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Sonett für Mascha Kaléko

Denk ich der Tage, die vergangen sind,
Und all des Lichtes, das aus uns strahlte,
Da Zuversicht und Glaube Bilder malte,
Und aus goldnen Fäden unsere Zukunft spinnt.

Denk ich, wie Träume damals in uns ras(t)en,
Wie wir im Rausch entwarfen unser Land
Ganz zielgewiss mit starker Hand,
Das Land, zu dem die Braunen immer schon den Weg vergaßen.

Lasst uns als Wächter stehen vor den Toren
Und ringen wir um das, was falsch ist und was wahr.
Blau sei nur der Himmel, vertreiben wir die braune Schar;
Damit das Licht, das Licht in uns nicht geht verloren.

Nicht nur im Traume soll es glühn und funkeln.
Kein brauner Sumpf soll unsern Horizont verdunkeln.


Horst Krüger leitet den dtv-Band: Mascha Kaléko - Die paar leuchtenden Jahre (München 2003) mit eigenen Erinnerungen ein: Meine Tage mit Mascha Kaléko. Auf 366 Seiten vereinigt diese Veröffentlichung Texte von Mascha Kaléko. Im kurzen Vorwort von Gisela Zoch-Westphal verwendet sie den Begriff der Gebrauchslyrik: "Als solche wurden Mascha Kalékos Gedichte hier und da etwas von oben herab abgestempelt. Gebrauchslyrik - einverstanden. Ich brauche sie - zum Leben. Meine eigene geplante Veröffentlichung - Das lyrische Klärwerk - wird die Gattung der von Erich Kästner und Mascha Kaléko begründeten Gebrauchslyrik in alten und neuen Kontexten wiederbeleben. Aber zurück zu Horst Krüger. Im Frühherbst 1974 verbringt er mit Mascha Kaléko "drei ruhelose Tage, unvergeßlich". Aus seinen Erinnerungen gebe ich folgende Eindrücke wieder:

"Vergangenheit und Zukunftshoffnung schoben sich ineinander. Warb ich nicht mit der Stadt um sie? Wollte ich nicht eigentlich sagen: Komm wieder, kehr hierher zurück? Sieh es dir an - das ist doch der Ort deines Ursprungs. Was irrst du herum in Amerika? Was willst du jetzt allein in Jerusalem? Berlin ist für solche Heimatlosen und Weltwanderer wie geschaffen. Zum Schluß soll man immer heimkehren, nicht wahr? Heimkehr - es gibt keine Heimkehr für dich? Doch, es gibt sie, beharrte ich immer. Wo wir Kindheit und Jugend spüren, wo ein paar Menschen uns mögen, wo wir vertraute Geräusche hören, die uns beruhigen, zum Beispiel Nachts das Singen der S-Bahn: Da ist man nicht fremd. Da ist man zu Hause. Waren meine Werbungen zu direkt, zu plump? Mascha jedenfalls ließ sich auf so einfache Weise nicht einfangen. Es blieb etwas Schwebendes und Unentschiedenes um sie. Sie stand jeden Morgen pünktlich um zehn in der Bleibtreustraße in ihrer Hotelhalle: zierlich, graziös, etwas umdunkelt. Ein schönes Nachtschattengewächs mit Morgenstörungen. Wie ich das kannte! Sie hatte immer schlecht geschlafen, aber ließ es sich nicht anmerken. Sie fand immer ein freundliches Wort, eine Geste der Aufmunterung: Nun laß uns den Tag beginnen, trotz allem. Was soll's? Sie muß damals schon schwer krank gewesen sein, immerhín waren es nur vier Monate vor ihrem Tod, aber sie wirkte nicht krank, nicht einmal leidend. Sie wirkte damals sehr allein auf der Welt. Ich sage nicht einsam, sondern allein, abgesondert, zu Hause und doch nicht zu Hause. Sie hatte manchmal etwas von einem ratlosen Kind das sich verlaufen hat. Träume ich? Wache ich? Ist dies mein Ort? Wohin denn ich?"

Ich habe Die paar leuchtenden Jahre von meinem Neffen und seiner Frau 2003 - am 21. Februar - zu meinem 51sten Geburtstag geschenkt bekommen. Mascha Kaléko begleitet mich schon lange. Sie ist ein eindrückliches Beispiel für eine Assimilationsleistung, die unseren Sprachhorizont durch außerordentliche Sensibilität und schöpferische Kreativität bereichert; geboren 1907 in Galizien, wird ihr Berlin zur Heimat, die sie im Zuge der Rassenpolitik der Nazis verliert. Sie flieht mit Mann und Kind in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Sie mahnt uns bis heute, die deutsche Sprache nicht noch einmal den Unmenschen zu überlassen - jenen, denen das Wörterbuch des Unmenschen nachspürt und die längst damit begonnen haben die Grenzen des Sagbaren wieder in den Sumpf rechtsextremer Ideologie zu verschieben. Wie zuletzt am Beispiel Heinrich Heines dargelegt, verneige ich mich  vor dem Schicksal und der Hinterlassenschaft Mascha Kalékos. Dazu gebe ich ihr Sonett in Moll, an das ich mich weiter oben angelehnt habe, im Original wieder; ebenso wie Letztes Lied, das Gedicht, mit dem der Name Mascha Kaléko auf besondere Weise verbunden bleibt:

Sonett in Moll

Denk ich der Tage, die vergangen sind,
Und all des Lichtes, das tief in uns strahlte, 
Da junge Liebe Wolken rosig malte
Und goldne Krone lieh dem Bettlerskind.

Denk ich der Städte, denk ich all der Straßen,
Die wir im Rausch durchflogen, Hand in Hand...
Sie führten alle in das gleiche Land,
Das Land, zu dem wir längst den Weg vergaßen.

Nun stehn die Wächter wehrend vor den Toren
Und reißen uns die Krone aus dem Haar. 
Grau ist die Wolke, die so rosig war.
Und all das Licht, das Licht in uns verloren.

Im Traume nur siehst du es glühn und funkeln.
- Ich spür es wohl, wie unsre Tage dunkeln.

Letztes Lied

Ich werde fortgehn, Kind. Doch du sollst leben
Und heiter sein. In meinem jungen Herzen
Brannte das goldne Licht. Das hab ich dir gegeben,
Und nun verlöschen meine Abendkerzen.

Das Fest ist aus, der Geigenton verklungen,
Gesprochen ist das allerletzte Wort.
Bald schweigt auch sie, die dieses Lied gesungen.
Sing du es weiter, Kind, denn ich muß fort.

Den Becher trank ich leer, in raschem Zug
Und weiß, wer davon kostete, muß sterben...
Du aber, Kind, sollst nur das Leuchten erben
Und all den Segen, den es in sich trug:

Mir war das Leben wie ein Wunderbaum,
Von dem in Sommernächten Psalmen tönen.
- Nun sind die Tage wie geträumter Traum;
Und alle meine Nächte, alle - Tränen.

Ich war so froh. Mein Herz war so bereit.
Und Gott war gut. Nun nimmt er alle Gaben.
In deiner Seele, Kind, kommt einst die Zeit,
Soll, was ich nicht gelebt, Erfüllung haben.

Ich werde still sein; doch mein Lied geht weiter.
Gib du ihm deinen klaren, reinen Ton.
Du sei ein großer Mann, mein kleiner Sohn.
Ich bin so müde - aber du so heiter.

 

 

 

 

 

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund