein,
der wirkt, als wäre er verstaubt;
ein kaltes Herz schlägt nah am Stein.

Ach, hör doch auf mit deinem Grämen!
Und hör die Rufe aus der Gruft.
Wofür soll man sich schämen,
wenn allen fehlt die Luft?

Probleme gibt es nicht! (sagt wer?)
Nur Lösungen, wie alle wissen -
selbst wenn der Preis liegt im Verzicht,
ein jeder schau auf sein Gewissen!

Gewissen? Das ist ÜBER-ICH!
In dieser Welt da ist’s – (da wird) beschissen!
Gräm nicht Dich und auch nicht mich!
Pflück den Tag – und bleib beflissen!

Endzeit ruft uns auf den Plan,
denn Recht hat nur der Starke.
„Das hatten wir schon mal!“ (So ruft der Ahn!)
Und tausend braune Jahre bleiben eine Marke!!!

 

Ist das individuelle Sein einst naher Menschen zu Ende - und mit meinen inzwischen 73 Jahren habe ich viele schon gehen sehen (und der eigene Absprung ist nicht weit) - bleibt man zurück, entsinnt sich und macht sich seine Gedanken - oder die Gedanken machen einen bzw. machen, was sie wollen!? Aber auch in dieser finalen Lebensphase lasse ich mir von Wilhelm Schmid sagen:

"Die Begrenztheit des Lebens ist das finale Argument dafür, das eigene Leben nicht im bloßen Möglickkeitsraum zu belassen,
sondern als Element seiner Gestaltung zu verstehen.
"

Und dann lasse ich mich beschenken - heute und hier mit

Bergende Hände

Wo Seelentatoos sind, soll Sprache werden?!
Wer findet denn sein Heil im Wort?
Seelen finden manchmal einen Ort,
um doch noch heil zu werden hier auf Erden.

Wo Zeit und Dummheit Wunden schlugen,
man sich begreift als armer Dieb,
wo alle sich zuletzt nur noch ertrugen,
da bleiben Lippen stumm: Ich hab dich lieb!

Dort nähern Menschen sich im besten Fall
auf schlichten, unverhofften Wegen -
kein Jubilieren, kein Schallmeien-Schall
begleiten uns auf schmalen Stegen.

Wir mir - der Winter fünfzig schon im Rücken
die erste Frau - mit heiler Seele endlich -
nahm versöhnlich meine Krücken (an einer Fleischertheke).
So nahm ein naher Mensch aus freien Stücken

die Hände seiner ersten Frau -
und öffnet endlich jenes Tor,
das löst den übergroßen Stau.
So öffnen beide ihre Seele und ihr Ohr.

Vor der Dekade war es seine Frau,
die an der Brüder Mutter Grab
entsagt dem lähmend-tristen Grau.
Sie brach fortan nicht mehr den Stab.

Zehn Jahre mussten beide warten,
der Winter viele schon im Rücken,
blüht zart und klein ein Garten,
und beide gehen ohne Krücken.

Nun können beide sehn: Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen lachenden Munds,
wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen mitten in uns. (Rilke)

Doch sind sie noch nicht tot (das gilt nur noch für eine) -
Sie sehen nur die Schwelle (über die der eine nun schon ging) -
Und Wegelichter künden schon von ROT (und leuchten auf des Grabes Stein),
wo seichte Brandung bricht die letzte Welle.

Die Schritte sind getan (gewiss war es schon spät).
Der Weg weist nun den Frieden,
und beide konnten sehn: wer sät
Vesöhnung und Verzeihen, dem ist der Friede wohl beschieden.

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund