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Albert Einstein - Sigmund Freund: Warum Krieg? Ein Briefwechsel

Aus dem Jahr 1932 ist ein Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud belegt. Als Kleines Diogenes Taschenbuch ist er 1996 im Diogenes Verlag Zürich einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden. In der gegenwärtigen weltpolitischen Lage, zu der ich die belegbare These vertrete, dass Carl Schmitt gegenüber Immanuel Kant obsiegt hat, werden die Auslassungen Einsteins und Freuds einerseits verblüffen, andererseits dafür sorgen, dass die gegenwärtigen Kontroversen eher befeuert denn relativiert werden.

Dem Briefwechsel ist ein Statement Albert Einsteins vorangestellt mit dem Titel: Für einen militanten Pazifismus. Ich gebe die zentralen Thesen bzw. Positionen wieder:

Man kann die Eröffnung Albert Einsteins in der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland an die Adresse der FDP und der CDU/CSU – auch der AfD richten. Der erste Satz lautet: „Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder –traditionen zu machen.“ Und gleichermaßen höchst umstritten die zweite – auf Benjamin Franklin gestützte – Auffassung: „Es hat niemals einen guten Krieg und niemals einen schlechten Frieden gegeben.“ Gegenwärtig bleibt genau diese harte Unterscheidung zu verifizieren am drohenden Diktatfrieden, den die USA und Rußland der Ukraine aufzuzwingen drohen. Darin steckt auch die Begründung, warum ich innerhalb der deutschen Parateienlandschaft unterscheide zwischen jenen Parteien, die die Aggression Putin-Rußlands unwidersprochen hinnehmen und jenen, die Einsteins Forderung nach einer Zurückweisung des Rechts des Stärkeren untermauern.

„Ich bin nicht nur Pazifist, ich bin militanter Pazifist. Ich will für den Frieden kämpfen.“ So Albert Einstein, der die Auffassung vertritt, dass die Massen niemals kriegslüstern seien, solange sie nicht durch Propaganda vergiftet würden. Wenige Jahre später werden die Nationalsozialisten in der Lage sein, ein ganzes Volk mit ihrer Propaganda zu vergiften und schuldig werden zu lassen am größten Völkermord und Genozid der Geschichte. Seine Forderung war 1932: „Wir müssen unsere Kinder gegen Militarismus impfen, indem wir sie im Geiste des Pazifismus erziehen […] Unsere Schulbücher verherrlichen den Krieg und unterschlagen seine Greuel. Sie indoktrinieren die Kinder mit Haß. Ich will lieber Frieden lehren als Haß, lieber Liebe als Krieg.“

Einstein ist der Auffassung, dass es nicht möglich sein wird, „die kriegerischen Instinkte in einer einzigen Generation auszurotten“. Die Menschen müssten weiterhin kämpfen, aber nur, wofür zu kämpfen sich lohne: „Und das sind nicht imaginäre Grenzen, Rassenvorurteile oder Bereicherungsgelüste, die sich die Fahne des Patriotismus umhängen.“ Was würde Albert Einstein heute auf Kundgebungen landauf – landab sagen; nein, was sagt Albert Einstein:

„Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten. Ein Zehntel der Energien, die die kriegführenden Nationen im Weltkrieg verbraucht, eine Bruchteil des Geldes, das sie mit Handgranaten und Giftgasen verpulvert haben, wäre hinreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen sowie die Katastrophe der Arbeitslosigkeit in der Welt zu verhindern. Wir müssen uns stellen, für die Sache des Friedens die gleichen Opfer zu bringen, die wir widerstandslos für die Sache des Krieges gebracht haben.“

An Sigmund Freud schreibt Albert Einstein unter anderem:

Zunächst bekennt Einstein, sich glücklich zu schätzen, durch die Anregung des Völkerbundes einen Meinungsaustausch üben zu können – „mit Ihnen, lieber Herr Freud“, einen Meinungsaustausch „über diejenige Frage, die mir beim gegenwärtigen Stande der Dinge als die wichtigste der Zivilisation erscheint: Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien?“

Weil er selber ein von Affekten nationaler Natur freier Mensch sei, erscheine ihm die äußere bzw. organisatorische Seite des Problems einfach:

„Die Staaten schaffen eine legislative und gerichtliche Behörde zur Schlichtung aller zwischen ihnen entstehenden Konflikte. Sie verpflichten sich, sich den von der legislativen Behörde aufgestellten Gesetzen zu unterwerfen, das Gericht in allen Streitfällen anzurufen, sich seinen Entscheidungen bedingungslos zu beugen sowie alle diejenigen Maßnahmen durchzuführen, welche das Gericht für die Realisierung seiner Entscheidungen für notwendig erachtet.“

Dass Einstein politischer Realist und keineswegs Utopist oder Phantast ist, belegt eine Aussage, mit der er die Relativierung nationaler Befugnisse einfordert und das Recht des Stärkeren in den Griff bekommen will:

„Recht und Macht sind unzertrennlich verbunden, und die Sprüche eines Rechtsorgans nähern sich umso mehr dem Gerechtigkeitsideal der Gemeinschaft, in deren Namen und Interesse Recht gesprochen wird, je mehr Machtmittel diese Gemeinschaft aufbringen kann, um die Respektierung ihres Gerechtigkeitsideals zu erzwingen […] Der Weg zur internationalen Sicherheit führt über den bedingungslosen Verzicht der Staaten auf einen Teil ihrer Handlungsfreiheit beziehungsweise Souveränität, und es dürfte unbezweifelbar sein, daß es einen anderen Weg zu dieser Sicherheit nicht gibt.“

An Sigmund Freud stellt Einstein immer wieder hilflos erscheinende Fragen:

  • Wie könne es möglich sein, dass eine Minderheit, die aus Kriegen persönliche Vorteile beziehe, die Masse ihres Volkes ihren Gelüsten dienstbar machen könne – einer Masse, „die durch einen Krieg nur zu leiden und zu verlieren hat?“
  • Wie könne es möglich sein, dass sich die Masse durch die genannten Mittel bis zur Raserei und Selbstaufopferung entflammen lasse?

Einsteins Antwort, die er von Sigmund Freud auf den Prüfstand stellen lassen will, ist ernüchternd:

Die Antwort kann nur sein: Im Menschen lebt ein Bedürfnis zu hassen und zu vernichten.“

Er verbindet diese Antwort aber immerhin mit der Frage:

„Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, daß sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?“

Ist jemand gespannt, wie das weitergeht???

Hören wir Anne Applebaum zu - und gleichen wir es ab mit dem, was Sigmund Freud als Antwort auf die Fragen Albert Einsteins eingefallen ist. Es ist verblüffend und erschreckend zugleich, dass wir gegenwärtig den Rückfall in eine Praxis beobachten, die das Recht des Stärkeren wieder auf die Weltbühne eines legitimen Verfolgens eigener Interessen setzt.

Sigmund Freund antwortet Albert Einstein unter anderem:

"Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird [...] Nun ist der Völkerbund als solche Instanz gedacht, aber die andere Bedingung ist nicht erfüllt; der Völkerbund hat keine eigene Macht und kann sie nur bekommen, wenn die Mitglieder der neuen Einigung, die einzelnen Staaten, sie ihm abtreten."

Im Grunde genommen stehen wir 2025 an exakt demselben Punkt, der durch den Briefwechsel zwischen Einstein und Freud 1932 markiert wird.

Vielleicht mit einem kleinen, aber bemerkenswerten Unterschied: Anne Applebaum erwähnt im Übrigen am Ende des oben verlinkten Interviews beispielsweise die 300 Milliarden eingefrorenen russischen Vermögens, dessen Zinserträge bereits gegenwärtig der Ukraine zugute komme. Auf der Grundlage des UN-Votums zu der mit überwältigender Mehrheit erfolgten Verurteilung der russischen Aggression der Ukraine gegenüber empfiehlt Anne Applebaum die Nutzung der eingefrorenen Finanzmittel im Westen zur Aufrüstung und zum Wiederaufbau der Ukraine.

Gehen wir noch einmal auf die Argumentatin Sigmund Freuds ein. Da ist in seiner Antwort an Albert Einstein zu lesen:

"Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muß dem Krieg entgegenwirken. Diese Bindungen können von zweierlei Art sein. Beziehunge wie zu einem Liebesobjekt, wenn auch ohne sexuelle Ziele. Die Psychoanalyse braucht sich nicht zu schämen, wenn sie hier von Liebe spricht, denn die Religion sagt dasselbe: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Das ist nun leicht gefordert, aber schwer zu erfüllen. Die andere Art von Gefühlsbindung ist die durch Identifizierung. Alles was bedeutsame Gemeinsamkeiten unter den Menschen herstellt, ruft ein solches Gemeingefühle, Identifizierungen hervor. Auf ihnen ruht zum guten Teil der Aufbau der menschlichen Gesellschaft." Gleichwohl: "Es ist ein Stück der angeborenen und nicht zu beseitigenden Ungleichheit der Menschen, daß sie in Führer und Abhängige zerfallen. Die letzteren sind die übergroße Mehrheit, sie bedürfen der Autorität, welche für sie Entscheidungen fällt, denen sie sich meist bedingungslos unterwerfen. Hier wäre anzuknüpfen, man müßte mehr Sorge als bisher aufwenden, um eine Oberschicht denkender, der Einschüchterung unzugänglicher, nach Wahrheit ringender Menschen zu erziehen, denen die Lenkung der unselbständigen Massen zufallen würde."

So düster und angemessen Freuds Sicht der Dinge auch sein mag - mit Blick auf Trump, Putin oder die Idioten in Deutschland, die die  A l t e r n v a t i v e  für Deutschland stärken - Freud setzt auf ein Moment, dass uns bis heute umtreibt und Initiative ergreifen lässt:

"Von den psychologischen Charakteren der Kultur scheinen zwei die wichtigsten: Die Erstarkung des Intellekts, der das Triebleben zu beherrschen beginnt, und die Verinnerlichung der Aggressionsneigung mit all ihren vorteilhaften und gefährlichen Folgen. Den psychischen Einstellungen, die uns der Kulturprozess aufnötigt, widerspricht nun der Krieg inder grellsten Weise, darum müssen wir uns gegen ihn empören, wir vertragen ihn einfach nicht mehr, es ist nicht bloß eine intellektuelle und affektive Ablehnung, es ist bei uns Pazifisten eine konstitutionelle Intoleranz, eine Idiosynkrasie gleichsam in äußerster Vergrößerung. Und zwar scheint es, daß die ästhetischen Erniedrigungen des Krieges nicht viel weniger Anteil an unserer Auflehnung haben als seine Grausamkeiten. Wie lange müssen wir nun warten bis auch die Anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen,aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, daß der Einfluß dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkunen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht  erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg. ich grüße Sie herzlich und bitte Sie um Verzeihung, wenn meine Ausführungen Sie enttäuscht haben."

Sigmund Freund ist im September 1939 gestorben. Er hat den totalen Absturz der deutschen Kulturnation (unter Einschluss seiner Heimat Österricht) bis hinein in den Furor der industriell organisierten Vernichtung von Millionen von Menschen nicht mehr erleben müssen. Vermutlich wäre ihm seine Entschuldigung Albert Einstein gegenüber nicht nur als symbolisches Eingeständnis seiner Ratlosigkeit erschienen, sondern vielmehr als Bestätigung seiner theoretischen Überzeugungen, in denen eben der Gegensatz von Eros und Thanatos konstituierend ist:

"Ich habe Bedenken, Ihr Interesse zu mißbrauchen, das ja der Kriegsverhütung gilt, nicht unseren Theorien. Doch möcht ich noch einen Augenblick bei unserem Destruktionstrieb verweilen, dessen Beliebtheit keineswegs Schritt hält mit seiner Bedeutung. Mit etwas Aufwand von Spekulation sind wir nämlich zu der Auffassung gelangt, daß dieser Trieb innerhalb jedes lebenden Wesens arbeitet und dann das Bestreben hat, es zum Zerfall zu bringen [...] Er verdiente in allem Ernst den Namen eines Todestriebes, während die erotischen Triebe die Bestrebungen zum Leben repräsentieren. Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit Hilfe besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird."

Wir beobachten also im Sinne Freuds einen rasanten Kulturverlust weltweit; einen Kulturverlust in dessen Zuge, historisch - nach Hitler und Stalin - auf den Plan getretene Figuren wie Putin, Xi - und nun muss man wohl Donald Trump hinzurechnen - dem von Freud in den Rang eines den Menschen konstituierenden Grundprinzips, nämlich dem Destruktionstrieb erneut ungebremste Entfaltung einräumen: Hier Freund - da Feind!

   
© ALLROUNDER & FJ Witsch-Rothmund